Zum Internationalen Frauentag am 8. März finden am Wochenende eine Reihe von Veranstaltungen in Bonn statt. Ein Netzwerk von Bonner Frauenorganisationen lädt am Samstag zur Feier des Weltfrauentages auf den Marktplatz ein.
Unter dem Motto “Ohne uns steht die Welt still – Frauen*streik zum Internationalen Frauentag” soll der Marktplatz am 7. März zu einem feministischen Ort der Bestärkung, Vernetzung und Begegnung werden. Ab 10 Uhr gibt es beim Pop-Up Streikcafé ein buntes Programm mit Kurzvorträgen, Interviews, Gesprächen, Tanz und vielem mehr. Internationale Künstler*innen werden mit kreativen Aktionen präsent sein.
Zum Beginn der Kundgebung um 17 Uhr findet ein Flashmob mit dem Sprechgesang „Un violador en tu camino“ (Ein Vergewaltiger auf Deinem Weg) statt als eine Anklage gegen sexualisierte Gewalt. Der Protestsong des chilenischen Frauen-Kollektivs Las Tesis wurde am 20. November zum ersten Mal öffentlich aufgeführt und hat sich seitdem um die ganze Welt verbreitet.
In dem anschließenden Protestzug durch die Bonner Innenstadt wollen die Teilnehmer*innen ihre Stimme erheben für gleichen Lohn für gleiche Arbeit und gegen Ausbeutung, Diskriminierung, Sexismus und sexualisierte Gewalt. Die von jungen Aktivist*innen organisierte Demonstration zum Frauenkampftag findet bereits zum fünften Mal in Bonn statt.
Der lange Weg zur Gleichberechtigung
Der International Women’s Day ist aus dem Kampf für das Frauenwahlrecht entstanden unter maßgeblicher Mitwirkung der deutschen Sozialdemokratinnen Clara Zetkin und Käte Duncker. Der erste Frauentag fand am 19. März 1911 in Dänemark, Deutschland, Österreich-Ungarn, der Schweiz und den USA statt. In Erinnerung an die Streiks der New Yorker Textilarbeiterinnen einigte man sich 1914 erstmals auf den 8. März.
Seit 1977 ist der 8. März auch ein offizieller UN-Feiertag für die Gleichberechtigung und bessere Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen. Das diesjährige Motto ist „I am Generation Equality: Realizing Women’s Rights“ zum 25-jährigen Jubiläum der bei der vierten UN Weltfrauenkonferenz verabschiedeten Pekinger Erklärung und Aktionsplattform. Die Aktionsplattform enthält einen konkreten Maßnahmenkatalog zur Förderung der Gleichstellung in zwölf Bereichen.
Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern gilt als eines der größten Hindernisse für eine nachhaltige Entwicklung und Armutsreduktion. Im Jahr 2015 haben die 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen 17 nachhaltige Entwicklungsziele (SDGs) beschlossen, die bis 2030 realisiert werden sollen und in Deutschland in der Agenda 2030 verankert sind. Das Ziel 5 (SDG5) fordert die Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen in der ökonomischen Entwicklung, die Eliminierung jeder Form von Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie gleichberechtigte Partizipation auf allen Ebenen.
“Auf den ersten Blick mögen Frauen mit Männern in Deutschland gleichgestellt und viele Rechte bereits erkämpft sein, doch von ‚echter‘ Gleichberechtigung sind wir auch hier und heute noch weit entfernt,” so Katherine Bustin, eine der Frauen*streik Organisatorinnen. “Alle Frauen, Mädchen und solidarische Männer sind eingeladen, sich uns anzuschließen, denn wir können diese Probleme nur gemeinsam lösen.”
#EachForEqual – Für eine gleichberechtigte Zukunft
Dass die Gleichstellung der Geschlechter 25 Jahre nach der Pekinger Erklärung weder in Deutschland noch im Rest der Welt verwirklicht wurde, veranschaulicht der 2020 Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums (WEF). Nach dem Report würde es noch 99,5 Jahre dauern, bis insgesamt die Gleichberechtigung von Frauen weltweit erreicht sei. Die Studie untersucht die Kluft zwischen den Geschlechtern in den Bereichen Karriere, Ausbildung, Lebenserwartung und politische Teilhabe in 153 Ländern. Auf dem Arbeitsmarkt werden Männer und Frauen erst in 257 Jahren chancengleich sein, wenn es beim aktuellen Reformtempo bliebe.
Deutschland liegt auf Platz 10 des 2020 Gender Gap Rankings – hinter Ländern wie Nicaragua, Spanien und Ruanda. Im elften Jahr in Folge landet Island auf Platz eins. Beim ersten Ranking 2006 stand die Bundesrepublik noch auf Platz fünf. Groß sind in Deutschland nach wie vor die wirtschaftlichen Geschlechterunterschiede. Deshalb ist laut dem WEF eine schnelle Reduzierung der Gehalts- und Einkommenslücke notwendig.
Frauen verdienen hierzulande durchschnittlich 21 Prozent weniger als Männer. Deutschland zählt damit zum Schlusslicht in Europa. Der Equal Pay Day markiert symbolisch die geschlechtsspezifische Lohnlücke. Umgerechnet ergeben sich daraus 77 Tage, die Frauen umsonst arbeiten, und das Datum des nächsten Equal Pay Day am 17. März 2020.
Globaler Frauen*streik – Die Welt steht still, wenn Frau es will
In Island haben Frauen 1975 (am ersten Tag der UN Dekade für Frauen) für einen Tag ihre Arbeit – bezahlt und unbezahlt – niedergelegt und so das Land lahm gelegt. Dieses Jahr rufen Frauenorganisationen in 59 Ländern am 8. März zum Women’s Global Strike auf. Unter der Losung “When women stop, the world stops.” wollen sie für 24 Stunden in einen Arbeits-, Konsum-, Haushalts- und/oder Pflegestreik treten. Deutschlandweit beteiligen sich am Frauen*streik Frauengruppen in 39 Städten.
Schon 1994 gab es einen bundesweiten Frauenstreik, der von ost- und westdeutschen Frauen gemeinsam getragen wurde. Damals wie heute kämpfen Feminist*innen für Lohngerechtigkeit, eine gerechte Verteilung der Sorgearbeit, gleiche Rechte für Migrant*nnen und Geflüchtete, gegen sexualisierte Gewalt und den Abbau von Grundrechten und Sozialleistungen. Erika Märke von den frauen* in bunt war eine Mitorganisatorin und wird am Samstag im Streikcafé um 12 Uhr über den ’94 Streik erzählen.
An der mangelnden Wertschätzung und unfairen Verteilung der Sorgearbeit hat sich bis heute nichts geändert. In Deutschland wird über 80 Prozent der beruflichen Care-Arbeit von Frauen geleistet. Über 50 Prozent der Frauen im Alter zwischen 30 und 65 Jahren arbeiten in Teilzeit, aber nur gut 7 Prozent der berufstätigen Männer. Laut dem Bundesfamilienministerium liegt der Gender Care Gap bei 52,4 Prozent. Das bedeutet, Frauen verwenden durchschnittlich täglich 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit als Männer.
“Kochen, Pflegen, Erziehen, Beziehungen pflegen – all das ist Sorgearbeit. Sie wird vor allem von Frauen getragen, oft unbezahlt oder für geringen Lohn,” sagt die Bonner Journalistin Almut Schnerring. Sie hat deshalb den Equal Care Day mit ins Leben gerufen, der nach Wegen in eine fürsorgliche Demokratie sucht. Im Streikcafé wird sie um 15:30 Uhr über die Ergebnisse der Equal Care Day Konferenz und bundesweiten Kampagne am 29. Februar berichten.
Die Ver.di Ortsgruppe beteiligt sich an der Frauen*streik Aktion mit der Forderung nach fairer Vergütung und mehr Tarifbindung. Denn wo Tarifverträge gelten, schrumpfe auch die Entgeltlücke. Dies gelte vor allem in den Branchen, in denen überwiegend Frauen arbeiten, um gute Voraussetzungen für die partnerschaftliche Verteilung von Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern zu schaffen. Die Gewerkschaflsfrauen setzen sich für eine Aufwertung von sozialen und haushaltsnahen Dienstleistungen durch Tarifverträge ein, um prekäre Beschäftigung zurückzudrängen.
Nach der 2020 Ungleichheit-Studie von Oxfam (“Time to Care – im Schatten der Profite”) leisten Frauen und Mädchen weltweit täglich 12,5 Milliarden unbezahlte Pflege-, Fürsorge- und Hausarbeit, ohne dass der Wert dieser Arbeit gesellschaftlich und ökonomisch anerkannt wird.
Rise, Resist, Unite – Gemeinsam gegen sexualisierte Gewalt
Feministische Bewegungen wie der Women’s Strike, V-Day, #NiUnaMenos und #MeToo zeigen, dass sexualisierte Gewalt und der Status Quo von Machtmissbrauch und beruflicher Benachteiligung ein globales und gesamtgesellschaftliches Problem sind. Laut UN Women ist jede dritte Frau in der Welt mindestens einmal in ihrem Leben körperlicher Gewalt ausgesetzt.
Jeden dritten Tag wurde 2018 in Deutschland eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner umgebracht laut Statistik des Bundeskriminalamts. Insgesamt wurden 140.755 Menschen Opfer von versuchter oder vollendeter Gewalt, darunter Mord und Totschlag, Körperverletzung, Vergewaltigung und Stalking. Mehr als 80 Prozent der Betroffenen waren Frauen. Doch die Dunkelziffer ist weitaus höher.
Das Bundesfamilienministerium hat im Herbst die Initiative „Stärker als Gewalt“ gestartet, um Betroffene zu unterstützen und Angebote und Informationen zu bündeln. Am Samstag werden auf dem Marktplatz das Frauenhaus Bonn und die Frauenberatungsstelle TuF e.V. über lokale Hilfsangebote informieren.
Kunst für Gleichberechtigung und sexuelle Selbstbestimmung
Inspiriert von der UN SDG Butterfly Effect Kampagne, haben die Bonner Künstlerinnen Consuelo Méndez, Rita Buoro und Ulrike Reutlinger gemeinsam einen Spielfallschirm mit bunten Schmetterlingen bemalt. Mit dem kollektiven Kunstwerk möchten sie ihre Solidarität mit Frauen- und Umwelt-Aktivist*innen in Südamerika zum Ausdruck bringen und dem Nachhaltigkeitsziel 5 (gender equality) symbolisch Flügel verleihen.
Den SDG5 Parachute for the Planet wollen die drei Künstlerinnen aus Ecuador, Brasilien und Deutschland auf dem Marktplatz gegen 15 Uhr enthüllen. Danach werden Besucher*innen eingeladen, sich mit Schmetterlingsflügeln und dem Gleichheits(hand)zeichen als ein Zeichen ihrer Solidarität fotografieren zu lassen.
Am Vormittag (11 Uhr) wird Nele Dorn, eine junge Künstlerin und Studentin der Alanus Hochschule, ihr “Please Ask Before Touching” Fotoprojekt vorstellen. In dem partizipatorischen Kunstprojekt setzt sie sich mit ihrer persönlichen #MeToo Erfahrung auseinander und der Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Dafür hat sie Frauen und Männer unterschiedlichen Alters mit nacktem Oberkörper portraitiert, lediglich die Brüste mit zwei Gesichtsmasken aus Gips bedeckt. Die Teilnehmer*innen wurden von ihr gebeten, in den Posen ihre eigenen Erfahrungen und körperlichen Grenzen zum Ausdruck zu bringen.
“Bei der Fotoausstellung geht es darum, Menschen eine Stimme zu geben. Dies wird über die Masken-Kette dargestellt, die beim Tragen mit den Brüsten abschließt. Dabei bringen die Masken bildlich die Stimme zurück an die individuelle Trägerin oder den Träger,” erläutert Dorn. “Die daraus entstehende Schwarz-Weiss-Fotografien erzählen über die Thematik der Objektivierung, die in Form der sexuellen Belästigung entstehen.”
Die interaktive Ausstellung ist am 8. März in der Alten VHS zu sehen. Die Künstlerin wird vor Ort sein und Interessierte fotografieren.
Mahnmal gegen Gewalt an Frauen
Seit Beginn der Zivilisation sind Frauen in Kriegen und bewaffneten Konflikten geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt – von sexueller Gewalt über Vergewaltigungen bis hin zur Versklavung und Völkermord.
Am 8. März wird im Hof des Frauenmuseums eine Friedensstatue und “Mahnmal gegen Gewalt an Frauen in Kriegen” in Anwesenheit der Künstlerin Andrea Kreipe eingeweiht. In einem Artikel der Zeitung Merkur berichtet die Bildhauerin aus Böblingen über den Entstehungsprozess des Mahnmals, für das 50 Künstlerinnen aus ganz Deutschland Entwürfe eingereicht hatten. Im Sommer 2019 entschied sich die Jury für den von Kreipe.
Die 62-jährige Künstlerin hat an dem Wachsmodell für die Skulptur monatelang gearbeitet und sich dabei intensiv mit der Situation der Frau in der Gesellschaft auseinandergesetzt. “Ich kenne fast keine Frau, die nicht selber schon Übergriffe erlebt hat,” sagt sie.
Die 1,80 Meter große Bronzeskulptur zeigt eine Frau, die sich schützt und schämt, gleichzeitig aber auch einen Schritt raus aus dieser existenziellen Situation macht. “Ich will die Hoffnung aufzeigen, dass sie ihr Leben wieder in den Griff kriegen kann. Und das kann sie nur, indem sie sich bewegt,” so Kreipe.
Veranstaltungen rund um den Weltfrauentag in Bonn
Samstag, 7. März
10 – 17 Uhr – Streikcafé und „Frauen-Initiativenmarkt“ auf dem Marktplatz mit verschiedenen Frauenorganisationen (Frauen*Streik Bonn, Ver.di Frauenrat, UN Women Deutschland, Hilfe für Frauen in Not, frauen* in bunt, Utamara, V-Day Bonn, Equal Care Day, etc.), Künstler*innen und Aktivist*innen.
17 – 19 Uhr – Kundgebung und Frauenkampftag Demo (Marktplatz)
19 Uhr – Info-Kneipe „Frauenproteste in Chile“, Alte VHS
Freier Eintritt für Frauen* im Haus der Frauengeschichte am 7. und 8. März von 14-18 Uhr
Sonntag, 8. März
ab 12 Uhr – Matinee zum internationalen Frauentag im Frauenmuseum mit Enthüllung des neuen Mahnmals, Musik vom Emilien-Quartett, Performance der integrativen Frauentheatergruppe Ave_Eva und einem Festvortrag “Alle Menschen sind Geschwister“ von Gera Kessler (Haus der Frauengeschichte)
11 – 22 Uhr – Ganztägiges Frauenkampftag Event in der Alten VHS mit unterschiedlichen Veranstaltungen für alle FLINT*-Personen, d.h. Frauen, Lesben, Interpersonen, Non-binäre Geschlechter und Transpersonen.
Montag, 9. März
18 Uhr – Veranstaltung „Wer regiert die Kommune? Machtverteilung und Gleichstellungspolitik vor Ort“, Friedrich-Ebert-Stiftung (Godesberger Allee 149). Anmeldung unter https://www.fes.de/lnk/3pg