Vor der Sommerpause sind einige bemerkenswerte Produktionen bereits ausgelaufen, wie etwa das beeindruckende Zweipersonenstück Bilder deiner großen Liebe nach dem posthum erschienen Romanfragment von Wolfgang Herrndorf, oder Archetopia über gesellschaftspolitische Gedankenutopien früherer Vordenker, garniert mit geschmackvoll vorgetragenen Reminiszenzen auf Pop-Songs. Nach der Pause lockt die neue Spielzeit 2024/25 bereits mit Wagners Die Meistersinger von Nürnberg, dem Musical Hairspray, Händels Alcina, Molières Amphitryon und politisch ambitionierten Uraufführungen etwa von Lothar Kittstein; sowie neuen Formaten wie einer Umsetzung des Albums Vespertine (2001) von Björk.

Eine wertschätzende, harmonische Atmosphäre hinter der Bühne bedingt in der Regel das Gelingen einer Theaterproduktion. Die GA-Volontärin Selina Stiegler berichtete nun über teils prekäre Arbeitsbedingungen hinter der Kulisse am Theater Bonn. Das städtische Theater bestätigte dem GA gegenüber Untersuchungen einer Anwaltskanzlei wegen des Verdachts eines Fehlverhaltens.

In Betrieben mit mehreren Hundert Mitarbeitenden, wie am Theater Bonn, kann grenzüberschreitendes Verhalten selten ganz ausgeschlossen werden. Auch bei anderen großen Theaterhäusern, wie etwa 2018 am Schauspiel Köln, gab es so Vorwürfe des Machtmissbrauches, hier etwa gegen den damaligen Intendanten Stefan Bachmann.

Applaus für ‚Bilder deiner großen Liebe‘ am Werkstatt Theater | Foto (c) as

Am Theater Bonn können sich Fälle von Mobbing, sexuellen Übergriffen oder Diskriminierung an eine bereichsübergreifende Gruppe, Werte-Integration-Respekt (WIR), wenden. Verdachtsfälle werden geprüft, es gilt ein Verhaltenskodex.

Das Theater Bonn weist in seinen Produktionen regelmäßig auf Missstände hin, solche sollte es auch hinter geschlossenen Vorhängen beherzigen und aufarbeiten. Doch kommen wir zunächst zur jüngsten Opernpremiere, in der es um Ausbeutung durch den Kolonialismus geht:

Columbus von Werner Egk

Letzte Vorstellung am 4. Juli im Bonner Opernhaus.

Das Beethoven Orchester sitzt im hinteren Teil der Bühne. Im Zentrum der Bühne wird ein Kubus angedeutet. Die Rückwand und die Seitenwände sind komplett mit Goldfolie eingeschlagen, was vermeintliche Bodenschätze andeuten soll. Skulpturen, Installationen, Artefakte und Trümmer deuten im Einheitsbühnenbild eine indigene Herkunft an. Später werden sie durch Video-Projektionen verfremdet. Im Vordergrund sind mehrere Fernsehmonitore prominent platziert, die in Filmsequenzen auf die Gegenwart verweisen. Die Bühne wird in den Zuschauerraum erweitert, wenn hier Orchester- und Chormitglieder oder Schauspieler inmitten des gesamten Opernraumes agieren.

Alle Akteure tragen modern anmutende Overalls, der Chor und Columbus in Beige-Farben, der Klerus und der Adel in Goldtönen. Die Akteure wirken so ein bisschen wie Archäologen.

Columbus‘ Eroberungsfahrten gelten heute als der Anfang von Rassismus, Sklavenhandel und Auslöschung der indigenen Völker. Werner Egk verklärt den genuesische Seefahrer in spanischen Diensten in seinem Libretto nicht. Er betrachtet den Mythos von Columbus in seiner Oper ideologie- und kapitalismuskritisch. Der Komponist klagt die Erkundung und Eroberung Amerikas nüchtern als nicht nur wirtschaftlich ausbeuterisch, verbunden mit Folter und Sklaverei an.

Hierzu stellt er der Titelfigur Sprecher-Perspektiven mit widerstreitenden Stimmen beiseite. Ein junger Erzähler (Christoph Gummert) repräsentiert die Abenteuerlust und den Wissensdurst von Columbus. Ein älterer Sprecher (Bernd Braun) fokussiert Widerstände und Skepsis etwa von kirchlichen Entscheidungsträgern gegen Columbus’ Expedition. Problematisiert werden Gier der spanischen Eroberer und Grausamkeit der indigenen Bevölkerung gegenüber.

Der Beginn zeigt den Aufstieg des Abenteurers, der Königin Isabella großen Reichtum verspricht, danach sehen wir seine ersten Erfolge. Zuletzt betrachten wir die Meuterei seiner Gefolgschaft und seinen Untergang. Am Ende bedauert Columbus in Isabellas Armen das Leid, das seine Eroberungen verursachte.

Die 1933 im Bayrischen Rundfunk uraufgeführte und dann 1942 szenisch in Frankfurt erstaufgeführte Oper wird nur noch selten gespielt. Der Komponist Egk gilt als höchst umstritten, da er in der NS-Zeit protegiert wurde und im Dienste der Propaganda der Machthabenden stand. Er wirkte so u. a. von 1936 bis 1940 als Kapellmeister an der Staatsoper Berlin.

Jakob Peters-Messer beleuchtet in seiner Inszenierung von Werner Egks Werk an der Oper Bonn Folgen des Kolonialismus, wenn Textpassagen mit den Zahlen der Opfer oder Videobilder projiziert werden. Die Oper bringt auch durch die abschätzigen Gesänge und Auftritte des kommentierenden Chores den Sturz von Columbus zum Ausdruck, als er nicht die versprochenen Goldschätze nach Europa bringt.

Blechbläser und Schlagwerk besorgen perkussive Rhythmen und marschartige Sequenzen. Es gibt Anklänge an Carl Orff, dessen Schüler Egk war, und an Stravinsky, Hindemith, Ravel, Eissler und Weill. Unter der musikalischen Leitung von Hermes Helfricht wird die etwa 90minütige Oper in Bonn virtuos und musikalisch farbig vielschichtig schillernd zur Aufführung gebracht.

Giorgos Kanaris mimt Columbus ergreifend akkurat mit beweglichem Bariton, Santiago Sanchez verkörpert den König volltönend mit strahlkräftigem Tenor, Anna Princeva legt als Isabella viel dramatisches Format in ihre betörende, eindrückliche, lyrische Sopranstimme. Bemerkenswerte Gesangsleistungen auch von Carl Rumstadt, Christopher Jähnig und Mark Morouse in den Rollen der drei Räte. Der üppig besetzte Chor singt in wechselnden Tableaus unter der Leitung von Marco Medved wuchtig, oratorienhaft und groß disponiert.

Columbus von Werner Egk beschließt die verdienstvolle Reihe Focus ´33, ein Forschungsprojekt über Gründe für das Verschwinden von Werken aus dem Repertoire des Opernbetriebs, die mit dem Oper Award 2023 ausgezeichnet wurde. Neben einer kleinen Ausstellung im Foyer, vermittelt auch wieder ein umfassendes Programmbuch viel Wissen zum Werk. Am Vorführungsabend wird im Anschluss ein Publikumsgespräch angeboten.

Weiterhin bis zur Sommerpause im Repertoire:

Frauen vor Flusslandschaft nach dem Roman von Heinrich Böll, letzte Vorführung am 5. Juli am Schauspielhaus Bad Godesberg.

Bei den titelgebenden Frauen handelt es sich um Gattinnen oder Lebensgefährtinnen von Politikern und deren Bankiers. Mit Flusslandschaft ist die Villengegend am Rhein in Bonn-Bad Godesberg gemeint. In dem posthum 1985 erschienen Werk geht es dem Literaturnobelpreisträger nicht um konkrete Politiker in der ehemaligen westdeutschen Hauptstadt. Die Vorlage problematisiert, dass Männer trotz Nazi-Vergangenheit in der Bonner Republik leitende politische Positionen innehaben. Anders als in Bölls Alterswerk werden Umgebung, Geschehen oder Figuren in der gerafften, szenisch neu inszenierten Adaption für die Bühne nicht näher vorgestellt. Zur Besprechung

Treibgut des Erinnerns von Verena Regensburger, letzte Vorführung am 5. Juli in der Bonner Werkstatt.

Drei zunächst einzeln auftretende Figuren philosophieren eingangs über einen „lebendigen Tod“. Jeden Tag hätten sie den eigenen Tod oder das eigene Verschwinden vor Augen, meinen sie mit teils unterschiedlichen Assoziationen. Verena Regensburgers Treibgut des Erinnerns ist ein zähes Machwerk, mit mehr vorsichtig tastenden Assoziationen als eine Handlung oder Entwicklung vorantreibenden Erkenntnissen. Träume und Erinnerungen werden hier eher mit negativen Gefühlen verbunden. Das Stück lässt nichtsdestotrotz schöne Bilder bewusst werden, etwa dass die Geburt ein ähnliches Übergangsstadium bilden könnte wie das Sterben. Zur Besprechung

Highlights des internationalen Tanzes: Als nächstes spielt das französische Lucia Lacarra Ballet am 23. und 24. August in der Oper Bonn

Das MALANDAIN BALLET BIARRITZ, das mit Die Jahreszeiten im Bonner Opernhaus gastierte, sorgte jüngst für zwei ausverkaufte Abende in der Bundesstadt. Atmosphärische Harmonien der eingespielten Musik spiegeln sich in tänzerischen Gesten wie synchronen kurzen Schrittfolgen.

Schwarze, überdimensionale Blütenblätter an den Wänden bieten die Kulisse, vor der ein dynamischer Facettenreichtum theatraler Gesten für sich einnimmt. Etwa zwanzig klassisch ausgebildete Tänzerinnen und Tänzer agieren synchron in schwarzen Kostümen mit nach hinten verschränkten oder nach oben emporgestreckten Armen. Zur Besprechung

Auch das Malandain Ballet Biarritz wird in der neuen Spielzeit wieder zu sehen sein, am 3. und 4. Januar 2025 mit MOSAÏQUE.

Was fehlt uns zum Glück? nach dem Fra­ge­bo­gen von Max Frisch, letzte Vorstellungen am 3. Juli

Es ist ein Wag­nis, Max Frischs kri­ti­sche Selbst­be­fra­gung aus sei­nen Ta­ge­bü­chern auf die Büh­ne zu brin­gen; er schrieb dar­an in den Jah­ren 1966 bis 1971, sie er­schie­nen kom­plett erst­mals 2019. Am Thea­ter Bonn ge­lingt die Ad­apt­a­ti­on in Teilen.

Re­gis­seu­rin Kat­rin Plöt­ner lässt die Ak­teu­re elf Fra­gen­kom­ple­xe Frischs an­hand aus­ge­wähl­ter Fra­gen vor­stel­len. An­fangs herrscht ei­ne ge­wis­se Auf­ge­räumt­heit in Bet­ti­na Pom­mers Büh­nen­bild. Büh­nen­wän­de und Bo­den sind wie Ba­de­zim­mer­flie­sen ge­ka­chelt. Das wei­ße Ka­chel­mus­ter mit dun­kel­blau­en Strei­fen wie­der­holt sich auch auf den Re­qui­si­ten; Ele­men­te wie Qua­der, Wür­fel, Drei­ecke spie­geln das Mus­ter. Die fünf Ak­teu­re tra­gen an­fangs al­le kor­re­spon­die­ren­de Kos­tü­me von Jo­han­na Hla­wi­ca, de­rer sie sich teils nach und nach ent­le­di­gen. Auch Ewa Góre­ckis ef­fekt­vol­le wa­ckeln­de Licht­pro­jek­ti­on auf die Büh­ne va­ri­iert das Mus­ter. Zur Be­spre­chung

Die Legende von Paul und Paula von Ulrich Plenzdorf, nächste Vorführungen am 4. Juli

Die Aufführung im Bad Godesberger Schauspielhaus erzählt die Geschichte von Heiner Carows gleichnamigen Kultfilm von 1973, einer der erfolgreichsten Filme der DDR. Paula beginnt eine leidenschaftliche Affäre mit dem verheirateten Familienvater Paul. Motive der Vorlage wie das Segel-Setzen, das schnelle Fahren und das Werden und Vergehen von Liebe, die ganzen Ambivalenzen und das Träumerische von Gefühlen gestaltet Roland Riebeling eindrücklich. Insgesamt ein gelungener Theaterabend voller Melancholie und Schwermut, aber auch mit viel Kraft und Optimismus. Zur Besprechung

Die Kinder von Lucy Kirkwood, letzte Vorführungen am 4. Juli in der Werkstatt

Lucy Kirkwood inspirierte zu ihrer leichtfüßigen Komödie das Beispiel einer pensionierten Belegschaft, die 2011 nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima zurückkehrte, um die Anlage aufzuräumen. Neben anfangs adressierten Themen wie Altern, der Ehe, sexuellen Rivalitäten geht es später insbesondere um das katastrophale Eingreifen des Menschen in die Natur, aber auch um Verzicht für mehr Klimaschutz. Die Aufführung, die Fragen zur Generationengerechtigkeit, Moral, Schuld, der Verantwortung und der Lebenserwartung adressiert, zieht einen besonderen Suspense auch aus kurzen Schreckmomenten der Schwachheit aller drei Figuren. Jan Neumann und sein Team zeigen Kirkwoods pointiertes Drama liebevoll angereichert um witzige Ideen und sehenswerte Details. Zur Besprechung

Unsere Welt neu denken nach Maja Göpel im Schauspielhaus, letzte Vorstellungen am 6. Juli im Schauspielhaus

Verzicht fällt den Menschen schwer. Jede Partei verliert sofort Wählerstimmen, wenn sie Verzicht predigt. Ein bekanntes Werk, das zu einer neuen Konsumhaltung anregt, ist Maja Göpels Sachbuch-Bestseller Unsere Welt neu denken (2020). Die Nachhaltigkeitsforscherin schrieb ein Plädoyer für eine Neuorientierung auch ökonomischer Werte angesichts der Krise des Ökosystems und der Gesellschaften. Simon Solberg, Hausregisseur am Theater Bonn, inszeniert nun Inhalte des erzählenden Sachbuchs als unterhaltsame Bühnenshow mit einer Band-Begleitung, Live-Gesang und Tanz. Zur Besprechung

Wiederaufnahme nach der Sommerpause:

Woyzeck von Georg Büchner, nächste Vorstellungen am 27. September am Schauspielhaus Bad Godesberg

Sarah Kurze findet am Theater Bonn schöne Bilder für das frühe soziale und moderne Drama von Georg Büchner, das auf dem realen Kriminalfall des Johann Christian Woyzeck (1780–1824) beruht. Ausweglos scheint die Isolation Woyzecks: Dreimal zeigt die junge Regisseurin in einem Zwischenspiel mit choreographisch sich wiederholender Pantomime ein Bild der sozialen Kälte, Beziehungslosigkeit und Entfremdung: Alle Figuren gehorchen wie mechanisch ihren eigenen routinierten Bewegungen, ohne Woyzeck zu beachten, der rastlos und sorgenvoll um sie kreist und sie ungläubig anstarrt. Zur Besprechung

Alle Fotos vom jeweiligen Abschlussapplaus | Foto (c) Ansgar Skoda

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