Kostenloser Nahverkehr – Was wir übersehen

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Nachdem vor einigen Tagen die Nachricht verbreitet wurde, in Bonn werde der Nahverkehr bald kostenlos sein – genau betrachtet war dies eher eine grundsätzliche Idee auf politischer Ebene – wird jetzt in den Leserbriefen des General Anzeigers wieder kräftig hin und her spekuliert, was das bedeuten könne, warum das gut oder schlecht sei und was es stattdessen viel eher bräuchte.

Dabei ist der Versuch, die Stadt Bonn (singulär ohne Betrachtung des Umlandes) dadurch vom Individualverkehr zu befreien, dass man den ÖPNV kostenlos gestaltet, bereits ein Fehlkonzept. Es wird dabei impliziert, dass es einen Zusammenhang gäbe zwischen dem Preis des ÖPNV und der Menge an KFZ in der Stadt. Dem ist aber mit Sicherheit nicht so. Die Dinge sind, wie immer, deutlich komplizierter und nicht ein einer einfachen kausalen Abhängigkeit darzustellen.

Mein Auto und ich

Natürlich ist der Preis für den ÖPNV immer eines der ersten Argumente für die Nutzung des eigenen PKW. Selbst dieses Argument ist – das weiss jeder KFZ-Besitzer – aber bereits Humbug. Ich kann ganz einfach nicht für knapp 3 Euro von Bad Godesberg mit dem Auto in die Bonner Innenstadt fahren, parken und mit 3 Euro den Rückweg bestreiten. Das geht in der Gesamtkostensicht schlichtweg nicht. Aber der angeblich so hohe Preis ist auch nicht das wirklich Argument der meisten Autofahrer; im Grunde geht es ganz einfach um die individuelle Bequemlichkeit.

Der Einzelne will nicht von einem Ort abhängig sein, an dem er zu- und aussteigen kann. Man will sich nicht mit anderen einen engen Platz in einem Bus oder einer Bahn teilen. Man wünscht sich zeitlich ungebunden zu sein und will auch mal spontan einen Umweg machen können. Die IHK in ihrer ewigen Förderungsrede für den individuellen Verkehr bestätigt regelmäßig, dass die Attraktivität der Innenstadt leide, wenn die Kunden nicht im Grunde bis vor die Läden mit dem eigenen Wagen fahren könnten.

Wir reden hier also nicht über Preis, sondern über eine individuelle Grundeinstellung des Komforts. Selbst wenn der Nahverkehr kostenfrei wäre, würden dem bequemen Autofahrer andere Gründe einfallen, warum er das eigene KFZ bemühen muss. Und, um das klar zu sagen, jedes der o.g. Argumente muss man respektieren. Jeder muss für sich selber entscheiden dürfen.

Nicht die Einzellösung nutzt, sondern ein Konzept

An dieser Stelle muss einfach wieder der Hinweis kommen, dass es der Stadt Bonn schlichtweg an einem sinnigen Zukunftskonzept für den Stadtverkehr fehlt. Das hören wir ja auch nicht zum ersten Mal. Wir haben einfach in Summe keinen Plan, was wir für unsere Stadt eigentlich wollen? Mehr Auto, weniger Auto, mehr Fahrrad, weniger Fahrrad…? Es gibt keinen Plan. Ohne einen solchen Plan macht aber selbst der Versuch eines Null-Euro-ÖPNV keinen Sinn, weil das Konzept nur solange tragen würde, wie jemand anderes dafür bezahlt. sobald Bonn selber für das System verantwortlich wäre, wäre man wieder planlos.

Überhaupt kann man nicht durch Förderung anderer Verkehrsmittel Wirkung erzielen, sondern lediglich dadurch, dass man das Autofahren in der Stadt so unangenehm wie möglich macht. Durch Streichung von Parkflächen und die Erhöhung von Parkgebühren an anderer Stelle könnte man schon einen interessanten Anreiz schaffen, eben nicht das Auto zu nehmen, weil es sich vor Ort als lästig erweist. Der exklusive Ausweis ganzer Fahrspuren für Busse und Fahrräder führt deutlich vor Augen, dass die Wahl des eigenen KFZ eine blöde war, wenn man selber im Stau steckt und die anderen einfach an einem vorbei rauschen. Man muss den Autofahrern das Leben schwer machen, will man eine geringere Belastung der Innenstadt durch Autos erreichen.

Leidensfähig

Wie stur sich viele Autofahrer selbst bei solchen Maßnahmen verhalten, zeigt der Versuch der Stadt London, über massive Innenstadtgebühren den Individualverkehr aus der Stadt herauszuhalten. Die Menschen bezahlen jährlich Unsummen, um sich dann wieder in das Verkehrschaos zu stellen. Sie haben sich das als deutlich leidensfähiger (und -bereiter) erwiesen, als die Experten das je vermutet hätten.

Wenn man also will, dass in unseren Innenstädten weniger Lärm und weniger Umweltgifte umherwabern, dann muss man die Leidensfähigkeit der automobilen Gesellschaft herausfordern. Dafür haben wir (noch) keinen politischen Konsens, weil die deutsche Politik die Auseinandersetzung mit Automobilherstellern und -nutzern gleichermaßen scheut.

3 Kommentare

  1. In dem Zusammenhang finde ich die Pro-Contra-Argumentation für den kostenfreien ÖPNV aus der letzten „Zeit“ interessant: http://www.zeit.de/2018/08/oepnv-verbesserung-luftverschmutzung-gratis-pro-contra

    Es gibt Argumente aus anderen Städten, wo kostenfreier ÖPNV ein Gewinn für alle war. Und es gibt Städte, da hat das gar nicht funktioniert. Vermutlich werden wir es speziell für Bonn nicht erfahren, ohne es auszuprobieren.

    Ich gebe aber zu bedenken, dass ein großer Teil des Bonner Verkehrs mit den Pendlern zusammenhängt, die von außerhalb der Stadt kommen oder dorthin möchten. Denen nutzt kostenloser ÖPNV in Bonn nur innerhalb der Stadtgrenzen. Park-and-ride-Plätze fehlen und die Bahnen z.B. zwischen Köln und Bonn sind zu Stoßzeiten nicht gerade eine Freude. Wenn also kostenfrei, dann muss auch in die ÖPNV-Infrastruktur massiv investiert werden.

  2. Ich, als Heavy-ÖPNV-User, würde mich natürlich über dieses Konzept sehr freuen. Ich sehe aber auch die Schwächen in der Zielsetzung. Komfort ist hier das Stichwort, denn niemand quetscht sich gerne in volle Busse und Bahnen (vor allem im Sommer), wenn man auch einfach mit dem eigenen Auto fahren kann. Da passen dann auch ganz einfach die eigenen Einkäufe ein, man hat seine Lieblingsmusik und kann mehrere Personen mitnehmen.
    Meiner Meinung nach müsste man den ÖPNV stabilisieren und damit attraktiver gestalten. Dazu zählt beispielsweise eine höhere Taktung, wodurch auch das Problem der überfüllten Busse geregelt werden könnte. Separate Busspuren wären auch eine gute Idee, denn so würden diese nicht mehr im regulären Stau stehen und es gäbe keine Verspätungen mehr. Am Ende des Tages ist der Kunde glücklich und vielleicht lässt er dann das Auto auch häufiger stehen.

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