Erstaunlich leicht unterhält die Collage über einen der gewichtigsten Politiker der 80er und 90er Jahre, die kürzlich am Bonner Theater ihre Premiere feierte. Das junge Autorenduo Nolte Decar lässt viele Geschichten um den einstigen Geschichtsstudenten ranken; frei erfundene und vielleicht auch so oder ähnlich vorgefundene? Der Mann, der seine unnahbare Politik förmlich verkörperte, erwählt sich im Theaterstück seinen Namen selbst. Ehrfurcht erheischend und wenig prätentiös soll er sein – Helmut Kohl eben.
Doch Namen sind bekanntlich wie Schall und Rauch. Die Darsteller wechseln regelmäßig ihre Rollen, ergänzen mal die Worte des jeweils anderen oder verkörpern unterschiedliche Facetten ihres Titelhelden. Stationen im Leben Kohls werden temporeich mit Slapstick, Tanz oder Punk-Gesang verbunden und höchst genüsslich durch den Kakao gezogen. Eitelkeit und Machtinteressen, CDU-Spendenaffären und der Nationalsozialismus der Elterngeneration werden plump als Themen angerissen, ohne ihnen zu viel Gewicht beizumessen. Denn schon bald heißt es, es werde ja nicht der „Kohlhaas“, die „Ophelia auf Tauris“ oder der „SommerMachtstraum“ zur Aufführung gebracht.
Schön frisch verkohlt – wir rühren in der Kohlsuppe
Auch interessanten und schrägen Nebenfiguren wird Raum gewährt, wie etwa Helmuts späterer Ehefrau Hannelore (Julia Keiling). Sie ist einmal die fesche und begehrenswerte Poststrukturalistin, die ihren Helmut (Samuel Braun) sanftmütig überredet, sich gedanklich vom Kommunismus zu entfernen und der CDU beizutreten. Ein anderes Mal spielt sie eine wilde Nonne, die zu Klängen von Madonnas „Like a prayer“ von Kohl (diesmal Sören Wunderlich), aus ihrem gläubigen Dasein emporgehoben und zum Traualtar entführt wird.
Zuletzt sitzt sie alleine auf der abgedunkelten Bühne und klagt wiederholt in den leeren Raum hinein, dass ein angesprochenes „Du“ hinausgegangen sei und sie alleine in der Dunkelheit zurückgelassen habe. Hannelore bezweifelt heftig, dass es genug D-Mark-Scheine gebe, mit denen sie sich und ihren einstigen Partner von allen Sünden freikaufen könne. Diese Szene rührt aufgrund einer poetisch bilderreichen Sprache an und erinnert an den realen Suizid der, an einer Lichtallergie leidenden Kanzlergattin im Jahre 2001.
Doch gleich darauf kann man sich wieder am seichten Witz erfreuen. Denn nun hält eine Raumpflegerin im Bundeskanzleramt namens Wilhelmine (Mareike Hein) kuriose Monologe. Mit gewichtiger Stimme behauptet sie, sie habe schon vor ihrer Karriere als Raumpflegerin sehr viel Großartiges vollbracht. Weil sie einmal schlafwandelnd eine Oper von einer solchen Pracht komponiert habe, dass sie von ihren Fans verfolgt wurde, musste sie sich an einen unbedeutenden Ort retten. „Es ist gut, Bonn“, betont Wilhelmine lächelnd, während sie liebevoll den Boden wischt.
Welch ein Rosenkohl
Auch Hans-Dietrich Genscher, Helmut Schmidt, Gerhard Schröder, Franz Josef Strauß und Didi Hallervorden haben ihre wohlverdienten Auftritte als machtvolle Figuren oder Inspizienten, mit denen Kohl kungelt, klüngelt oder sich auf der Bühne kugelt. Es gibt ein Wetttrinken, unfaire Kanzlerduelle und zahlreiche Maueröffnungen. Oft wird frei assoziiert, chorisch gesprochen, mit Eiern oder mit Zitaten aus Klassikern jongliert. Wenn Kohl (wieder Sören Wunderlich), Shakespeares König Lear natürlich nicht unähnlich, Deutschland unter seinen drei Söhnen (Robert Höller, Bernd Braun, Samuel Braun) aufteilt, erhält der jüngste das Sauerland oder Saarland, weil er die Regentschaft Kohls nur „okay“ und nicht „gut“ fand. Doch leider bleibt Kohl, nachdem er Ost- und Westdeutschland großzügig weggegeben hat, noch nicht einmal der geliebte und legendäre Kirschgarten, auf den bereits Anton Tschechow zahllose Verse schrieb.
Bei den vielen inszenatorischen Einfällen dürften auch Regisseur David Heinzelmann und Dramaturg David Schliesing nicht ganz unschuldig sein. Fehlen darf natürlich auch nicht der demonstrative Einsatz der Merkelraute, ein geschichtsträchtiges Symbol für Angela Merkels jüngst gewonnene Bundestagswahl, war doch Merkel einst die treueste Schülerin des Altkanzlers. Die gut aufgelegten und agilen Darsteller lassen wahrlich wenig übrig vom Mythos Kohl und verbraten ihn verdientermaßen mit sichtlichem Genuss.
Alle Fotos: Thilo Beu
Weitere Spieltermine im Bonner Werkstatt-Theater am Mo., 23.12., Fr. 27.12. (ausverkauft), Di. 07.01., Do. 09.01., Di. 14.01., Do. 16.01., Fr. 17.01., Mi. 22.01. und Di. 28.01. jeweils um 20.00 Uhr. Mehr Infos gibt es auf der Website des Bonner Theaters.