Es ist kurz vor der Sommerpause. Einige sehenswerte Theaterstücke, wie etwa Das Floß der Medusa nach Georg Kaiser hatten bereits ihren letzten Vorhang. Beim Kehrauskonzert am 17. Juni hoffen jedoch der eine oder die andere musikalische Highlights aus bereits vergangenen Produktionen erneut genießen zu können.

Das Theater Bonn trauert um Operndirektor Andreas K. W. Meyer, der mit 64 Jahren am 8. April 2023 überraschend an einem Herzversagen verstarb. Er prägte seit der Spielzeit 2013/14 als Dramaturg das Opernprogramm der Spielpläne am Theater Bonn. Er soll bereits die Produktionen für viele kommende Spielzeiten an der Bonner Oper geplant haben. Mit der Reihe Fokus 33 – Forschungsreise zum Verschwinden und Verbleiben widmete er sich an der Oper Bonn Wiederaufführungen von in Vergessenheit geratenen Werken, wie etwa Giacomo Meyerbeers Ein Feldlager in Schlesien (1844) oder auch:

Der singende Teufel von Franz Schreker, letzte Vorführung am 16. Juni im Bonner Opernhaus

Julia Burbach inszeniert den vertrackten Vierakter, der in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts entstand, mit großem Ensemble, aufwendigen Bühnenbildern und Kostümen. Das 1928 uraufgeführte religionsphilosophische Künstler- und Beziehungsdrama des jüdischen Komponisten handelt nicht von Luzifer, wie der Titel andeutet, sondern von einer Riesenorgel. Die Geschichte dreht sich um einen mittelalterlichen Widerstreit zwischen Heiden- und Christentum in Deutschland.

Orgelbauer und angehender Mönch Amandus verliebt sich in die Heidin Lilian. Sie soll jedoch an einen Mann verheiratet werden, der die Heiden im Kampf gegen die Christen anführen soll. Amandus hofft auf eine Besänftigung der Konflikte durch die Klänge einer neu gebauten Orgel.

Das Werk handelt von der Macht der Musik, religiösen Glauben und Bekehrung. Der Chor der Heiden trägt helle und bunte wehende Gewänder, ausufernde Kopfbedeckungen und Masken. Die Christen bewegen sich geordneter in dunkleren Kostümen. Die Heiden feiern anfangs ein Sonnwendfest in einer ästhetisch eindrücklichen Eislandschaft.

Dshamilja Kaiser mimt die unnahbare Heidenpriesterin Alardis, Ankünderin der Sonnwendfeier, präsent und stimmlich souverän. Als ihr Counterpart gibt Tobias Schabel einen herrischen, kaltherzigen und fanatischen Pater Kaleidos mit kraftvoll durchdringendem Bass. Pavel Kudinov ist als aufdringlich polternder, zügellos dem Alkohol frönender Ritter Sinbrand mit lässigem Charme ein Publikumsliebling. Mirko Roschkowski spielt den Amandus innerlich zweifelnd mit kraftvoll geschmeidig bewegter Tenorstimme. Nuanciert ist auch der konturenreiche Sopran von Anne-Fleur Werner in der Rolle der Lillian.

Für besondere Dramatik sorgen die leidenschaftlich raumgreifenden, großen Chorszenen. Choreographisch bereichert werden diese durch eine von Cameron McMillan und Mar Rodriguez Valverde geleitete sechsköpfige Tanzgruppe. Ein brennendes Wagenrad und eine brennende Strohpuppe bleiben als Effekte der Vorführung in Erinnerung.

Der kontrastreich expressive Opernabend ist nicht zuletzt geprägt durch die Intensität des farbigen, um Dissonanzen nicht verlegenen Klangs des Beethoven Orchesters Bonn.

Die lustige Witwe von Franz Lehár am Bonner Opernhaus

Aron Stiehl inszeniert Franz Lehárs wohl berühmteste Operette von 1905 mit temperamentvollen Figuren zeitlos-elegant durchchoreographiert vor stilvollen Bühnenambiente. Annäherungsversuche, amouröse Verwicklungen, beschwingt-frivole Melodien und Walzerseligkeit lassen die Liebeswirrungen der Pariser Gesellschaft klanglich intensiv erblühen. Das Ensemble ist blendend aufgelegt und meistert die Hit-Melodien von vor über hundert Jahren mitunter mit köstlichen Schmankerln. Die spielfreudigen Tableaus sind klangfarbenreich, werden ausdrucksstark dargeboten und erscheinen schlussendlich kurzweilig vergnüglich.

Highlights des internationalen Tanzes an der Oper Bonn, ab der neuen Spielzeit unter neuer Leitung von Patrick Marín Elbers, selbst ehemaliger Tänzer am Nederlands Dans Theater.

Das tschechische Ballett Národní Divadlo Moravskoslezské unter der Leitung von Ballettirektorin Lenka Drimalová zeigte am 31. Mai und 1. Juni die höchst eindrückliche dreiteilige Choreographie Consequences von Juanjo Arqués. Die präzise Arm- und Beinarbeit der Tänzerinnen und Tänzer begeistert. Den Hauptteil des Abends bildete die temperamentvolle Choreographie Rossini Cards von Mauro Bigonzetti. Das Stück würdigt den gleichnamigen bedeutenden Opernkomponisten Gioachino Rossini (1792-1868). Die Vorführung folgt dem Weg eines Traums voll von momentartigen Situationen und flüchtigen Figuren. In Imaginationen amüsieren sich die Tänzer*innen. Sie schütteln und winden sich oder bewegen sich kurzweilig in miteinander synchronen Abläufen. Kraftvoll rollen Körper in fließenden Bewegungen übereinander. Rossini Ouvertures ist eine Kreation voller starker Bilder, Dynamik und Energie. Die üppige Bewegungssprache betört durch Vitalität, Anmut und erotische Anspielungen.

Die spanische Tanzkompanie It dansa aus Barcelona unter der künstlerischen Leitung von Catherine Allard zeigte am 13. und 14. Juni in Bonn mit siebzehn Tänzerinnen und Tänzern vier verschiedenartige, jedoch allesamt fesselnde Produktionen. Akram Khans Kaash, das den klassischen indischen Tanzstil Kathak mit zeitgenössischem Tanz verbindet, war als letztes und längstes Stück abendlicher Höhepunkt. In Lorena Nogals The Prom gibt es temperamentvolle Slapstick-Momente etwa in der Szene eines Raumpflegers, der ganz virtuos tastend mit einem beweglichen Reinigungsmopp eine Party aufräumt. Dabei wird er von den Partygängern sichtlich aus der Ruhe gebracht.

In Gustavo Ramirez Lo que no se ve erzählen drei teils gleichgeschlechtliche Duos in zarten Hebefiguren von innigen Begegnungen, physischen Distanzen und Verführung. Cayetano Sotos Twenty eight thousand waves experimentiert schließlich effektvoll mit Anregungen aus Modern Dance, Pantomime und Akrobatik. Die Tänzer sind nur mit Röcken bekleidet, die Tänzerinnen tragen Einteiler. Ein mitreißender Abend voll finessenreicher Fantasien.

Weiterhin im Programm:

Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui von Bertolt Brecht am 17. Juni und 5. Oktober im Schauspielhaus Bad Godesberg

Komik und Grausen liegen in dem Drama nahe beieinander. Brecht wollte seinerzeit an den Aufstieg, das Phänomen und die Propaganda Hitlers erinnern. Laura Linnenbaum zeigt in Bonn Brechts parabelhafte Gangsterschau von der verlogen-brutalen Machtergreifung der Nazis ein bisschen verworren und überspitzt, doch temporeich und mit unterhaltsam-eindringlichen Schauwerten.

Zur Besprechung

Pre­mie­ren­ap­plaus für ‚Der Ha­ken‘ von Lutz Hüb­ner und Sa­rah Nemitz am Schau­spiel­haus Bad Go­des­berg | Fo­to (c) as

Der Ha­ken von Lutz Hüb­ner und Sa­rah Nemitz am Thea­ter Bonn, nächs­te Vor­füh­run­gen am 22. Juni im Schauspielhaus

Be­zahl­ba­re Miet­woh­nun­gen in Groß­städ­ten sind rar. Die Not um er­schwing­li­che Mie­ten ver­an­lasst Be­wer­ber mit­un­ter zu krea­ti­ven Ideen, Tak­ti­ken und Ein­fluss­nah­men. Denn An­for­de­run­gen an In­ter­es­sen­ten wer­den mit­un­ter ab­surd. Der Woh­nungs­markt bie­tet so al­ler­lei dra­ma­ti­sches Kon­flikt­po­ten­zi­al. Das Au­toren­duo Sa­rah Nemitz & Lutz Hüb­ner nimmt sich mit sei­nem am Thea­ter Bonn ur­auf­ge­führ­ten Text Der Ha­ken der The­ma­tik vol­ler Si­tua­ti­ons­ko­mik und mit lie­bens­wer­ten Ty­pen an. Zur Be­spre­chung

Pre­mie­ren­ap­plaus für ‚Recht auf Ju­gend‘ am Thea­ter Bonn | Fo­to (c) as

Recht auf Ju­gend von Ar­nolt Bron­nen und Lo­thar Kitt­stein mit Kli­ma­ak­ti­vis­ti der Letz­ten Ge­ne­ra­ti­on am am Thea­ter Bonn, nächs­te Vor­füh­run­g am 23. Juni im Schauspielhaus

Ge­stal­ten in uni­form wei­ßen Schutz­an­zü­gen und Turn­schu­hen rob­ben, win­den und schlän­geln sich am Bo­den. Das ku­bus­ar­ti­ge re­qui­si­ten­lee­re Büh­nen­bild wirkt kalt und ste­ril. Bald zeich­nen sich dunk­le Farb­schat­tie­run­gen an den hel­len Wän­den ab. Im Stück­ver­lauf tropft dunk­le Far­be von der De­cke, und die Büh­ne läuft mehr und mehr mit Far­be voll (Büh­ne: Va­len­tin Bau­meis­ter). Sie­ben Fi­gu­renen skan­die­ren. Vol­ker Löschs In­sze­nie­rung schafft ei­ne ein­drück­li­che und un­ter­halt­sa­me Ver­bin­dung aus Emo­ti­on und In­for­ma­ti­on. Ein an­re­gen­der und auf­grund der fak­ten­rei­chen Text­flut auch et­was er­mü­den­der Thea­ter­abend. Zur Be­spre­chung

Die Glas­me­na­ge­rie von Ten­nes­see Wil­liams am Thea­ter Bonn, nächs­te Vor­füh­run­gen am 3. Oktober in der Werkstatt

Wie ein Sym­bol für ei­ne Ab­gren­zungs­mög­lich­keit wirkt ein brei­tes, fla­ches, dun­kel ge­hal­te­nes Was­ser­be­cken, das die Büh­ne zum Zu­schau­er­raum trennt. In Mat­thi­as Köh­lers Pro­duk­ti­on sind die Tie­re der Glas­me­na­ge­rie un­schein­ba­re Licht­re­fle­xe auf dem Was­ser. Glas er­scheint als Stoff für Träu­me sehr zer­brech­lich. Ein ge­lun­ge­nes Bild: Eben­so schim­mernd wie Glas spie­gelt das Was­ser ein kla­res Ab­bild der Büh­ne oder schim­mern­de Ver­zer­run­gen. Be­rei­chert wird die se­hens­wer­te und sorg­fäl­tig kom­po­nier­te In­sze­nie­rung durch ei­ne nu­an­cier­te Licht­re­gie und sel­ten zu auf­dring­li­che Ton- und Musik-Einspieler u. a. von ver­träum­ten Pop­songs von Co­co­Ro­sie oder La­na Del Rey. Zur Be­spre­chung

Is­tan­bul – Ein Se­zen Ak­su Lie­der­abend im Schau­spiel­haus, nächs­te Vor­stel­lun­gen in Bad Go­des­berg am 12. Oktober. 

Is­tan­bul be­han­delt die Nost­al­gie und den Schmerz des Schick­sals des Wan­der­ar­bei­ters, der sei­ne Hei­mat ver­las­sen hat; nur dass die „Gastarbeiter-Situation“ um­ge­dreht wur­de. Es er­zählt vom fik­ti­ven Schick­sal deut­scher Ar­bei­ter in der be­völ­ke­rungs­reichs­ten Stadt der Tür­kei. Die Me­lan­cho­lie und Stim­mung fängt Ro­land Rie­be­l­ings In­sze­nie­rung auf fa­bel­haf­te Wei­se ein. Melancholisch-bilderreiche Lie­der der tür­ki­schen Sän­ge­rin Se­zen Ak­su wer­den da­bei tem­po­reich von fünf wech­seln­den Ak­teu­ren vor­ge­tra­gen. Ein Abend auf ho­hem, künst­le­ri­schem Ni­veau. Zur Be­spre­chung

Pre­mie­ren­ap­plaus für ‚Mne­mon‘ auf der Werkstatt-Bühne am Thea­ter Bonn | Fo­to (c) as

Mne­mon von Si­mon Sol­berg und En­sem­ble am Thea­ter Bonn, nächs­te Vor­füh­run­gen am 12 Oktober in der Werkstatt

Mne­mon wirft vie­le Fra­gen auf. Das Stück han­delt vom Er­in­nern, Ver­ges­sen, vom Ge­hirn, sei­nen Win­dun­gen und Funk­tio­nen. Der sper­ri­ge Stück­ti­tel er­in­nert an die Mne­mo­nes im an­ti­ken Grie­chen­land. Das Dar­stel­ler­trio, das sich ge­gen­sei­tig mit den rea­len Vor­na­men an­spricht, för­dert als­bald so man­che Soll­bruch­stel­le zu­ta­ge, wird wis­sen­schaft­lich, phi­lo­so­phisch, gym­nas­tisch, im­mer wie­der auch al­bern. Lei­der sind ins­be­son­de­re die vor­ge­tra­ge­nen Wit­ze et­was ab­ge­dro­schen. Zur Be­spre­chung

Li-Tai-Pe von Cle­mens von Fran­cken­stein am 4., 18., 26. November und 3. Dezember am Bonner Opernhaus

Li-Tai-Pe er­zählt von dem gleich­na­mi­gen be­rühm­ten chi­ne­si­schen Dich­ter aus dem 8. Jahr­hun­dert; „Tai-Pe“ steht für den Abend­stern. In­spi­riert wur­de er der Le­gen­de nach zu Trink­lie­dern durch den über­mä­ßi­gen Ge­nuss des Al­ko­hols. In Fran­cken­steins Oper schreibt er für den Kai­ser ein Lie­bes­ge­dicht, wo­mit die­ser er­folg­reich ei­ne schö­ne ko­rea­ni­sche Prin­zes­sin als Braut um­wirbt. Als Li-Tai-Pe von Günst­lin­gen des Kai­sers de­nun­ziert wird, ret­tet ihn ei­ne treu er­ge­be­ne Frau aus dem Vol­ke, Yang-Gui-Fe.

Ab­schluss­ap­plaus für ‚Li-Tai-Pe‘ an der Oper Bonn | Fo­to (c) as

Eng ge­drängt steht der Chor mit­samt Sta­tis­te­rie auf der Büh­ne. Ei­ni­ge üben sich in Chi-Gong-Figuren. Wech­seln­de Kos­tü­me be­die­nen China- Kli­schee­vor­stel­lun­gen. Chi­ne­si­sche Ge­lehr­te, so­ge­nann­te Man­da­ri­ne, len­ken in der Pau­se trip­pelnd mit par­odis­tisch sti­li­sier­ten Fi­gu­ren die Auf­merk­sam­keit des Pu­bli­kums. Ein Sta­tist im Glücksdrache-Kostüm tritt auf, der flugs in ei­nen Vo­gel­kä­fig ge­sperrt wird. Spä­ter trennt und ver­bin­det ei­ne gro­ße Trep­pe den Kai­ser und sein Volk. Die Min­ne­bar­den wer­fen sich de­mü­tig vor ihn auf den Boden.

Fern­öst­li­che Klang­ele­men­te und exo­tisch an­mu­ten­de Har­mo­nien sor­gen für Span­nungs­mo­men­te in der Mu­sik. So­lis­ten, Chor und Or­ches­ter set­zen ins­ge­samt glän­zend Ak­zen­te in der liebevoll-überzeichneten, lei­der et­was lang­at­mi­gen In­sze­nie­rung von Re­gis­seu­rin Adria­na Altaras.

Der Sturm von Wil­liam Shake­speare am Thea­ter Bonn, nächs­te Vor­füh­run­gen am 6., 11., 12., 13., 18. und 19. Dezember im Schauspielhaus

Pre­mie­ren­ap­plaus für ‚Der Sturm‘ am Schau­spiel­haus Bad Go­des­berg | Fo­to (c) as

Wer Fes­seln löst, setzt oft­mals gu­te Geis­ter frei. Wil­liam Shake­speares The Tem­pest be­geis­tert mit ma­gi­schen Ele­men­ten, über­ra­schen­den Zu­fäl­len, ei­ner aus­ge­klü­gel­ten Ra­che­ge­schich­te und ei­ner zen­tra­len Ro­man­ze bis heu­te. Shake­speares ro­man­ti­sche Ko­mö­die wird dynamisch-pointiert cho­reo­gra­phiert. Jan Neu­mann in­sze­niert das Fa­mi­li­en­stück mit lie­be­voll über­zeich­ne­ten Fi­gu­ren und detailreich-ausgefallenen Bil­dern. Zur Be­spre­chung

Al­le Fo­tos vom je­wei­li­gen Ab­schluss­ap­plaus (c) Ans­gar Skoda

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