Die CocoonDance Company begrüβt das Publikum bei ihrer neuen MOMENTUM Produktion, die am Donnerstag im Theater im Ballsaal in Endenich Premiere feierte, in einem nackten und düsteren Raum.

Drei Körper liegen bäuchlings auf dem Boden. Ihre Köpfe sind mit Tüchern umhüllt. Die Zuschauer verteilen sich stehend um sie herum an den Wänden, denn der Saal ist nicht bestuhlt. Ein dumpfer Elektrobeat erfüllt den dunklen Raum. Die Atmosphäre erinnert an einen Techno Club.

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Zögernd nehmen die liegenden Gestalten den Rhythmus der Musik auf. Ein ruckartiges Zucken des Hinterteils, ein leichtes Drehen des Torsos, ein plötzliches Kopfnicken. Die Bewegungen der Tänzer steigern sich langsam mit der schneller und lauter werdenden Musik. Die gesichtslosen Körper bewegen sich schlangen-, spinnen- und reptilienartig durch den Raum. Sie rutschen auf dem Bauch, rollen, krabbeln und verlieren allmählich an Bodenhaftung. Je mehr sie sich aufrichten, desto menschenähnlicher werden sie. Der Zuschauer hat den Eindruck, die Evolution in Zeitraffer zu sehen.

Das Tänzertrio trifft sich im Raum, bewegt sich gegenseitig, tanzt allein und zusammen in einer schweißtreibenden, dynamischen Choreografie. Die Zuschauer fangen an, sich im Takt mitzubewegen, der durch pulsierende Lichteffekte verstärkt wird.

Nicht erst beim Entfernen der Kopftücher enthüllen die Tänzer ihre kraftvolle Männlichkeit. Mit ihren entblöβten Gesichtern gehen sie „head banging“ und herausfordernd auf die Zuschauer zu. Diese antworten mit wippenden Köpfen und werden ebenfalls von dem hämmernden Rhythmus der live produzierten Musik erfasst.

Foto: CocoonDance
Foto: TANZweborg, Klaus Dilger

Lustvoller Tanz-Burnout

In energiegeladenen und parkour-beeinflussten Bewegungen schnellen die drei Tänzer durch die Luft und raumgreifend über den Boden. Sie sind schweiβdurchnässt und sichtlich erschöpft, tanzen aber unaufhörlich weiter. Es gibt keine Pause, keinen Stillstand, bis sie nach rund 50 Minuten Atem hechelnd und schreiend zusammenbrechen.

„Die Musik hat mich mitgenommen. Ich fand das Stück energiezierend, animalisch bis erotisch. Es bietet viel Raum zur Interpretation“, kommentierte Julia Dicks, die die Premiere mit fünf Freundinnen besucht hat. „Der langsame Anfang war ein Ausreizen des Publikums, aber auf einmal waren die Tänzer da. Und dann war Flummi.“

Tanya Mitchell hat das Betrachten stellenweise traurig gemacht: „Das Stück veranschaulicht, wie anstrengend unsere Gesellschaft ist. Es gibt keine Ruhepause. Ich werde immer weiter gepusht, obwohl ich eigentlich längst am Boden bin.“

Wie in den vorangegangen Produktionen „Pieces of Me“ und “What About Orfeo?“ strebt CocoonDance auch mit MOMENTUM eine gemeinsame Raum- und Bewegungserfahrung von Tänzern und Zuschauern an.

„Bei MOMENTUM ist das, was die Zuschauer auf der Bühne sehen, zu 90 Prozent von den Tänzern aus dem Moment heraus improvisiert, innerhalb von Regeln und choreografischen Vorgaben. Die Musik wird dann live ihren Bewegungen angepasst. Die Zuschauer werden also jeden Abend ein etwas anderes Stück sehen“, erläuterte Choreographin Rafaële Giovanola in einem Bonnections Podcast vor der Premiere.

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In dem englischsprachigen Bonnections Podcast erzählt Giovanola über ihr neuestes Stück, CocoonDance, die Junior Company Bonn (CocoonDance Jugendensemble), ihre tänzerische Laufbahn und Arbeit mit nicht-professionellen Tänzern, darunter mit Flüchtlingen in einem Kooperationsprojekt mit dem Theater Osnabrück. (Ein deutschsprachiger Künstlersteckbrief ist unten.)

Giovanola hat das freie Ensemble 2000 zusammen mit ihrem Mann und Dramaturgen Rainald Endrass gegründet. Je nach Projekt ergänzt sich das Leitungsduo mit Tänzern, Musikern und Künstlern, um die Erzählform Tanz neu zu definieren und mit innovativen Formen der Verwandlung und Inszenierung zu spielen.

Bei der MOMENTUM Produktion arbeiten die beiden mit dem DJ Musiker Franco Mento , dem Lightdesigner Marc Brodeur, dem Traceur (Parkour-Trainer) Frédéric Voeffray und den Tänzern Àlvaro Esteban, Werner Nigg und Andi Xhuma zusammen, um Verbindungen, Gemeinsamkeiten und Schwellenbereiche von Bewegung und Bewegtheit zu untersuchen.

„Parkour ist  eine Kunst der Fortbewegung, in der es darum geht, Hindernisse im urbanen Raum ohne Hilfsmittel und in einem kontinuierlichen Bewegungsfluss zu überwinden, ähnlich wie Spiderman und Superman“, so Giovanola.

Sie ist fasziniert von der in Frankreich geborenen Bewegungs-(Sub)Kultur und möchte Wissen und Praxis des Parkour in den zeitgenössischen Tanz einbringen. Deshalb habe CocoonDance einen Recherche-Austausch mit der Schweizer Compagnie Feli-D Mouvement gestartet. Die eidechsenartige Fortbewegung (lizard walk) und viele Bodenelemente bei MOMENTUM kämen zum Beispiel aus dem Parkour.

MOMENTUM – eine Produktion von CocoonDance

Von und mit: Alvaro Esteban, Werner Nigg, Andi Xhuma // Choreografie, Regie: Rafaële Giovanola // Musik: Franco Mento // Sound Coaching: Jörg Ritzenhoff Licht: Marc Brodeur // Dramaturgie: Rainald Endraß // Coaching Parkour: Frédéric Voeffray // Management: mechtild tellmann kulturmanagement, Mélisende Navarre (CH/ F)

Weitere Aufführungen:
Fr 08. / Sa 09. April 2016 // 20 Uhr
Mi 13. / Do 14. / Fr 15. / Sa 16. April 2016 // 20 Uhr

Tickets: 09,00 € / 14,00 €
Kartenreservierungen: Telefon 0228. 79 79 01
karten@theater-im-ballsaal.de

Künstlerischer Steckbrief: Rafaële Giovanola

Rafaële Giovanola wurde 1960 in Baltimore geboren und zog im Alter von vier Jahren mit ihren Eltern aus den USA nach Monthey in die französischsprachige Schweiz, wo sie ab dem achten Lebensjahr klassischen Ballettunterricht erhielt. Giovanola, deren Großeltern italienischer Herkunft sind, studierte an der Ballettakademie in Monte Carlo bei Marika Besobrasova.

Nach einem ersten Engagement als Solistin in Turin ging sie zum Frankfurter Ballett, wo sie acht Jahre unter der Leitung von William Forsythe gearbeitet und bei allen wichtigen Produktionen mitgewirkt hat. Forsythe gilt als einer der bedeutendsten Choreografen des zeitgenössischen Tanzes.

„Er hat sehr viel ausprobiert und verändert. Wir waren seine Versuchskaninchen“, erinnert sich Giovanola. „Ich habe viele Vorbilder, doch prägend für mich waren Besobrasova und Forysthe. Beide haben mich bis an meine Grenzen gepusht.“

Ab 1990 tanzte sie im Ensemble von Pavel Mikuláštiks Choreographischem Theater bis zu seiner Auflösung im Jahr 2003, zunächst in Freiburg, dann in Bonn. „Es war fantastisch, mit Pavel zu arbeiten. Ich hatte wunderbaren Rollen, die mich als Darstellerin stark gefördert haben“.

Nach einer langjährigen Karriere an Stadttheatern wagten Giovanola und ihr Mann Rainald Endraß, die einen 23jährigen Sohn und eine 18-jährige Tochter haben, den Sprung in die freie Szene. Seit 2004 leitet und bespielt CocoonDance die Sparte Tanz im Theater im Ballsaal in Endenich und hat sich weit über die Stadtgrenzen hinaus einen Namen in der zeitgenössischen Tanzszene erobert. Die entstandenen Produktionen tourten um die Welt und wurden mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.

„Wir sind sehr viel unterwegs. Bonn ist unsere Basis und bietet tolle Möglichkeiten für uns als freies Theater“, sagt Giovanola.

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