Perkussive Energie, zarte Töne und fulminante Wechsel in der Dynamik – Mit Sekt, Spritzkerzen und einem Feuerwerk ließen wir es ausklingen: 2024 war ein großartiges Opernjahr, auch mit Blick über den Tellerrand; so gab es in der Domstadt in der Ausweichspielstätte im Staatenhaus zwei Glanzlichter zu bewundern:
Floris Visser inszenierte im Februar Mozarts Choroper Idomeneo über Kriegstraumata musikalisch ergreifend und mit vieldeutigen Bildern. Im Juni brachte die Oper Köln Ondrej Adámeks Ines in der Regie von Katharina Schmitt zur Uraufführung. Im Endzeit-Szenario einer verstrahlten und kontaminierten Landschaft von Plastiksäcken wirkten O (Orpheus) und E (Eurydike) zu nervösen Rhythmen formvollendet mit flirrenden oder beschwingten Arien aufeinander ein.
Bei nasskalter Tristesse und klirrender Kälte lohnt es sich auch nach dem Jahreswechsel grauen Wintertagen mit lichten Klangmomenten zu begegnen. Atmosphärische Harmonien bleiben auch bei den jüngst zurückliegenden Highlights der Oper Bonn in Erinnerung:
Alcina von Georg Friedrich Händel
Nächste Vorstellungen 18., 25. und 31. Januar im Bonner Opernhaus; am Staatstheater Nürnberg ab dem 27. April 2025
Ihr Verlangen ist unbeugsam, ihr Begehren ohne Unterlass. Mit ihren magischen Fähigkeiten lockt die Zauberin Alcina (Marie Heeschen) mögliche Geliebte auf ihre Insel. Doch sobald ihre Liebhaber sie langweilen, verflucht sie diese bis in alle Ewigkeit.
Georg Friedrich Händels Zauberoper Alcina handelt von Schuld und Sühne, Begehren, Sinnlichkeit und Intimität, verlorener Liebe und dem Verlassenwerden alternder Frauen. Es gibt eine ganze Vielzahl an Liebesverwirrungen. Oronte (Stefan Sbonnik) umgarnt als eifersüchtiger Geliebter seit langem Alcinas Schwester Morgana (Gloria Rehm). Morgana hat sich jedoch in Ricciardo verguckt, der eigentlich Bradamante (Anna Alás i Jove) ist, die ihren Gemahl Ruggiero (Charlotte Quadt) zurückerobern möchte, der Alcina begehrt. Ruggiero ist Alcinas Liebhaber und Favorit und Gefangener eines Liebeszaubers im Reich der Sinne, was durchaus Risiken birgt. Die Zauberin verwandelt abgelegte Männer in Tiere, Bäume oder Steine. Oberto (Nicole Wacker) sucht seinen Vater, der auch bereits verwandelt wurde.
Musikalisch werden emotionale Höhen und Tiefen ausgelotet. Das in zarte oder aufbrausende Klänge gehüllte Liebesbegehren erscheint oft wenig aussichtsreich, wird jedoch auch musikalisch vielschichtig ausdifferenziert und verlagert sich vielfach.
In der 1735 in London uraufgeführten Zauberoper vermischen sich Traum und Wirklichkeit und echte und falsche Gefühle werden kaum unterscheidbar. Jens-Daniel Herzog hat bereits 2014 Händels Rinaldo an der Oper Bonn gezeigt, damals vom Opernhaus Zürich übernommen. Die Koproduktion Alcina ist ab April am Staatstheater Nürnberg zu sehen.
An der Oper Bonn wird das Geschehen von einer mythischen Insel in eine Salon-Atmosphäre der Zwanziger Jahre verlegt. Die drückende Atmosphäre der Zwischenkriegszeit wird von der Gemeinschaft um Alcina in illusionistische Bequemlichkeit und Behaglichkeit überführt.
Gepolsterte Sofas, Lampen und Türen, marmorne Kamine, eine Freitreppe, eine durch Glaswand verdeckte Dusche und hellwarme, güldene Raumtöne erinnern an die 1920er und das Art Déco (Bühne: Mathis Neidhardt). Die Damen sind in elegante und glitzernde Abendkleider gehüllt, die Herren tragen Frack (Ausstattung: Sibylle Gädeke). Bradamante und ihr Begleiter Melisso (Pavel Kudinov) gelangen in dunkler Reisekostümierung bei strömendem Regen in das Reich der Alcina, wenn sich zu beiden Seiten hin Portale öffnen, die bei Bedarf wieder verriegelt werden können. Es wird hemmungslos sich am Champagner berauscht.
Ein zentrales Thema der Oper wurde so deutlich, dass nämlich Projektionen, die man von etwas oder voneinander hat, stets täuschen können und im Übergang begriffen sind. Tanzsuiten mit sechs auftretenden Balletttänzern, choreografiert von Ramses Sigl, übersetzen tänzerisch Stimmungen in Körperlichkeit.
Marie Heeschen mimt die Titelfigur der Alcina wandlungsfähig und stellt ihre Empfindlichkeit heraus. Sie ist mal herrisch, mal mondän, meist kühl und elegant. Sie stürzt dutzende Männer in das Unglück und lässt tiefe Gefühle anklingen, etwa bei ihrer Arie „Ah, mio cor“, die sie agil und stimmlich flexibel mit hell timbrierten, leichten und lichten Sopran vorträgt. Doch Alcinas Bedeutung, ihre Macht und ihr Einfluss schwinden und in ihrer Geltungssucht und gekränkten Eitelkeit reagiert sie höhensicher und stimmlich sehr präsent rasend. Neben der Titelpartie überzeugen insbesondere Charlotte Quadt in der Rolle des Ruggiero und Gloria Rehm als Morgana durch einfühlsam ausbalancierte Sopranstimmen, Feingefühl für Konturen und Linien währen ihrer Arien und temperamentvolle, dramatische Funken schlagende Darbietungen.
Das Ensemble beweist Gestaltungskraft, einen Hang zum Theatralischen und Leidenschaft für das Komödiantische. Blockflötistin und Barockspezialistin Dorothee Oberlinger dirigiert gefühlvoll und spielte selbst gegen Ende Blockflöte. Klangmalereien und Effekte werden lässig oder eindringlich ausformuliert. Das Beethoven Orchester Bonn, in dem nur wenige ausgewiesene Alte-Musik-Spezialisten sitzen, spielte rhythmisch mit expressiver Dynamik.
Tosca von Giacomo Puccini
Nächste Vorstellungen am 19., 24., 26. Januar; 9., 12., 15. März und 3., 11. und 18. Mai 2025
Giacomo Puccini betrachtete die Stimmung in seiner, 1900 in Rom uraufgeführten Oper, als leidenschaftlich, qualvoll und düster. Auch an der Oper Bonn, wo Silvia Gattos Bologneser Inszenierung derzeit gespielt wird, gibt es knisternde Spannungsmomente. Der Name der Titelheldin beinhaltet im Vornamen Floria blühendes Leben. Der Nachname Tosca setzt sich hingegen aus Tocsin – Alarmglocke und „glas“/ „sonner le glas“ zusammen und lässt sich mit „die Totenglocke läuten“ assoziieren.
Die Bonner Inszenierung belässt die Tragödie, in der grausame Folter, Mord, Verrat und Vergewaltigung im Juni 1800 in Rom spielen, im historischen Kontext. Die Besucher hören, wie der Maler Cavaradossi neben der Bühne brutal gefoltert wird. Der Maler hegt republikanische Sympathien und bäumt sich, halbtot nach der Folter noch einmal triumphierend auf, als er von Bonapartes Sieg erfährt. Scarpia, ein tyrannischer, skrupelloser und mächtiger Polizeichef, erpresst Sex von Tosca, die ihren Geliebten Cavaradossi retten möchte. Tosca ersticht Scarpia. Später hofft Tosca, das Leben ihres Geliebten, ihre Selbstbestimmung und ihrer beider Freiheit vor dem Regime retten zu können.
Tosca, eine frei erfundene historische Oper, spielt an real existierenden Orten Roms. Der erste Akt wird in der Kirche Sankt Andrea della Valle, der zweite im Palazzo Farnese, der dritte in der Engelsburg verortet. Das Bühnenbild empfindet mit der Ausstattung vom Teatro Comunale aus Bologna die realen Spielorte mit eher schlichten Requisiten und Projektionen nach. Im ersten Aufzug wird ein Kirchenfenster projiziert. Es gibt ein Madonnengemälde, an dem Cavarodossi arbeitet. Der Angelotti kann sich in einer Seitenkapelle verstecken. Im zweiten Aufzug sehen wir eine Rückwand im Innenbereich des Palazzo Farnese vor schmuckverziertem Mobiliar, das an das 18. Jahrhundert erinnert. Im dritten Aufzug leuchtet ein nächtlicher Sternenhimmel über versetzt liegenden Mauern der Engelsburg.
Neben Yannick Muriel Noah, die bereits unter anderem 2013 und 2017 die Tosca an der Oper Bonn sang, wird die Titelpartie auch von den Sopranistinnen Monica Conesa und Angela Gheorghiu verkörpert. Im zweiten Akt singt Tosca die bekannte Arie „Vissi d’arte“ (italienisch für „Ich lebte für die Kunst). Für die Rolle des Mario Cavaradossi gibt es für die vierzehn Vorstellungen fünf unterschiedliche Besetzungen. Im 3. Akt der Oper singt Toscas Geliebter Cavaradossi „E lucevan le stelle“ (italienisch für: „Und es leuchteten die Sterne“), als er kurz vor seiner Hinrichtung einen Abschiedsbrief an Tosca schreiben darf, der auch zu den Opernklassikern gehört. Der Baron Scarpia wird an der Oper Bonn von Giorgos Kanaris respektive Claudio Otelli verkörpert.
Die Solisten beweisen in intensiven Rollenporträts und klangschönen sowie temperamentvollen Interpretationen ein breites Ausdrucksspektrum. Der Chor und Extrachor am Theater Bonn lässt das Ende des ersten Aktes mit bildhaften Partien monumental erscheinen. In Erinnerung bleibt auch Christopher Jähnig, der seine Figur des Angelotti im ersten Akt eindrucksvoll mit ergreifendem Bass interpretiert.
Eine effektvolle, werkgetreue, konventionelle, nichtsdestotrotz spannende Inszenierung, die mit einer Wucht vokaler und musikalischer Qualität sowie einer präzisen Personenregie aufwartet.
Nessun Dorma! – Eine italienische Operngala
An drei ausverkauften Abenden präsentierte die Oper Bonn mit hervorragenden Solisten Auszüge und Arien aus Opern der italienischen Komponisten Gioachino Rossini, Vincenzo Bellini, Gaetano Donizetti, Giuseppe Verdi, Giacomo Puccini und Pietro Mascagni. Schauspieler Hanno Friedrich moderierte das Programm, trat mal als Statist auf und überraschte am Ende während der Performance eines italienischen Schlagers von Adriano Celentano.
Zu Beginn spielte das Beethoven Orchester Bonn unter der Leitung von Dirk Kraftan voluminös im tutti, farbig und pulsierend die „Sinfonie“ aus Verdis Luisa Miller. Der verschwenderische Orchesterklang geriet suggestiv. Später sang Mezzosopranistin Dshamilja Kaiser geschmeidig „Regina Coeli – Inneggiamo, il signor non è morto“ aus Mascagnis Cavalleria Rusticana, begleitet von einem auf dem Punkt vorbereiteten, harmonisch grundierenden Chor und Extrachor des Bonner Theaters. Anna Princeva modulierte „Un bel di vedremo“ aus Puccinis Madama Butterfly klangschön mit dramatischer Kraft. Die kubanisch-amerikanische Sopranistin Monica Conesa berührte mit der Arie „Casta Diva“ aus Bellinis Norma mit intensiver Diktion und vokaler Innigkeit. Dem italienischen Tenor Stefano la Colla gelang als Kalaf profunde das hervorbrechende „Nessum Dorma“ aus Puccinis Turandot mit einem souveränen Forte.
Nach einer Pause ließ die vereinte Schlagkraft von bestechendem Orchesterklang, ausgewählten Solisten und einem atmosphärischem Chor nicht nach. Sopranistin Katerina von Bennigsen bewegte fein artikuliert und mit natürlicher Strahlkraft bei „O mio babbino caro“ aus Puccinis Gianni Schicci, während Hanno Friedrich an ihrer Seite einen Partner verkörperte. Ioan Hotea akzentuierte mit makelloser Stimme beweglich und verhalten das Beglückende, Erhabene und Tänzerische von „Una furtiva lagrima“ aus Donizettis Elisir d´amore. Das präzise ausgedeutete und bewegliche Sextett „Chi mi frena in tal momento“ aus Donizettis Lucia di Lammermoor war ein weiterer Höhepunkt des Abends. Hingebungsvoll wurde in leichtfüßiger und feinfühliger Musik voller zärtlicher Melancholie geschwelgt.
Alle Fotos vom jeweiligen Abschlussapplaus (c) Ansgar Skoda