„Ahnjekumme“. So begrüßt Wolfgang Niedecken bei YouTube immer seine Fans. Bei jeder Location (und es sind viele) neu und mit Bildern vom Spielplatz.

Heute also wirklich nochmal BAP live und in Farbe auf dem Kunstrasen. Die vermutlich 9000 Tickets waren in kurzer Zeit ausverkauft. Niedecken und BAP sind eine Marke, der auch nach Jahrzehnten noch viel Liebe und Dankbarkeit am heutigen Abend entgegengebracht wird.

Hier vorab (und zur Entschuldigung für die Sachen, die ich weiter unten sagen werde) drei kleine persönliche Anekdoten aus meinem Leben mit BAP:

  1. Als Mittelschüler hatte ich am Priestergymnasium auf meiner Schultasche ein aufgesticktes BAP-Logo als Statement aufgebracht. Ich bin dann wegen (nicht des-wegen) einer 6 („ungenügend“) von dieser Schule geflogen.
  2. BAP waren damals unsere lokalen Idole. In den 80er Jahren hatte ich Wolfgang Niedecken mal nach einem Konzert im Bonner Loch aufgelauert und gefragt, ob ich nicht mit meiner damaligen Band als Vorgruppe von BAP spielen könnte. Klare Antwort: „Nein.“ BAP braucht keine Vorgruppe.
  3. Vor einigen Wochen dann „zufälliges“ Kennenlernen und Kaffeetrinken beim gemeinsamen Freund Mike Herting. Diese Stimme sagt zum Beispiel: „Hol doch mal dä Hunk rein“. Ich glaube, ich kenne diese Stimme (Niedecken) besser und habe sie öfter gehört, als die Stimme meines früh verstorbenen Vaters. Sie katapultiert mich heute, 2025, wieder direkt in die noch gar nicht so schmutzige, gut erinnerte, aber eben weit zurückliegende Vergangenheit.

Angekommen im Jahr 2025

19.20 Uhr, Kunstrasen. Ich war sicher, dass ich zu früh komme. Fast immer bisher (ich war dieses Jahr bei vielen Kunstrasen-Konzerten) wäre es zumindest pünktlich gewesen. Doch heute: Schon vom Parkplatz höre ich wieder diese Stimme und ich weiß – sie haben wirklich schon ohne mich angefangen.

Beeindruckend war, wie die Band Niedecken den musikalischen Teppich ausbreitet, auf dem er sitzen (Wolfgang ist heute 74 Jahre), stehen und manchmal auch fliegen kann. Alle verstehen ihr Handwerk gut. (Ich muss mir als Fan der ersten Stunde immer wieder sagen, dass das jetzt BAP ist – die heutige, aktuelle Besetzung mit Ulrich Rode, Anne de Wolff, Axel Müller und den anderen.)

Niedecken mit Hut und dunkler Sonnenbrille als perfekte Mischung zwischen Bob Dylan und Udo Lindenberg. Das ist wohl auch das, wo er hingehört und wo er hin möchte. Eine Maskierung inzwischen, eine Tarnkappe. Obwohl man ihn im Supermarkt wohl eher erkennen würde als den Jan Delay von vorgestern. Sorry, das ist wohl auch eine rheinische Oberlehrer-Eigenschaft, von der ich nicht loskomme: Für alles, auch wenn man es nicht will, dann doch eine Schublade finden. Aber irgendetwas muss man ja schreiben. Besser wäre es, ohne zu denken und ohne zu werten einfach zuzuhören.

Gleichbleibender Erfolg

Niedecken muss kein großer Sänger sein. Er muss nichts mehr beweisen. Einen Oscar verdient er wohl, wie auch sein Vorbild Bob Dylan, nicht vorrangig als Sänger, sondern als Texter und Geschichtenerzähler. Tolle Geschichten, immer noch. Intonation nicht immer so punktgenau. Aber jetzt komme ich hier mit völlig deplatzierten und unpassenden Kriterien.

Die meisten Songs sind gut gealtert und zeitlos. Aber eben nicht alle – kann ja nicht sein. Manches ist auch zu oft gehört und zu oft gespielt, auch für Niedecken. Kurz und heimlich wünsche ich mir leicht, dass die Band etwas weniger Erfolg gehabt hätte. Irgendwie wäre es „Indie“ noch schöner und herziger, als jetzt seit Jahrzehnten „everybody’s darling“ und Exportschlager.

Die heutige Besetzung:

  • Wolfgang Niedecken – Gesang, Gitarre
  • Ulrich Rode – Gitarre
  • Werner Kopal – Bass
  • Michael Nass – Keyboards
  • Anne de Wolff – Violine, Viola, Cello, Perkussion, Gitarre, Posaune, Okarina
  • Sönke Reich – Schlagzeug
  • Axel Müller – Saxophon, Gitarre, Duduk, Flöten
  • Franz Johannes Goltz – Posaune
  • Benny Brown – Trompete, Flügelhorn

Wucht in den Geschichten

Während einer stilleren Passage musste ich an die Duo-Konzerte mit Mike Herting und Niedecken zurückdenken. Nur Wolfgangs Stimme, eine unaufgeregte Gitarre und der Flügel. Reduziert auf das Wesentliche wurde klar und sicher: Die Songs, die man als Rockhymnen kennt, sind eigentlich Gedichten. In dieser Form entfalteten sie für mich noch eher eine Ruhe und eine Tiefe, die man im großen Bandkontext schwerer zu spüren sucht.

Heute Abend auf der großen Bühne dagegen dominierte die von den Massen gewünschte Wucht, die Lautstärke, das kollektive Gefühl. Beides – die Intimität des Duos und die Kraft der Band – sind wie zwei Seiten desselben Lebens eines Menschen. Dieser Niedecken, der eigentlich mal Maler werden wollte. Der er ja auch noch geworden ist.

Bei „Kristallnacht“ dann bei mir das erste Mal die erwartete Gänsehaut. Drei Akkorde oder so und Niedeckens (nicht angeschlossene?) Gitarre reichen. Lauschet dem Propheten! Im Publikum: wenige unter 60. Die Begeisterung für dieses Liedgut scheint sich nicht so wie bei Jan Delay vorgestern (hier waren auch zahlreiche 20- und 30-Jährige dabei) in die nächste Generation vererbt zu haben.

Diejenigen, die da sind, können auch nicht gut, oder wollen nicht tanzen. Ja, ich weiß – man darf Äpfel nicht mit Birnen oder Zitronen vergleichen.

Nur unfreiwillige Bierduschen auf dem vollen Platz

Platztechnisch bin ich aufgrund meines eher späten Erscheinens heute mal im Mittelfeld des Publikumsblocks platziert. Geschätzte 9000 Leute und wirklich recht voll. Doch ich beobachte, wie sehr viele Beherzte mit drei bis vier Bier beladen sich den Weg durch die Menge rüpeln. Mit leeren Bechern nach hinten, und dann mit vollen beziehungsweise halb leergekleckerten Bierbechern wieder zurück nach vorne zur Bühne. Dabei, ohne wirklich vorwärtssehen zu können, halb beherzt, halb hilflos „Vorsicht!“ zu den vor ihnen stehenden Opfern schreiend. Hier meine Bitte: Wenn jemand dich vorne an der Bühne fragt, ob du ihm „kurz mal hinten ein Bier“ holen könntest, dann empfehle ich ein klares und kurzes „Nein“.

Mein Lieblingssong heute Abend: „Jupp“. Es war und bleibt eine großartig erzählte Geschichte. Auch mal Raum dabei für ein episches Gitarren-Intro. Traumhaft schwerelos komponiert und ohne Kompromisse heute geliefert.

Meine Lieblingsmusikerin des Abends: Anne de Wolff. Hier passt wirklich das Wort „Multiinstrumentalistin“. Eher albern an der Okarina (da kann sie nichts dafür, das musste so sein), aber umso überzeugender an Cello, Geige, Mandoline, Backgroundgesang und allem, was man so machen kann, um dem Sound Tiefe, Einfühlungsvermögen, Sensibilität und Melodie zu verleihen. Selten so messerscharf genaue und songdienliche Percussion gehört. Respekt. Manchmal war ich mir kurz sicher, dass es vom Band kommt – und dann sah ich sie aber genau das spielen. Ein präzise gespieltes Tamburin, Shaker und das sogenannte „Kleinzeug“ sind live so selten. Ein Traum für jeden Schlagzeuger.

Für mich eher unnötig: „Die Rut-wiess-blau querjestriefte Frau“. Fand ich immer schon sehr überschaubar. Aber meine weit im Publikum verstreuten Schulkollegen konnten und können nach 40 Jahren immer noch jedes Wort von diesem Song auswendig. Auch wenn sie sich sonst bei einfacheren Gedichten keinen Zweizeiler merken können. Muss also irgendwas dran sein an dem Ding.

Eineinhalb Stunden Zugabe

Um 20.45 Uhr dann schon „et letzte Leed“ angekündigt mit „Frau, ich freu mich“. Schön, aber wollen die jetzt schon Schluss machen? Oder eineinhalb Stunden Zugabe? Wer Niedecken kennt, weiß: Letzteres wird der Fall sein.

Wunderbar und zeitlos auch: „Do kannst zaubere“ und „Jraduss“. Niedecken: „Ihr wisst ja, dass es im Kölschen kein G gibt.“

Danke übrigens auch, dass ihr nicht den wunderbaren „Wellenreiter“ in der „Happy go lucky“-Reggaeversion (wie zuletzt 2024 live aufgenommen im Sartory) gespielt habt. Der ist wirklich im Original viel zu schön, um ihn zu bobmarleysieren.

Nur manchmal gab es ein spürbares „Wir“-Gefühl bei den Musikern auf der Bühne. Bei mir bleibt meist das Gefühl, ich sehe und höre Wolfgang Niedecken und Begleitband. Aber vielleicht habe ich den Abgang der Ur-Musiker Schmal Boeker, Mayor Heuser und Effendi nach über 40 Jahren immer noch nicht so richtig psychisch verkraftet. Kein allgemeines, sondern wohl nur mein Problem.

Fünftes Mal Kunstrasen

Glückwunsch der aktuellen Band jedenfalls zum Rekord: Genau wie Jan Delay bisher fünf Mal unfassbar erfolgreiche Konzerte auf dem Kunstrasen. Bonn ist zwar nicht ganz Köln, aber wie es Wolfgang ausdrückt:

„Et es ja nit nur Kölle, wo mer am Rhing Musik spillt. Hier, in Bonn, do simmer och zo Hus.“

BAP schrieb heute wieder Musikgeschichte und bleibt eine Institution. Danke für dieses Stück Heimat.

„Halt dich irgendwo fest und bliev so wie de worst“.

Alle Bilder: Stefan Mager

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