„[…] Hatten wir nicht die Verpflichtung, die Ewigkeit in die paar Jahre oder Stunden hineinzulegen, in denen wir liebten? Und wir konnten es nie! nie! – Mit diesem Schuldbewusstsein scheiden wir von jeder – und unsere Melancholie bedeutet nichts als ein stilles Eingeständnis. Das ist eben unsere Ehrlichkeit! – Und das tut alles so weh. […]“ (Arthur Schnitzler)
Anatol reflektiert mit seinem Freund Max und mit den betreffenden Frauen über seine Liebschaften. Der aus sieben Szenen bestehende Zyklus von Arthur Schnitzler spielt im bürgerlichen Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts, also in der Lebenswelt, die auch Sigmund Freud umgab. Die Betrachtungen des Anatol kommen dem psychoanalytischen Denken sehr nahe. Damals galt Hypnose noch als eine Art Zaubermethode und es wurde intensiv versucht Ordnung in den neu entdeckten Kosmos des Unbewussten zu bringen. Wie der Klient seinem Analytiker so erzählt Anatol seinem Freund Max von seiner Liebe, seinem Begehren, seinen Hoffnungen und Enttäuschungen.
Melancholischer Reigen prickelnder Sehnsucht
Aber Max ist keine neutrale Folie auf die der Analysand projizieren kann und bestenfalls reichhaltige Deutungen erfährt. Die Inszenierung des Bonner Theaters schafft hier stattdessen eine Beigabe, die dem gesamten Stück eine neue und sehr gekonnt dargestellte Dimension gibt: Max begehrt Anatol. Doch Anatol, der seinen andauernden Affären analytischen oder philosophischen Tiefsinn zu geben sucht (eben aufgeklärtes Wiener Bürgertum des ausgehenden 19. Jahrhunderts) nimmt das lebhafte Interesse von Max völlig ungefragt an und wirkt nun vor diesem Hintergrund geradezu in seiner narzisstischen Selbstverliebtheit gefangen.
Alle fein gesponnen Dialoge der Protagonisten werden gekonnt und nuanciert vorgetragen, sodass es eine Freude ist, ihnen zu Folgen. Benjamin Berger als Anatol und Samuel Braun als Max sind – Unterhemden tragend – im Zwiegespräch einander stets zugewandt und berühren sich bald nicht mehr nur noch freundschaftlich und intellektuell. Das anziehende Paar wird ergänzt durch weibliche Widerparts, die von Johanna Falckner und Julia Keiling mal einfältig, mal selbstbewusst, aber stets elegant verführerisch dargestellt werden. Eine sehr sehenswerte, kurzweilige Inszenierung, die leider nicht alle sieben Szenen des Zyklusses zeigt, in der die jungen Darsteller jedoch den Geist von Schnitzlers Zyklus gekonnt vermitteln. Zudem ist es hier gelungen einem über hundert Jahre alten Stück auch musikalisch eine neue prickelnde Note zu geben. So gibt es immer wieder auch instrumental und gesanglich rockige Zwischenspiele der Figuren und zuletzt klingt gar der eindringlich zarte Refrain einer bearbeiteten Version von Roxettes „Listen to your heart“ lange nach.
Diese Premierenkritik wurde auf Kultura Extra erstveröffentlicht.
ANATOL (Werkstatt – Theater Bonn, 14.09.2014)
Regie: Sebastian Schug
Bühne, Kostüme: Christian Kiehl
Musik: Johannes Winde
Dramaturgie: David Schliesing
Besetzung: Benjamin Berger (Anatol), Samuel Braun (Max), Johanna Falckner (Cora/ Gabriele), Julia Keiling (Else/ Annette)
Premiere war am 14. September 2014
Weitere Termine: 17., 30.9./ 2., 22.10.2014 jeweils ab 20 Uhr
Weitere Infos siehe auch auf der Homepage des Theater Bonn.
Bildrechte © Fotos: Thilo Beu
RT @bundesstadt: Hypochonder der Liebe – #Anatol nach #ArthurSchnitzler @Theater_Bonn Melancholischer Reigen voller Sehnsucht: http://t.co/…
RT @bundesstadt: Hypochonder der Liebe – #Anatol nach #ArthurSchnitzler @Theater_Bonn Melancholischer Reigen voller Sehnsucht: http://t.co/…
RT @bundesstadt: Hypochonder der Liebe – #Anatol nach #ArthurSchnitzler @Theater_Bonn Melancholischer Reigen voller Sehnsucht: http://t.co/…