Fatih Akin zeigte das Bonner Opernhaus in einigen Spielfilmszenen in seinem jüngsten Film Rheingold, der Ende Oktober 2022 in die Kinos kam. Der international ausgezeichnete Regisseur und Drehbuchautor mit türkischem Hintergrund bebildert in dem Gangster-Drama die Autobiographie des Rappers Xatar. Der im Iran als Giwar Hajabi geborene Xatar wuchs nach der familiären Flucht aus dem Iran in den 1980er Jahre im hiesigen Ortsteil Brüser Berg auf. Sein Vater, der kurdische Komponist und Musikprofessor Eghbal Hajabi, erhielt an der Oper Bonn eine Anstellung als Dirigent. Prof. Dr. Eghbal Hajabi leitet heute in Bergheim das Musikprojekt CultureClash für Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Verhältnissen. Rheingold war an den Kinokassen ein Publikumserfolg.
Um Themenfelder wie Flucht, die mögliche Anpassung an neue Gegebenheiten und Orte geht es auch in neuen sehenswerten Produktionen am Bonner Theater:
Die Entführung aus dem Serail von Wolfgang Amadé Mozart, nächste Vorführungen am 29. September, 3., 8. und 22. Oktober, 5. und 25. November sowie 20., 25. und 28. Dezember am Bonner Opernhaus
Katja Czellnik inszeniert Mozarts sinnlich lebensfrohes Singspiel erfrischend provokant und wagemutig mit einer Fülle greller Bilder. Ungestüm war der Ideenreichtum, aus dem Mozart seinerzeit Melodien, Linien und klangliche Inspirationen für sein Auftragswerk für Kaiser Joseph II. schöpfte. Zu Lebzeiten war Die Entführung aus dem Serail sein wohl größter Publikumserfolg.
Im Spanien des 16. Jahrhunderts entführen Piraten Belmonte, Sohn eines adligen Kommandanten, seine Braut Konstanze, ihre Zofe Blonde und seinen Diener Pedrillo auf ein Schiff. Sie werden in ein türkisches Serail verkauft, das auch einen Harem beherbergt.
Czellnik streicht an der Oper Bonn die gesprochenen Dialoge und die Sprechrolle des Bassa Selim. Stattdessen werden teils überkommene Texte zitiert, etwa von Jean-Jacques Rousseau, Karl Marx oder Michel de Montaigne, aber auch Ausschnitte aus Peter Handkes Publikumsbeschimpfung. Überspannt und schrill kommen in einigen Szenen Penisattrappen, Pullover mit Foto-Aufdrucken von rohem Fleisch oder Parolen wie „Ausländer raus“ oder „Rettet den Artenschutz“ zum Einsatz, wenn es im Singspiel um Dialogbereitschaft, Fürsorge und mögliche oder unmögliche Zweisamkeiten geht. Insbesondere ein gelungenes Schattenspiel stimmt mit der Bilderfülle versöhnlicher.
Das große Ensemble spielt stimmlich und schauspielerisch mit Hingabe. Der Tenor Manuel Günther meistert die schwierige Tenorarie des Belmonte bravourös, höhensicher und klangschön. Die belgische Sopranistin Lisa Mostin mimt die Konstanze stimmlich wandelbar, mal weich mit zartem Schmelz, dann wieder impulsiv und kraftvoll. Auch Alina Wunderlin begeistert als Blonde mit stimmlich expressiven Koloraturen und berückender Spiellaune. Basssänger Tobias Schabel mimt den finsteren Osmin eindrücklich mit sonorer Intensität. Das Beethoven Orchester Bonn leuchtet Mozarts Partitur unter der Leitung von Hermes Helfricht mit pulsierender Leichtigkeit vielfarbig aus. Expressiv im Zusammenspiel klingt Mozarts „türkische Musik“ dynamisch perkussiv und luftig eingängig.
Kai Anne Schumacher schuf 2022 an der Oper Köln mit karnevalesken Kostümen und pantomimenartig kalkweiß geschminkten Figuren eine deutlich behutsam-bravere, gefälligere Inszenierung von Mozarts 1782 uraufgeführten Dreiakter. Die irritierend-moderne Interpretation und humorig-lustvolle Sichtweise auf Mozarts Werk der Berliner Regisseurin Czellnik lässt in Bonn weniger Raum für Langeweile.
Das in Bonn eher gesetztere und konservative Publikum war mit der Fülle an überraschenden Bühnenideen trotzdem sichtlich überfordert. Nach der Premiere gab es heftige Buhrufe für das Regieteam. Die Solisten, der Chor und das Orchester unter der Leitung von Hermes Helfricht wurden hingegen bejubelt.
Highlights des internationalen Tanzes an der Oper Bonn, nächster Termin am 17. und 18. Oktober mit dem Programm Impermanence und Forever & Ever von der Sydney Dance Company aus Australien im Bonner Opernhaus:
Das Berliner Compagnie um Tanzikone Sasha Waltz zeigte an zwei Septemberabenden ihre farbenfrohe Produktion In C von 2021. Die auf dem gleichnamigen Werk des US-amerikanischen Komponisten Terry Riley von 1964 beruhende Performance bewegte durch anspruchsvolle, wechselnde Personentableaus. Die überaus präzise Technik des elfköpfigen Ensembles fesselte durch raumgreifender Sprünge, synchrone Figuren oder Muster. Paare finden sich zu peitschenden Rhythmen der tranceartigen Minimal Music Rileys in stets neuen Variationen schwungvoll zusammen und verlassen sich leichtfüßig wieder. Ein rauschhaft dynamisches, fast einstündiges Tanzerlebnis.
Außerdem war die Kompanie Introdans mit ihrem Programm Aqua am Theater Bonn (siehe auch Fotos).
Was fehlt uns zum Glück? nach dem Fragebogen von Max Frisch am 27. und 29. September, sowie 18. und 27. Oktober in der Werkstatt:
Es ist ein Wagnis, Max Frischs kritische Selbstbefragung aus seinen Tagebüchern auf die Bühne zu bringen; er schrieb daran in den Jahren 1966 bis 1971, sie erschienen komplett erstmals 2019. Am Theater Bonn gelingt die Adaptation in Teilen.
Regisseurin Katrin Plötner lässt die Akteure elf Fragenkomplexe Frischs anhand ausgewählter Fragen vorstellen. Anfangs herrscht eine gewisse Aufgeräumtheit in Bettina Pommers Bühnenbild. Bühnenwände und Boden sind wie Badezimmerfliesen gekachelt. Das weiße Kachelmuster mit dunkelblauen Streifen wiederholt sich auch auf den Requisiten; Elemente wie Quader, Würfel, Dreiecke spiegeln das Muster. Die fünf Akteure tragen anfangs alle korrespondierende Kostüme von Johanna Hlawica, derer sie sich teils nach und nach entledigen. Auch Ewa Góreckis effektvolle wackelnde Lichtprojektion auf die Bühne variiert das Muster.
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Von Mäusen und Menschen nach dem Roman von John Steinbeck am 27. und 29. September, sowie 8., 19. und 28. Oktober und 3. und 17. November im Bad Godesberger Schauspielhaus:
Anders als in Steinbecks Roman wird auf der Bühne das Ende abgemildert. George tötet nicht seinen Freund Lennie, um ihn vor dem Lynchmord zu bewahren, während er ihm vom gemeinsamen Traum einer glücklichen Zukunft erzählt. Interessanterweise wird genau in der Stille dieser Szene das Martinshorn eines deutschen Einsatzfahrzeugs hörbar. Es bleibt offen, ob es ein eingespieltes Geräusch ist oder gerade tatsächlich an der Straße hinter dem Theater ein Polizeiauto vorbeifährt. Genau in dem Moment der drohenden Wildwest-Lynchjustiz wird somit die ordnende Macht des good old Europe hörbar. Ob es sich nun um eine Einspielung handelt oder um die Geräuschkulisse der Außenwelt können die nachfolgenden Theaterbesucher beurteilen.
Simon Solberg scheut in Bonn mit dem Einsatz zahlreicher Songvorträge nicht die Melodramatik, ohne dabei jedoch rührselig zu werden. Das wird Drama gekürzt und etwa das Schicksal der Figur des afroamerikanischen Stallknechtes Crooks ausgeklammert. Solberg verweist auf aktuelle Herausforderungen der Klimakrise, indem die Folgen von einer durch eine Dürrekatastrophe bedingten Migration problematisiert werden.
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Frankenstein Junior nach Mel Brooks am 30. September sowie am 1., 7., 14., 19. und 20. Oktober und am 1., 11. und 24. November im Bonner Opernhaus:
Jens Kerbel zeigt das bunte Treiben auf dem Spukschloss mit seinem legendären Besitzer voller wohlig-wollüstiger Gruselmomente in deutscher Sprache. Wechselnde Bühnenbilder und fesselnde Choreographien, ein großes Ensemble und satter Orchesterklang täuschen über so manche flache Gags, anzügliche Zweideutigkeiten und platten Slapsticks hinweg. Es kommen eindrücklich Blitze, Donner und Wetterleuchten zum Einsatz. Das Ensemble tritt theatralisch mit Fackeln und brennenden Kerzen auf die Bühne. Schwarz-Weiß-Projektionen bebildern effektvoll Schauplätze (Video: Judith Selenko). Schmissig-schwungvolle Melodien gehen mit Jazz-Passagen, Step-Einlagen, lustigen Gesichtsausdrücken und Situationskomik einher.
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Weiterhin im Programm:
Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui von Bertolt Brecht am 5. Oktober im Schauspielhaus Bad Godesberg
Komik und Grausen liegen in dem Drama nahe beieinander. Brecht wollte seinerzeit an den Aufstieg, das Phänomen und die Propaganda Hitlers erinnern. Laura Linnenbaum zeigt in Bonn Brechts parabelhafte Gangsterschau von der verlogen-brutalen Machtergreifung der Nazis ein bisschen verworren und überspitzt, doch temporeich und mit unterhaltsam-eindringlichen Schauwerten.
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Die Glasmenagerie von Tennessee Williams am Theater Bonn, nächste Vorführungen am 3. Oktober in der Werkstatt
Wie ein Symbol für eine Abgrenzungsmöglichkeit wirkt ein breites, flaches, dunkel gehaltenes Wasserbecken, das die Bühne zum Zuschauerraum trennt. In Matthias Köhlers Produktion sind die Tiere der Glasmenagerie unscheinbare Lichtreflexe auf dem Wasser. Glas erscheint als Stoff für Träume sehr zerbrechlich. Ein gelungenes Bild: Ebenso schimmernd wie Glas spiegelt das Wasser ein klares Abbild der Bühne oder schimmernde Verzerrungen. Bereichert wird die sehenswerte und sorgfältig komponierte Inszenierung durch eine nuancierte Lichtregie und selten zu aufdringliche Ton- und Musik-Einspieler u. a. von verträumten Popsongs von CocoRosie oder Lana Del Rey. Zur Besprechung
Istanbul – Ein Sezen Aksu Liederabend im Schauspielhaus, nächste Vorstellungen in Bad Godesberg am 12. Oktober.
Istanbul behandelt die Nostalgie und den Schmerz des Schicksals des Wanderarbeiters, der seine Heimat verlassen hat; nur dass die „Gastarbeiter-Situation“ umgedreht wurde. Es erzählt vom fiktiven Schicksal deutscher Arbeiter in der bevölkerungsreichsten Stadt der Türkei. Die Melancholie und Stimmung fängt Roland Riebelings Inszenierung auf fabelhafte Weise ein. Melancholisch-bilderreiche Lieder der türkischen Sängerin Sezen Aksu werden dabei temporeich von fünf wechselnden Akteuren vorgetragen. Ein Abend auf hohem, künstlerischem Niveau. Zur Besprechung
Mnemon von Simon Solberg und Ensemble am Theater Bonn, nächste Vorführungen am 12. Oktober in der Werkstatt
Mnemon wirft viele Fragen auf. Das Stück handelt vom Erinnern, Vergessen, vom Gehirn, seinen Windungen und Funktionen. Der sperrige Stücktitel erinnert an die Mnemones im antiken Griechenland. Das Darstellertrio, das sich gegenseitig mit den realen Vornamen anspricht, fördert alsbald so manche Sollbruchstelle zutage, wird wissenschaftlich, philosophisch, gymnastisch, immer wieder auch albern. Leider sind insbesondere die vorgetragenen Witze etwas abgedroschen. Zur Besprechung
Li-Tai-Pe von Clemens von Franckenstein am 4., 18., 26. November und 3. Dezember am Bonner Opernhaus
Li-Tai-Pe erzählt von dem gleichnamigen berühmten chinesischen Dichter aus dem 8. Jahrhundert; „Tai-Pe“ steht für den Abendstern. Inspiriert wurde er der Legende nach zu Trinkliedern durch den übermäßigen Genuss des Alkohols. In Franckensteins Oper schreibt er für den Kaiser ein Liebesgedicht, womit dieser erfolgreich eine schöne koreanische Prinzessin als Braut umwirbt. Als Li-Tai-Pe von Günstlingen des Kaisers denunziert wird, rettet ihn eine treu ergebene Frau aus dem Volke, Yang-Gui-Fe.
Eng gedrängt steht der Chor mitsamt Statisterie auf der Bühne. Einige üben sich in Chi-Gong-Figuren. Wechselnde Kostüme bedienen China- Klischeevorstellungen. Chinesische Gelehrte, sogenannte Mandarine, lenken in der Pause trippelnd mit parodistisch stilisierten Figuren die Aufmerksamkeit des Publikums. Ein Statist im Glücksdrache-Kostüm tritt auf, der flugs in einen Vogelkäfig gesperrt wird. Später trennt und verbindet eine große Treppe den Kaiser und sein Volk. Die Minnebarden werfen sich demütig vor ihn auf den Boden.
Fernöstliche Klangelemente und exotisch anmutende Harmonien sorgen für Spannungsmomente in der Musik. Solisten, Chor und Orchester setzen insgesamt glänzend Akzente in der liebevoll-überzeichneten, leider etwas langatmigen Inszenierung von Regisseurin Adriana Altaras.
Der Sturm von William Shakespeare am Theater Bonn, nächste Vorführungen am 6., 11., 12., 13., 18. und 19. Dezember im Schauspielhaus
Wer Fesseln löst, setzt oftmals gute Geister frei. William Shakespeares The Tempest begeistert mit magischen Elementen, überraschenden Zufällen, einer ausgeklügelten Rachegeschichte und einer zentralen Romanze bis heute. Shakespeares romantische Komödie wird dynamisch-pointiert choreographiert. Jan Neumann inszeniert das Familienstück mit liebevoll überzeichneten Figuren und detailreich-ausgefallenen Bildern. Zur Besprechung
Alle Fotos vom jeweiligen Abschlussapplaus (c) Ansgar Skoda