von Gastautor Johannes Kuchta

Mit Regen und Sturm, so hatte der Tag begonnen. Es schien, dass ein Open-Air Konzert auf diesem großen Rasen zur Matschschlacht verkommen würde. Jetzt aber, kurz vor Beginn der Feierstunde des Meisters, klart sich der Himmel auf.

Die Wolken entzweien sich und geben den vollen Blick auf die Bühne preis. Volle Dröhnung. Die Bühnentechnik scheint mir so ziemlich das Fetteste, das technisch auf der Welt der Konzertbühnen existiert. Beeindruckend, alles festgeschraubt und wie geleckt. Heute sollte eigentlich jeder Ton, jede Bewegung, jeder Lichtstrahl sitzen.

Es war damals meine erste, selbst gekaufte Langspielplatte: Oxygene, 1977. Gefühlte 1000 Male mit Genuss gehört, immer noch: wunderbar. Eine neue Welt, damals. Die rockigen Brat- oder Schrummelgitarren der Anderen gingen mir auf die Nerven. Da kam ein junger Europäer und machte Musik nur mit elektronischen Instrumenten. Kein Klavier, keine Gitarre- es sah aus wie in einem wissenschaftlichen Forschungslabor.

Jean-Michel Jarre in Bonn. Foto: J. Kuchta.

Es gab auch in Deutschland viele Entwicklungen auf dem Gebiet der elektrischen Musik. Diese waren jedoch meist nicht so hörbar und eingängig. Jarre konnte mit seinen Knöpfen und Tastaturen Hits schaffen. Viele Knöpfe, Wände von Knöpfen, Schaltern, Steckfeldern und Anzeigen. Magische Handlungen, von denen damals kaum jemals etwas verstanden hatte. Inzwischen weiss man, was das alles so war: Oszillatoren, Filter- viele der damals oft in Echtholz eingefassten Synthesizer gibt es heute als Software für das iPad.

Wo der kleine Jarre 1976 nur die Kohle für die  sündhaft teuren Geräte genommen hatte? Er war jedenfalls zur richtigen Zeit mit den richtigen Werkzeugen am richtigen Ort, unheimlich erfolgreich. Der Vater schon ein berühmter Filmkomponist (Maurice Jarre: hat u.a. die Filmmusik für Lawrence von Arabien gemacht). Die beiden hatten aber kaum miteinander geredet, keine gute Vater-Sohn Beziehung also- dann doch keine Verwandtschaft, auf die man als aussenstehender aus dem unteren Mittelstand der Gesellschaft neidisch sein müsste.

Jean-Michel Jarre in Bonn. Foto: J. Kuchta.

Der kleine Jarre musste sich damals wie alle andern auch erst einmal musikalisch selbst erfinden. Die Zaubermusiken des jungen Jean-Michel Andre Jarre jedenfalls waren vom ersten Tag an sehr ansteckend, virulent.  Mellotron, ARP 2600 Synthesizer, AKS Synth, Korg Minipops- traumhafte elektronische Klangerzeuger, nicht nur für die damalige Zeit. Oxygene bleibt eine der meistverkauften Platten auf dem europäischen Markt. Die Hülle dieser, meiner ersten selbst gekauften Langspielplatte mit dem tollen Cover aus Totenschädel und Erdkugel hing jedenfalls über Jahre in meinem (Kinder-) Zimmer in zentraler Position. Man merkt: ich muss ein grosser Fan sein, so wie der Mann Teil meiner eigenen Geschichte ist.

Schön ist es im Internet die „making of“ Videos von Jean-Michel Jarre mit dem ganzen analogen Instrumentenpark anzusehen. Jeder Bewegung der grossen Bedienknöpfe folgt eine Bewegung des Klanges, der Luft. Der Klang wird in diesem Augenblick, in Echtzeit irgendwo unter der Oberfläche des Gerätes von surrenden Schaltkreisen erzeugt. Glückseligkeit in der Prä-sample Area. Auf den ersten Platten Jean-Michels gab es noch kein Sampling, erst ab „Magnetic Fields“ schlichen sich Stück für Stück vorher aufgenommenen Klänge ein. Vielleicht schade, denke ich am späteren Abend.

Jean-Michel Jarre in Bonn. Foto: J. Kuchta.

Vorhang auf für den Magier. Gut in Schuss, der Mann. Mit 69. Schmale Hose und verspiegelte Ray-Ban Sonnenbrille. Na ja. Jeder braucht wohl erst mal eine Maske, wenn er auf der Bühne den Affen macht. Doch das kann er:  Anheizen, er ist selbst der beste Cheerleader in der Jarre Show. Aufputschende, motivierende Gestik.

Aufforderndes Mitklatschen, Gott-sei-Dank meist auf 2 und 4 und nicht auf 1 und 3, was man zu der Musik, so fürchte ich, durchaus auch machen könnte. Ach ja, die Musik: Man vergisst es fast. Die wichtigsten Melodien des Abends hat der Mann schon vor 40 Jahren am Tonband komponiert. Die Melodien aus den neueren Programmen (nach 1980(!)) erscheinen einem irgendwie nicht so wichtig, bzw. nicht so gelungen.

Sehr viel flächig angelegtes Sounddesign. Fett, breites Stereopanorama, auch direkt vor der Bühne voller räumlicher Sound. Und dann die Subwoofer: holala, hier sollte man nicht mit vollem Magen davorstehen. Wie das Konzert schon anfängt- einzelne Schläge in den Bauch von ganz unten. Der ganze Körper soll erzittern, tut er auch. Der Meister macht den Vortänzer. Im Takt, der fast immer ein recht unkompliziert und gerade angelegter 4/4 ist. Bässe und Lasershow sind mächtig. Sehr europäisch, so etwas. In diesen technischen Materialschlachten, in so einer Musik sind sonst auch die Deutschen ganz gut.

Jean-Michel Jarre in Bonn. Foto: J. Kuchta.

Hier aber ein Franzose. Die Melodien: spärlich. Eher kurze Melodiebögen, nicht unbedingt immer ein grosser Wurf das Ganze. Eher Remixer und DJ als Virtuose. Aber Wirkungsvoll, jeder Ton kommt an. Basis der Klangpatterns sind oft einfache Sequenzen.  Die neueren Sachen gerne mit four-on-the-floor Bassdrum Rhythmus. Das kriegt auch der mit über 1 Promille in der letzten Reihe noch gut mit. Tatsächlich setzen sich in meiner unmittelbaren Umgebung einige Körper in Bewegung.

Körper über 40 meist, aber immerhin. Nicht jeder Künstler schafft das. Hier braucht keiner Texte zu behalten, es sind einzelne Sounds und Sequenzen, die bei den tausenden Zuschauern mit unterschiedlichen Ereignissen in der jugendlichen Vorgeschichte verknüpft sind. Eigentlich also egal, was der Mann auf der Bühne da jetzt macht. Die entscheidenden und jetzt wirksamen Fundamente wurden vor 40 Jahren gelegt. Und haben sich in die Gehirne einzementiert. Eine Massenhypnose, eine Rückführung, heute Abend.

Der Mann auf der Bühne gibt vor, nicht alleine zu sein. Hat links und rechts zwei Adlaten mitgebracht, die- jeder hinter einer schön aufgebauten, aber sinnlos erscheinenden Wand mit technischem Gerät versteckt sind. Ich habe es wirklich wohlwollend versucht, aber ich habe während des fast zweistündigen Konzertes kaum relevante Signale wahrgenommen, die von den beiden Mitmusikern ausgegangen sind.

Beide trommeln sie schön zum Sequenzer dazu oder drücken mit wichtigem Gesicht auf die Miditastatur. Immer schön bei jedem Trommelschlag die Arme hochreissen, damit alle sehen, dass man etwas tolles tut. Musikalisch allerdings irrelevant. Die eigentliche Performance macht der Meister. Ich glaube, er wollte heute Abend irgendwie nicht alleine sein, so vor den vielen Tausend Leuten. War er aber doch.

Zwischendurch immer mal brav mit tragbarem Mikrophon nach vorne zum Publikum und ein paar Worte über die schöne Stadt (Bonn), den grossen Sohn, der ihn musikalisch unwahrscheinlich viel beeinflusst hat (Beethoven). Dann, bei dem Song, bei dem der virtuelle als Gutmensch installierte Edvard Snowden- wie big brother 1984 zu allen Zuschauern von der digitalen Riesenleinwand spricht, geschieht das Unvorstellbare: Jean-Michel Jarre zieht die dunkle Sonnenbrille aus!

Jean-Michel Jarre in Bonn. Foto: J. Kuchta.

Mir wird ganz warm ums Herz. Jetzt doch ganz anders als bei Kraftwerk- „wir sind die Roboter“- jetzt etwas Persönliches? Doch nein, es war nur kurz, damit die am Keyboard montierte GoPro die jetzt unheimlich grossen Augen für einige Augenblicke einfangen kann. Danach muss die Sonnenbrille sofort wieder drüber. Cool zwar, aber schade. Vielleicht macht er die Nummer eben schon zu lange. Und es kommen bei Ihm immer soo viele Leute, die bespielt werden wollen.

Wir waren ja zwischendurch mal weg, haben von 1976 bis 2017 ein paar andere Klänge, womöglich noch mit richtigen und live gespielten Instrumenten, gerne auch neue experimentelle elektronische Klänge gehört. Er musste inzwischen immer Jean-Michel-Jarre bleiben. Einzigartig und perfekt, auch heute Abend, bis zuletzt. Auf wirkliche Emotionen, auf Musik generiert im hier und jetzt, da freue ich mich morgen hier am selben Ort mit Zuccero mit Band. Mal sehen, ob der seine Mitmusiker auf der Bühne wahrnimmt oder sie wohlmöglich auch mal was spielen lässt…

Gastautor Johannes Kuchta ist ein Bonner Songwriter und Musikproduzent. Neben seinem Hauptberuf als Neurochirurg betreibt er das Tonstudio und Label „Phonosphere„.

Ein aktuelles Interview mit ihm gibt es hier: www.rheinexklusiv.de/parallele-welten-johannes-kuchta/

 

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2 Kommentare

  1. PS: Unterer Abschnitt nach „Gastautor“ stammt nicht von mir, sondern vom „Hauptautor“ Sascha Gaul. Hätte ich selbst, grade bei der Überschrift des Artikels: „Megalomania“ natürlich wesentlich dezenter formuliert:) Gruss Johannes Kuchta

    • Lieber Johannes, dieser Artikel ist phänomenal! Danke Dir dafür (und Sascha Gaul Dich als Gastautor gewonnen zu haben). Ich hab beim Lesen des Artikels quasi die Bässe gespürt, die Melodien gehört und mit Gänsehaut Jarre erlebt, ohne vor Ort zu sein, was ich jetzt bereue. Ich finde es ist ein absolut gelungener Blogartikel mit Tiefe, weil du auf deinen persönlichen Bezug zu ihm eingehst, der mir zum Beispiel fehlt. Ich kenne nur Oxygen Part 4, vielleicht als Hintergrundmusik von Wissenschaftssendungen. Die historische Bedeutung ist mir aus dem Blick einer anderen Generation fremd, aber dank Dir habe ich es jetzt verstanden und fühle mich bereichert. Vielleicht kommt er ja zum 70. Geburtstag noch mal nach Bonn. Dann würde ich es auf keinen Fall verpassen wollen.

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