Aludo Todua in der Titelrolle des Nabucco an der Oper Bonn | Foto (c) Matthias Jung

Ich bin der einzige, der das Land in die richtige Richtung führen wird.“ So offeriert Regisseur Roland Schwab eine Sichtweise Nebukadnezars II., eine biblische Gestalt, die es wirklich gegeben hat und die in vorchristlicher Zeit Jerusalem eroberte. In seiner 1842 in Mailand uraufgeführten politischen Choroper Nabucco (italienisch für Nebukadnezar) verkürzte Giuseppe Verdi die Handlung aus dem Alten Testament um den neubabylonischen König um 587 v. Chr. dramaturgisch stark. Der damals 28jährige jährige Komponist feierte mit seinem Frühwerk den internationalen Durchbruch. Die Erfolgsoper, die von Machtstreben, Gewalt, Verachtung, Liebe und Gefangenschaft handelt, scheint heute wieder höchst aktuell.

Während der Ouvertüre wird bühnenbreit auf dem geschlossenen Bühnenvorhang projiziert: „Der Fanatismus ist das tödliche Metronom, ohne das die Wiegenlieder des Terrors nie erklängen.“ Verdi verantwortet diese Worte nicht, sie entstammen dem zeitgenössischen Aphoristiker Peter Rudl. Es folgen große Tableaus und Nummern. Piero Vinciguerras sparsames Einheitsbühnenbild einer teils nur schwach beleuchteten schmucklos-sterilen Halle verweist zeitlos auf die Gegenwart. Anfangs scheint das Volk hinter einer Rampe seitlich zwischen zwei dicken, hohen Stahlwänden eingeschlossen. Hebräer oder Leviten sind während der Vorführung von den Babyloniern nicht durch Accessoires oder Kleidung (Kostüme: Renée Listerdal) zu unterscheiden. Auf der Bühne sind die Personenkonstellationen mitunter unübersichtlich:

Das jüdische Volk der Hebräer wurde verschleppt und lebt in Gefangenschaft von Nabucco, König von Babylon (Aluda Todua). Es wird unterdrückt. Seine Heimat Jerusalem wurde von Feinden eingenommen. Auch Fenena (Charlotte Quadt), Nabuccos Tochter, ist Gefangene, jedoch vom Volk der Hebräer. Die assyrische Prinzessin trägt ein schlichtes Kleid und verkörpert gekrümmt eine ständige Opferhaltung, während sie von Hebräern herabgewürdigt und mit Papierfetzen beworfen wird.

Ioan Hotea als Ismaele und Charlotte Quadt als Fenena in ‚Nabucco‘ an der Oper Bonn | Foto (c) Matthias Jung

Sie verliebt sich in den adrett und dynamisch auftretenden Ismaele (Ioan Hotea), den Neffen Sedecias, des Königs von Jerusalem. Ihre Liebe wird erwidert. Fenena bekennt sich zum jüdischen Glauben. Unter den Hebräern stachelt der jüdische Hoheprieser Zaccaria (Derrick Ballard), energisch und einen schwarzen Anzug tragend, das Volk bis hin zum religiösem Fanatismus auf.

Fanatisch erscheint auch der gewiefte Nabucco, wenn sich der siegreiche Eroberer nach einem erfolgreichen Feldzug exzessive überhöht und zum alleinigen Gott erklärt. Oberhalb der Bühne laufen hierbei auf einem Konstrukt aus elektrischen Stahlbändern in roter Leuchtschrift selbstherrlichen Parolen ab, wie „Ich bin der Vater aller Völker“. Es handelt sich um Zitate diktatorischer Präsidenten, die eine Allmacht verkünden. Donald Trump, der selbst jüngst seinen vermeintlichen Anspruch auf den Friedensnobelpreis hochhielt, wird hier namentlich und mit Zitat eingeblendet, in einer Reihe mit faschistischen Egomanen und Autokraten wie Hitler, Stalin oder Idi Amin.

Aludo Todua als Nabucco und Erika Grimaldi als Abigaille in ‚Nabucco‘ an der Oper Bonn | Foto (c) Matthias Jung

Nach seinem Gottesfrevel wird Nabucco von ebendiesem herabfahrenden Gerüst wie von einem Blitz getroffen. Die beklemmenden Parolen verlöschen und die Skulptur scheint zerstört. Der babylonische König verfällt prompt in geistige Umnachtung. Seine Stieftochter Abigaille (Erika Grimaldi), im schwarzen Lederoutfit und mit Springerstiefeln, sperrt ihn ein und übernimmt als selbst gekrönte Königin seine Geschäfte. Auch sie erscheint als gefährliche Tyrannin. Sie setzt ein Todesurteil für die Hebräer durch, das auch Nabuccos Tochter und somit ihre Halbschwester und Thronkonkurrentin Fenena trifft. Nabucco fürchtet um ein Unheil für seine geliebte Tochter Fenena und sein Geist klärt sich langsam.

Ein Höhepunkt ist der Gefangenchor im dritten Akt, wenn das Volk einstimmig “Va pensiero sull´ali dorate” (Flieg Gedanke auf goldenen Flügel) singt. Der groß aufgestellte Chor beginnt ganz leise, langsam auf der Bühne zur Rampe vorrückend. Besungen wird ein Wunsch nach Heimat und Freiheit. Der Chor steigert sich bis hin zum Crescendo, doch der Furor ebbt schnell wieder ab. Die einzelnen Chormitglieder halten zum Publikum hin aufscheinende Lichter von Mobiltelefonen in ihren Händen. Das Lied steht für den Kampf des hebräischen Volks um eine Befreiung aus babylonischer Gefangenschaft. Doch noch ist nicht aller Tage Abend.

Ensemble in ‚Nabucco‘ an der Oper Bonn | Foto (c) Matthias Jung

Im schnellen Tempo artikulieren sich mögliche Tyrannen und Diktaturen, Kämpfe und Kriege werden angedeutet. Die Inszenierung findet erschütternde Bilder, wenn etwa die Leuchtschrift „Enjoy“ oberhalb einer drohenden Exekution steht. Diese Szene erinnert auf beklemmende Weise an Ermordungen von Häftlingen in NS-Lagern.

Das Beethoven Orchester Bonn sorgt unter der Leitung von Will Humburg mit geschmeidig klaren Bläsern und differenziert federnden Streichern für einen dramatisch satten Klang. Der georgische Bariton Aluda Todua strahlt in der Titelrolle als Herrscher, bevor er in geistige Umnachtung fällt. Er singt kraftvoll, warm timbriert und mit langem Atem. Die Italienerin Erika Grimaldi mimt seine Tochter Abigaille wandlungsfähig mit leuchtendem Sopran und markanter Linienführung. Der Rumäne Ioan Hotea verkörpert den Ismaele mit agiler Präsenz und klangvoll variablen Tenor. Charlotte Quadt strahlt in der Rolle der Fenena ergreifend in den Spitzentönen und sorgt für berückende Momente. Bemerkenswert ist auch Christopher Jähnig in der Rolle des Hohepriesters des Baal mit hingebungsvoll beweglichem, raumfüllend tiefen Bass. Der Chor und Extrachor des Theater Bonns singt unter der Leitung von André Kellinghaus klangschön, mit pointierter Präzision und brodelnder Leichtigkeit.

Mit Nabucco ist Roland Schwab eine oft bildgewaltige, jedoch nur mit Vorwissen gut nachvollziehbare Inszenierung gelungen. In ihren stärksten Momenten offeriert sie am Beispiel der selten fokussierten Liebesgeschichte eine Versöhnung zwischen verfeindeten Völkern als mögliche Lösung tiefgreifender Konflikte. Doch die Gegner einer Friedenslösung scheinen wie so oft unbelehrbar.

NABUCCO (Oper Bonn, 03.10.2025)

Musikalische Leitung: Will Humburg
Regie: Roland Schwab
Bühne: Piero Vinciguerra
Kostüme: Renée Listerdal
Licht: Boris Kahnert
Choreinstudierung: André Kellinghaus
Besetzung:

Nabucco … Aluda Todua
Abigaille … Erika Grimaldi
Zaccaria … Derrick Ballard
Ismaele … Ioan Hotea
Fenena … Charlotte Quadt
Anna … Marie Heeschen
Abdallo … Ralf Rachbauer
Hohepriester des Baal … Christopher Jähnig
Chor des Theater Bonn
Extrachor des Theater Bonn
Statisterie des Theater Bonn
Beethoven Orchester Bonn
Premiere war am 3. Oktober 2025.

Nächste Vorstellungen am 18., 19., 24. & 31.10/ 2., 9. & 14.11./ 11.12.2025 sowie 21.2./ 6.3./ 5.4.2026.

Weitere Infos hier.

Neben der denkwürdigen Eröffnung der Opernsaison durch Nabucco werden aktuell in der neuen Spielzeit auch sehenswerte Wiederaufnahmen gezeigt:

Giacomo Puccinis Madame Butterfly im Bonner Opernhaus. Nächste Termine: 12., 30. Oktober, 21., 28. November, 5. und 26. Dezember 2025, sowie 3. Januar 2026.

Hoffnungsvolle Arien von zerbrechlicher Schönheit verkürzen in kostbaren Momenten das sich über Jahre hinweg dehnende, sehnsüchtig-geduldige Warten. Cio-Cio San, genannt Butterfly, ihr dreijähriger Sohn und ihre Zofe Suzuki warten auf den Ehemann und Kindsvater – den US-Navy-Offizier Pinkerton. Er erwarb die junge Geisha samt Haus, zeugte mit ihr unwissentlich ein Kind und ließ sie dann alleine zurück. Sie liebt ihn weiterhin bedingungslos. Zur Besprechung

Nessun Dorma! Eine italienische Opernnacht im Bonner Opernhaus. Nächste Termine: 1. November, 31. Dezember 2025, sowie 7. Februar und 18. April 2026.

Hervorragende Solisten singen Auszüge und Arien aus Opern der italienischen Komponisten Gioachino Rossini, Vincenzo Bellini, Gaetano Donizetti, Giuseppe Verdi, Giacomo Puccini und Pietro Mascagni. Hingebungsvoll wird in leichtfüßiger und feinfühliger Musik voller zärtlicher Melancholie geschwelgt. Zur Besprechung

1 Kommentar

  1. […] „Das war das große Babel.“ – Verdis Nabucco an der Oper BonnEssenz: Die Bonner Oper zeigt Verdis Menschheitsdrama als Allegorie unserer Zeit – Macht, Glaube, Chaos, Klang.Warum es zählt: Ein selten kraftvoller Moment kommunaler Kultur – die Oper als Spiegel städtischer Ambivalenz.🔗 https://bundesstadt.com/bonn/das-war-das-grosse-babel-giuseppe-verdis-nabucco-an-der-oper-bonn/ […]

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