Bei den Kommunalwahlen am 14. September wird nicht nur zur Wahl des Bonner Stadtrats, der vier Bezirksvertretungen und Oberbürgermeister:in aufgerufen, sondern auch zum Integrationsrat.
In dem Wust von Wahlplakaten sticht ein Plakat hervor, weil es auf dem Kopf steht. Reza Abdi bewirbt sich erstmals für den Bonner Integrationsrat. Abdi betreibt einen emsigen Straßenwahlkampf als parteiunabhängiger Kandidat. Letztes Wochenende habe ich ihn in der Innenstadt dazu befragt. (Das Interview folgt weiter unten.) Dass er seine Wahlwerbung bewusst auf den Kopf gestellt hat, versteht er als Einladung, den Blickwinkel zu ändern.
“Manchmal muss man Dinge anders sehen, um wirklich weiterzukommen. Ich will gewählt werden – nicht für mich allein, sondern damit Integration eine stärkere Stimme bekommt – gerade für die nächste Generation“, so Abdi.
Mich hat das neugierig gemacht, weil mein binationaler Sohn erstmals bei der Kommunalwahl wählen darf, inklusive für den Integrationsrat. Er wusste aber nicht, was das ist. Daher zunächst, was ist und macht der Integrationsrat überhaupt? Das ist in einem Faltblatt in elf Sprachen hier erklärt.
Rund 104.000 Menschen in Bonn können an der 2025 Integrationsratswahl teilnehmen. Bonns Einwohnerzahl ist derzeit 340.000. Dies sind also fast ein Drittel. Nach Angaben der Stadt sind darunter 62.120 Personen, die eine deutsche oder europäische Staatsbürgerschaft besitzen. Dies entspricht etwa 60 Prozent. Wahlberechtigt ist, wer über 16 Jahre alt ist und:
- – nicht Deutsche oder Deutscher im Sinne des Grundgesetzes ist,
- – eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt,
- – die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung erhalten hat,
- – oder die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt im Inland als Kind ausländischer Eltern erworben hat.
Die Wahlbeteiligung für den Integrationsrat lag nach Angaben der Stadt vor fünf Jahren bei knapp 20 Prozent, gegenüber rund 57 Prozent bei der 2020 Wahl für den Stadtrat. Im Jahr 2014 lag sie noch bei 21,97 Prozent.
Sprachrohr, Brückenbauer und Impulsgeber
Für Binnaz Özpeker, die derzeitige Vorsitzende des Integrationsrats, besteht die Rolle des Rates vornehmlich darin, ein “Sprachrohr, Brückenbauer und Impulsgeber“ zu sein. Zu den Aufgaben des Rates gehören laut ihr:
- – die Vertretung der Interessen von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte,
- – die Beratung von Politik und Verwaltung in allen Fragen von Migration,Teilhabe und Integration,
- – die Förderung von Begegnung und Dialog zwischen den Kulturen und Religionen,
- – der Einsatz gegen Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus
- – sowie die Unterstützung von Initiativen und Projekten, die das Zusammenleben in unserer Stadt stärken.

„Kurz gesagt: Der Integrationsrat sorgt dafür, dass Vielfalt als Chance gesehen wird – und dass alle Menschen unserer Stadt gleiche Möglichkeiten haben, teilzuhaben und mitzugestalten,” so Özpeker. ”Der Integrationsrat ist die politische Stimme der Menschen mit internationaler Geschichte in Bonn. Wer wählt, entscheidet aktiv mit, wer diese Interessen hat.”
Der 28-köpfige Integrationsrat setzt sich jedoch nur zu Zweidrittel aus gewählten Vertreter:innen zusammen, die unabhängig oder über Wählerlisten zur Wahl antreten. Ein Drittel wird von den Stadtratsfraktionen bestimmt, gemäß dem Kräfteverhältnis im Rat. Die entsandten Mitglieder aus dem Rat müssen keinen Migrationshintergrund haben. Binnaz Özpeker beantworte für Bundesstadt.com weitere Fragen:
Warum sollten sich Wahlberechtigte in Bonn an der Wahl zum Integrationsrat beteiligen?
Binnaz Özpeker: „Wer zur Wahl geht, macht Bonn vielfältiger, gerechter und dem.okratischer. Wahlbeteiligung bedeutet, Verantwortung für die gemeinsame Zukunft zu übernehmen. Der Integrationsrat beschäftigt sich mit ganz praktischen Fragen: Bildung, Arbeit, Wohnen, Sprache, Kultur und Teilhabe. Wer wählt, hat Einfluss darauf, welche Themen in den Fokus rücken. Bonn ist eine weltoffene, bunte Stadt: Fast jede*r Dritte hat eine Zuwanderungsgeschichte. Mit der Wahl zeigen die Wahlberechtigten: Unsere Vielfalt soll auch in der Politik abgebildet sein.Der Integrationsrat setzt sich gegen Rassismus, Antisemitismus und jede Form von Diskriminierung ein. Mit der Wahl stärken die Bürger*innen genau die, die für Respekt und gleiche Chancen eintreten. Der Integrationsrat ist die politische Stimme der Menschen mit internationaler Geschichte in Bonn. Wer wählt, entscheidet aktiv mit, wer diese Interessen vertritt.”
Was hat der Bonner Integrationsrat in den fünf vergangenen Jahren auf den Weg gebracht?
Binnaz Özpeker: „Mehrsprachige Angebote der Stadtverwaltung, damit Menschen auch in ihrer Sprache Zugang zu wichtigen Informationen der Stadt Bonn haben. Es wird Gedenkorte für die Opfer von Rechtsextremismus geben. Die muslimischen Grabflächen auf dem Nordfriedhof bleiben. Menschen sollen nah bei ihren Familien ihren Ruheort finden. Verbesserung der schlechten Zustände in Flüchtlingsunterkünften. Kein Profit auf dem Rücken von Geflüchteten und eine menschenwürdige Umgebung schaffen.Wir haben beschlossen: Die Förderung von Haus Vielinbusch muss weitergehen. Das Familien- und Bildungszentrum in Tannenbusch liefert einen wichtigen Beitrag zur Integration.”
Nach der WDR Kommunalwahl-Trends Umfrage sind in der Region Bonn nur 39 Prozent mit der Integration von Ausländer:innen zufrieden. Die Region umfasst die Stadt Bonn, den Rhein-Sieg-Kreis sowie Teile des Kreises Euskirchen. Wie bewerten Sie dieses Umfrageergebnis? Reflektiert dies auch Ihre eigene Erfahrung in Bonn?
Binnaz Özpeker: „39% ist eine solide Basis und sagt, dass Integration funktioniert. 61% sind unzufrieden oder sehen Verbesserungsbedarf. Für eine Stadt wie Bonn mit einer langen Migrationsgeschichte könnte das besser sein. Viele Familien leben schon seit Jahrzehnten hier, sind längst ein fester Teil unserer Stadtgesellschaft. Gleichzeitig sind in den letzten Jahren viele Geflüchtete neu nach Bonn gekommen. Sie bringen neue Erfahrungen, Hoffnungen – aber auch Herausforderungen mit. Der Integrationsprozess braucht Zeit.“
Was sollte künftig verbessert werden bei der Integration von ausländischen Mitbürger:innen in Bonn? Was sind Ihre Prioritäten?
Binnaz Özpeker: „Das Umfrageergebnis ist ein Ansporn, mehr in Sprachförderung, Bildung, Teilhabe und Begegnung zu investieren, damit sich deutlich mehr Menschen integriert fühlen. Integration ist ein wechselseitiger Prozess.Es reicht nicht aus, dass Migrantinnen und Migranten sich integriert fühlen. Ebenso wichtig ist, dass die gesamte Gesellschaft den Eindruck gewinnt: Integration funktioniert, wir wachsen zusammen, wir profitieren voneinander.„
Integration braucht einen Perspektivwechsel
Reza Abdi, ein Wirtschaftsberater mit persischen Wurzeln, tritt erstmals als ein unabhängiger Kandidat an für den Bonner Integrationsrat. Was bewegt ihn dazu? Das Bundesstadt.com Interview wurde vor einer Woche geführt bei einem Straßenwahlkampf-Auftritt von ihm mit Roll-Up in der Innenstadt.
Was hat Sie nach Bonn und auf dem Münsterplatz verschlagen?

Reza Abdi: “Ein Teil meiner Familie hat hier früher studiert, und vor vier Jahren sind wir zurückgekommen. Seitdem leben wir hier, und Bonn ist für mich zu einem Ort geworden, an dem ich aktiv mitgestalten möchte. Diese persönliche Verbindung zur Stadt hat mich auch motiviert, für den Integrationsrat zu kandidieren – weil ich die Chance sehe, Brücken zwischen Menschen zu bauen und Integration konkret zu fördern.“
Warum kandidieren Sie für den Integrationsrat als ein unabhängiger Kandidat?
Reza Abdi: “Ich kandidiere als unabhängiger Kandidat, weil ich die Interessen der Migrant:innen unparteiisch vertreten möchte. Ich kann mich nicht immer zu 100 % mit einer Partei identifizieren, und ich glaube, dass es wichtig ist, dass die Menschen sehen, dass ich frei und unabhängig für ihre Anliegen eintrete. Viele Rückmeldungen aus meinem Umfeld bestätigen diesen Ansatz. Für mich steht bei der Kommunalwahl die Persönlichkeit im Vordergrund, nicht die Parteizugehörigkeit – deshalb wollte ich als Einzelkandidat antreten und direkt für die Menschen in Bonn ansprechbar sein.”
Laut einer WDR-Umfrage zur Kommunalwahl und Zufriedenheitsgrad in verschiedenen Lebensbereichen äußerten sich in der Region Bonn zur Integration von Ausländern nur etwa vier von zehn positiv. Reflektiert das auch Ihre eigene Erfahrung in Bonn?
Reza Abdi: „Das Ergebnis zeigt, dass noch viel Arbeit zu tun ist. Meine eigenen Erfahrungen in Bonn spiegeln das wider: Es gibt viele positive Ansätze, aber auch noch Barrieren, die Integration erschweren. Für mich bestätigt die Umfrage, wie wichtig es ist, dass wir aktiv Brücken bauen, Austausch fördern und konkrete Maßnahmen umsetzen, damit alle Menschen in Bonn die gleichen Chancen und Perspektiven haben.“
Was sollte künftig verbessert werden bei der Integration von ausländischen Mitbürger:innen in Bonn? Was sind Ihre Top 3 Prioritäten?
Reza Abi: „Behördenservice modernisieren und digitalisieren, insbesondere das Ausländeramt, damit Abläufe einfacher und zugänglicher werden. Beratung für Jobs und Karriere mehrsprachig anbieten, damit jede:r die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat. Mehr interkulturelle Dialoge fördern, Sprachbarrieren nicht als Hindernis sehen, sondern als Chance für Austausch und Verständnis.“
Sie betreiben sowohl offline als auch online Wahlkampf, gehen aktiv auf Menschen zu. Was sind die Reaktionen darauf?
Reza Abdi: „Viele Menschen sagen mir, dass sie meine Freude und den Wunsch, etwas zu verbessern, in meinem Gesicht sehen – das lässt sich nicht einfach über Social Media oder Kamera transportieren. Ich denke, alle brauchen persönliche Begegnungen, offene Kommunikation und echte Gespräche, Auf der Straße spreche ich direkt mit Menschen – die Resonanz ist sehr positiv. Viele waren zunächst überrascht, dass jemand wie ich in dieses System aktiv einsteigt. Online nutze ich Facebook, Instagram, TikTok, YouTube und meine Website rezaabdi.de, um meine Botschaften zu teilen und mit Menschen in Kontakt zu treten. Kritische Kommentare gehören dazu, aber ich sehe sie als Teil des Dialogs. Für mich geht es darum, inklusive Politik zu machen, die die Menschen wirklich erreicht und ihre Anliegen ernst nimmt.“