Konzertreview: Zucchero auf dem Bonner KunstRasen

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von Gastautor Johannes Kuchta

Adelmo Fornaciari war immer ein schüchterner Junge. In der letzten Reihe in der Schule. Unauffällig, höflich, störte seine Mitschüler nicht weiter. Seine Grundschullehrern Nada Cosmi nannte ihn „kleines Zückerchen“. Das war ihm vor den anderen in der Klasse schon sehr peinlich.

Mit den Freunden in der italienischen Reggio Emilia wurde in einem Schuppen neben der Kirche geprobt. Er spielt die Orgel in der Kirche, liebt die Klänge, die der Sonntag mit sich brachte. Er wollte immer Musik machen. Keine verkopfte Musik mit Zuckerguss (trotz des Namens), sondern eher etwas aggressives und schmutziges.

Als Miete mussten sie den Taubendreck in der Kirche entfernen. Immer noch schätzt er das Landleben und gute Freunde sehr. Noch etwas liebt der inzwischen über die Jahre zu einem ziemlich großen Zuckerstücken herangewachsene Adelmo: Die großen Konzertbühnen der Welt. Hier vergisst er alles, den Ort, die Zeit und bisweilen auch sich selbst.

Jetzt, am 13. Juli 2017, ist er in Bonn auf der grünen Wiese. Wie Zuhause auf dem italienischen Land. Doch eigentlich ist er ja hier zu Hause: on the road. Der Mann rackert sich ab. Ein Handwerker. Ab dem ersten Stück schon: Volleinsatz. Er hat es nicht gelernt, will es nicht lernen- sich zurückzunehmen, mit den Kräften hauszuhalten. Er zehrt sich auf. Wie jedesmal. Eine Bühne sagt er, ziehe ihn an wie ein Magnet. Er kann nicht ohne sie Leben. Die Liebe seines Lebens.

Seine Erscheinung ist wie für das Bühnenleben gemacht: Ein bisschen Joe Cocker, mit dem er (Gott sei seiner Seele gnädig) die Reibeisenstimme und den vom Leben schon etwas mitgenommenen Gesamthabitus teilt. Ein bisschen „mad hatter“- mit dem großen Zylinderhut auf dem Kopf und dem Kummergürtel um den doch inzwischen gut sichtbaren Bauch. Die Figur des verrückten Hutmachers wurde von Batman-Schöpfer Bob Kane entwickelt.

Er (nicht Zucchero, sondern der verrückte Hutmacher) heißt mit eigentlichem Namen Jervis Tech, und leidet im Comic unter einer zwanghaften, psychotisch-manischen Depression. Auch Zucchero Fornaciari war jahrelang wegen Depressionen in Behandlung und kaum lebensfähig. Scheidungen, Verwahrlosung, Panikattacken, die ganze Palette. Im Höhepunkt seiner Karriere, als gleich mehrere seiner Songs nicht nur in den italienischen Charts waren, lebte Adelmo in einem alten Schuppen ohne Küche und ohne Toilette. Als 1987 das Album „Blues“ herauskam, lebte er wirklich über drei Jahre „den Blues“.

Aber er hat ununterbrochen wie besessen das gemacht, was er wohl am besten kann: Musik. Er steht da auf der großen Rampe und ist eins mit seinem Produkt. Authentisch und stimmig. Man nimmt ihm die zu vermittelnde Emotion ab. Er ist musikalisch in Würde gealtert. Er schreit sich die Seele aus dem Leib. Ich habe fast Hemmungen, eine Zugabe zu fordern. Die Band ist seit einem Jahr fast ununterbrochen auf Tour.

Mehrfach ausverkaufte Konzerte in der wunderbaren Freiluftarena in Verona, dann über Australien jetzt nach Bonn. Dann wieder eine Reihe jetzt schon ausverkaufte Konzerte in Italien, dann nach Brasilien. Fast jeden Abend auf der Bühne, ganz eng getaktet. Jean-Michel Jarre gestern sah mit seinen 69 Jahren nach schon einem entspannten, gut geplanten, regelmäßigen Workout aus. Zucchero heute wirkt eher so, als würde er keinen Personal Trainer an sich heran lassen, keine Zeit dafür.

Wie macht er das, wie schafft er diese Ochsentour? „I listen, I escape, travel in motion, on the road“. Ok, man versteht. Das hier heute Abend ist für den Mann nicht der Ausnahmefall, die besondere Belastung. Sondern es ist seine natürliche Umgebung. Hier ist er eigentlich zu Hause, hier ist er das, was er ist, eben Zucchero (bitte mit „h“, ich hatte es bereits ein paarmal falsch „Zuccero“ getippt…)

Und er hat seine Freunde mitgebracht: Brian Auger z.B. an der Hammondorgel, auch eine lebende Legende. Der ganze grosse, sehr diverse Haufen von Individuen in der Band. Jeder für sich: Grossartig. Alle zusammen: Noch besser. Hier kann der Chef sicher sein, dass jeder musikalische Ball, den er in die Runde wirft, auch mit gleichem Elan zurückgespielt wird. Ein Traum in Rock and Roll. Live und in Farbe. Na ja, fast alles live.

Manchmal mischen sich (leider) auch hier wuchtige, gesampelte Chorphrasen oder vorab aufgenommene Drumspuren mit ins Getümmel. Es sind ja alle über in-ear Monitoring verdrahtet und synchronisiert. Die Anfänge der Songs sind so tight und original an den ursprünglichen Studioaufnahmen, dass das eben nicht immer alles komplett live gehen kann.

Da mischt sich dann auch schon mal ein visueller Pavarotti dazu, der dann auch noch auf den großen Videoleinwänden „live“ mitsingt. Macht das Ganze noch fetter und größer, ist aber eigentlich nicht nötig. Zucchero ackert und bestellt sein Feld wie besessen. Nur bei ein-zwei Stücken müssen sich die beiden alten Männer (Adelmo Fornaciari und Brian Auger) mal frisch machen, ggf. austreten, und sie lassen die anderen kurz alleine machen.

Dann wieder:  Musik platzend vor Energie und Sex (jawohl, trotz Bauch und Baujahr 1955), die ansteckend und lebendig ist. Eine Mischung aus italienischem, unmittelbar expressivem eigenem Liedgut und amerikanischem Blues. Lebendig, geschmackvoll und nachhaltig wie ein gutes Glas italienischer Lambrusco, oder eben auch Whisky, in Würde gealtert im Eichenfass.

Als Jugendlicher wollte Adelmo Fornaciari unbedingt nach Amerika und dort auf sein Idol Miles Davis treffen. Vieles im Leben von Signiore Fornaciari hat nicht geklappt, das macht ihn so nahbar: Depression, Scheidungen etc. Aber diese Sache damals ging wirklich auf- er traf auf Miles Davis, hat diesen kennengelernt, später sogar mal mit ihm Musik gemacht. Wie überliefert ist, nahm Miles damals seine Finger, fasste an Zuccheros Kehle und sagte: „Du hast eine tolle Stimme“. Stimmt.

Gastautor Johannes Kuchta
ist ein Bonner Songwriter und Musikproduzent. Neben seinem Hauptberuf als Neurochirurg betreibt er das Tonstudio und Label „Phonosphere„.

Ein aktuelles Interview mit ihm gibt es hier: www.rheinexklusiv.de/parallele-welten-johannes-kuchta/

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