Der stellvertretende Präsident des Europäischen Parlamentes Alexander Graf Lambsdorff ist FDP-Direktkandidat für Bonn und plant den Einzug in den Bundestag. Zuvor hatten wir noch die Gelegenheit, ihn zu einem ausführlichen Interview zu treffen.
Herr Lambsdorff, sie pendeln zwischen drei schönen Städten, die mit B anfangen: Brüssel, Bonn und Berlin. Welchen Charakter haben die Städte für Sie persönlich und was zeichnet diese Städte für sie aus?
Bonn ist Heimat – ich bin hier groß geworden. Für mich ist Bonn eine überschaubare Stadt, sie hat auch viele Vorteile einer großen Stadt. Deswegen hat Bonn an Lebensqualität vielen anderen Städten etwas voraus.
Brüssel ist für mich die Europastadt schlechthin. Es ist nach London die internationalste Stadt in Europa. Multilingual, multikulturell, unglaublich spannend, viele engagierte Menschen, die am Projekt Europa arbeiten – im Grunde wie eine große Baustelle. Darüber hinaus ist Brüssel natürlich als Stadt selber kulturell sehr spannend.
Und Berlin ist für mich Abenteuer. Es wird politisch ein Abenteuer, wenn wir als FDP zurückkommen in den Bundestag, die Stadt selber ist noch immer im Umbruch. Vielleicht die unfertigste von allen drei Städten, aber eine Stadt mit riesigen Problemen. Die hat Brüssel natürlich auch. Bonn, Brüssel und Berlin – das sind Heimat, Europa und Abenteuer.
Wie viel Bonn steckt eigentlich in Brüssel?
Mehr als man denkt. Einfach durch die personelle Verbindung: Bonn hat mit mir und Axel Voss von der Union zwei Europaabgeordnete aus einer Stadt, das ist nicht so oft der Fall. Viele Beamte aus den Ministerien fahren aus Bonn regelmäßig nach Brüssel. Und zum Karneval kommen Prinz und Bonna vorbei, also es gibt schon einiges. Aber es wäre vermessen zu behaupten, dass Bonn in Brüssel ein prägender Faktor wäre.
Ist Berlin prägender?
Nein… jein. Berlin ist weit weg von Brüssel und deshalb abgehängt von vielen europapolitischen Debatten. Man ist in Berlin so isoliert, weit weg im Osten und spürt daher nicht, was in Rom, in Paris, was in Amsterdam, was in Den Haag gedacht wird. Dieses „selbstverständlich am Wochenende mal nach Holland ans Meer fahren“, das gibt‘s da einfach nicht.
Und insofern ist Berlin weniger prägend. Aber natürlich ist Berlin die Hauptstadt des größten Mitgliedstaats der Europäischen Union. Und die Art und Weise, wie dort gedacht und Politik gemacht wird, ist in den Prozessen sehr präsent – und das ist nicht immer zum Besten.
Was kann denn Bonn von anderen internationalen Städten noch lernen? Es gibt ja die Ambition einer der wichtigsten Player im internationalen Feld sein – siehe jetzt die COP 23, die nach Bonn kommt.
Was man lernen kann und muss, ist Englisch – das muss überall komplett selbstverständlich da sein, zumindest als Option. Wenn ich in Bonn irgendwo rumlaufe und sehe Schilder nur auf Deutsch, dann ist das schon ein Problem.
Die FDP hat sich in Sachen Digitalisierung jetzt klar positioniert und möchte diesbezüglich als Vorreiter wahrgenommen werden. Was plant Ihre Partei, um Bonn digitaler zu machen, sowohl lokal als auch global?
Bei der Bundestagswahl reden wir ja über die Steuerungsmöglichkeiten, die die Bundesebene hat. Und da ist es so, dass wir – und das hat natürlich einen lokalen Bezug – kritisiert haben, dass man der Telekom das Vectoring der Kupferkabel hat durchgehen lassen. Wir glauben, dass wir Glasfaser überall brauchen, auch im ländlichen Raum. Und das muss finanziert werden, teilweise muss es auch öffentlich unterstützt werden.
Hier vor Ort wäre es schön, wenn die Stadt ein Angebot machen würde für Startup-Unternehmer. Auch für Schulen wären bessere Internetanbindungen gut, dazu Lehrerinnen und Lehrer, die mit Methodik und Didaktik im digitalen Zeitalter zurechtkommen.
Digitalisierung ist nicht nur Thema für Experten oder für Technikfreaks. Im Gegenteil hat es bildungspolitische Aspekte und strukturpolitische Aspekte: „Hänge ich den ländlichen Raum ab?“ Es hat sozialpolitische Aspekte: „Erhöhe ich den Druck durch Zuzug in die Städte auf Mieten und Immobilienpreise?“ Wenn der ländliche Raum angeschlossen ist, wird der Druck weniger – da steigen die Mieten nicht so schnell. Und es hat natürlich auch wirtschaftspolitische Aspekte, weil viel Unternehmen viel bessere Datendurchsatzraten brauchen, die sie im Moment einfach nicht haben.
Plädieren Sie dementsprechend für ein Internetministerium oder ein Digitalministerium, wo all diese Kompetenzen und auch diese Querschnitts-Fragen gebündelt werden?
Die FDP ist dafür. Ich persönlich könnte mir auch ein Digitalkabinett vorstellen. Aber es muss jemand machen, der es wirklich will.
Was würde ein Digitalkabinett denn bedeuten?
Digitalkabinett hieße: Unter Federführung der Bundeskanzlerin würden sich die zuständigen Minister regelmäßig treffen. Die haben dann ein ständiges Sekretariat – das müsste dann tatsächlich im Hauptministerium angesiedelt sein. Dieses ständige Sekretariat würde geführt von dem Staatssekretär, der mit den Staatssekretären der anderen Häuser die Ministersitzungen mit der Kanzlerin vorbereitet, damit die Sache auf der wirklich höchsten Ebene gesteuert wird.
Der Grund ist Folgender: Wir leben in Deutschland immer noch von Branchen und Industrien, deren Haupterfindungsschübe 100 bis 120 Jahre zurückliegen: Automobile, Anlagenbau, Chemie und so weiter. Das sind die Wurzeln unseres momentanen Wohlstands in Deutschland. In 30 bis 40 Jahren wird unser Wohlstand anders erwirtschaftet und dann spielen Aspekte wie Daten, Datendurchsatzraten, Programmieren, Coding oder Plattformwirtschaft die dominante Rolle. Das heißt, wir müssen jetzt die Weichen für die Zukunft stellen. Das, was da in den letzten vier Jahren von CDU und SPD in Berlin verschlafen worden ist, ist wirklich unglaublich.
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Die FDP war in den letzten Jahren nicht gerade berühmt für die Themen Digitalisierung und Bildung. Nun die Plakate mit dem Slogan: „Digitalisierung first, Bedenken second“. Wo genau auf dem Spannungsfeld zwischen Persönlichkeitsrechten und wirtschaftlichen Interessen positioniert sich die FDP?
Wir denken grundsätzlich vom einzelnen Menschen her. Der einzelne Mensch hat nach unserer Überzeugung ein Recht auf eine Privatsphäre, in die niemand ohne seine Zustimmung eindringen darf. Das gilt für den Staat und das gilt für Unternehmen.
Das Recht auf Vergessenwerden ist für uns ein ganz wichtiger Grundsatz. Auch das Recht auf Löschung und nicht nur Sperren von Accounts, sondern wirklich das Löschen aller dahinter liegenden Daten ist etwas, was wir gegen Konzerne durchsetzen wollen. Das ist für uns überhaupt nicht verhandelbar, denn da kommt unser Menschenbild her. Der einzelne Mensch hat ein Recht auf seinen privaten, geschützten Raum.
Also ist die FDP auch gegen Vorratsdatenspeicherung?
Sicher, strikt. Immer schon gewesen.
Wird sich auch dafür einsetzen, dass dieses Gesetz im neuen Bundestag wieder gekippt wird?
Ja sicher, klar. Für uns ist Vorratsdatenspeicherung eine Freiheitseinschränkung, von der wir wissen, dass sie keinen Sicherheitsgewinn bringt.
Zur Freiwilligkeit: Kriegen die Leute das denn bewusst mit, dass Ihre Daten erfasst werden? Facebook, Google und Apple tracken jede Bewegung auf jeder Website. Deutsche Unternehmen dürfen das nicht in diesem Umfang legal praktizieren. Dazu kommt noch das Chaos auf der europäischen Ebene, da jedes Land noch mal eigene Gesetze hat, Stichpunkt neue Datenschutz-Grundverordnung.
Die Datenschutz-Grundverordnung macht den Versuch, die alte Verordnung von 1996 auf das digitale Zeitalter anzuwenden und bewegt sich in diesem Spannungsfeld zwischen den Rechten des Einzelnen und den Bedürfnissen der Wirtschaft, die objektiv da sind. Es geht ja nicht nur um die Datengiganten selber. Ebenso geht es um ganz normale, mittelständische Betriebe, wie Maschinenbauer oder Brauereien, die sammeln auch die Daten – jedes Unternehmen optimiert seine Prozesse und seine Produkte nach Datenauswertung. Eine Verteufelung lehne ich daher ganz klar ab.
Aber die Sache mit der Freiwilligkeit: Wenn Facebook diese Daten alle sammelt für Marketingaktivitäten und ich beschließe, ich will von Facebook nichts mehr wissen, dann ist das der Punkt, an dem ich sage: Sie haben die vielleicht die letzten Monate getrackt, aber wenn ich meinen Account lösche, habe ich keinen Kontakt mehr zu dem Unternehmen. Und das ist der Punkt: Dieses Recht muss jeder Bürger haben.
Trotz Abmeldung kann Facebook aus den Daten der Personen um mich herum genügend Informationen ziehen, um letztendlich ihre Schlussfolgerungen auf mich zu erlauben. Ein Beispiel: Marketing-Leute, die bei Facebook Events bewerben, können E-Mail-Adressen auf Facebook hochladen,
diese werden dann mit den bestehenden Daten in Verbindung gebracht. Dann kann der Eventveranstalter Werbung für die Person machen, die woanders ihre E-Mail-Adresse preisgegeben hat. Und sie wird niemals erfahren, dass der Veranstalter die E-Mail-Adresse hochgeladen hat.
Wenn mir Werbung geschaltet wird auf meine eigene E-Mail-Adresse …
… kann ich nicht nachvollziehen warum das passiert.
Aber irgendjemandem muss ich diese Adresse vorher gegeben haben.
Die Werbung taucht auf Facebook auf, wird aber mit der E-Mail-Adresse verglichen, die bei Facebook hinterlegt ist.
Aber irgendjemand muss sie ja an Facebook gegeben haben, um dieses Matching zu machen. Dieser Jemand muss meine Einwilligung haben.
Hat er aber nicht.
Dann ist es ein Rechtsbruch.
Das ist aber Alltag.
Falschparken ist auch Alltag. Wir reden hier über Rechtsverstöße. Ich muss dieser Person, die diese E-Mail-Adresse hochlädt bei Facebook, diese Adresse irgendwann gegeben haben – verbunden mit der Einwilligung, sie für Marketingzwecke zu benutzen. Habe ich das nicht getan, macht diese Person sich eines Rechtsbruchs schuldig. Es wird mit den Daten im kommerziellen Bereich Missbrauch betrieben.
Facebook kann auch ohne E-Mail-Adresse viel von Ihnen wissen, ohne dass Facebook Sie kennt – einfach durch Querverbindungen zu Ihren Freunden. Ist das auch datenschutzrechtlich bedenklich? Oder gilt hier: „Digital first, Bedenken second“?
„Digital first, Bedenken second“ heißt ja nicht „Digital first und keine Bedenken“. In der FDP haben wir mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Gerhart Rudolf Baum oder Nadja Hirsch eine ganze Reihe von Leuten, deren Motiv, in die FDP einzutreten, wirklich dieser Schutz der Privatsphäre war.
In Deutschland gibt es eine Statistik, die zeigt, dass gerade die Gebildeten wenig Social Media nutzen. Was wir erleben, ist, dass eine Minderheit besonders laut wird und eben auch ihre Lautsprecher in den sozialen Medien findet.
Da bildet Social Media das reale Leben ab: Minderheiten sind immer laut.
Aber wäre es dann nicht die Verantwortung der Gebildeten und der wirtschaftlich Starken, in die sozialen Medien reinzugehen und dagegenzuhalten mit Gegenmeinungen, anstatt Dinge einfach laufen zu lassen? Wir beobachten, dass gerade diese Leute das Internet ausschalten und dann sagen: „Ich gucke da nicht mehr hin“, anstatt nein zu sagen.
Gut, das sind dann auch Leute wie ich. Ich bin kein Digital Native, habe meinen ersten Rechner mit 23 bekommen. Aber wir, die wir in der Politik aktiv sind – das gilt jetzt insbesondere für Ulrich Kelber und mich, weil wir von den Kandidaten in Bonn am Aktivsten im Netz sind – wir versuchen das ja.
Diese Lautstärke von Minderheiten gilt ja auch für die FDP: Christian Lindner ist sehr laut. Er ist nach der AfD wahrscheinlich der aktivste Social Media-Nutzer aus den Parteien.
Die Parteien als Organisationen machen das alle. Die Grünen haben 50% ihres Wahlkampfbudgets für Social-Media-Aktivitäten verwendet. Die Linkspartei macht’s, die SPD macht’s.
Zum Abschluss noch eine nicht ganz ernst gemeinte Frage: Christian Lindner hat jetzt auf Twitter und im Netz mit „Thermi-Lindner“ viel Sichtbarkeit bekommen. Mit welchem Küchengerät würden Sie gerne als Meme durchstarten?
Ui, da muss ich jetzt mal im Geist die Küchengeräte durchgehen, die ich zu Hause habe… Die Steakpfanne! Ich habe mal zum Geburtstag eine wunderbare, gusseiserne Pfanne geschenkt bekommen. Die ist unglaublich schwer, aber super und macht exzellentes Steak. Also Steak-Lambsdorff wäre okay.
Oder Pfannen-Alex. Vielen Dank für Ihre Zeit und das sehr aufschlussreiche Gespräch!
Das Interview führten Sascha Foerster und Johannes Mirus.
[…] Quelle: https://bundesstadt.com/diskussion/interview-alexander-graf-lambsdorff/ […]
[…] und konsequenter Verfolgung von Rechtsbrüchen durchaus gut zusammen passen, erklärte schon Alexander Graf Lambsdorff in einem Interview. Zum weiteren Verständnis ist es hilfreich, den Zusammenhang von Digitalisierung und Daten […]