Der Stau beginnt im Kopf

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Wir lesen gerade wieder viel über den großen Stau in und um Bonn. Längst bekannte Argumente werden abgestaubt und ausgetauscht. “Wenn es besseren ÖPNV gäbe, wäre alles besser.” oder auch “Die Südumgehung muss kommen.” Ach ja – und natürlich die Seilbahn zum Venusberg. Wer aufmerksam liest, der wird merken, dass hier aber lediglich über die Medikation gesprochen wird, um dem Problem Herr zu werden. Kaum jemand aber macht sich Gedanken über die eigentliche Ursache. Und wo wir nicht über die Ursache nachdenken, werden wir an der Situation erfolglos herum doktorn.

Mathematisch gesehen

Nähern wir uns dem Phänomen Stau mathematisch, so können wir sagen, dass wir eine (zumindest mittelfristig) gegebene und konstante Straßenfläche A haben. Auf dieser Fläche bewegen sich Fahrzeuge. Ein Smart ist dabei ca. 2,70 Meter lang, ein VW Golf ca. 4,30 Meter, und eine Mercedes E-Klasse kommt bereits mit fünf Metern daher. Nehmen wir ein dreispuriges Autobahnstück von einem Kilometer, so haben darauf pro Spur zu einem gegebenen Zeitpunkt T bei einem “Sicherheitsabstand” von je zwanzig Metern ca. 42 Durchschnittsfahrzeuge von vier Meter Länge Platz; in Summe also 126 auf allen Spuren. Ich erspare mir an dieser Stelle, Lastkraftwagen, Transporter u.ä. ebenfalls mit einzurechnen. Das kann jeder im Kopf mal selber machen.

Bei einer “zumutbaren” Belegung von vier Personen pro Fahrzeug bekommen wir also gut 500 Menschen zur gleichen Zeit auf diesem Autobahnstück von einem Kilometer bewegt. Als Vergleich: Eine Stadtbahn der Linie 66 transportiert zu einem Zeitpunkt auf 28 Meter Länge über 100 Personen.

Die Variable in unserer Rechnung ist die Anzahl der Menschen, die zu eben dem genannten Zeitpunkt von B nach C müssen – (A war ja schon die Fahrbahnfläche). B und C müssen dabei nicht im unmittelbaren Umfeld liegen, sondern können natürlich ebenso Teil des Fernverkehrs sein (so: Bielefeld nach Crailsheim). Diese Zahl schwankt täglich, ja stündlich. Klar dürfte aber sein: Die o.g. durchschnittliche Belegung der Fahrzeuge ist naiv optimistisch, denn geschätzte 85% aller PKW sind lediglich mit einer einzigen Person besetzt.

Video: Die Maus erklärt den Stau

Es beginnt im Kopf

Und da sind wir dann auch schon bei dem eigentlichen Kern der Sache angekommen. Es geht gar nicht um die Fläche der Straßen, die Häufigkeit von Bussen und Bahnen oder ähnliches – das sind alles lediglich Hilfskomponenten. Es geht im Wesentlichen um die Einstellung des Einzelnen zur Fahrt. Selbst wenn wir mal den Fernverkehr ausnehmen, der u.U. anderen Regeln und Einflüssen gehorcht – ohne zu Verschweigen, dass es auch dafür Alternativen gibt –, so sehen wir uns in Bonn einem z.T. überwältigenden sog. Commuter-Verkehr gegenüber, als dem Verkehr derer, die im Umfeld der Stadt wohnen und zum Arbeiten oder Einkaufen oder was auch immer, in das Stadtgebiet einfahren wollen.

Bei diesen Menschen ist die Nutzung des PKW i.d.R. bereits ein unhinterfragter Automatismus. Ich habe erlebt, dass manche Menschen gar nicht wissen, welche ÖPNV-Haltestellen es in ihrer Nähe gibt. Eine Bekannte aus dem Umland, die jeden Morgen im Stau steht und genervt ankommt, sagte, wenn sie die Bahn nehmen wolle, dann müsse sie ja zum Bahnhof fahren, das Auto dort abstellen und dann in die Bahn einsteigen – da könne sie doch gleich das Auto nehmen. Viele Andere argumentieren mit der Flexibilität, die sie sich für ihre Tagesgestaltung wünschen und mit dem eigenen Auto erhalten wollen. Gut und schön, aber was ist Flexibilität im Stau schon wert?

Ich bin mir sicher, dass jeder besser beraten wäre, seine eigene Flexibilität auf den Prüfstand zu stellen. Muss ich wirklich das Auto nehmen? Muss ich zu genau der Zeit fahren, bei der ich weiss, dass ich im Stau stehe? Geht es auch 30 Minuten früher? Muss ich alleine fahren oder kümmere ich mich um Fahrgemeinschaften? Kann ich einen Teil der Fahrt im PKW und den Weg in die Stadt per ÖPNV antreten? Fahrrad? Natürlich kommen die Antworten auf diese Fragen mit einem gewissen Preis. Früher fahren bedeutet auch, früher aufzustehen. Später fahren heisst u.U. länger bleiben zu müssen. Wenn ich eine Fahrgemeinschaft habe, bin ich abhängiger. Ja, die Fahrt in einer vollen Bahn oder einem vollen Bus ist auch keine Freude. Ja, die Bahn hält ggf. nicht vor der Tür zu Hause oder an meinem Ziel.

Die Lösung kann nicht mehr sein, sondern nur weniger

Es wird auf lange Sicht nicht funktionieren, dass wir unkritisch einfach nur den bequemen Weg gehen. Irgendwann ist der verfügbare Platz halt zubetoniert. Jede neue Straße zieht auch neuen Verkehr an mit der Folge, dass die ursprüngliche geplante Kapazitätserweiterung in den Jahren bis zur Eröffnung nicht mehr ausreicht. Auf Dauer können wir nur über unsere eigene Einstellung für Entlastung sorgen. Nur weniger Individualverkehr kann die Lösung für das Stauproblem sein. Dazu müssen unterstützende Faktoren bereitgestellt werden, wie z.B. im ÖPNV. Man kann aber von Stadt und Stadtwerken nicht erwarten, dass diese finanziell (mit unserem Geld!) in Vorleistung gehen, wenn überhaupt nicht absehbar ist, dass auf der anderen Seite die Bereitschaft zur Nutzung da ist. Natürlich sind halbleere Bahnen schöner für jeden Einzelnen, aber dafür sind die Bahnen nicht vorgesehen. Leerkapazität kostet richtig Geld (übrigens: unser Geld!). Hier muss beobachtet, gemessen und angepasst werden, aber nicht grundlos investiert.

Bei der Suche nach der eigenen Position kann es helfen, wenn Sie das nächste Mal im Stau nicht genervt sind und drauf los schimpfen, sondern sich selber anschauen:

Ich bin hier, weil ich die Entscheidung getroffen habe, hier zu sein.
Ich wusste, dass der Stau kommt und bin hinein gefahren.
Ich habe mich gegen Alternativen entschieden, weil…
Ich weiss und akzeptiere, dass ich jetzt hier bin und warten muss.

Vielleicht hilft das nach einer gewissen Zeit, doch noch einmal über mögliche Alternativen nachzudenken.


Beitragsbild: goinyk / 123RF Stock Foto

1 Kommentar

  1. Erstaunlich wenige Menschen, die im Stau stehen, kommen auf einen naheliegenden Gedanken: Warum rege ich mich über den Stau auf, wenn ich ihn doch gerade selbst mit verursache? So ein Gedanke erfordert Reflexion und die fällt im Alltagsstress leider schwer.

    Danke für deinen reflektierten Artikel!

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