Wer an diesem lauen Dienstagabend pünktlich um 19 Uhr auf dem KunstRasen in Bonn stand, konnte sich erstmal in aller Ruhe ein Kaltgetränk gönnen. Denn wie so oft bei Hip-Hop-Shows gilt: Der Headliner kommt nicht, wenn der Plan es sagt, sondern wenn die Vibes es erlauben. So füllte sich der Platz nur langsam. Bonner Gemütlichkeit traf auf Cali-Chicano-Coolness, das Wetter war perfekt: nicht zu heiß, leichter Wind, Sommerabend deluxe.

Warm-up mit Kemo the Blaxican

Den Anfang machte Kemo the Blaxican. Der Mann mit mexikanischen und afroamerikanischen Wurzeln kam früher mit Delinquent Habits groß raus („Tres Delinquentes“ — ein Song mit Mariachi-Trompete, der einem tagelang im Kopf hängt). Heute ist Kemo solo unterwegs, mit Tracks wie „La Receta“, bekannt aus Filmen wie Sisterhood of the Traveling Pants.

Kemo war sympathisch, textlich stark, und glänzte mit seinem nahtlosen Wechsel zwischen Englisch und Spanisch — „Spanglish at its finest“. Dabei rappte er über soziale Ungerechtigkeit, persönliche Hürden (wie seinen Kampf gegen den Krebs 2010) und das harte Leben zwischen L.A.-Straßen und Latino-Familienfesten.

Ein starker Auftritt, der Lust auf mehr machte — wie ein guter Tequila-Shot vor dem Hauptgang.

Cypress Hill betreten die Bühne

Dann, nach einer kurzen Umbaupause, ein akustischer Paukenschlag: DJ Lord, einst bei Public Enemy, eröffnete solo mit einer Scratching-Performance, bei der selbst die Tauben in den Rheinaue-Bäumen den Beat mitpickten.

Mit jeder Vinyl-Drehung heizte er die Menge weiter an.

Kurz darauf kamen sie: Cypress Hill. Die legendäre Crew, die seit über 35 Jahren das Rap-Game prägt. Frontmänner B-Real und Sen Dog, Percussionist Bobo, ein tightes Schlagzeug- und Bass-Setup — sie alle standen bereit, um Bonn kurzzeitig in einen urbanen Hexenkessel zu verwandeln. Ja, und ich finde es wieder mal schön, wenn nicht nur ein Laptop auf der Bühne steht, sondern auch ein komplettes Drumset und Personal, das es angemessen bedienen kann.

Die Bloods-Geschichte hinter B-Real

Kleiner Ausflug in die Vergangenheit: B-Real (bürgerlich Louis Mario Freese) wuchs in South Central L.A. auf — einem Viertel, das in den 80ern mehr für Drive-by-Shootings als für Drive-in-Kinos bekannt war. Dort schloss er sich den Bloods an, genauer dem „Neighborhood Family Bloods“-Set. Die Bloods — berüchtigt für ihre roten Bandanas und ihre unzähligen Sets (lokale Gruppen) — standen in harter Fehde mit den Crips.

B-Real wurde tatsächlich bei einer Schießerei angeschossen, was ihn letztlich auf einen anderen Weg brachte: die Musik. Diese Straße-at-its-core-Haltung hört man bei Cypress Hill bis heute. Ihre Texte über Polizeigewalt, systemischen Druck, persönliche Dämonen — das alles ist keine Märchenstunde, sondern gelebte Realität. Oft kopiert- hier kommt ein Original.

Die Setlist: ein Best-of mit Tiefgang

Der Abend war eine Parade der Klassiker: „Insane in the Brain“, „How I Could Just Kill a Man“, „Hits from the Bong“, „Dr. Greenthumb“, „(Rock) Superstar“. Jeder dieser Tracks riss das Publikum mit, auch die letzte Currywurst-Schlange geriet ins Wanken.

„Dr. Greenthumb“ war dabei mehr als nur ein Song. B-Real verwandelte seinen alter ego in eine Marke: Heute gibt es in Kalifornien mehrere Dr. Greenthumb-Dispensaries, wo man legal Cannabis, Edibles und Merch shoppen kann. Der Song ist also quasi Werbung für sein eigenes „Green Empire“ — smarter geht’s kaum.

Live war der Sound noch massiver als auf Platte: satte Bässe, die bis in die Bonner Innenstadt vibrierten, dreckige Snares, flächige Percussions. DJ Lord verteilte Scratches wie Gewürze in einer mexikanischen Salsa, während B-Real und Sen Dog zwischen aggressivem Rap und melodischen Hooks pendelten.

Sen Dog, oft der Unterschätzte, lieferte an diesem Abend besonders stark ab. Seine dunklere Stimme gab älteren Tracks eine neue Wucht. B-Real wiederum zog mit seiner nasalen Signaturstimme durch die Sets. Jetzt weiss ich auch wieder, wie Jan Delay (auch grossartige Konzerte- siehe vorangehende Rezensionen) an diesen nasalen, höhenreichen Stil gekommen ist..

Atmosphäre: Bonn wird Cali

Die Rheinaue, mit ihren Bäumen, der offenen Wiese und der lockeren Tribüne, wurde für ein paar Stunden zur Westcoast-Außenstelle. Zwischen Beats waberten die Cannabis-Duftwolken über den Platz. Das Publikum: eine bunte Mischung aus Hip-Hop-Heads der ersten Stunde, Mittvierzigern und Fünfzigern (der Sänger selbst ist Jahrgang 1970) im Cypress Hill-Shirt von 1995 und jungen Festivalgängern, die das erste Mal so richtig echten Oldschool-Rap live spürten.

Die Bonner begrüßten die Band mit „Insane! Insane!“-Chören, tanzten, sprangen, brüllten die Refrains mit. Bei „How I Could Just Kill a Man“ war endgültig klar: Cypress Hill sind gekommen, um Bonn zu übernehmen — ohne große Pyrotechnik, ohne Show-Gimmicks, ohne Laser- Wände. Einfach nur pure Energie und ihren persönlichen Bericht aus der goldenen Zeit des Hip-Hop.

Die Band bezieht seit jeher Stellung: gegen Polizeigewalt, gegen Unterdrückung, für Cannabis-Legalisierung.

Alles wirkte ehrlich, nicht aufgesetzt, sondern aus der eigenen Lebensgeschichte geboren.

Fazit

Cypress Hill sind 2025 keine reine Retro-Show. Sie recyceln die Vergangenheit nicht, sondern erfinden sie live immer wieder neu. Wer glaubte, Rap aus den 90ern wirke heute angestaubt, bekam in Bonn einen basslastigen Gegenbeweis serviert.

Am Ende dieses Abends lag über dem KunstRasen ein wohliger Dunst — halb Gras, halb Nostalgie, halb pure Begeisterung. Cypress Hill lieferten eine Show, die gleichzeitig musikalisch präzise, politisch motiviert und menschlich nahbar war. Soweit das jeweils mit dunkler Sonnenbrille und tief in das Gesicht gezogener Kappe möglich ist..

Für alle, die dabei waren: ein Moment, der lange im Gedächtnis bleibt. Für alle, die es verpasst haben: Schade — denn diese Mischung aus Rap, Realness und Rauch ist einzigartig.

Habe auch überlegt, mir ein „insane in the brain“ T-Shirt zu kaufen, wurde aber lm letzten Moment von meinem Sohn abgehalten, der es für nicht altersgerecht hielt.

Vielleicht beim nächsten Mal. Ende des Konzertes pünktlich um 22.00 Uhr ohne Zugabe, eigentlich noch kurz bevor die letzte Sonne untergegangen ist. Ok, auch altersgerecht.

Bilder: Bonn.digital/Marc John

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