Komm, liebe Langeweile. Wofür lohnt es sich zu leben? Müßiggang ist der Welten Lohn. Erst 22-jährig schrieb Georg Büchner um 1835 das Lustspiel Leonce und Lena und kritisierte darin das Missverhältnis von den Werktagen der Unterschicht zu den sogenannten Sonntagen der vornehmeren Gesellschaft. Büchner musste damals, von der Obrigkeit der deutschen Kleinstaaterei politisch verfolgt, im Straßburger Exil leben. Angewidert von den fehlenden demokratischen Rechten, dem Despotismus und der gesellschaftlichen Enge hatte er schon im Vorjahr das Drama Dantons Tod über politische Machtkämpfe und Konflikte im nachrevolutionären Frankreich verfasst. Nun also ein Lustspiel, welches in einer bearbeitenden Fassung derzeit erfolgreich am Bonner Theater inszeniert wird.
Fertigkeit im Nichtstun
Prinz Leonce (Benjamin Berger), Sohn von König Peter (Glenn Goltz), dem Regenten des Kleinstaates Popo, langweilt sich in seinem Wohlstand und täglichem Einerlei. Aus politisch-strategischen Gründen soll er mit Lena (Johanna Falckner), der Prinzessin aus dem Kleinstaat Pipi, verheiratet werden. Weil er dazu überhaupt keine Lust hat beschließt er, nach Italien zu flüchten, nur begleitet von seinem Getreuen Valerio (Sören Wunderlich). Dem höfischen Leben überdrüssig begibt sich auch Lena zusammen mit ihrer Gouvernante Rosetta (Julia Keiling) auf eine ähnliche Flucht. Auf der Reise treffen Leonce und Lena aufeinander und verlieben sich, ohne zu wissen, wer der andere ist.
Valerio und Rosetta, welche die Identitäten der beiden erkennen, ermutigen sie zu einer Heirat und einer Rückreise nach Popo. Dort stellen die beiden Diener Leonce und Lena als zwei menschengleiche Automaten vor. König Peter beschließt, die beiden Maschinen in effigie zu vermählen, also in Abwesenheit des Brautpaares eine gültige Ehe zu beschließen, durch die Vertretung zweier Gegenstände. Erst nach der Trauung wird dem König Peter offenbart, dass es sich um den echten Leonce handelt, der soeben eine echte Frau geheiratet hat. Doch auch Leonce und Lena sind sehr überrascht, als sie erfahren, wer nun tatsächlich der andere ist.
Auch der Freitod wäre zu langweilig
Die Handlung spielt vor dem Hintergrund einer völlig überkommenen politisch-gesellschaftlichen Struktur. Nach dem Wiener Kongress wurden weitgehend die alten Herrschaftsformen wieder aufgebaut und zudem zerfiel Deutschland in viele Kleinstaaten mit jeweils mehr oder weniger absolutistischen Herrschern. Obschon ein Bewusstsein von Bürgerrechten und Demokratie entstanden war, wurden alle demokratischen Bestrebungen von der Herrschaft brutal unterbunden. So entstand ein Klima der Lethargie, der Hoffnungslosigkeit und der Kleingeistigkeit. Dem setzte Büchner die jugendlichen Protagonisten entgegen, die zunächst desillusioniert und gelangweilt in den Tag hineinleben. Erst mit der Flucht nach Italien, damals schon das Traumziel der Deutschen, kommt etwas in Bewegung. Die Liebe und das Abenteuer stellt Büchner dem spießbürgerlichen Obrigkeitsstaat entgegen. Doch scheitert die Revolution der Liebe schon daran, dass die Knechte und Bauern zur Feier antreten müssen und sie zu Freude und Dankbarkeit verpflichtet werden. Leonce wird vom Vater zu seinem Nachfolger ernannt, und es gibt keinen Hinweis darauf, dass er nun irgendetwas anders machen wird als bisher im Staate Popo. Nur Valerio verfasst ein Manifest, dass geradezu anarchistisch alle Menschen zu Müßiggang und Faulheit aufruft.
Drogen nehm’ und rumfahrn’
Die Inszenierung vom Regieduo Mirja Biel und Joerg Zboralski bringt die Leichtigkeit des Lustspiels mit viel Humor, Albernheit und unterhaltsamen Gesangseinlagen auf die Bad Godesberger Bühne. Die Neuinszenierung einer Bremer Produktion wartet mit spontan wirkender Hintergrundmusik und erfrischenden Gesangseinlagen eines auftretenden Erzählers (Knarf Rellöm) auf. Dem Ensemble gelingt es dem nun 180 Jahre alten Stück eine lebendige Aktualität abzugewinnen, auch weil in die Bearbeitung philosophische Ideen und Zitate von u. a. Charles Baudelaire, E. M. Forster, Oscar Wilde oder den Glücklichen Arbeitslosen mit einfließen. „Mein Kopf ist ein leerer Tanzsaal“ heißt es mal und immer wieder wird eine „Ausdauer in der Faulheit“ zelebriert. Was das menschlich Absurde der damaligen Umstände uns in der Gegenwart noch sagen kann, vermittelt das durchschnittlich noch recht junge Schauspielensemble mit viel Tempo und Witz. Der Topos der romantischen Italiensehnsucht wird mit einem 60er Jahre Wohnwagen aufgegriffen, es gibt Anspielungen auf die Hippie- und Punkbewegung und neudeutsche Musikeinlagen wie den Benadette-La-Hengst-Hit „Lass uns Drogen nehm‘ und rumfahrn‘.“
Ein Lustspiel nimmt kein lustiges Ende
Die Darsteller vermitteln nuanciert die absurden Konflikte ihrer Figuren. Glenn Goltz spielt einen König, der in seiner schon etwas schusselig kultivierten Langeweile völlig gefühlsleer beklagt, er werde jetzt traurig. Benjamin Bergers Leonce zeigt bravourös den permanenten Zwiespalt des Leids, sich etwas vom Leben zu erwarten und immer wieder an die Grenzen zu geraten, die ihm die biedermeierische Gesellschaft, aber auch seine eigene Sichtweise der Welt setzen. Ganz anders Sören Wunderlich als der Freund des Prinzen, dem Leonce sich bei der ersten Begegnung anvertraut. Dieser lebt nur nach seinen direkten Bedürfnissen und verkörpert das Ideal eines freien Lebens.
Damals wie heute geht es unabhängig von den jeweiligen politischen Hintergründen auch um die Liebe und die Jugend, die angeödet ist von überkommenen Strukturen und inhaltslosen Formen. Es wird aber auch gezeigt, wie alle Beteiligten darin gefangen sind und es selbst der Jugend mit ihrer heißen Liebe nicht gelingt, die Strukturen wirklich zu verändern. Das Lustspiel entbehrt ein lustiges Ende. So bleibt eben zuletzt nur noch der Aufruf des Dieners Valerio zum Nichtstun, der aber, weil er auch die Unterschicht, die Bauern und Arbeiter meint, ein Aufruf zur Anarchie bedeutet.
Alle Fotos: Thilo Beu
Weitere Spieltermine in den Bad Godesberger Kammerspielen am Sa., 21.12. und Sa. 28.12., Sa. 11.01., Di. 21.01. sowie Mi. 09.04. jeweils um 19.30 Uhr sowie Sa. 26.12. und So. 02.02. jeweils um 18 Uhr und So. 09.03. um 16 Uhr. Mehr Infos gibt es auf der Website des Bonner Theaters.
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