Liebe Bonnerinnen und Bonn,
wir müssen reden, denn so geht es nicht weiter… wollte ich eigentlich beginnen. Aber da man ja schon in der ersten Stunde eines jeden Kommunikationsseminars lernt, nicht negativ zu starten, wenn man etwas verändern möchte, versuche ich es mal anders. Also…
Liebe Bonnerinnen und Bonner,
wie leben in einer echt tollen Stadt, einer liebenswerten und sehr schönen noch dazu! Sie ist nicht zu groß und nicht zu klein und hat auch kulturell durchaus was zu bieten. Es gibt den wundervollen Rhein, die Rheinauenparks und auch sonst viele Möglichkeiten der Naherholung – das Siebengebirge ist direkt um die Ecke.
Zudem haben wir sogar (noch) sowas wie eine echte Innenstadt mit realen Geschäften. Und wenn in Kürze die Kirschblüte in der Altstadt losgeht, werden wir wieder einmal Gastgeber halb Asiens sein… na ja, zumindest des japanischen und chinesischen Teils dieses Kontinents. Es gibt also eigentlich wenige Gründe, sich zu beschweren… wäre da nicht ein Thema, das mich mehr und mehr genervt und fassungslos zurücklässt: der Verkehrsinfarkt.
Ein Zustand, der schon heute ziemlich unerträglich ist und demnächst durch die Bautätigkeiten an der Nordbrücke und dem Tausendfüßler noch weit unerträglicher werden wird. Ein kleiner Unfall in der Baustelle hinter der Brücke hat zum Beispiel letzten Donnerstag mal wieder (wie eigentlich ständig) einen kleinen Vorgeschmack darauf gegeben, was passieren wird, wenn der Baubetrieb erstmal richtig losgeht: der Verkehr in Bonn ist praktisch komplett zusammengebrochen.
Es gab noch nie wenig Autoverkehr in der Stadt und man muss nicht um den heißen Brei herumreden: Das angebliche Öko-Image der Stadt musste man schon immer etwas mit einem leichten Schmunzeln quittieren. Reuterstraße, Adenauerallee, Oxfordstraße und viele anderen Achsen wurden schon immer von der Blechlawine überrollt und dort ein direkter Anwohner zu sein war schon nicht so lustig, als ich vor vielen Jahren in die Stadt gezogen bin. Das Dumme ist nur: Trotz eines angeblich wachsenden Umweltbewusstseins, trotz all der Debatten um Stickoxide und Feinstaub, konnte ich keine Besserung feststellen in den letzten Jahren, sondern eher genau das Gegenteil: der Autoverkehr nahm stetig zu. Wir fahren schlicht und einfach viel zu viel Auto und verstopfen damit nicht nur die Straßen der Stadt, sondern verpesten damit auch unsere Luft in einem Maße, das nicht mehr tragbar ist. Nicht mehr tragbar für jeden von uns, besonders aber für Kinder und Menschen, die aufgrund von Asthma oder sonstigen Atemwegsbeschwerden weit mehr darunter leiden als der Rest der Bevölkerung.
Und ja, ich zähle mich natürlich selbst zu denen, die diese Luft mit verpesten, bin ich doch leider seit fast zehn Jahren Pendler nach Porz-Wahn und nutze (bzw. nutzte) damit auch täglich das Auto für den Weg zur Arbeit.
Aber es geht auch anders, und davon möchte ich hier einmal berichten. Mein mich immer stärker quälendes Umweltgewissen und – zugegeben – auch die echt ätzende tägliche Steherei in den Staus in und um Bonn haben mich vor fast einem Jahr dazu bewogen, endlich stärker umzudenken und auch aktiv einen anderen Weg auszuprobieren. Es gibt bekanntermaßen durchaus eine ganze Menge guter Lösungen und Alternativen zum Auto. Oft wird das der ÖPNV sein, was aber leider zumindest für meinen Weg zur Arbeit keine Option ist. Ein anderer Weg ist natürlich in der Stadt das Fahrrad, hier genauer gesagt ein Lastenrad als Pedelec. Zum Glück hat mich meine Fahrradhändlerin nachdrücklich für diese Idee begeistern können und damit dafür gesorgt, dass sich mein Leben in Bezug auf Mobilität tatsächlich stark verändert hat.
Nicht nur, dass ich seitdem die ca. 20 Km Entfernung zur Arbeit häufig (Ziel war erstmal mehr als 50% der Tage im Jahr) nun mit dem Pedelec zurücklege. Das liegt natürlich an der elektrischen Unterstützung, da dies die Fahrzeit so deutlich reduziert und ich zudem morgens auch im Sommer nicht duschen muss auf der Arbeit. Dass man dort dann auch wesentlicher frischer, wacher und entspannter ankommt, erwähne ich nur mal nebenbei. Ach ja, und dann ist da noch der riesige Spaß, auf der Nordrücke am Stau einfach vorbeizufahren. Grinsen eingebaut sozusagen…
Noch wesentlich drastischer fiel jedoch meine Verhaltensänderung in der Stadt aus. Die Tatsache, dass ich mich eben nicht nur für ein Pedelec, sondern gleichzeitig für ein Lastenrad entschieden habe, führte dazu, dass ich seitdem praktisch zu 100% auf das Auto innerhalb der Stadt verzichte. Eine große Pflanze oder Blumenerde im Baumarkt kaufen? Kein Problem! Neonröhren oder Gardinenstangen transportieren? Yep! Zeugs zur Müllverbrennungsanlage bringen? Locker! Vom Großeinkauf oder dem Transport von Getränkekisten muss man gar nicht reden. Und das alles ist nicht nur möglich, sondern macht auch noch verdammt viel Spaß und ist man ist meist deutlich schneller als mit dem Auto. Mit etwas gutem Willen kann man sogar eine ganze Fotoausstellung samt dem Transport der großen Bilderrahmen mit so einem Lastenrad stemmen.
Nach fast einem Jahr bin ich noch so begeistert wie am ersten Tag und diese Investition war so ziemlich die beste, die ich in meinem Leben gemacht habe. Natürlich ist so ein Rad nicht billig. Aber die Kosten für Autos und deren Unterhalt sind sicher weit höher. Ich glaube wirklich daran, dass gerade (Pedelec-)Lastenräder die Zukunft der urbanen Mobilität darstellen und unsere Städte damit wirklich sauberer, leiser und viel lebenswerter machen können.
Ich möchte wirklich jedem ans Herz legen, es einmal auszuprobieren. Leiht euch so ein Lastenrad vielleicht mal von Freunden und Bekannten oder bei den üblichen Verdächtigen, die sowas verleihen. Das geht zum Beispiel bei Obi, Knauber und natürlich auch bei Bolle Bonn. Oder geht zu einem unserer örtlichen Fahrradhändler. Dort kann man mindestens eine ausgiebige Runde mit so einem Rad drehen. Manche der Händler haben sogar Testräder da, die man auch länger leihen kann. Ich habe damals fünf Minuten und eine Überquerung der Kennedybrücke gebraucht, um sofort zu wissen, dass ich dieses Rad kaufen werde.
Der Effekt für eine Stadt wie Bonn wäre dabei riesig. Weniger Autoverkehr, weniger Läerm, bessere Luft und viel entspanntere Mitmenschen. :-)
In diesem Sinne,
allen eine gute und sichere Fahrt… vielleicht sieht man sich ja demnächst auf einem Lastenrad!
Peter
P.S. Wenn wir es erstmal geschafft haben, dass sich Räder, Pedelecs und Lastenräder (wieder) mehr durchgesetzt haben in Bonn, dann können wir auch mit einem ganz anderen Druck das Thema „Radinfrastruktur“ angehen. Seitdem ich wieder mehr durch die ganze Stadt inkl. der Umgebung mit dem Lastenrad unterwegs bin, ist mir aufgefallen, wieviel – ähem – Luft nach oben beim Ausbau und der Qualität der Radwege und -spuren da ist. Aber das ist wieder ein anderes Thema… ;-)