Neo-Nibelungen: Friedrich Hebbels Trauerspiel wird am Theater Bonn symbolisch überladen inszeniert

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Diese Premierenkritik erschien erstmals beim Online-Magazin Kultura Extra.

Bühnenbild der Bonner Inszenierung © Thilo Beu
Bühnenbild der Bonner Inszenierung © Thilo Beu

Vor noch geschlossenem Theatervorhang hält eine Figur, welche den Dramatiker Hebbel selbst darstellen soll (Wolfgang Rüter), einen Einführungsmonolog. Lustvoll und anekdotenhaft wird von der Tötung eines Drachen berichtet. Diese Heldenmär verbreitete sich so wohl schon im Mittelalter zur Entstehungszeit des Nibelungenlieds. Dem Hintergrund des mittelalterlichen Epos begegnen die Theaterbesucher hier bereits als etwas Vergangenem. Hebbel adaptiert, dabei den zahlreichen Erfindern im 19. Jahrhunderts ähnlich, einen Stoff für die Bühne neu – neo eben: Neo-Romanik, Neo-Gotik, Neo-Nibelungen. Für Hebbel gilt es, eine alte Sage dem Geschmack des 19. Jahrhunderts anzupassen und sie flüssiger zu erzählen. Hierbei geht es ihm nicht vordergründig um etwas tief Menschliches oder Unmenschliches und schon gar nicht um so etwas wie „Deutschland“. Dass diese Geschichte  vom großspurigen Siegfried, von der verlogen-intriganten Hofgesellschaft und den rachsüchtigen Frauen einmal zum deutschen Nationalmythos schlechthin avancieren würde, konnte sich Hebbel nicht vorstellen – nachvollziehbarerweise. Was aus der Geschichte nach Hebbels Bühnenadaptation von 1861 wurde, versucht die Inszenierung aufzuzeigen: wie sich das Treue-Rache-Mordgeschehen weiterdreht, wie Hebbel die Fäden seines Stoffes entgleiten und auch warum Die Nibelungen nach Heiner Müller zum „deutschesten aller Stoffe“ wurde.

Die Figur des Hebbel öffnet den Vorhang. Die Bühne überrascht mit einer mehrebigen Kulisse und üppig ausstaffierten Dekor samt kunstvoll verhangener Kronleuchter. Eine ganze Reihe an Figuren sitzt zunächst wie Staffage zwischen den teils sonderbar anmutenden Möbeln und Bühnenelementen. Im Zentrum steht eine große Kuppel, die als Holzgestell von verschiedenen Figuren im Stückverlauf noch erklommen wird und die für den Zuschauer ebenso verschiedene Assoziationen birgt. Die erste Szene spielt an einem Sonntagmorgen. Ein großes Kreuz lehnt an der Kuppel. Das Christentum hat Einzug gehalten und es darf nun an diesem heiligen Tag nicht gejagt werden. Also kein Blut – Man(n) langweilt sich. Da taucht Siegfried (Hajo Tuschy) plötzlich auf dem Burghof König Gunthers (Benjamin Grüter) auf. Großspurig und ungebremst Monologe schwingend, gesellt er sich zu Gunther und dessen Bruder Giselher (Benjamin Berger), denen diese Ablenkung höchst willkommen ist. Nur deren beider Onkel Hagen Tronje (Glenn Goltz) beobachtet Siegfried argwöhnisch, da er schnell die eigene Position als wichtigster Berater des Königs gefährdet sieht.  

Begrüßung Siegfrieds am Hof von König Gunther © Thilo Beu
Begrüßung Siegfrieds am Hof von König Gunther © Thilo Beu

Die Story von Siggi

Siegfried wird überzogen mit naiver Überheblichkeit gezeichnet, wenn er selbst auf der Jagd mit seinen Drachengeschichten vor Gunther und Hagen prahlt, die mit keiner derartigen Story aufwarten können. Ohne über die folgenschweren Konsequenzen für sein Tun nachzudenken, überlistet er bald die mächtige Brunhild (Johanna Falckner), Königin von Isenland. In einem unehrlichen Kampf gewinnt er sie als Ehefrau für König Gunther, damit er im Gegenzug dessen Schwester Kriemhild (Laura Sundermann) ehelichen kann. Aufgrund kleinlicher Machtinteressen und weil sich zuerst Gunther und dann Kriemhild ihre Überlegenheit Brunhild gegenüber beweisen wollen, muss Siegfried sterben – der einzige, der tatsächlich stärker als Brunhild war. Der übersteigerte Treue- und Heldenepos wird zum Verrats- und Rachemythos. Der Schauspieler Hajo Tuschy verkörpert Siegfried auf lakonisch-humorvolle Art, die wenig heldenhaft eher einen Dandy gleichkommt, dessen Selbstherrlichkeit größer als seine Stärke erscheint – was ihm später dann auch das Leben kosten wird. Als eine noch lächerlichere Figur erscheint nur der, sich stets theatralisch in Szene setzende Spielmann Volker (Alois Reinhardt), dessen Anwesenheit für die Geschichte keinen weiteren Sinn zu haben scheint. Mit meist entblößtem Oberkörper malt er an einer Staffelei ein großformatiges Gemälde. Dann gibt er einen DJ, der von Techno über Zarah Leander bis hin zu Wagners „Nibelungen“ Musik auflegt. Zu guter Letzt wirft er sich kurz vor dem finalen Blutbad laut kreischend gegen eine verschlossene Tür. Die Dialoge und Kämpfe zwischen den männlichen Figuren sind schwer ernst zu nehmen und grenzen an absurdem Slapstick. So küsst Hagen Siegfried beispielsweise mehrfach, bevor er ihn schließlich ermordet. Nur die weiblichen Figuren vermögen es dem Trauerspiel Spannung und Tiefe zu verleihen, wenn sie ihren Rachegelüsten leidenschaftlich nachgeben. 

Laura Sundermann als Kriemhild in Hebbels "Die Nibelungen" am Theater Bonn © Thilo Beu
Laura Sundermann als Kriemhild © Thilo Beu

Kriemhild schreit nach dem Tod Siegfrieds: „Ich will Gericht!“ und ihre Brüder und deren Gefolge antworten: „Jetzt hört es nicht mehr auf!“ Diese beiden Sätze werden minutenlang, geradezu mechanisch wiederholt, während die Figur des Hebbel beim Versuch dies zu stoppen verzweifelt. Diese Sequenz verweist auf den scheinbar unausweichlichen Fortgang innerhalb der Geschichte (Story), wie auch in der jüngeren deutschen Geschichte (Historie) selbst, die in die Katastrophen des 20. Jahrhunderts mündete. Hierzu passt dann auch Heiner Müllers Feststellung, dass die Nibelungen der deutscheste aller Stoffe seien. Hebbel dachte noch, er verfasse einen Text, der lediglich in der Sprache und Dramaturgie des 19. Jahrhunderts einen mittelalterlichen Text widergebe, und beide Texte hätten keine tieferen Aussagen für die Menschen oder für die gegenwärtige Zeit, so wie es die griechischen Tragödien haben. Er konnte noch nicht überblicken, in welcher Weise sich zunächst Nationalisten und später Nationalsozialisten dieses Stoffes bemächtigen würden.

Präsenz des Todes unter der Kuppel

Kriemhild verlangt erfolglos Gerechtigkeit © Thilo Beu
Kriemhild verlangt erfolglos Gerechtigkeit © Thilo Beu

Die bildgewaltige Inszenierung bietet so eine Vielzahl an Deutungsmöglichkeiten. Die zentral positionierte Kuppel in Vytautas Narbutas Bühnenbild symbolisiert einmal, einem Regenbogen gleich, die biblische Verbindung zwischen Gott und Mensch. Sie deutet aber auch, wie das mongolische Jurte-Zelt, auf die Historie des Epos hin, die ja zur Zeit der Völkerwanderung und der Hunnenstürme seine Anfänge hat. Zugleich erinnert die Kuppel an das Reichstagsgebäude in Berlin. Während diese im Februar 1933 brannte und damit eine Zeit von Ermordungen und Unrecht einläutete, verschwindet auch Siegfried unter der Kuppel im Theaterrauch, um Brunhild zu besiegen. Nicht nur er wird in diesem Moment dank seiner magischen Tarnkappe unsichtbar, die ganze Szene verschwindet im Rauch. Die Kuppel gemahnt auch gewichtig an Adolf Hiltlers Modell der monströsen Kuppel in seiner Germania-Planung. Zu guter Letzt wird die Kuppel einige Meter angehoben. Auch der Architekt Sir Norman Foster erhöhte den Reichstag im Jahre 1999 mit dem Neubau der Kuppel um einige Meter. 

Insgesamt ist die Symbolik der Inszenierung jedoch auch mit einer Abbildung des Brandenburger Tores, Bücherregalen und einem auf die Bühne hinab gleitenden Kreuz deutlich überfrachtet. Besonders wenn moderne Elemente mit einbezogen werden, will dies oft nicht gelingen. So wirkt es überzogen, wenn Glenn Goltz als Hagen hippe Tanzmoves zu Techno-Rhythmen vorführt. Es wird unnötig viel Fleischbeschau betrieben, wenn sich Siegfried bis auf die Unterhose entblößt und Kriemhild gar Geschlechtsteile zeigt. Die Stimmen tragen meist nicht und so wird viel geschrien. Es ist schade, dass einige der noch recht jungen Schauspieler nach vordergründigen Talenten und Stärken zu sehr als witzelnde Stereotypen besetzt scheinen. Ihre Stärken beweist die Inszenierung so vor allem in ihrem Einfallsreichtum und den breiten Assoziationsraum, den zahlreiche Bilder für die Zuschauer eröffnen.

Alle Fotos: Thilo Beu

Wei­tere Spiel­ter­mine in den Bad Godesberger Kammerspielen am Mi., 22.01., Fr. 31.01., Mi. 05.02., Sa. 08.02. und Sa. 22.02. jeweils um 19 Uhr, So. 16.02. und So. 16.03. um 18 Uhr sowie Sonntag. 13.04. um 16.00 Uhr. Mehr Infos gibt es auf der Web­site des Bon­ner Theaters.

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