Foto: Sebastian Derix
Fo­to: Se­bas­ti­an Derix

Bin ich der Ein­zi­ge, der die Lie­der (noch) nicht mit­sin­gen kann? Sa­rah Con­nor hat kei­ne Zu­hö­rer. Sa­rah Con­nor hat Fans. Sa­rah Con­nor: Don­ners­tag, den 21. Ju­li in Bonn auf dem Kunst!Rasen, out­doors. Meh­re­re Tau­send sind ge­kom­men, war­ten. Zu­nächst sieht al­les nach Re­gen und Ge­wit­ter aus. Di­cke Wol­ken, der Bo­den mat­schig, nicht so mat­schig wie in Wood­stock, aber trotz­dem. Kein Sonntagswetter.

Ich war vor­ein­ge­nom­men. Kann­te ei­ni­ge der äl­te­ren eng­li­schen Songs. Kann­te die Co­ver­ver­sio­nen die sie bei „Sing my Song“ per­formt hat­te. Tol­le Stim­me, für ei­ne Deut­sche, dach­te ich. Main­stream eben. Nicht so mei­ne Mu­sik, aber gut ge­macht. Jetzt ste­he ich hier mit den tau­sen­den an­de­ren auf der Fes­ti­val­wie­se und las­se mich über­zeu­gen. Ja, es ist Main­stream. Ja, es ist ein ge­mein­sa­mer Nen­ner für den Durchschnittshörer.

Ja, bei den Songs wird nicht die Mu­sik­ge­schich­te neu ge­schrie­ben. Es sind meist nur die er­war­te­ten paar Ak­kor­de und ein Sound, den man schon von an­ders­wo ir­gend­wie ge­hört hat. Al­les ver­traut. Aber ir­gend­wie kommt doch mehr her­über, als be­fürch­tet. Ich kann die Her­zen mei­ner Nach­barn schla­gen hö­ren. Be­geis­te­rung: Sa­rah ist da, ein Mas­sen­phä­no­men und doch sehr per­sön­lich brei­tet sie ih­re jetzt deut­schen Ge­schich­ten aus.

Al­le Kom­po­nen­ten für ei­ne ge­lun­ge­ne Per­for­mance sind da. Tech­nisch und mu­si­ka­lisch al­les ein­wand­frei, manch­mal hofft man fast auf ei­nen Feh­ler, auf ei­nen kur­zen in­di­vi­du­el­len Aus­bruch, auf ei­nen klei­nen in­spi­rie­ren­den, ir­ri­tie­ren­den Fun­ken. Aber die Jungs und Mä­dels sind mit dem deutsch­spra­chi­gen Pro­gramm „Mut­ter­spra­che“ ja nun schon ein paar Mo­na­te zu­sam­men unterwegs.

Zei­ten, in de­nen das Song­ma­te­ri­al ge­reift ist. Zei­ten, in de­nen je­de Be­we­gung des über al­le Zwei­fel er­ha­be­nen Back­ground­cho­res syn­chro­ni­siert und ab­ge­stimmt er­scheint. Na­tür­lich ist noch et­was „pseu­do“ da, wie es sich für ein Rock­kon­zert ge­hört: das Brat­gi­tar­ren Po­sing, statt Feu­er­zeu­gen wer­den jetzt halt die Han­dys her­aus­ge­holt und der Platz ist in der be­gin­nen­den Dun­kel­heit von den Lich­tern des Pu­bli­kums er­hellt. Sa­rah spielt mit der Tech­nik, spricht über ih­re Face­book Pos­tings, holt Zu­schau­er für ein Sel­fie auf die Büh­ne und be­müht sich im­mer zu zei­gen: ich bin ei­ne von euch. Die meis­ten glau­ben das.

Foto: Sebastian Derix
Fo­to: Se­bas­ti­an Derix

Aber noch­mal von vor­ne. Als ich vor ge­fühl­ten zwan­zig Jah­ren „From Sa­rah wi­th love“ hör­te, dach­te ich nicht an ein deut­sches Ge­sicht, son­dern eher an ei­nen in­ter­na­tio­na­len Su­per­star, an die Mu­sik für ei­nen neu­en Bond Film. Das war kei­ne Pro­vinzmu­cke. Sa­rah kann jetzt bei­des: na­tio­nal und in­ter­na­tio­nal, eng­lisch und deutsch. Ei­ne Ent­wick­lung, die sie in Süd­afri­ka (lin­ke Hand hält Xa­vier Na­idoo, rech­te Hand hält Gre­gor Meyle…) ge­nom­men hat.

Wenn die Mu­sik der letz­ten zwan­zig Jah­re ei­nes ge­lernt hat, dann ist es, weg­zu­kom­men von Kli­schees und Rol­len­spie­len und hin zu per­sön­li­chen Ge­schich­ten und Gesichtern.

Zwar selbst­ver­ständ­lich un­ter Zu­hil­fe­nah­me von viel Tech­nik, aber nicht als Selbst­zweck. Et­was ei­ge­nes im Zu­hö­rer her­vor­ru­fen, Er­in­ne­run­gen er­zeu­gen, Ge­füh­le zu er­zeu­gen, heiss und kalt. Ja, das kann sie, die Sa­rah. Mit al­len Registern.

Ein gu­ter Song bleibt auch ein gu­ter Song, wenn er nur auf ei­nem Kamm ge­bla­sen wird. Wahr­schein­lich, wä­ren die Leu­te ge­blie­ben, und hät­ten das Geld für ih­re Kar­ten nicht zu­rück­ver­langt, wenn die klei­ne Sa­rah ih­re Songs auch ganz al­lei­ne a ca­pel­la auf ei­nem Ho­cker sit­zend per­formt hätte.

Be­ein­druckt bin ich, wie text­si­cher die vor­wie­gend weib­li­chen Zu­schau­er im Al­ter von 8- 80  sind. Ja, es sind Mitsing- Schla­ger da­bei, aber nicht zu platt. Ei­ne gro­ße Run­de um ein elek­tri­sches La­ger­feu­er. Ge­füh­le die je­der kennt, nichts exo­ti­sches. Aber das ist ok so.

Die Ge­füh­le wir­ken echt. Das ist die Haupt­sa­che. Echt, ob­wohl die Show sehr eng durch­ge­tak­tet ist. Die Band be­nutzt teil­wei­se ei­nen lan­gen Lauf­steg zum Pu­bli­kum hin. Plötz­lich steht dort ein Kla­vier (nicht ein Key­board, son­dern ein rich­ti­ges schwe­res, wie man es nicht so oft sieht). Der Gi­tar­rist geht plötz­lich zehn Me­ter nach vor­ne, setzt sich auf ei­nen vor­her nicht da­ge­we­se­nen Ho­cker und hat wie von Zau­ber­hand nach 10 Se­kun­den von schwarz ge­klei­de­ten Stage­hands ei­ne per­fekt ge­stimm­te Gi­tar­re in den Händen.

Foto: Sebastian Derix
Fo­to: Se­bas­ti­an Derix

Da sieht man: die ma­chen das nicht zum ers­ten Mal.Überhaupt mu­si­ka­lisch: wenn man die­sen Mu­sik­stil mag (und es mö­gen die meis­ten), kann man da kaum et­was bes­ser ma­chen. Drums hin­ter ei­ner Ple­xi­glas­schei­be akus­tisch ab­ge­schirmt und da­mit sau­ber do­sier­bar zu ei­ni­gen vor­ab ge­sam­pel­ten Beats. Man ist ja ver­wöhnt, und die Songs dür­fen nicht schlech­ter klin­gen als auf den Studioaufnahmen.

Le­ben ein­ge­haucht, durch den wun­der­bar groo­vi­gen Per­cus­sio­nis­ten, der aber auch weiß, wann man dann für drei Stü­cke auch mal nur ein Tam­bu­rin spie­len muss. Der Gi­tar­rist Thors­ten Goods, der zwar mit sei­nem ak­tu­el­len Schnaut­z­bart wie ein Steu­er­be­am­ter aus­sieht, aber dem vor­han­de­nen be­grenz­ten Ak­kord­ma­te­ri­al ei­ne über­ra­gen­de Mu­si­ka­li­tät ein­hau­chen kann. Mu­si­ka­lisch in je­der Fa­ser, auch ein gu­ter Sän­ger, ne­ben­bei. Das kann man nicht bes­ser spie­len. Es kann ja nicht je­der aus­se­hen wie Jon­ny Depp (der zwei­te Gi­tar­rist sieht aus wie Jon­ny Depp).

Und na­tür­lich Sa­rah: sie ist wie sie ist. Tol­le Stim­me, tol­le Fi­gur trotz fort­ge­schrit­te­ner Schwan­ger­schaft, tol­le Fri­sur, tol­le Per­for­mance, und wie ich wi­der er­war­ten jetzt lei­der ge­schla­gen auch zu­ge­ben muss: tol­le Songs.

Ei­ge­ne, Frem­de. Das Mi­cha­el Jack­son Co­ver „Working day and night“ so um­ge­deu­tet und neu ge­spielt, als wä­re es ein ei­ge­nes Stück. Den ei­ge­nen Hit „From Sa­rah wi­th Love“ so ge­spielt, als wä­re es ein Jahr­hun­dert­hit von ei­nem Welt­star. Viel­leicht ist er das ja auch. Ich bin je­den­falls be­kehrt und wer­de mir mor­gen al­les auf CD noch ein­mal anhören.

(Text: Jo­han­nes Kuchta)

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