Nach den „Fantastischen Vier“ jetzt „Freundeskreis“ auf dem Kunstrasen Bonn. Die beiden wohl besten deutschsprachigen Hip-Hop Bands jetzt, 2018, wieder hier, live.

Ein Revival. Die beiden wegweisenden Alben: „Quadratur des Kreises“ und „Esperanto“ mit Hits wie „ANNA“ liegen schon über 20 Jahre zurück. Das merkt man der Musik, der Band und dem Publikum kaum an. Live ist die Band weiterhin „so cool, so herrlich oldschool“ (Zitat aus dem letzten Album „FK10“, veröffentlicht 2007).

Über 300.000 Albumverkäufe für „Esperanto“, das war auch 1997 schon beachtlich (heute fast unmöglich). Die Familie funktioniert noch: mit Don Phillipo und DJ Friction, den Kumpels aus seiner Stuttgarter Kolchose feiert Max Herre ab. Im Hintergrund kurz stimmungsvolle Videos aus gemeinsamen Urlauben am Meer.

Eine volle Bühne

Viele großartige Musiker auf der großen Bühne: Zwei Mal Drums, Keyboarder, DJ, Bass, Gitarre, fünf Sänger usw. Volles Programm. Keine Marionetten hier, jeder hat etwas zu tun und trägt zum Gelingen des Ganzen (Konzertes) bei. Schon von Anfang an: Fetter, gut strukturierter Sound.

Die beiden Köpfe der Band natürlich: Max Herre und Joy Denalane. Glücklicherweise wieder ein offensichtlich harmonisches Paar, nach vielen Jahren Trennungen und Wiedervereinigungen. Komisch, dass einem das nahe geht, wo man die Leute doch gar nicht persönlich kennt…

Freundeskreis Live in Bonn. Foto: Sebastian Derix

Beide haben auf der Bühne (und wohl auch im Leben) zu ihrer individuellen Rolle gefunden: Joy, die wunderbare, soulvolle, energiegeladene, intonationssichere und ausdrucksstarke Sängerin. Und Max, der Rap-Poet, der es wie vielleicht sonst nur noch Udo Lindenberg versteht (ich weiß, ganz anderes Genre) die deutsche Sprache in griffige, sinnstiftende Reime zu gießen und daraus einen Hit zu machen. Beide bei einigen Stücken: Hand in Hand und gleichberechtigt (z.B.:„Mit dir steht die Zeit still“).

Oft jedoch auch respektvoll hintereinander, einzeln. Damit jeder von beiden ausdrücken kann: Sas bin „ich“ und eben doch nicht immer nur „Freundeskreis“.

Nachdem Max Herre in der Zeitschrift „Bravo“ als „Jesus von Benztown“ bezeichnet wurde, hatte er über Jahre lang „die Schnauze voll“. Probleme „mit der Erwartungshaltung des Publikums umzugehen“ (Interview 2012 mit laut.de). Lange Pause, gemeinsame Kinder und erfolgreiche individuelle Soloprojekte der beiden. Auch schön. Aber so zusammen doch noch schöner.

Kombination der Einzelkräfte

Die Soloausflüge der beiden über die Jahre tun dem gemeinsamen Projekt auf der Bühne gut. Wechselnde Foci, unterschiedliche Persönlichkeiten, Vielfalt. Die meisten guten Bands sind ja auch keine Projekte eines einzelnen, sondern gewinnen durch Gegensätze (Simon–Garfunkel, Lennon–Mcartney, Emerson–Lake usw.). Hier ergibt sich eine Qualität, die mehr ist als die nur die Kombination der einzelnen Kräfte. Nur manchmal heute live ein paar kleine Spitzen, die den künstlerischen und persönlichen Abgrenzungsprozess widerspiegeln, z.B. Joy: „Du kannst nie ein guter Rapper werden, wenn du den Soul nicht liebst.“ War das vielleicht doch ein bisschen in Richtung Max?

Deutsche Sprache kann gut klingen, kann grooven – toll. Dies zeichnet eine gute Band und eine gute Familie aus, dass jeder weiß, was er tut und was seine Stärken sind. Alle auf der Bühne in Banduniform: Dunkelblaue Kombinationen, etwas wie chinesische Arbeitsuniformen, schlicht, aber schön. Optisch auch Ausdruck der „Kolchose“: Stuttgarter Kollektiv von Musikern, Schriftstellern und bildenden Künstlern.

Freundeskreis und Max Herre stehen für „sauberen“ sogenannten „Conscious“ Rap: In den Lyrics kommt nicht wie sonst oft zehn Mal das Wort „fuck“ vor, keine „bitches“ (ich war letzte Woche noch in Los Angeles auf einem Konzert), keine „Battle“-Kultur. Sondern Poesie, Sichtweisen, persönliches, ein harmonisches Miteinander der Menschen und Kulturen. Das ganze nicht langweilig, sondern cool. Schön, aber selten.

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Freundeskreis (Foto: Borys Bommel)

Tipps für den Kunstrasen

Hier ein Tipp für alle zukünftigen Kunstrasen-Konzerte: Stellt euch möglichst in die Mitte, in der Achse zwischen Bühne und Mischpult. Hier ist der Sound am rundesten und am transparentesten. Dies ist hier noch wichtiger als bei anderen Konzerten, da mit Rücksicht auf die Nachbarschaft die Mischung relativ leise sein muss. Außerhalb der Lautsprecherabstrahlung wird es dann schneller dünn.

Thema Monitore und Videoscreens: Hier nicht ablenkend, sondern konstruktiv. Eine Bühnenkamera filmt Details von den Musikern und projiziert sie auf die Leinwände. Keine Distraktion, sondern Fokussierung. So soll man es machen (siehe meine Kritik an den Videoleinwänden bei den vorangehenden Konzertkritiken).

Ich war heute auf ein Einzelkonzert von „Freundeskreis“ eingestellt. Eigentlich sind es jetzt doch eher drei Konzerte: Max Herre, Joy Denalane und eben glücklicherweise doch dann wieder zusammen: Freundeskreis. Gerne immer wieder, schade, wenn es wieder 20 Jahre gären müsste. Hoffentlich doch früher, kontinuierlicher, weiter, neuer, ohne größere Auszeiten, denn: „Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte“ und: „Halt dich an deiner Liebe fest!“

Gastautor Johannes Kuchta ist ein Bonner Songwriter und Musikproduzent. Neben seinem Hauptberuf als Neurochirurg betreibt er das Tonstudio und Label “Phonosphere“.

Ein aktuelles Interview mit ihm gibt es hier: www.rheinexklusiv.de/parallele-welten-johannes-kuchta/

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