Zuletzt sterben die Bilder – "Wortmusik" mit Christa Wolfs "Kassandra" am 12. Januar im Bonner Opernhaus

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"Wortmusik" am 12. Januar im Opernfoyer © AS
„Wortmusik“ am 12. Januar im Opernfoyer © AS

Wer den Samstag nicht zu spät ausklingen ließ, konnte den Sonntag im Bonner Opernfoyer früh beginnen. Die in Kooperation mit dem Bonner Theater initiierte Veranstaltung „WORTMUSIK“ bot erstmalig ab 11 Uhr eine schöne Gelegenheit, poetischer Sprache im Wechselspiel mit barocker Musik zu lauschen. Passagen aus Christa Wolfs Erzählung Kassandra (1983) wurden von Barbara Teuber nuanciert vorgetragen, im leisen Wechsel mit den Sätzen der e-moll Partita von Johann Sebastian Bach, am Flügel stimmungsvoll interpretiert von James Maddox. Schnell nehmen die, von Dr. Frieder Weber ausgesuchten Erzählungsausschnitte aufgrund einer dichten, emotional aufgeladenen und assoziations- und bilderreichen Sprache für sich ein.

Die DDR-Schriftstellerin Christa Wolf durchdringt den uralten Mythos und die antike Tragödie des Untergangs der Stadt Troja  intellektuell und bezieht ihn auf eigene Lebensumstände in der DDR. Zeitlose und bewegte Einsichten vermitteln sich, wenn Wolf die Hergänge aus der Ich-Perspektive der trojanischen Königstochter und Seherin Kassandra erzählt. Die Priesterin hat im Angesicht des Krieges den Glauben an die Götter verloren. Es wird ihr bewusst, dass auch sie sterben wird und sie sorgt sich, ob sie angesichts des Todes ihre aktive und klarsichtige Zeugenschaft als Seherin beibehalten wird können.

Kassandra sagt nicht nur die Zukunft vorher, ohne dass sie diese zu beeinflussen vermag. Als Seherin erkennt sie auch, wie sich im Zuge des Krieges Macht- und Gesellschaftsstrukturen besorgniserregend verändern. Im Kampf Trojas mit den Griechen werden die eigenen Prinzipien nicht mehr angemessen hinterfragt. Eigene Werte verkommen nur noch zu einer Parole, um die Kampfmoral aufrecht zu erhalten. Eine fehlende Ausgewogenheit der gesellschaftlichen Verhältnisse hat Christa Wolf selber im politischen System der DDR erkannt, als sie zu Beginn der 1980er Jahre an ihrer Erzählung schrieb. Auch heute noch gilt, wenn im Kampf gegen den „Terrorismus“ demokratische Prinzipien zur Disposition gestellt werden, das Wort Kassandras: „Das Gesicht der Feinde annehmen, aber trotzdem umkommen.“

Fensterblick im Opernfoyer © AS
Fensterblick im Opernfoyer © AS

Wie ein Bild erscheint der Blick aus dem Fenster des Foyers der Bonner Oper: An diesem sonnigen, friedlichen Sonntagmorgen auf die Rheinbrücke, mit den Autos, Straßenbahnen, Fußgängern und Joggern. Friedlich nach bald 69 Jahren, als die Vorgänger-Brücke zerstört wurde. In Anlehnung an das biblische „Im Anfang war das Wort“ heißt es bei Wolf: „Das Letzte wird ein Bild sein, kein Wort. Vor den Bildern sterben die Wörter“. Sehen – Erkennen – Würde – und dies im Angesicht des Untergangs. Schmerzt diese Haltung oder vermag sie zu trösten? Ganz und gar tröstlich ist aber die Musik von Johann Sebastian Bach. Auch – und vielleicht sogar ganz besonders – angesichts der Worte aus der Ich-Erzählperspektive von Christa Wolfs Seherin Kassandra. Für das Matinée-Programm wurden unter anderem Auszüge des „Wohltemperierten Klaviers“ Bachs ausgewählt.

Die nächste Veranstaltung der WORTMUSIK-Reihe ist am Sonntag, 23. März 2014 um 11 Uhr im Opernfoyer. Unter dem Titel „Leise Sagen liest die Schauspielerin Barbara Teuber dann Lyrik und Prosa von Else Lasker-Schüler. Der Pianist James Maddox wird dazu Klavierkompositionen und zeitgenössische Musik vom ungarischen Komponisten György Kurtág interpretieren.

Mehr Informationen kann man hier finden.

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