Pluriversum – Inspirierende interkulturelle Post-Development Extravaganza für ein gutes Leben für alle 

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Copyright: Stadt Bonn

Zur Halbzeit der Agenda 2030 mit den 17 Nachhaltigkeitszielen (SDGs) der Vereinten Nationen gab es am Montag im Rahmen der Bonner SDG Tage einen mitreißenden Abend mit lateinamerikanischer Musik, Multimediaprojektionen und globalen Perspektiven in der Trinitatiskirche in Endenich.

Das einzigartige Multimedia-Event war zugleich der Auftakt der “Pluriversum” Deutschland Tournee, die entwicklungspolitische Fragen mit der Musik von Grupo Sal, faszinierenden Projektionen des Künstlers Johannes Keitel und Wortbeiträgen von internationalen Vordenker*innen und Aktivist*innen verbindet.

Bonner Pluriversum von rechts nach links: Alberto Acosta, Sandra Weiss, Bürgermeisterin Gabi Mayer und Nnimmo Bassey (Foto: Sandra Prüfer)

Der Name bezieht sich auf das Buch „Pluriversum – Ein Lexikon des Guten Lebens für alle“,  das im Oktober in deutscher Sprache erscheint. Das Buch ist eine Sammlung von Texten von über 120 Autor*innen aus aller Welt, die transformative Alternativen zu der aktuellen ungerechten Weltordnung und der multiplen Krise vorstellen. 

Alberto Acosta, der ecuadorianische Mitherausgeber des Bandes, führte mit der in Mexiko lebenden Journalistin Sandra Weiss durch das Programm. Acosta erzählte, dass er eine besondere Verbindung zu Bonn hat. Er studierte in den 1970er Jahren Betriebs- und Volkswirtschaften in Köln und war von 1970 bis 1979 als Vizekonsul an der ecuadorianischen Botschaft in Bonn tätig. Nach seiner Rückkehr nach Ecuador arbeitete er für verschiedene Unternehmen und staatliche Organisationen und unterrichtete an einer Reihe von Universitäten. 

Acosta war Präsident der verfassungsgebenden Versammlung, die 2008 die Rechte der Natur in der ecuadorianischen Verfassung verankerte. Weltweit bekannt wurde der Ökonom durch die Yasuní-ITT–Initiative, die der internationalen Gemeinschaft anbot, die CO2 Emissionen durch die Nichtausbeutung fossiler Brennstoffe im ecuadorianischen Amazonasgebiet zu reduzieren, gegen einen finanziellen Ausgleich (von mindestens 50% des entgangenen Umsatzes) zum Schutz der Artenvielfalt und der sozialen Entwicklung im Yasuni-Nationalpark. Im Jahr 2010 schloss Ecuador ein entsprechendes Abkommen mit den Vereinten Nationen ab, aber die Initiative scheiterte, da die finanziellen Mittel ausblieben. Doch im August dieses Jahres hat die Mehrheit der Menschen in Ecuador in einem Referendum für das Ende der Erdölförderung und den Schutz des Yasuní-Nationalparks gestimmt, das eines der artenreichsten Bioreservate der Welt ist. 

Ein wegweisendes Votum, auch für die Rechte der indigenen Bevölkerung. An dem Abend wurde es von dem Grupo Sal Sextett musikalisch mit einem ecuadorianischen Volkslied gefeiert – visuell unterlegt mit einer Projektion von sattgrünen Regenwald-Bildern.

Multimediale Performance mit Grupo Sol in der evangelischen Trinitatiskirche in Bonn-Endenich (Foto: Sandra Prüfer)

Bei jedem Pluriversum Abend ist jeweils eine prominente Persönlichkeit aus einer anderen Region der Welt eingeladen, um zukunftsweisende Gedanken, Ideen und Konzepte aufzuzeigen und miteinander in den Dialog zu treten.

Der Gastredner in Bonn war Nnimmo Bassey, ein nigerianischer Umweltaktivist, Bürgerrechtler und Dichter. Der Direktor des ökologischen Think-Tanks Health of Mother Earth Foundation wurde 2010 mit dem Right Livelihood Award (alternativen Nobelpreis) ausgezeichnet, weil er die ökologischen und menschlichen Schrecken der Ölförderung in Nigeria aufgedeckt und durch seine Arbeit zur Stärkung der Umweltbewegung beigetragen hat. Von 2008 bis 2012 war er Vorsitzender von Friends of the Earth International (BUND in Deutschland).

Kunst und Kultur für ein gutes Leben 

„Kultur ermöglicht es uns, durch Geschichten, Lieder, Skulpturen, Poesie, Drama und Tanz für eine humane Ethik zu kämpfen,” sagt Bassey, der seit Jahren unermüdlich gegen die Praktiken von multinationalen Unternehmen und des Neoliberalismus in Afrika kämpft.

Die Bilanz zur Halbzeit der Agenda 2030 fällt ernüchternd aus. Bei den meisten Entwicklungszielen sind bisher kaum Fortschritte erzielt worden. Die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele sei leider sehr schwierig angesichts von Militarisierung, Kriegen und umweltschädlichem Rohstoff-Extraktivismus, erläuterte Bassey: “Wir können den Hunger nicht wirksam bekämpfen, wenn es Kriege gibt. Wir können das Leben in der Tiefe der Ozeane nicht erhalten, wenn die Wasseroberfläche mit Erdöl befleckt ist, so wie es im Nigerdelta in Nigeria der Fall ist. Wir müssen jetzt aufwachen und Maßnahmen ergreifen, damit die Nachhaltigkeitsziele mehr sind als Wunschträume. Das Jahr 2030 steht vor der Tür. Es gilt, keine Zeit zu verlieren.”

Pluriversum erscheint in deutscher Übersetzung im AG SPAK Bücher Verlag.

Bassey und Acosta sind sich einig, dass die vorherrschenden Vorstellungen und Prozesse von Entwicklung, die im Kapitalismus, Kolonialismus und Patriarchat verwurzelt sind, nicht mehr das organisierende Prinzip des sozialen Lebens sein können. Es bestehe kein Zweifel, dass sich die Welt in einer tiefen Krise befindet, die schon lange gedeiht und sich inzwischen über alle Kontinente hinweg ausbreitet. Nie zuvor waren so viele entscheidende Aspekte des Lebens gleichzeitig bedroht.

Laut Bassey müssten auch die Ketten der Entwicklung durchbrochen werden, denn Entwicklung in dem vom ‘Globalen Norden’ geprägten linearen Muster sei eine Idee, die Nationen in entwickelte und unterentwickelte Kategorien einstufe. “Entwicklung suggeriert Wachstum, Expansion, Vergrößerung und Ausbreitung, aber nichts wird dem Sinn für Gerechtigkeit oder Gleichheit gerecht oder berücksichtigt die ökologischen Grenzen eines endlichen Planeten,” schreibt er in seinem Pluriversum Lexikon Beitrag.

Für die Welt(en) nach der Moderne

Pluriversum Konzert gedenkt an die 2017 ermorderte brasilianische Aktivistin Marielle Franca (Foto: Sandra Prüfer)

Angesichts der systemischen und multiplen Krise möchte das Pluralismus-Projekt eine “Dekolonisierung des Denkens und Wiederbegegnung mit den kulturellen Wurzeln der Völker der Erde” anregen. „Von dort aus ist es möglich, sich – entsprechend der indigenen Pachamama – einen zivilisatorischen Wandel vorzustellen und zu gestalten, der auf das menschliche Überleben auf dem Planeten und das gute Leben für alle ausgerichtet ist,” so Acosta.

Die Musikgruppe Grupo Sal ergänzte die Denkanstöße von ihm und Bassey mit mitreißenden und einfühlsamen Liedern. Die Band wurde 1982 in Tübingen von Fernando Dias Costa aus Portugal (Vocals, Percussion) und Roberto Deimel aus Chile (Vocals, Percussion, Gitarre) gegründet. Sie schlägt die Brücken zwischen dem Atlantik und den musikalischen Landschaften Lateinamerikas – von Portugal, Kap Verde, Kuba bis nach Mexiko, Venezuela und Argentinien – und macht in ihren Konzert-Lesungen auf brisante entwicklungs- und umweltpolitische Themen aufmerksam. In einem Lied würdigten die Musiker zum Beispiel die 2017 ermordete afro-brasilianische Menschenrechtsaktivistin und Feministin Marielle Franca.

Ein grandioses Musikerlebnis und durchweg gelungener und inspirierender Abend. Am Ende tanzten sogar einige Besucher*innen in der gut besuchten Kirche zu einem an den Buena Vista Social Club erinnernden kubanischen Lied.

Pedro Bermeo Guarderas, Rechtsanwalt und Aktivist des ökologischen Kollektivs YASunidos aus Ecuador, deren Referendum gegen Erdölförderungen im August 2023 einen großen Erfolg feierte, wird als Impulsgeber an der Pluriversum Veranstaltung am 12. Oktober in Köln im Bürgerhaus Stollwerck teilnehmen.  

Pluriversum Tournee-Termine:

28.09.2023 Dortmund Pauluskirche // 29.09.2023 Castrop-Rauxel Wichernhaus // 01.10.2023 Murnau Kultur- und Tagungszentrum // 10.10.2023 Husum Hermann-Tast-Schule // 11.10.2023 Hamburg Kulturkirche Altona // 12.10.2023 Köln Bürgerhaus Stollwerck // 13.10.2023 Chemnitz (Ort noch offen) // 14.10.2023 Berlin Französische Friedrichstadtkirche // 18.10.2023 Karlsruhe Tollhaus // 19.10.2023 Tübingen Alte Aula

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