Gesellschaft, Digitalisierung und Arbeit

Gastbeitrag von Trotzker Neumann

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Wie kann die Bonner Gründerszene ausgebaut werden? Diese Frage sollte das Innovation Board für die Initiative der Stadt „Digitales Bonn“ beantworten. Bei Bonn.Community leiteten wir die Frage an die lokale Community weiter und erhielten interessante Antworten. Eine längere Antwort zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Digitalisierung im Lokalen gibt Trotzker Neumann in diesem Gastbeitrag.

Wie bei allen neuen Erfindungen, die geeignet sind das Alltagsleben der Menschen fundamental zu verändern, so hat auch die Digitalisierung in ihren Auswirkungen eine zweite, nicht ganz so rosige Seite. Über die Gefahren des Missbrauchs von Daten wurde und wird regelmäßig berichtet. Aber es bestehen natürlich auch riesige Chancen und neue Entfaltungsräume, von denen heute erst die Spitze des Eisberges erkennbar ist und deren Tragweite durch keine noch so große Fantasie einschätzbar ist.

Vergleicht man die Größenordnung dieser neuen digitalen Tätigkeitsfelder mit der Größenordnung des Rationalisierungspotentials eben durch diese Digitalisierung, so wird man auch den wachsenden Arbeitsplatz- und Beschäftigungsbedarf erkennen, der durch die Freistellung und Aufgabe traditioneller Arbeitsfelder neu entsteht. Dies gilt auch für die wirtschaftlichen Planungen der städtischen Kommunen, so auch für Bonn. Was für alle Kommunen bundesweit zutrifft, gilt für Bonn in besonderem Maße, nachdem es seine Funktion als Bundeshauptstadt verloren hat. Diese Neuorientierung wird seinen Schwerpunkt in dem Erhalt seiner Internationalität finden müssen.

Das Potential der Digitalisierung ist dabei im städtischen „Innenleben“ Bonns schon überdurchschnittlich vorhanden, wenn auch noch nicht immer in den Bereichen, auf die es in Zukunft immer stärker ankommen wird, möchte man im Wettbewerb der Aufmerksamkeitsjagd bestehen. Aber hier liegen die eigentlichen Chancen für Bonn: Die konsequente Fortsetzung der seit Jahrzehnten wachsenden Bedeutung Bonns in Feldern der überregionalen und internationalen Zusammenarbeit.

Letztlich ist Digitalisierung kein Selbstzweck, sondern ein noch immer schlummerndes Potential die Arbeitsfelder der Gesellschaft effizienter zu gestalten. Ähnlich wie bei der „Automatisierung“ der 70er und 80er Jahre fallen hier viele alte Arbeitsplätze zunächst einmal weg. Da in der Summe aber mehr Freiräume für neue höherwertige Arbeitsplätze entstanden, war der Nutzen für die Gesellschaft aber positiv und vorteilhaft. So sollte es auch heute sein.

Die Schwierigkeit besteht nun aber einerseits darin, den „Entscheidern“ die nötige „Expertise“ zu vermitteln hinsichtlich der sich neu eröffnenden Möglichkeiten, andererseits das Bewusstsein bei den „Digital Natives“ gegenüber dem simplen Gebot zu schaffen, dass sich jeder Arbeitsplatz auch irgendwie „rechnen“ muss. Hier beachte man als nur ein Beispiel die Problematik der Digitalisierung des Verlagswesens, besonders in der des Zeitungssektors.

Letztlich birgt aber der „Soziale Wandel“ im Zeitalter der Globalisierung eine so gewaltige Aufgabe für die wachsende Weltgemeinschaft – bei gleichzeitig „schrumpfenden“ Globus – , dass einem keine Sorge entstehen braucht, es gäbe zu wenig Arbeit. Hier ist nun die Kompetenz derjenigen gefragt, die sowohl die Mechanismen der analogen Ökonomie einerseits kennen, als auch die Prozesse des digitalen Fiebers in seiner juvenilen Unberechen- und schweren Kalkulierbarkeit andererseits.

Besonderer Bedarf besteht an jenen Moderatoren, die den echten Bedarf in Wirtschaft und Gesellschaft zu identifizieren in der Lage sind und gleichzeitig die jeweilige spezifische Qualifikation desjenigen Digitalisierungs-Experten beurteilen und bestätigen können, der mit der technischen Aufgabe einer digitalen Lösung oder Innovation beauftragt werden soll. Hier fehlen noch die nötigen Kompetenzen der beteiligten Akteure. Zu vergessen ist ebenfalls nicht die sich aus der allgegenwärtigen Transparenz des Internet ergebenden Einsparmöglichkeiten aller Art (Stichw. Preisvergleich) und der Wegfall vieler suggerierter Konsum – Bedürfnisse, ganz zu schweigen von der Umsonstkultur.

Hier einige ortsbezogene neue Anwendungsbereiche der Digitalisierung:

  • Netzwerk/e für ehemalige Bonner, die z.B. ausgewandert sind (GAZ Bonn hatte hier eine Rubrik des jährlichen Informationsaustauschs mit Ex-Bonnern)
    Mögl. Arbeitsfelder: Redakteure/Stadthistoriker/Kultursoziologen
  • Netzwerk/e für Emigranten und Vertriebene der Nazi-Vergangenheit, die selbst oder deren Nachfahren heute nach Wurzeln in ihrer alten Heimat forschen
    Mögl. Arbeitsfelder: Historiker/Familienkundler/Sozialpsychologen/Politologen
  • Netzwerk/e mit schon bestehenden oder neu zu gründenden Städtepartnerschaften die sich in einer ähnlichen politischen oder wirtschaftlichen Situation befinden (Stichworte Kongressstadt/Tourismus etc.)
    Mögl. Arbeitstelder: Ökonomen/Städteplaner/Stadtsoziologen/Reiseunternehmen
  • Netzwerk/e zwischen der Bonner Bevölkerung einerseits, auch seines Wirtschaftssektors gemeinsam mit den in dieser Stadt zahlreich bestehenden staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) und deren internationalen Entwicklungs- und Projektpartnern (Stichw. UN- Stadt, Netz-Magazin/e) andererseits.
    Mögl. Arbeitsfelder: Ökonomen/Technikern/Pädagogen/Unternehmen/Entwicklungssoziologen/Politologen
  • Netzwerk/e der Wissenschaften mit vielen Facetten des überregionalen und internationalen Austauschs hinsichtlich gleicher oder einander ergänzender Wissenschaftsfelder (Stichw. Uni- Stadt, Stadtsoziologie, städtische Entwicklungssoziologie) aber auch eLearning, online Studium, Berufsweiterbildung digital, Erwachsenenbildung online – jeweils mit überregionaler Reichweite
    Mögl. Arbeitsfelder: Wissenschaftler/Forscher/Pädagogen/Politik
  • Netzwerk/e (Vernetzung) lokaler/kommunaler Medien mehrsprachig mit den entsprechenden Medien der (europäischen und außereuropäischen) Herkunftsregionen der Bürger mit Migrationshintergrund.
    Mögl. Arbeitsfelder: Redakteure/Integrationssoziologen/Psychologen/Dolmetscher/Sprachlehrer
  • Netzwerk/e für Randgruppen (Behinderte/Alte/Flüchtlinge etc. ) in Form von Angeboten virtueller Museums- oder Konzertbesuche, virtueller Erkundung der Region oder auch Übertragung von lokalen Ratssitzungen als Möglichkeit der politischen Teilhabe trotz physischer Beeinträchtigung.
    Mögl. Arbeitsfelder: Pädagogen/Gesundheitssektor/Psychologen/Netzwerktechniker
  • Netzwerk/e (Gemeinschaftsnetzwerk) der gewerblichen Einzelhändler, die auf ihre regional spezifischen Angebote überregional aufmerksam machen möchten
    Mögl. Arbeitsfelder: Graphikdesigner/Einzelhändler – Wirtschaft/Unternehmen/Genossenschaften
  • Bestandsliste der bereits (in Bonn) vorhandenen digitalen Angebote und Beispiele, die auch in anderen Feldern „Schule machen“ können.
    Mögl. Arbeitsfelder: Innere Vernetzung der Innovativen/Bekanntmachung – Information der Allgemeinheit/Erleichterung und Beschleunigung des „Strukturwandels“/Crowdfunder
  • Kompetenzkurse und Schulungen in der Beherrschung diverser Standardprogramme der Textverarbeitung und Tabellenkalkulation, Anonymisierungs- Sicherheitsregularien.
    Mögl. Arbeitsfelder: Qualifizierung der Lehrer in Grundkompetenzen/Programmier-Grundkenntnisse/Mündigkeit im Umgang mit den „Neuen Medien“/Netzwerker für „Fachforen“

Dies ist nur eine kleine Auswahl der Bereiche, in denen sich die Anwendung dieser neuen Technologien – vom Internet der Dinge noch gar nicht zu sprechen – besonders anbietet. Im täglichen Arbeitsprozess werden sich darüber hinaus vielfach neue Spezialanwendungen ergeben. Bei all dem gilt: Es ist für eine echte Innovation und „massenhafte“ Anwendung und Verbreitung eines neuen Produkts oder einer Methode nicht mehr nötig sich im Zentrum einer Metropole aufzuhalten. Internet und Digitalisierung überwinden den Zwang zur kostenintensiven Zentralisierung.

An diesem Versuch einer subjektiven Einschätzung und Gewichtung der „Neuen Chancen“ müsste nun noch eine Einschätzung und Gewichtung der bekannten „Neuen Gefahren“ erfolgen. An einem solchen allgemeinen und abwägenden Diskurs sollten sich möglichst viele beteiligen um die eigenen Erfahrungen aus der Praxis zum Nutzen aller einzubringen.

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