Die Liebe zum eigenen Auto ein Hindernis der Weiterentwicklung – Katja Dörner im Interview

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Ab 2030 keine Verbrennungsmotoren und keine Kohlekraftwerke mehr – dies fordert Katja Dörner, die in Bonn für die Grünen wirbt. (Foto: Foto-AG Gymnasium Melle, CC BY 3.0)

Katja Dörner ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 2013 stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Am 18. September stand Sie Bonn.digital für einige Fragen zu Kommunal-, Landes- und Bundespolitik bereit.

Frau Dörner, Sie treten im Bundestagswahlkampf für die Grünen an – wofür steht die Partei insbesondere dieses Jahr?

Die Grünen stehen natürlich insbesondere für Klimaschutz. Klar, wir sind die Grünen – die Klimakrise ist eine der ganz zentralen Herausforderungen. Und wir stehen auch insbesondere für den Bereich soziale Gerechtigkeit. Aber natürlich stehen wir auch für andere Zukunftsthemen wie beispielsweise Digitalisierung – ein Thema, das zumindest im Bonner Wahlkampf eine große Rolle gespielt hat. Vielleicht ist es nicht immer auf der Bundesebene zu erkennen, aber meine lieben Kolleginnen und Kollegen und ich sind ja in vielen Schulen unterwegs. Und da ist es eigentlich eines der Top-Themen.

Zum Klima: Wir haben einen twitternden US-Präsidenten, der den Klimawandel mehr oder weniger verleugnet. Wir sehen Hurricanes, die ganz andere Qualitäten haben als sonst. Eigentlich meint man die Folgen des Klimawandels immer deutlicher zu spüren. Aber die Grünen kriegen deswegen trotzdem nicht wirklich Wind unter den Flügeln. Woran liegt das?

Ich denke, dass das etwas damit zu tun hat, dass es noch nicht so ganz unmittelbar erfahrbar ist. Viele politische Themen betreffen einen unmittelbar und gehen sozusagen „übers Herz“. Und der Klimakrise nähern wir uns immer noch eher rational. Wir sehen, was in den USA passiert und bringen das eventuell sogar mit der Klimakrise und den Veränderungen in Verbindung, aber das auch darauf zu übertragen, was das für uns bedeutet, funktioniert – glaube ich – noch nicht so gut.
Und deshalb sehe ich auch gerade als unsere Aufgabe an, im Bundestagswahlkampf dieses Thema ganz nach vorne zu bringen.
Also ich habe ja hier in Bonn ein Wahlplakat mit dem Spruch „Wir haben diese Erde von unseren Kindern nur geborgt“. Es ist ganz interessant, weil ich da super viel Feedback zu bekomme – ganz viel Negatives so wie ganz viel Positives.
Ich habe da einen etwas komplexeren Spruch gewählt als meine Kollegen und Kolleginnen ;-). Ich habe versucht einen Spruch zu nehmen, der zwar zugegebenermaßen alt ist, aber aus meiner Sicht eine ganz hohe Aktualität hat. Und ich versuche immer dieses Thema – Bekämpfung der Klimakrise – damit auch in den Wahlkampf zu holen.
Und wir haben ja zum Glück nicht nur einen twitternden US-Präsidenten, sondern wir haben einen seiner Vorgänger, der den schönen Spruch gesagt hat: „Wir sind die erste Generation, die was vom Klimawandel merkt und die Letzte, die was dagegen tun kann.“
Und dass wir wahrscheinlich wirklich die Letzten sind, die noch etwas dagegen tun können, das müssen wir noch viel stärker unterstreichen.

Ulrich Kelber positioniert sich innerhalb der SPD, insbesondere in NRW, als der Umweltpolitiker unter den Kohle-SPDlern. Greift er damit nicht auch eines ihrer Alleinstellungsmerkmal ab? Wenn nun Leute grüne Politik wählen wollen, können Sie Ulrich Kelber wählen oder Sie…

Naja, also dass Uli Kelber aus der Umweltbewegung kommt und sich auch immer viel für Energiepolitik engagiert hat, ist sicherlich richtig. Ich kann jetzt aber nicht wirklich erkennen, wo er in den letzten vier Jahren als Mitglied dieser Bundesregierung aktiv etwas für den Klimaschutz nach vorne gebracht hat.  Wir kritisieren Trump zwar immer dafür, dass er das Pariser Abkommen gekündigt hat. Die Bundesrepublik hat das zwar ratifiziert – das ist ja sozusagen auch das Minimum – aber sie hat keine konkreten Maßnahmen hinterlegt, die wirklich dazu führen würden, dass wir die Ziele, die wir selber vereinbart haben, auch tatsächlich erreichen können.
Beispielsweise ist der CO2-Ausstoß der Bundesrepublik zwischen 2009 und 2017 überhaupt nicht zurückgegangen. Deshalb glaube ich, müssen sämtliche Mitglieder der Bundesregierung sich fragen, ob sie da genug getan haben in den letzten Jahren.

Für die Grünen sind Elektroautos nicht das „einzig Seligmachende“ – Katja Dörner zeigt sich technologieoffen. (Foto: MikesPhotos, CC 0)

Es hat sehr lange gedauert, die deutsche Automobilindustrie dazu zu bewegen, Elektroautos herzustellen. Auf der anderen Seite besteht ja auch der Zweifel, ob Elektroautos wirklich so umweltfreundlich sind, wie es versprochen wird. Wo stehen die Grünen beim Thema Elektromobilität?

Es sind sicherlich noch nicht alle Fragen geklärt – aber beispielsweise die Frage der seltenen Erden stellt sich viel intensiver mit Blick auf mobile Endgeräte als auf die Batterien in Elektroautos. Ich denke schon, dass die Elektromobilität ein ganz wichtiges Segment ist, aber wir als Grüne sagen nicht „die Elektromobilität ist das einzig Seligmachende“. Wir sind da technologieoffen. Wir sagen ab 2030 Uhr sollen keine Verbrennungsmotoren mehr zugelassen werden, aber es gibt ja auch noch eine Reihe von anderen Möglichkeiten, die in der Entwicklung und in der Forschung sind, wie Wasserstoffantriebe und andere Technologien. Wenn man sich aber die Entwicklung im europäischen Ausland und in Japan und den USA anschaut, dann sieht man, dass die anderen großen „Auto-Nationen“ sehr stark auf Elektromobilität setzen und wir da wirklich krass hinterher sind. Und ich finde, diese ganze Frage hat mindestens zwei Dimensionen: Die eine ist die Frage von Umweltpolitik/Gesundheitspolitik und die andere ist eine industriepolitische, wirtschaftspolitische Frage. Wenn wir sehen, wie die Nachfrage nach deutschen Automobilmarken in den letzten Monaten eingebrochen ist, dann muss man sich mit Blick auf hunderttausende Arbeitsplätze in Deutschland wirklich Sorgen machen.
Und deshalb halte ich auch diese sehr klare, etwas signalhafte Ansage, ab 2030 keine Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen, für absolut wichtig und richtig. Und das auch aus einer wirtschafts- und industriepolitischen Perspektive. Die Grünen sind nun wirklich nicht bekannt als Fans der Automobilindustrie, aber es ist wichtig, dass wir diese hunderttausenden Arbeitsplätze auch im Land behalten und das werden wir sicher nicht tun, wenn wir bei diesen Zukunftsfragen weiter am Verbrennungsmotor festhalten.
Die Frage von Individualverkehr ist für uns Grüne aber nur ein Thema – die Investitionen in ÖPNV sind ebenfalls total wichtig und natürlich wollen wir auch eine fahrradfreundliche Kommune sein – beispielsweise die Frage, in Radschnellwege zu investieren, da kann der Bund schon etwas machen. Das ist auch für die Verbindung zwischen Rhein-Sieg-Kreis und Bonn eine total attraktive Geschichte, aber im Bundeshaushalt gibt’s halt ganz wenig Geld dafür.

Schnittstelle zur Digitalisierung: einerseits Jobs und Industrie erhalten, andererseits wird die Automobilindustrie von einem Startup gejagt, z.B. von Tesla. Gibt es irgendwie Ansätze einer grünen Startup-Förderung, um neue Arbeitsplätze zu schaffen in nachhaltigen, grünen Wirtschaften?

Wir schlagen beispielsweise einen Gründungskredit für Solo-Selbständige vor. Der soll bei 25000 Euro liegen und wir wollen beispielsweise auch für die ersten zwei, drei Jahre nach der Gründung deutlich Bürokratie und Berichtspflichten aussetzen, um Gründung gerade im Startup-Bereich besonders attraktiv zu machen. Was ich aber auch wichtig finde ist, dass wir mehr Möglichkeiten für eine gute soziale Absicherung von Solo-Selbstständigen schaffen. Heute ist ja beispielsweise der Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung oder auch zur Rentenversicherung sehr hoch.
Ich habe im letzten Herbst eine Gründerinnen-Tour durch Bonn gemacht und das war einer der Punkte, den die Leute am Häufigsten erzählt haben: dass sie eigentlich eine gute Beratung haben, dass es auch möglich ist, sich gut zu vernetzen. Aber die Frage, sich auch zu versichern, sie sehr schwierig, solange man noch kein adäquates Einkommen hat.
Und deshalb schlagen wir vor, dass es möglich ist, sich beispielsweise in der gesetzlichen Krankenversicherung zu versichern und das zu einem Tarif, der nicht dem heutigen Mindesttarif entspricht und wo der Arbeitgeberanteil zumindest übergangsweise vom Staat übernommen wird.

Gründerinnen haben sie gerade angesprochen und davon gibt’s ja noch sehr wenige. Und wenn man dann noch mal zwei Schritte weiter schaut findet man beim Thema Investorinnen schon fast gar keine mehr.
Was können die Grünen da in Sachen Diversität und Gleichberechtigung tun?

Ich denke es gibt schon sehr viele Gründerinnen, jedoch vielleicht nicht in dem Bereich, den man so klassisch mit Start-Ups verbindet. Aber im sozialen Bereich und auch im Text-Bereich gibt es sehr viele Gründerinnen. Ich glaube an der Stelle ist es wirklich wichtig, Vernetzung unter Frauen, Mentoring-Programme zwischen erfolgreichen Gründerinnen und Frauen, die sich selbstständig machen wollen, noch stärker zu fördern.

Ist es nicht auch wichtig, dass gerade in der Digitalbranche mehr Frauen vertreten sind,
weil die wiederum Technologie mit einem anderen Blickwinkel erschließen und andere Bedürfnisse erkennen können als Männer?

Das würde ich auf alle Fälle unterschreiben. Das haben wir ja nicht nur in dem Bereich, sondern im ganzen MINT-Bereich. Dabei wäre diese Ausgeglichenheit vielversprechender – alle internationalen Studien zeigen ja: je diverser ein Team zusammengestellt ist, desto erfolgreicher und desto weniger krisenanfällig ist es. Aber man kann nicht immer alles mit der Quote regeln.

Woran liegt es denn, dass Frauen sich in der Technologie nicht so zu Hause fühlen? Ist es irgendwie das Bild des Nerds oder fehlen die Vorbilder in dem Bereich?

Ich finde es immer interessant zu sehen, dass bis zu einem bestimmten Alter das Geschlecht in solchen Fragen kaum eine Rolle spielt. Noch in der Grundschule sind Jungs und Mädchen ja völlig gleichermaßen an Experimenten und einer naturwissenschaftlichen Herangehensweise interessiert. Erst in der weiterführenden Schule kommt dann ein Gap. Woran das genau liegt, wage ich auch nicht zu sagen. Ich glaube, was man in dem Alter als Mädchen tatsächlich braucht ist eine besondere Ansprache. Es gibt auch in Bonn weiterführende Schulen, die in der Mittelstufe in bestimmten Unterrichtsfächern auch geschlechtergetrennten Unterricht gemacht. Das ist gilt als bisschen oldschool und ist umstritten, aber es führt tatsächlich dazu, dass die Mädchen deutlich lieber Mathe, Physik und Chemie machen.
Und das lässt die Vermutzung zu, dass es schon damit zusammenhängt, dass in gemeinsamen Klassen die Mädchen sich von den Jungs in diesen Fragen vielleicht auch ein bisschen untergebuttert fühlen. Deshalb muss man pädagogisch, auch auf eine geschlechtergerechte Ansprache in diesen Feldern achten.
Wovon ich ja sowieso überzeugt bin ist, ganz früh damit anzufangen, Spaß am Forschen und am Experimentieren zu vermitteln.

Was wollen denn die Grünen generell noch in Sachen Bildung unternehmen die nächsten Jahre?

Was den Bildungsbereich angeht, finde ich es beispielsweise schon mal sehr wichtig, dass man die Kita auch verstärkt als Bildungsbereich sieht.
Wir haben in vielen Bundesländern eine ganz schlechte Fachkraft-Kind-Relation in den Gruppen. Deshalb sagen wir: wir wollen auf Bundesebene diesbezüglich einen Mindeststandard festschreiben, um damit die Qualität zu steigern.
In der schulischen Bildung hat der Bund ja aktuell so gut wie gar keine Eingriffsmöglichkeiten oder Einflussmöglichkeiten und wir sind weiterhin der Meinung, dass man unbedingt dieses unsägliche Kooperationsverbot, das es seit 2007 im Grundgesetz gibt, abschaffen sollte. Selbst wenn der Bund mit den Bundesländern gemeinsam ein gutes Programm auflegen wollen würde, dann würde er das gar nicht dürfen, was ja total absurd ist. Beispielsweise hat die rot-grüne Bundesregierung vor 2005 ein Vier-Milliarden Programm für den Ganztagsschule-Ausbau aufgelegt.
Alle offenen Ganztagsgrundschulen in Bonn sind räumlich dafür ausgestattet worden, sonst hätten die Kommunen das niemals hingekriegt. Und so ein Programm dürfte man heute gar nicht mehr machen. Aber das finden wir total absurd, deshalb würden wir dieses Kooperations-Verbot gerne wieder abschaffen.

Auf Bundesebene einen Fachkraft-Mindeststandard einführen, um die Fachkraft-Kind-Relation zu verbessern – so Katja Dörners Forderung im Bereich Bildung.
(Foto: StockSnap, CC 0)

Und es zeigt sich übrigens auch mit Blick auf Digitalisierung: die Bildungsministerin hat ja großartig einen Digitalpakt von 5 Milliarden Euro für die Schulen angekündigt. Sie hat auch überall schon suggeriert, dass es das so schon gäbe – der Finanzminister hat aber noch keinen Cent dafür lockergemacht. Das zweite Problem ist, dass wir in unserem Grundgesetz jetzt ziemlich verzweifelt nach einem Anker suchen müssen, um dieses Geld überhaupt von hinten durch die Brust ins Auge an die Schulen zu geben.
Und wenn wir dieses blödsinnige Kooperationsverbot nicht hätten, könnten wir einfach ein ganz vernünftiges Bundesprogramm machen, die Länder könnten das an die Schulen weitergeben und wir hätten dieses Problem gar nicht. So einen Digitalpakt finden wir übrigens auch wichtig – und die ganze Frage von Breitbandausbau ist natürlich auch für die Schule zentral. Wir legen den Schwerpunkt auf den Breitbandausbau in den nächsten Jahren. Wenn man sich anschaut, wie krass wir da in den letzten Jahren ins Hintertreffen gekommen sind, dann kann mir auch keiner aus der großen Koalition erzählen, dass Digitalisierung irgendwie eine größere Rolle gespielt hätte in den letzten Jahren. Da muss jetzt wirklich richtig Butter bei die Fische – und übrigens auch insbesondere für den ländlichen Raum.

Die Grünen galten doch mal eine Zeit lang als Vorreiter in Sachen Digitalpolitik und hatten sich da auch selber aufgestellt als digitale Partei. Das scheint nun nicht mehr so – die FDP scheint das Thema hingegen für sich entdeckt zu haben, die nun förmlich die „Beta Republik Deutschland“ ausruft.

Zwischen Dinge ankündigen und Dinge umsetzen liegen schon noch ziemlich große Welten. Ich finde, die Bundesregierung hat in den letzten Jahren viel zu wenig in dem Bereich gemacht. Und wir waren im Bundestag von den Oppositionsparteien auf alle Fälle die, die im Bereich Digitalisierung überhaupt Vorschläge gemacht und Themen gesetzt haben – übrigens in ganz vielen unterschiedlichen Bereichen, wie Gesundheitspolitik beispielsweise, die ja auch von den Möglichkeiten der Digitalisierung komplett umgekrempelt wird. Da haben wir als Grüne eigentlich die am weitesten gehenden Vorschläge gemacht. Übrigens nicht nur mit Blick auf das, was alles möglich ist, sondern tatsächlich auch mit Blick darauf, welche Sicherheitsstandards man in dem Bereich braucht. Das FDP-Plakat „Digital first, Bedenken second“ beispielsweise mag vielleicht peppig rüberkommen, ist aber für konkrete Politik total unterkomplex. Ich würde weiterhin sagen „erst denken, dann sprechen“.

Ist es auf eine gewisse Art und Weise vielleicht nachhaltiger wenn ich per Online-Shopping Ware bestelle? Dann kriege ich die Sachen immerhin nach Hause geliefert von einem Auto, das vielleicht sogar schon elektrisch fährt. Das wird alles durch irgendwelche hocheffiziente Lager sofort zu mir gefahren und nicht erst über Zwischenhändler. Und ich fahre dann nicht mit meinem Diesel-Wagen in die Innenstadt, um es abzuholen.
Müssten die Grünen nicht eigentlich für den Onlinehandel sein? Sind sie das oder nicht?

Wir schreiben jedenfalls niemanden vor, wo man seine Waren einzukaufen hat. Ich glaube, das ist ein Bild von den Grünen, das sich manchmal irgendwie transportiert, obwohl es gar keinen realen Hintergrund hat. Es ist natürlich schon die Frage von Attraktivität von Innenstädten, aber man sieht ja beispielsweise auch in Bonn, dass eine attraktive Innenstadt sehr wohl gewahrt werden kann, mit unterschiedlichen Angeboten und, dass das Ganz auch gut mit Onlineshopping einhergehen kann. Also, ich sehe jetzt gar nicht so stark ein Gegeneinander dieser Punkte. Am ehesten kritisch sind für mich die Arbeitsbedingungen – mit Blick auf die Menschen, die Waren ausliefern oder in den Verpackungsstationen arbeiten. Solche Bedenken muss man aber bei Beschäftigen im Einzelhandel der Innenstadt auch haben. In vielen Bereichen liegt es ja auf der Hand, dass es online viel effizienter ist – der Punkt e-Government zum Beispiel: was man sich alles an Behördengängen sparen könnte, wenn man das einfach selbst im Internet machen könnte – und die Möglichkeiten dazu gibt es ja mittlerweile. Also was man da wirklich an nerviger Zeit sparen könnte, da sehe ich überhaupt nicht die Bedenken.

Wie schaffen es die Grünen jetzt nochmal wirklich sichtbar zu werden?

In den nächsten Jahren muss der Schalter an vielen Stellen umgelegt werden.
Im Bereich Flüchtlinge beispielsweise: wir werden auf jeder Podiumsdiskussion hier in Bonn gefragt, wie wir Fluchtursachen bekämpfen können. Ich finde, dann müssen wir erstmal aufhören, selber eine Fluchtursache zu sein. Und das ist schon eine Rolle, die die Grünen im Parteienspektrum haben, die großen Dinge eben auch zusammenzudenken. Also nicht nur zu überlegen, wie schaffen wir es, dass nicht mehr so viele Menschen im Mittelmeer ertrinken, sondern auch keine Kleinwaffen mehr zu exportieren, eine fairere Landwirtschaft zu haben, die es den Bauern in Afrika ermöglicht auch bei sich vor Ort noch genug zu erwirtschaften. Und ich glaube, wenn das mit der Klimakrise so weitergeht, werden wir noch viel mehr Klimaflüchtlinge auch haben. Das sehe ich wirklich als eine Rolle der Grünen auch in den nächsten Jahren – die großen Stränge wieder mehr in den Fokus zu stellen und immer mehr deutlich zu machen, dass diese Dinge auch miteinander zusammenhängen und, dass es auf komplexe Fragen in einer komplexen Welt nicht immer die eine einfache Antwort gibt. Und wenn uns das gelingt, dann haben wir auf alle Fälle Ideen, um uns sehr gut im politischen Feld zu behaupten.

Zum Abschluss nochmal ein paar typisch grüne Fragen: wollen die Grünen sofort aus der Kohlekraft aussteigen?

Bis 2030 Uhr komplett raus und in den nächsten vier Jahren die 20 dreckigsten Kraftwerke abschalten, das ist der Plan, ja.

Und dann kriegen wir überall Stromtrassen?

An einigen Stellen brauchen wir tatsächlich zusätzliche Stromtrassen, darum werden wir nicht herumkommen. Übrigens auch, wenn wir die ganzen Ladestationen haben wollen, die wir für die Elektromobilität auch dringend brauchen.

Wie stehen Sie zum Thema Sharing Economy, beispielsweise mit Bezug zu Carsharing? Verhindert die Liebe zum Besitz nicht eine viel effizientere Nutzung von Autos?

Hier habe ich auch das Gefühl, dass unheimlich viel in Bewegung kommt und ich glaube auch tatsächlich, dass sich „der Deutsche mit seiner Liebe zum eigenen Auto“ kulturell extrem wandeln muss, aber auch wandeln wird. Diese kulturelle Frage finde ich mit Blick auf Verkehrswende und Digitalisierung im Verkehrsbereich auch extrem spannend. Es wird die Zeit kommen, dass es viel praktischer und bequemer ist, mir per App jederzeit ein Auto vor die Haustür zu bestellen – dazu braucht man auch keinen Parkplatz mehr. Ich denke, dass das so attraktiv sein wird, dass wir uns da kulturell weiterentwickeln.

Und wenn dann die Mobilität nicht abnimmt, sondern weil sie so bequem und einfach ist, jeder um zum Briefkasten zu kommen ins Auto steigt – und der Verkehr insgesamt weiter zunimmt?

Gegen diese These spricht, dass heute Leute sowieso schon mit ihrem Dieselfahrzeug zum Briefkasten fahren – leider. Ich kann nur sagen, dass die Studien, die ich kenne, davon ausgehen, dass es zu einer Reduzierung des Verkehrsaufkommens im Individualverkehr rechnen.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Sascha Foerster.

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