Nur noch bis zum 23. Februar besteht die Chance, 1914 – Die Avantgarden im Kampf in der Bundeskunsthalle zu besuchen. Mit aller Macht zieht diese beeindruckende Ausstellung sowohl den Kunstkenner als auch den ahnungslosen Laien in ihren Bann. Der Erste Weltkrieg, vom amerikanischen Diplomaten und Historiker George F. Kennan als die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet, erschüttert 1914 die gesamte Gesellschaft bis ins Mark. Eindringlich spiegeln die ausgestellten Werke die komplexe Monstrosität des Krieges wider.
Herausragend ist die Ausstellung unter anderem deshalb, weil es die erste internationale Ausstellung ist, die das Thema europäische Künstler und Erster Weltkrieg umfassend präsentiert. Zurecht wird deshalb der Begriff der Avantgarde im Plural verwendet. Die Avantgarde bezeichnet in der Kunst die Vorreiter einer Richtung oder Idee. Blickt man auf den Ursprung des Wortes – es stammt aus der französischen Militärsprache und meint die auf den Feind treffende Vorhut – wird der unheilverkündende Untertitel der Ausstellung noch verstärkt. Aus dem Kampf um die moderne Kunst wird 1914 ein realer Kampf um Leben und Tod, der aus einstigen Freunden – freiwillig oder nicht – Todfeinde macht. 1914 bedeutet das Ende aller Internationalität, so muss Kandinsky Deutschland verlassen und Lehmbruck Frankreich, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Der Einstieg in die Ausstellung zeigt zwei Werke des deutschen Impressionisten und Kriegsenthusiasten Lovis Corinth. Das erste Bild stammt vom März 1914 und ist ein stolzes Selbstportrait in Rüstung. Der Pinselstrich ist fein und geordnet. Dazu passen könnte ein Satz aus seiner Autobiografie:
„Wir wollen der Welt zeigen, daß heute deutsche Kunst an der Spitze der Welt marschiert. Fort mit der gallisch-slawischen Nachäfferei unserer letzten Malerperiode!“
Auf dem zweiten Bild von 1918 sieht man eine am Boden liegende Rüstung, zerstört und nur noch in Teilen vorhanden. Der Malstil ist immer noch impressionistisch, aber grob und zerrissen. Der Mensch ist auf der Strecke geblieben. Gleich zu Beginn wird deutlich, wohin die Reise geht.
Die Ausstellung ist in verschiedene Abteilungen unterteilt, die zeitlich und thematisch Ordnung in die über 300 Werke bringen. Erschreckend ist die Weitsicht mancher Künstler, die schon früh den heraufziehenden Krieg erkannt haben. Nur so können die Titel und düsteren Federzeichnungen eines Alfred Kubin verstanden werden. Die Holzschnittfolge „C’est la guerre“ des kriegsbegeisterten Félix Vallotton wirkt hingegen bei aller Bissigkeit der Szenen wie ein Comic und erinnert an Tim und Struppi. Der deutsche Maler und Grafiker Max Liebermann, der bei der Machtergreifung der Nazis den viel zitierten Satz sagen sollte: „Ick kann jar nich soville fressen, wie ick kotzen möchte“, steht 1914 ganz klar auf Seiten des Kaisers. Er illustriert in der Zeitung „Kriegszeit – Künstlerflugblätter“ Sätze aus den Reden des Kaisers wie zum Beispiel: „Ich kenne keine Partei mehr“ oder „Jetzt wollen wir sie dreschen“.
Eine der Schlüsselstellen der Ausstellung sind für mich die beiden Selbstportraits Otto Dix’. Von einem in den anderen Raum kommend, springt einen das erste Selbstportrait von Otto Dix förmlich an: Der Maler als Kriegsgott Mars. Das Gemälde in Öl hat eine ungeheure Plastizität. Der Kopf scheint nach allen Seiten auszubrechen, wer sich ihm in den Weg stellt, dem droht Tod und Verderben. Die roten Partien, Sinnbild für Feuer und Blut, wirken wie offene Wunden. Erst wenn man direkt vor dem Bild steht, ist rechts davon das zweite Selbstportrait zu sehen: Der Maler in Uniform als ganz normaler Soldat. Es ist im Stil vollkommen anders. Die Farben blass. Der Malstil flächig. Der Maler als Zielscheibe. Die beiden Selbstbildnisse zeigen: Der Mensch im Krieg ist Täter und Opfer zugleich.
Das Arrangement dieser beiden Dix-Selbstportraits ist großartig und an Dramaturgie kaum zu überbieten. Dies gilt auch für Verteilung und Platzierung der ausgestellten Skulpturen. Die beiden Ausstellungsleiter Angelica Francke und Wolger Stumpfe haben hier mit viel Fingerspitzengefühl eine phantastische Arbeit abgeliefert. 1914 – Die Avantgarden im Kampf ist eine kunsthistorische Reise in die Welt vor 100 Jahren, die man sich nicht entgehen lassen sollte.
Mindestens anderthalb, besser zwei Stunden muss man für die Ausstellung einplanen. Wer zusätzlich die Begleitausstellung Missing sons. Verlorene Söhne mitnehmen will, braucht noch mehr Zeit. Zwei Stunden vor Schließung der Bundeskunsthalle kostet der Besuch nur 6,- €, denn da erhält man das Ticket zum Happy-Hour-Preis. Der fast 400 Seiten starke Katalog ist für 39,- € erhältlich und ebenfalls zu empfehlen. Fotografieren ist in der Ausstellung leider nicht erlaubt. Auf den Audio-Guide für 4,- € würde ich zumindest beim Erstbesuch bewusst verzichten, da er teils sehr von den Werken ablenkt.
Bild: Joas Kotzsch