Seelenloses Gekreische und Gezwitscher – Anton Tschechows "Die Möwe" in den Kammerspielen

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Sebastian Kreyer zeigt Tschechows Komödie als oberflächliches Fegefeuer der Eitelkeiten, ohne dass seine Inszenierung zu fesseln oder zu berühren vermag

In einer Ferienanlage mit zentralem Pool verortet das Bonner Theater Die Möwe. Ein unterhaltsames Potential schöpft Tschechows Drama ja insbesondere daraus, dass die Kommunikation immer wieder scheitern muss, da die Figuren – stets die eigenen Sehnsüchte vor Augen – aneinander vorbeireden.

Sebastian Kreyer inszeniert die Dialoge jedoch so überzogen, aufgesetzt und albern, dass die Figuren dem Zuschauer neben ihrem komischen Potential kaum ihre Gefühle, Konflikte und Konfrontationen greifbar machen und so kaum eine Spannung entstehen lassen. Nicht nur der Handlungsort sondern auch die Dialoge wurden stark verändert. Die Bühnenfassung strotzt nur so von Witzeleien und albernen Wortspielen. Auch die albernsten Gesten und verbalen Zoten sollen den Zuschauern scheinbar noch gefällige Lacher entlocken. Im Mittelteil gibt es etwa einen „Cash-Kescher“, also ein Werkzeug, mit dem Geldnoten aus dem Pool gefischt werden. Das artifiziell-künstliche Bühnenbild von Matthias Nebel verschafft den Figuren immerhin die Möglichkeit, sich stets effektvoll beleidigt zurückziehen zu können und trotzdem hinter den Fenstern der Gemächer mitunter noch sichtbar zu sein.

Alberne Wortspiele – hölzerne Dialoge – nackte Tatsachen

Auch die Hauptfiguren vermögen in dieser Inszenierung nicht zu fesseln: Die gealterte Schauspielerin Irina Arkadina, ihr sich als Schriftsteller probierender Sohn Kostja und die sich nach einer Bühnenkarriere sehnende Nina bleiben farblos. Maya Haddads Spiel als Nina ist blass und unscheinbar. Ihre Theatervorführung zu Anfang von Tschechows Drama kann der Zuschauer als Spiel im Spiel leider nur über die Reaktionen der anderen Figuren erahnen. Ihre Dialoge mit Benjamin Grüter in der Rolle des Schriftstellers Boris Trigorin wirken hölzern. Manchmal tragen die Stimmen nicht und der Text ist nicht mehr zu verstehen. Kostja liegt bereits zu Beginn tot im Swimming Pool, und seine Stimme aus dem Off teilt mit, dass er sich das Leben genommen habe und nun alles von Beginn an gezeigt werde. Auch später lenkt Kostja mit einem Sprung in den Pool alle Aufmerksamkeit auf sich.

So zieht sich Jonas Minthe als Kostja nackt vor seiner Mutter aus und zieht sie in einer Gefühlswallung gleich mit in den Pool. Unvermeidlich scheint die Nackteinlage einer männlichen Figur, die mittlerweile in fast keiner der Godesberger Inszenierungen mehr fehlt. Auch in Kreyers noch laufender Inszenierung von Juli Zehs Nullzeit entblößt sich Minthe effektvoll. Ansonsten gibt Kostja leider Sophie Basses Irina stets allzu klein bei. In dieser Rolle spielt Basse einen abgehalfterten, selbstverliebten Star, der außer schrillen Tönen und Kostümen wenig schöpferisches Können zeigt und trotzdem das Comeback vorbereitet. Hier bleibt die Darstellerin weit hinter ihren Möglichkeiten zurück, deren Facettenreichtum der Zuschauer beispielsweise in ihrer Rolle der Germania in der Inszenierung von Waffenschweine nach Gesine Schmidt in der aktuellen Spielzeit erlebt. Ihre sichtlich albern-theatralischen Gesten werden von Teilen des Publikums belustigt-lachend aufgenommen.

Einen Clown gefrühstückt? – Ketchup drüber

Sollte der Regisseur beabsichtigt haben, eine eitle selbstverliebte Diva als tragische Gestalt in ihrer Lächerlichkeit vorzuführen, so ist ihm dies nicht gelungen. Zudem würde sich auch die Frage stellen, welchen Sinn eine solche Darstellung haben könnte? Im dritten Akt hat Irina nun ihr Comeback geschafft, nachdem sie einige melodramatische Songs aus Erfolgsmusicals von Andrew Lloyd Webber zitiert oder sogar performt hat, und die Darsteller auf der Bühne quittieren jede noch so kleine, kokette und schräge stimmliche Einlage der Diva mit Applaus. An dieser Stelle wird besonders deutlich, dass es dieser Inszenierung nicht gelungen ist, diesen Starkult dem Publikum entgegenzuhalten. Es drängt sich eine unangenehme Allianz auf zwischen den lobhudelnden Darstellern und dem Publikumsraum, in dem man selber sitzt. So lässt man die Premierenfeier gerne hinter sich. Denn schon beim Verlassen des Zuschauerraums stampft einem eine Party-Musik entgegen, die nahtlos in die Inszenierung selbst gepasst hätte und eine Fortführung dessen, was auf der Bühne und im Publikumsraum stattfand, nun im Foyer befürchten lässt. Draußen: ein warmer Spätsommerabend und vielleicht auch Polarlichter.

Schade auch, dass eine andere Bonner Inszenierung von „Die Möwe“ vor einigen Wochen weniger öffentliche Beachtung und Zuschauer fand – in der grünen Spielstadt in Dransdorf wurde Tschechows Komödie vom Volkstheater als OpenAir-Theaterstück mit wechselnden Handlungsorten inszeniert und wirkte an dem besonderen Ort vor drohenden Gewitterwolken und vor allem durch die eindrucksvolle und nuancierte Leistung der Schauspieler und der Regie von Volker Maria Engel weitaus überzeugender als der Klamauk dieser jüngsten Inszenierung in den Kammerspielen.

Diese Premierenkritik wurde auf Kultura Extra erstveröffentlicht.

DIE MÖWE (Kammerspiele, 12.09.2014)
Regie: Sebastian Kreyer
Bühne: Matthias Nebel
Kostüme: Britta Leonhardt
Musik: Sebastian Blume
Licht: Sirko Lamprecht
Dramaturgie: Nina Steinhilber

Besetzung:
Sophie Basse (Irina Nikolajewna Arkadina, Schauspielerin)
Jonas Minthe (Konstantin Gawrilowitsch Treplew, ihr Sohn)
Glenn Goltz (Pjotr Nikolajewitsch Sorin, ihr Bruder)
Maya Haddad (Nina Michailowna Saretschnaja)
Wolfgang Rüter (Ilja Afanasjewitsch Schamrajew, Verwalter)
Ursula Grossenbacher (Polina Andrejewna, seine Frau)
Mackie Heilmann (Mascha, seine Tochter)
Benjamin Grüter (Boris Alexejewitsch Trigorin, Schriftsteller)
Andrej Kaminsky (Jewgenij Sergejewitsch Dorn, Arzt)
Maik Solbach (Semjon Semjonowitsch Medwedenko, Lehrer)

Premiere war am 12. September 2014
Weitere Termine: 17., 19., 27., 28.9./ 11., 19., 25.10./ 23.11.2014
Weitere Infos siehe auf der Homepage des Theater Bonn.

Bilder: Thilo Beu

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