Am 25. November war der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, auch Orange Day genannt. UN-Kampagnen richteten sich hier in diesem Jahr gegen Femizide und geschlechtsspezifische Gewalt. Peter Konwitschny zeigt in seiner Neuinszenierung von Richard Strauss’ Oper Die Frau ohne Schatten auch patriarchales Denken, Frauen als hilflose, degradierte und ausgebeutete Opfer und Formen infamer Gewalt bis hin zu Tötungen von Frauen. Konwitschny legt das Augenmerk auf die Geschlechterkonflikte in der Vorlage.

Die 1919 in Wien uraufgeführte Oper wurde in der internationalen Koproduktion mit den Opernhäusern in Tokyo und Madrid in einem streitbaren Konzept stark kondensiert. Die über vierstündige Oper wurde auf zweieinhalb Stunden zusammengestrichen. Szenen wurden umgestellt, wichtige Arien wurden weggekürzt. Vom letzten Aufzug werden nur noch Fragmente gezeigt.

Ruxandra Donose und Tobias Schabel in ‚Die Frau ohne Schatten‘ an der Oper Bonn | Foto (c) Matthias Jung

Die märchenhafte, rätselvolle, symbolisch aufgeladene Feenerzählung von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal hat der heute 80jährige Peter Konwitschny radikal umgedeutet. Drastische Verfremdungen, geänderte Szenenfolgen und Figuren und hinzugefügtes Gesprochenes provozieren und polarisieren. Die konfuse und krude Bühnenhandlung bleibt dabei über weite Teile unverständlich, bizarr und absurd – insbesondere wenn man die Oper zuvor noch nicht gesehen hat:

Die Titelfigur, bei Strauss und Hofmannsthal eine Kaiserin aus dem Feenreich, muss ein Kind – in der Logik der Geschichte einen Schatten – bekommen. Sonst wird sie in das Geisterreich verbannt und ihr Gatte, der Kaiser, wird zu Stein. Mit ihrer Amme zusammen versucht sie nun unter den Menschen eine Frau zu finden, welche ihr die eigene Gebärfähigkeit überträgt. Die Kaiserin und ihre Amme treffen auf eine Kandidatin für das mögliche Geschäft, die Färberin. Diese hat sich bewusst gegen Kinder entschieden. Die Kaiserin verhandelt mit ihr, um ihr die Gebärfähigkeit abzukaufen.

Anne-Fleur Werner und Aaron Cawley in ‚Die Frau ohne Schatten‘ an der Oper Bonn | Foto (c) Matthias Jung

Der Palast ist bei Konwitschny zu Beginn ein Garagenhinterhof. Hier fährt ein alter Mercedes Benz mit dem Nummernschild PK 2024 im halbdunklen Rotlicht vor, während Straßenprostituierte in High Heels oder Stöckelschuhen, Netzstrümpfen, kurzen Röcken oder Latexoutfit gefügig an den Wänden gelehnt stehen. Konwitschny verortet das Setting im Mafiamilieu, die Titelheldin (die Kaiserin) wird zur Prostituierten degradiert und schafft auf den Straßenstrich an. Gleich zu Beginn sehen wir, wie ihr Gatte, ein fieser Gangsterboss (der Kaiser) in Schwarz gekleidet, die Hosen runter lässt, damit ihn eine andere Frau an der geöffneten Autotür oral befriedigt. Eine Geldübergabe artet in eine laute Schießerei aus. Türen werden geknallt, Bühnenelemente umgeworfen. Der Kaiser und seine brutale Gang demonstrieren ihre Überlegenheit gegenüber dem anderen Geschlecht. Die Frauen oder Straßenprostituierten erscheinen unmündig und himmeln diese brutalen und plumpen Machos an. Bedeutung kommt in dieser reaktionären gesellschaftlichen Ordnung dem Gebären zu. Frauen, die nicht schwanger werden wollen oder können, sozusagen „keinen Schatten werfen“, werden abgewertet.

Die bei Strauss und Hofmannsthal als Ort angelegte Färberei wird auf Johannes Leiackers Drehbühne als leuchtend helle Fruchtbarkeitsklinik oder Genlabor mit hohen Wänden, Klinikinventar und ausgestellten Föten gezeigt. Die Schlussszene mit Showdown spielt in einem noblen Restaurant erhöht über der Skyline.

Giorgos Kanaris, Aile Asszony und Ruxandra Donose in ‚Die Frau ohne Schatten‘ an der Oper Bonn | Foto (c) Matthias Jung

Der Färber Barak, der an Embryos forscht, wird im Krankenhausbett minutenlang über die Bühne gefahren, während er vom Bett aus schwere Passagen singt. Seine Frau, die Färberin, lehnt es ab, als „Gebärmaschine“ zu „dienen“. Der Reproduktionsmediziner Barak hört den Chor der Wächter, der den ersten Akt abschließt, auf einen Kassettenrecorder, den seine genervte Frau kurzerhand mehrfach abschaltet. Bald tun die Färberin und die Kaiserin mit Kissen unter Kleidern oder Röcken so, als seien sie schwanger. Später sehen wir noch, wie der Kaiser die scheinschwangere Färberin vergewaltigt. Die Kaiserin hingegen streift ihr Kleid hoch, spreizt die Beine breit, um den Färber Barak zu verführen. Sie besteigt ihn auf dem Krankenbett, um einvernehmlich zuckend, klangschöne Koloraturen singend, mit ihm Sex zu haben. Ein Kind wird geboren und sagt mit quakender Stimme nach der Entbindung: „Ich will nicht.“ Eine Zangenentbindung wird angedroht. Mafia-Clanangehörige finden bei einer Hausdurchsuchung nur einen toten Fisch.

Die Kaiserin, die Färberin und die Amme haben als hingebungsvolle Figuren schöne Momente mit leuchtendem Gesang. Anne-Fleur Werner spielt die Titelheldin auch darstellerisch ausdrucksstark, mit präsenten, ebenso berührenden wie bezwingenden Sopran. Aile Asszonyi, die an der Oper Bonn bereits in Strauss Elektra stimmgewaltig zu überzeugen vermochte, tobt und schmollt als Färberin mit hoher Emotionalität kraftvoll und expressiv. Ruxandra Donose verkörpert die Amme ausdrucksvoll mit markantem Mezzosopran. Den Kaiser markiert der irische Heldentenor Aaron Cawley mit höhensicherer Linienführung. Giorgos Kanaris mimt den Färber mit ausgeglichenem, weichem und wohlklingendem Bariton. Aus dem Ensemble der Solisten stechen schlussendlich auch Carl Rumstadt, Tobias Schabel und Christopher Jähnig in den Rollen der Wächter mit volltönenden und überzeugenden Stimmen hervor. Der von André Kellinghaus geführte Damenchor tritt nuanciert in der Rolle von Krankenschwestern auf die Bühne.

Statisterie, Aaron Cawley, Giorgos Kanaris, Anne-Fleur Werner und Aile Asszonyi in ‚Die Frau ohne Schatten‘ an der Oper Bonn | Foto (c) Matthias Jung

Unter dem Dirigat von Generalmusikdirektor Dirk Kaftan interpretiert das Beethoven Orchester Bonn die hochkomplexe Partitur facettenreich, opulent und mit atmosphärischer Dichte. Leitmotive und Melodielinien werden harmonisch ausbalanciert, spannungsvoll Reibungen ausgelotet. Es gibt kammermusikalische Momente etwa mit Streichersoli.

Am Ende der Vorführung, nachdem die Kaiserin und Färberin von ihren jeweiligen Gatten erschossen wurden, wurden die Solisten und die Musik bejubelt. Die Regie wurde für die eindimensionale, klischeereiche und lieblose Umsetzung der Oper und die grobe Figurenführung ausgebuht. Die Inszenierung wird mit seinen Interventionen der Komplexität vom Werk des Duos Strauss und Hofmannsthal nicht gerecht, zumal Konwitschny Frauen zu sehr als Prostituierte objektifiziert.

DIE FRAU OHNE SCHATTEN

Musikalische Leitung: Dirk Kaftan, Julien Salemkour

Regie: Peter Konwitschny

Szenische Einstudierung: Taro Morikawa

Bühne und Kostüme: Johannes Leiacker

Light Design: Guido Petzold

Dramaturgie: Bettina Bartz

Choreinstudierung: André Kellinghaus

Besetzung:

Der Kaiser … Aaron Cawley

Die Kaiserin … Anne-Fleur Werner

Die Amme … Ruxandra Donose

Der Geisterbote … Tobias Schabel

2. Bote / Bodyguard des Kaisers … Carl Rumstadt

3. Bote / Beamter … Christopher Jähnig

Erscheinung eines Jünglings … In Hyeok Park

Die Stimme des Falken … Alyona Guz

Barak, der Färber … Giorgos Kanaris

Die Färberin … Aile Asszonyi

Der Einäugige … Johannes Mertes

Der Einarmige … Martin Tzonev

Der Bucklige … Andreas Conrad

Stimme der Wächter der Stadt … Carl Rumstadt

Stimme der Wächter der Stadt … Tobias Schabel

Stimme der Wächter der Stadt … Christopher Jähnig

Drei Dienerinnen Valerie Haunz, Anzhelika Bondarchuk, Buket Güvençer

Chor des Theater Bonn

Statisterie des Theater Bonn

Beethoven Orchester Bonn

Premiere war am 16. November 2025.

Nächste Vorstellungen am 19., 28.12.2025/ 4., 11., 16.01.2026

Weitere Infos siehe auch hier.

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