Hans Neuhoff wurde 1959 in Bonn geboren. Der Kultursoziologe und Musikwissenschaftler ist seit 2004 Professor für Soziologie und Psychologie der Musik an der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Er wurde 2017 Mitglied der Alternative für Deutschland (AfD), für die er seit 2020 als Stadtverordneter im Rat der Stadt Bonn sitzt. Er kandidiert für den kommenden Bundestag, in den er als Direktkandidat einziehen möchte. Johannes Mirus und Ansgar Skoda trafen ihn online und sprachen mit ihm unter anderem über das Image und die Frauenquote der AfD, Anfeindungen, den Klimawandel, Integrationsfragen und natürlich Bonn.

Bundesstadt.com: Sie sind Professor an der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Die Studierenden haben eine Petition gestartet, in der sie sich von Ihrem Engagement bei der AfD distanzieren, weil sie die Werte der AfD mit den Werten der Hochschule unvereinbar finden. Kritisiert wird unter anderem, dass Sie und die AfD sich für eine deutsche Leitkultur aussprechen. Die Petition fand über 300 Unterstützer. Wie stehen Sie dazu?

Hans Neuhoff: Die Studenten können das tun, wenn sie das wollen. Von der Sache her handelt es sich nicht um eine Petition. Es ist auch nicht klar, wer der Adressat dieser angeblichen Petition sein soll. Die Kölner Hochschule hat zur Zeit etwa 1.600 Studenten, es hat also bestenfalls ein knappes Fünftel unterschrieben. In Wahrheit sind viele Studenten dabei, die längst exmatrikuliert sind, in einigen Fällen seit über zehn Jahren. Ich habe selbst die Personen, die ihren Klarnamen angegeben haben, geprüft. Von denjenigen, die mich aus der Lehre kennen, hat sich kaum einer beteiligt. Sie wissen, dass das, was an allgemeinen Vorwürfen gegen die AfD in Umlauf ist, auf mich in keiner Weise zutrifft.

Bekommen Sie auch sonst als AfD-Kandidat viel Gegenwind?

Wenn Sie für die AfD auftreten, müssen Sie in der Tat eine gewisse Standfestigkeit haben. Denn die Angriffe sind alltäglich und finden auf allen Ebenen statt. Als ich in Bonn das Sprecheramt übernahm, habe ich als erstes bei uns am Haus das Namensschild entfernt, weil ich auch mit Blick auf meine Kinder darauf achten musste, dass hier nichts passiert. Ich habe zwei Kinder im Grundschulalter. Diese sind in der Schule von Mitschülern für meine Tätigkeit bei der AfD kritisiert worden, als bei der Kommunalwahl überall mein Konterfei auf den Plakaten zu sehen war. Auch im Fußballverein wurde mein Siebenjähriger von älteren Jugendlichen beschimpft, weil sein Vater sich für die AfD engagiert. Meine Frau stammt aus Burkina Faso und meine Kinder sind farbig. Es ist völlig abwegig, der AfD als Partei oder gar mir persönlich Ausländerfeindlichkeit vorzuwerfen. Richtig ist, dass sich die AfD gegen die irreguläre Massenzuwanderung stellt. Meine Kinder müssen sich hier für etwas rechtfertigen, für das sie in keiner Weise verantwortlich sind, nämlich das katastrophale Image der AfD.

Woher kommt dieses Image?

Das Image ist im Wesentlichen ein Medienprodukt. Wir sollten uns keine Illusionen darüber machen, dass die Medien eine starke Lenkungswirkung auf die Demokratie ausüben. Ich kann Ihnen das an einem einfachen Beispiel verdeutlichen. Wenn Sie in einem gegebenen Zeitfenster von AfD-Vertretern hundert Aussagen haben, von denen 95 Prozent nicht den geringsten rechtslastigen Inhalt haben und fünf Aussagen haben einen solchen Inhalt, werden von den Medien ausschließlich diese fünf Aussagen gebracht. Hören Sie sich zum Beispiel die Rede des vielgeschmähten Alexander Gauland zum Gedenktag des Überfalls auf die Sowjetunion an. Dort zeigt Gauland ein differenziertes und kritisches Geschichtsbewusstsein, das in keiner Weise übereinstimmt mit den pauschalen Unterstellungen nationalistischer Selbstüberhöhung, die derzeit über die AfD im Umlauf sind. Die Leitmedien haben nichts davon gebracht.

Sind solche Reden nicht Teil des Problems? Viele Vertreter Ihrer Partei möchten die Geschichte abmildern, was die Schuld der Deutschen anbelangt und Revisionismus betreiben. Gerade Herr Gauland sprach ja auch von der NS-Zeit als „Vogelschiss der Geschichte“. Ist es nicht selbstverständlich, dass man, wenn man sich solche Auswüchse ansieht, Parteimitglieder auch in Sippenhaft nimmt?

„Wir haben natürlich eine ganze Reihe von bezahlten Störern und Zersetzern in der Partei.“

Wenn man es so will, kann man es so betreiben. Ich halte es jedoch nicht für verantwortlich im Sinne der politischen Unparteilichkeit. Sie müssen sich auch die Programme der AfD anschauen, die in einem demokratischen Prozess entstehen. Die AfD ist eine Rechtsstaatspartei und hat weder mit rechtsextremen, noch sonstwie mit demokratiefeindlichen Ideologien etwas gemeinsam.

Im AfD-Landesverband Sachsen-Anhalt war Spitzenkandidat Oliver Kirchner Teil der Facebook-Gruppe „Die Patrioten“, in der ein Bild eines Pizzakartons mit dem Foto des von den Nazis ermordeten jüdischen Mädchens Anne Frank kursierte, auf dem „ofenfrisch“ zu lesen war. Wie können Personen, die in rechtsextremen und hetzerischen Gruppen verkehren, Fraktionsvorsitzende bleiben? Warum distanziert sich die AfD nicht klarer von menschenverachtenden Äußerungen und rechtsextremen Gedankengut?

Ich kenne diesen Fall nicht im Einzelnen und weiß nicht, wie Herr Kirchner in diese Gruppe gekommen ist. Ich kenne ansonsten in meiner Partei nur sehr weniges, was explizit distanzierungsbedürftig wäre, der „Vogelschiss“ von Gauland gehört allerdings definitiv dazu. Sie müssen sich im Übrigen darüber im Klaren sein, dass vieles, was in Umlauf gebracht wird, gar nicht von echten AfD-Mitgliedern stammt. Ich bin überzeugt davon, dass wir eine Reihe von bezahlten Störern und Zersetzern in der Partei haben. Teilweise wissen wir, wer das ist, und wir sind auch dabei, diese Leute zu isolieren. Bitte erinnern Sie sich daran, woran das NPD-Verbotsverfahren 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert ist. Der Landesvorsitzende von Nordrhein-Westfalen war ein V-Mann des Verfassungsschutzes und sein Stellvertreter auch!

Herr Neuhoff, wir wollen ja nicht über die NPD reden. Aber die AfD steht ja auch unter Beobachtung des Verfassungsschutzes.

Es wäre vollkommen naiv zu glauben, dass nicht mit denselben Mittel gegen die AfD vorgegangen würde, dass es also in der AfD keine eingeschleusten, bezahlten Zersetzer gibt. Nichts ist im Übrigen einfacher, als bei einer Demonstration jemandem 400 Euro zu geben, damit er hingeht und den Hitlergruß zeigt. Die Fotografen stehen dann schon bereit und hinterher heißt es in den Schlagzeilen, auf AfD-Veranstaltungen wurde der Hitlergruß gezeigt.

Kommen wir zu einem anderen Thema: Die vom Menschen verursachten Emissionen von Treibhausgasen sind die Hauptursache der gegenwärtigen Erderwärmung. Ihre Partei misst Klimaschutz und einer umweltfreundlichen Mobilität im Wahlprogramm wenig Stellenwert bei. Möchten Sie und die AfD die Subventionierung von Billigflügen und das Fahren von Verbrennungsmotoren beibehalten?

Wir sind in der Tat der Meinung, dass die Klima-Agenda, die zur Schlüsselagenda des gesamten politischen Geschehens gemacht worden ist, weit überbewertet ist. Es gibt andere sehr wichtige Themen, die von uns als einer politischen Alternative für wichtiger gehalten werden. Erst wenn man sich auf dieser grundsätzliche Ebene verständigt hat, kann man eine fachpolitische Detailfrage, die sie hier stellen, beantworten.

„Die Klima-Agenda ist weit überbewertet“

Wir halten die Klima-Dramatik für überzogen. Wir wissen, dass die Ursachen der Erderwärmung, die es in einem gewissen Umfang gibt, nicht abschließend und sicher geklärt sind. Wir wissen auch, dass noch erhebliche Zeitfenster da sind und Maßnahmen gegebenenfalls mit ruhiger Hand durchgeführt werden können. Wir wissen insbesondere, dass die Klimaproblematik, insoweit es sie gibt, nicht lokal oder national gelöst werden kann. Sie ist nur international lösbar. Es hat keinen Sinn, dass wir hier einen nationalen Alleingang machen und glauben, die ganze Welt guckt auf uns, während weltweit 1200 Kohlekraftwerke im Bau sind. Das ist absurd. Deswegen kritisieren wir den Stellenwert, den diese Agenda in Deutschland hat.

Die Wissenschaft ist sich sehr wohl einig. Das ist jüngst im Weltklimabericht bestätigt worden, dass der Mensch einen erheblichen Anteil an der Erderwärmung und dem Klimawandel hat.

Diese Auffassung teile ich nicht. Schauen Sie sich die Fachkapitel in Unerwünschte Wahrheiten von Vahrenholt und Lüning an, zwei exzellenten Kennern der Materie. Hier wird unter anderem ausgeführt, dass der Beitrag der Sonne zur Erderwärmung nach wie vor nicht geklärt ist. Es gibt alternative Hypothesen. Wissenschaft ist keine Demokratie, wo eine Mehrheit entscheiden könnte, was richtig ist. Wissenschaft ist eine Frage von rationaler Beweisführung. Eine solche rationale Beweisführung liegt nicht vor.

Wie begründen Sie denn, dass Katastrophen wie die jüngste Flutkatastrophe in der Region immer häufiger passieren und immer stärkere Ausmaße haben?

Auch diese Behauptung, die regemäßig in den Medien zu lesen ist, ist meines Wissens nicht validiert. Hier verweise ich pauschal auf die Darstellung zu Extremwetterphänomenen bei Vahrenholt, der dem Thema mehrere Kapitel gewidmet hat.

„Trump hatte völlig Recht, aus dem Pariser Klimaabkommen auszutreten“

Verneinen Sie komplett den menschlichen Anteil am kontinuierlichen Anstieg der Durchschnittstemperatur?

Dass es einen gewissen menschlichen Anteil gibt, wird auch von Vahrenholt nicht bestritten. Er ist aber, insofern Kohlendioxid als Treibhausgas betrachtet wird, nur sehr gering im Vergleich zu den natürlichen Ursachen der CO2-Erzeugung. Wenn man dann noch schaut, wie sich der Anteil Deutschlands dabei ausnimmt, dann sind wir wieder an dem Punkt, dass die Frage, den menschengemachten CO2-Anteil zu reduzieren, nicht in Deutschland entschieden werden kann. Wenn, dann müsste es eine globale Agenda geben. Meines Erachtens hatte Trump völlig Recht, aus dem Pariser Abkommen auszutreten. Ich weiß, das ist von seinem Nachfolger rückgängig gemacht worden.

Eine globale Agenda ist aber nicht möglich, wenn einzelne Länder austreten. Das Abkommen hat doch genau den Sinn, dass alle zusammen Maßnahmen ergreifen.

Der Austritt der USA hatte den Zweck, die Sinnlosigkeit des Unterfangens in seiner bestehenden Form herauszustellen. Es gibt ja unterschiedliche Regelungen für die einzelnen Länder, insbesondere die großen Emittenten wie China, Indien und andere sogenannte Schwellenländer dürfen noch sehr viel mehr CO2 ausstoßen als die westlichen Industrieländer.

„Die Verteufelung des Verbrennungs-motors ist eine völlig abwegige Bewertung“

An dieser Stelle möchte ich Ihnen auch ganz klar sagen: Die Verteufelung des Verbrennungsmotors ist eine völlig abwegige Bewertung in Anbetracht der Tatsache, dass er so viel Wohlstand und Zuträglichkeit in das menschliche Leben hineingebracht hat. Der Verbrennungsmotor ist eine der segensreichsten Erfindungen der Menschheitsgeschichte und bis auf Weiteres unverzichtbar.

Die Frage, welchen Anteil Deutschland nehmen kann, ist schon damit beantwortet, dass Deutschland wesentlich mehr CO2 ausstößt, als es wieder auffangen kann – doppelt so viel ungefähr.

Das würde für China noch sehr viel mehr zutreffen.

Ist die Argumentation dann, weil die anderen das dürfen, machen wir das auch?

Das wäre die politische Lösung. Politik ist die Gestaltung der Gemeinwesen durch das Setzen von verbindlichen Regeln. Ich glaube bei diesen Fragen nicht an eine religiöse oder ethische Lösung in dem Sinne: Ich praktiziere jetzt eine ganze rigide persönliche Lebensführung, verzichte auf dieses und jenes. Und wenn das dann alle tun würden, wenn alle so gut wären wie ich selbst, dann würde die ganze Welt gut. Das ist eine ethisch-moralische Auffassung, die man haben kann, mit der man aber außer für sich selbst nichts erreicht.

Fängt Veränderung nicht immer bei einem selbst an?

„Deutschlands mögliche Vorreiterrolle in der Klimakrise wird von wichtigen Ländern nicht zur Kenntnis genommen“

Wie gesagt, das sind alles Fragen, die nur politisch gelöst werden können, das heißt durch Gesetzgebung und die Durchsetzung von Regelungen, die für alle verbindlich sind. Das müsste natürlich bei einer solchen Thematik im globalen Maßstab gelten. Es besteht aber ein erhebliches Problem die Institutionen zu schaffen, die das tatsächlich durchsetzen könnten.

Wir wollen es mal von einer anderen Seite betrachten. Nehmen wir an, wir wären uns darüber einig, dass wir mit neuen technischen Errungenschaften den Klimawandel verringern. Sie reden hier von einer nationalen Sichtweise und einer vielleicht auch egoistischen Herangehensweise. Wäre es denn nicht sogar eine Chance für Deutschland wirtschaftlich erfolgreich zu sein, wenn man Vorreiter wäre für grüne Technologien?

Das hängt ab von der Situation der Märkte und der Nachfrage nach solchen Technologien im weltweiten Maßstab. Ich sehe, dass versucht wird, Deutschland in eine solche Rolle hineinzubringen. Ich sehe aber auch, dass das in großen und wichtigen Ländern der multipolaren Weltordnung, also etwa in den bevölkerungsreichsten Ländern wie China, Indien und dem stark wachsenden afrikanischen Kontinent, überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wird.

Wir kommen hier wieder zu dem gleichen Problem: Wollen wir mit Stolz und ethisch besten Gewissen unser Land in wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen, damit wir hinterher sagen können, wir haben das Richtige getan, wenn die Welt untergegangen ist? (Sie wird nicht untergehen.) Oder wollen wir darauf hinarbeiten, dass es realistische Lösungen gibt? Wir können sehen, wie illusionsgetrieben die Regierungspolitik gerade Deutschlands und auch der USA in den letzten Jahren war und auch aktuell ist. Schauen Sie sich an, was gerade in Afghanistan passiert.

Es gibt unabhängig von der Klimaagenda andere wichtige Fragen, die völlig fehlen. Dazu zählen der demografische Wandel und der Einbruch der Geburtenzahlen aufgrund der Anti-Baby-Pille. Die Politik, die hier immer auf kurze Sicht fährt, hat vollkommen versagt.

Was hätte die Politik denn gegen den Geburtenrückgang tun können?

Eine aktivierende Geburtenpolitik.

„Die AfD ist die einzige Partei, die das Phänomen der Islamisierung zum Thema macht“

Mit welchen Maßnahmen?

Die AfD sieht eine Entlastung von Familien vor, insbesondere durch Einführung des Familiensplittings und die Erstattung pro Kind von 20.000 Euro an Beiträgen zur Rentenversicherung. Echte Förderung der Familien ist das einzige Mittel, um die Geburtenzahl auf ein Niveau zu bringen, dass sie bestandserhaltend ist.

Es kommen aber noch weitere Probleme hinzu, die wir sehen müssen. Die AfD ist die einzige Partei, die das Phänomen der Islamisierung zum Thema macht. Wenn die Entwicklung mit Zuwanderung und demographischem Wandel so weitergeht, wie in den letzten zwanzig Jahren, dann werden wir in 30 Jahren, also 2050, einen Anteil von 15 bis 20 Prozent Muslimen in Deutschland haben. 2080, weitere 30 Jahre später, wird ihr Anteil 35 bis 40 Prozent betragen. Dann ist der Islam 2080 die größte Religion in Deutschland. Das will die AfD nicht. Wir können uns hier auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union berufen, die ausdrücklich feststellt, dass jedes Volk ein Anrecht auf die Wahrung seiner kulturellen Identität hat. Was sagen und wie verhalten sich eigentlich unsere Kollegen von der Christlich Demokratischen Union dazu?

Sind für Sie Muslime keine Deutsche?

Doch, selbstverständlich gibt es auch Muslime, die Deutsche sind.

Sie sagen aber, es ist ein Problem, wenn wir ganz viele Muslime in Deutschland haben. Wenn die in Deutschland lebten und einen deutschen Pass hätten, dann sei das nicht mehr Ihr Deutschland.

Wenn 40 Prozent der Bevölkerung muslimischen Glaubens wären, hätte sich Deutschland definitiv geändert.

Und das wäre schlimm?

Prof. Dr. Hans Neuhoff (unten) im Gespräch mit Johannes Mirus (rechts oben) und Ansgar Skoda (links oben)

Das wäre aus meiner Sicht eine Änderung der kulturellen Matrix, wie wir sie über Jahrhunderte gehabt haben und momentan in den Grundlagen noch haben. Diese Grundlagen bröckeln. Ich halte diese Änderung nicht für wünschenswert. Denn der Islam ist nicht nur eine Religion, er ist eine umfassende Ideologie und Lebensordnung, die mit den Werten Deutschlands und Europas an vielen Punkten nicht vereinbar ist.

„Der Islam ist nicht nur eine Religion, er ist eine umfassende Lebensordnung“

Leitkultur bedeutet übrigens, dass in Situationen kulturell bedingter Wert- oder Normkonflikte einer Kultur der Vorrang zukommen muss. Man kann zum Beispiel als gläubiger Moslem nicht das deutsche Recht und gleichzeitig die Direktiven befürworten, die sich aus Koran und Hadithen in Bezug auf die Bewertung und Behandlung von Ungläubigen ergeben. Man muss vielmehr über ein Rangverhältnis zwischen diesen beiden Wertequellen verfügen. Und den Vorrang kann hier nur die deutsche oder europäische Wertequelle haben. Und in diesem Sinne ist sie dann auch die Leitkultur. Wenn die Leitkultur nicht die deutsche oder europäische ist, geben wir uns im Grunde genommen auf.

Nehmen wir an, alle Einwanderer unterwerfen sich vollkommen dieser Leitkultur, so wie Sie sich das wünschen. Es gibt eine vollkommene Integration nach Ihren Vorstellungen. Es ändert sich erst einmal nichts an unser aller Lebensgrundlage. Wäre es dann trotzdem ein Problem, wenn es viel Einwanderung gäbe?

Sie dürfen Einwanderung nicht über einen Kamm scheren. Es gibt große Unterschiede zwischen den verschiedenen Herkunftsländern, sozialen Gruppen und Milieus. Die Vietnamesen beispielsweise integrieren sich hierzulande meist sehr erfolgreich, etwa im Schulsystem. Bestimmte Formen des häuslichen Lernens werden traditionell bei ihnen hoch geschätzt. Es werden günstige Lernumgebungen für die Kinder geschaffen, und es erfolgt eine Begleitung des Lernens durch die Eltern. Andere Gruppen – es ist bekannt, welche das sind – stellen Probleme dar. Hier sind die Lernerfolge nicht so hoch. Bei uns in Wohnortnähe ist ein großes türkisches Viertel. Man kann dort sehen: Türkische Kinder spielen meist mit anderen türkischen Kindern, sie sprechen dabei wie zuhause Türkisch und nutzen vermutlich auch türkischsprachige Medien. Beim Schuleintritt haben sie dann in vielen Fällen einen Rückstand im Deutschen.

Haben wir vielleicht die Einwanderer zu sehr über Generationen in bestimmte Viertel abgeschoben, so dass sie sich heute nicht mehr integrieren wollen? Wie wollen Sie das Problem denn anpacken?

Das sehe ich nicht so. In NRW haben wir sogar ein Ministerium für Integration und das Teilhabe- und Integrationsgesetz, das eine Fülle von Maßnahmen vorsieht. Integration ist aber zunächst und vor allem eine Bringschuld und eine Frage der Integrationsbereitschaft. Wenn ich in ein anderes Land gehe, muss ich als erstes natürlich die Sprache beherrschen, damit ich mich in diesem Land erfolgreich verhalten und die Lebensaufgaben bewältigen kann. Eine Kultur kennenlernen heißt dann aber auch, die vielen Situationsdefinitionen und Rollenverständnisse kennenzulernen, die in der Kultur bestehen.

„Eine Kultur kann nur einen bestimmten Umfang von Zuwanderung verkraften“

Ich bin längere Zeit in Indien und in Afrika gewesen. Erst nach Jahren habe ich manchmal verstanden, wie bestimmte Dinge überhaupt gemeint waren. Integration ist eigentlich eine Lebensaufgabe für Zuwanderer. Deshalb kann eine Kultur nur einen bestimmten Umfang von Zuwanderung verkraften. Es ist in der Migrationsforschung belegt: Je größer die Diaspora wird, also je größer die Gruppe der eigenen Kultur ist, die im Zielland von Migranten lebt, desto geringer ist die Integrationsbereitschaft und der Integrationsdruck für die Neuankömmlinge. Unser Ziel ist es in der AfD, dass sich die Zugewanderten innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens auch wirklich als Deutsche betrachten und die Herkunftskultur der Eltern oder Großeltern als Zusatz begreifen, der an die deutsche Identität anschließt.

Kommen wir zu einem anderen Thema. Auf den ersten zwölf Plätzen der Bewerber für die Landesliste NRW steht keine einzige Frau. Ihre Partei hat insgesamt im Bundestag die bei weitem niedrigste Frauenquote. Liegt das daran, dass Ihre Partei konservativ auf traditionelle Familienwerte setzt und Quotierungen ablehnt?

Uta Opelt steht auf Platz 14. Der Frauenanteil in der AfD ist tatsächlich vergleichsweise gering. Das könnte damit zusammenhängen, dass die AfD in der öffentlichen Kommunikation stark angegriffen und attackiert wird. Und das stellt für Frauen häufiger ein Problem dar. Männer sind hier risiko- und kampfbereiter. Ansonsten sollte bei der Aufstellung einer Landesliste, wie auch sonst, das Geschlecht keine Rolle spielen. Wenn wir gute Frauen haben, können sie sich genauso in den Wettbewerb und in die Konkurrenz einbringen, wie Männer. Ich darf im Übrigen daran erinnern, dass Quotenregelungen nichts anderes sind als staatliche Zwangsmaßnahmen.

Sind Sie gegen Schwangerschaftsabbrüche?

Schwangerschaftsabbrüche dürfen selbstverständlich nicht als gleichwertige Option zum Austragen des Fötus betrachtet werden. Wogegen wir uns stellen ist eine Tendenz zur Bagatellsierung von Abtreibungen. Die AfD spricht statt von Schwangerschaftsabbrüchen lieber von einer Willkommenskultur für Kinder. Dazu gehört auch, dass Frauen in Not geholfen wird.

Wie sehen Sie den Einfluss von Lobbyisten im Bundestag? Ihre Partei muss ja Strafe wegen illegalen Parteispenden aus Nicht-EU-Ländern zahlen.

Stellen Sie diese Frage bitte dem Parteivorsitzenden Jörg Meuthen. Meines Wissens ist das Verfahren abgeschlossen.

Braucht es eine höhere Besteuerung der Superreichen?

Die AfD spricht sich programmatisch dagegen aus. Ich halte es nicht für eine abgeschlossene Diskussion.

Sie treten ja für Bonn an. Was ist das drängendste Problem, das in Bonn ansteht und nur in Berlin gelöst werden kann?

In Berlin wird keine Bonn-Politik gemacht. Die Handlungsmöglichkeiten sind hier sehr beschränkt. Ein Nachfolgegesetz zum Bonn-Berlin-Gesetz muss allerdings auf den Weg gebracht werden. Das sogenannte Leitbild-Papier, das Spitzenvertreter der Region 2019 dazu erarbeitet haben, setzt meines Erachtens aber falsche Prioritäten. Wir brauchen keine weiteren Förderungen des Hochkulturbereichs aus Bundesmitteln. Auch bei der Förderung des Wissenschaftsbereichs ist Bonn schon ziemlich reich gesegnet. Im Bereich des Wohnens hingegen könnten und müssten Entlastungen geschaffen werden.

Zu teurer Wohnraum ist tatsächlich ein Thema, das nicht nur Bonn betrifft und vielleicht bundesweit gelöst werden kann. Was sind denn Ihre Ansätze in der AfD, der Wohnraumknappheit entgegenzuwirken?

Das ist ein kommunalpolitisches Thema. Wir sind der Meinung – um es auf Bonn zu beziehen – dass insbesondere die Kooperation mit dem Rhein-Sieg-Kreis intensiviert werden muss. Wenn der Rhein-Sieg-Kreis einbezogen wird, hat das natürlich auch verkehrspolitische Konsequenzen. Es muss eine Verkehrsinfrastruktur geschaffen werden, die die zusätzlichen Verkehre aufnehmen kann. Die Pendlerströme nehmen ja ohnehin schon zu, und die Einwohnerzahl wird in den nächsten Jahrzehnten ebenfalls steigen.

Wäre eine Lösung die Fusion zwischen Rhein-Sieg-Kreis und Bonn?

Dazu habe ich gegenwärtig noch keine Meinung. Die Dotterlage Bonns springt aber schon bei einem kurzen Blick auf die Karte ins Auge: Wie das Gelbe vom Ei ist die Stadt vom Eiweiß des Rhein-Sieg-Kreises umgeben. Es ist plausibel, dass das nach einer strukturellen Lösung, also einer Fusion, verlangt.

„Wir werden nicht umhinkommen, das Renten-eintrittsalter zu erhöhen“

Der Altersdurchschnitt der Bevölkerung steigt und der Generationenvertrag kann nicht mehr eingehalten werden. Was halten Sie von der Rente mit 68?

Grundsätzlich steht die AfD für Freiheit beim Renteneintritt. Zur Berechnung der Rentenhöhe wird das Regelrentenalter nach SGB herangezogen. Wer früher in den Ruhestand geht, muss entsprechende Abschläge in Kauf nehmen. Wer auf der anderen Seite über das Regelrentenalter hinaus arbeitet, sammelt weitere Rentenpunkte und bekommt entsprechend eine höhere Rente. Wir werden aber, um ihre Frage zu beantworten, nicht umhinkommen, das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Es gibt ja nur wenige Stellschrauben, mit denen wir bei der Rentenfinanzierung arbeiten können – das Rentenniveau, der Rentenbeitrag und das Renteneintrittsalter. Wenn wir den Steuerbeitrag zur Rentenfinanzierung nicht durch die Decke schießen lassen wollen, werden wir an den Stellschrauben drehen müssen. Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters ist gerechtfertigt und plausibel, weil ja auch die Lebenserwartung steigt.

Was ist Ihr Programm, um jungen Menschen mehr Sichtbarkeit in der Politik zu verschaffen?

Es sollte neutrale politische Aufklärung in den Schulen erfolgen. Es muss ein Bewusstsein dafür vermittelt werden, dass wir für die Art und Weise, wie wir zusammen leben, letztlich selbst verantwortlich sind. Wir müssen also insbesondere diejenigen Probleme in den Schulen zum Thema machen, bei denen es um die Gestaltung unserer Gemeinwesen geht. Gar nicht so einfach. Wir können nur hoffen, dass sich auch in den nachfolgenden Generationen genügend finden, die bereit sind, sich auf diese Schwierigkeiten einzulassen.

Danke für das Gespräch!

Das Interview mit Prof. Dr. Hans Neuhoff führten Johannes Mirus und Ansgar Skoda am 16.08.2021 online per Video.

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