Der 34jährige Il­ja Ber­gen ist seit 2018 Spre­cher des Kreis­ver­bands der Lin­ken in Bonn. Der Che­mi­kant und BWL-Student ist dar­über hin­aus seit 2020 Ver­ord­ne­ter in der Be­zirks­ver­tre­tung Hardt­berg. Er kan­di­diert für den kom­men­den Bun­des­tag, für den er als Di­rekt­kan­di­dat ein­zie­hen möch­te. Jo­han­nes Mi­rus und Ans­gar Sko­da tra­fen ihn on­line und spra­chen mit ihm un­ter an­de­rem über die so­zia­le Spal­tung der Ge­sell­schaft, die Kli­ma­kri­se, die Corona-Pandemie, Hartz IV, die Woh­nungs­not in Bonn und über Sahra Wagenknecht.

Bundesstadt.com: Was hal­ten Sie von dem ak­tu­el­len Par­tei­aus­schluss­ver­fah­ren ge­gen Ih­re Spit­zen­kan­di­da­tin in NRW?

Il­ja Ber­gen: Da­von hal­te ich über­haupt nichts. Auch wenn es Dis­kus­si­ons­be­darf in ei­ner Par­tei gibt, ist das Aus­schluss­ver­fah­ren kein pro­ba­tes Mit­tel, die­se Dis­kus­si­on zu füh­ren. Sahra Wa­gen­knecht steht mit ih­ren streit­ba­ren Po­si­tio­nen nicht au­ßer­halb des Pro­gramms. Man darf nicht un­ter­schät­zen, dass Sahra Wa­gen­knecht wahn­sin­nig vie­le Men­schen er­reicht, die wir an­sons­ten wo­mög­lich nicht er­rei­chen wür­den. Des­we­gen fin­de ich die gan­ze De­bat­te über ein Aus­schluss­ver­fah­ren ab­surd. Die rich­ti­ge De­bat­te muss sein: Wie er­rei­chen wir Men­schen, die kon­kret von lin­ker Po­li­tik pro­fi­tie­ren wür­den, die sich aber, aus wel­chen Grün­den auch im­mer, nicht bei uns po­li­tisch zu­hau­se fühlen?

‚Die Selbst­ge­rech­ten‘ ist ei­ne kla­re Ab­rech­nung mit dem Pro­gramm der neo­li­be­ra­len AfD“

Se­hen Sie Sahra Wa­gen­knecht als för­der­lich oder hin­der­lich für den lin­ken Wahlkampf?

Ab­so­lut för­der­lich. Sie wird auch nach Bonn kom­men, am 23. Sep­tem­ber um 16:30 Uhr. Die Selbst­ge­rech­ten ist ein Auf­ruf, ei­ne star­ke Lin­ke zu wäh­len. Es ist ei­ne kla­re Ab­rech­nung mit dem Pro­gramm der kom­plett neo­li­be­ra­len AfD. Die AfD bringt nie­man­den, für den wir als so­zia­le Par­tei ein­ste­hen, ir­gend­wel­che Vor­tei­le. Die AfD schreibt in ih­rem Par­tei­pro­gramm bei­spiels­wei­se nichts zum Ren­ten­ein­tritts­al­ter. Gleich­zei­tig sagt sie, es sol­len nur die Men­schen et­was be­kom­men, die et­was ein­ge­zahlt ha­ben. De fac­to will die AfD das Ren­ten­ein­tritts­al­ter ab­schaf­fen. Schuf­ten bis zum Um­fal­len kann doch nicht das Kon­zept sein. Wir brau­chen ei­ne Min­dest­ren­te von 1.200 Eu­ro, mehr Ren­ten­punk­te, et­wa drei Ent­geld­punk­te für Er­zie­hungs­zei­ten. Wir brau­chen ein Ren­ten­sys­tem, in das al­le ein­zah­len – Be­am­te, Selbst­stän­di­ge, Po­li­ti­ker. Das Ren­ten­ni­veau müs­sen wir wie­der auf 53 Pro­zent anheben.

Was hal­ten Sie von der Ren­te ab 68?

Gar nichts, das ist ei­ne ver­steck­te Ren­ten­kür­zung. Wir wol­len, dass es wie­der mög­lich wird mit 65 Jah­ren in Ren­te zu gehen.

Es klingt ja im­mer gut, dass Ren­ten­ein­tritts­al­ter nied­rig zu hal­ten und ei­ne Ba­sis­ren­te zu eta­blie­ren, in die al­le ein­zah­len. Es gibt Mo­dell­rech­nun­gen, die sa­gen, dass es gar nicht viel bringt, wenn auch Beamt*innen und Selb­stän­di­ge ein­zah­len. Die müs­sen ja dann auch ih­re Ren­te be­kom­men. Die Stell­schrau­ben sind eher Ren­ten­ein­tritts­al­ter, Ren­ten­bei­trag und Län­ge der Ein­zah­lung. Wo­her soll das Geld für die Ren­ten­kas­se kommen?

Es muss mög­lich sein, die Riester-Verträge und Ver­sor­gungs­ver­trä­ge, die es gibt, in die Ren­ten­ver­si­che­rung zu über­füh­ren. Es ist klar, dass wenn Politiker*innen ein­zah­len, das nicht den Bra­ten fett macht. Bei Be­am­ten und Selbst­stän­di­gen sieht es schon an­ders aus. Wir müs­sen die Ba­sis aus­wei­ten und auch an­de­re Fi­nanz­quel­len be­rück­sich­ti­gen, wie et­wa Ge­win­ner­trä­ge, die über den Ka­pi­tal­markt er­zielt werden.

Als Grün­der ha­ben ja man­che so­gar Schwie­rig­kei­ten, sich die Kran­ken­ver­si­che­rung leis­ten zu kön­nen. Wenn man jetzt noch in die Ren­ten­kas­se ein­zah­len muss, wie möch­ten sie jun­ge Men­schen da­zu brin­gen zu gründen?

Es ist ei­nes der größ­ten Pro­ble­me aus der Ver­gan­gen­heit der Lin­ken, dass der So­zi­al­staat die Selbst­stän­di­gen nie­mals so rich­tig er­reicht hat. Wir wol­len hier den Frei­be­trag für Klein­un­ter­neh­mer auf 30.000 Eu­ro an­he­ben. Grund­sätz­lich gilt mit un­se­rem Steu­er­kon­zept, wer we­ni­ger als 6.500 Eu­ro Brut­to im Mo­nat ver­dient, be­zahlt we­ni­ger Steu­ern. Be­trä­ge für Kranken- und Pfle­ge­ver­si­che­rung müs­sen sich au­ßer­dem viel stär­ker am rea­len Ein­kom­men aus­rich­ten. Min­dest­bei­trä­ge von über 150 Eu­ro bei den Ge­setz­li­chen sind schon rich­tig hef­tig und nicht für al­le leist­bar. Vie­le Selb­stän­di­ge fal­len im Al­ter aus der Kran­ken­ver­si­che­rung, weil die Pri­va­te zu teu­er wird und die Ge­setz­li­che sie nicht auf­nimmt, ob­wohl sie müss­te. Wir wol­len, dass al­le mit al­len Ein­kom­men in ein Sys­tem ein­zah­len. So sin­ken die Bei­trä­ge und nie­mand ver­liert den Versicherungsschutz.

Sahra Wa­gen­knecht er­reicht wahn­sin­nig vie­le Menschen“

Noch­mal zu Sahra Wa­gen­knecht: War­um wird sie in­ner­par­tei­lich der­art an­ge­fein­det? We­gen Ih­ren The­sen zu den Links­li­be­ra­len in ih­rem neu­en Buch Die Selbst­ge­rech­ten?

Sahra Wa­gen­knecht be­schreibt in ih­rem Buch Men­schen, die sich haupt­säch­lich für sich selbst in­ter­es­sie­ren und das in ein links­li­be­ra­les Ge­ha­be ver­klei­den. Sol­che Men­schen gibt es. Aber sie bil­den we­der die Mehr­zahl der Men­schen, die die­se Par­tei ver­tre­ten, noch die Mehr­zahl der Men­schen, die sich ge­sell­schafts­po­li­tisch links en­ga­gie­ren, et­wa in Be­we­gun­gen wie der See­brü­cke, die sich für si­che­re Flucht­we­ge ein­setzt, oder Fri­days for Fu­ture. Ganz im Ge­gen­teil. Wor­um es mir geht, ist Kämp­fe zu ver­bin­den. Ein In­dus­trie­ar­bei­ter kann ge­nau­so ent­setzt dar­über sein, dass Men­schen im Mit­tel­meer er­trin­ken wie ein ur­ba­ner Aka­de­mi­ker pre­kär an­ge­stellt sein kann; den­ken Sie an den sprich­wört­li­chen Geis­ter­wis­sen­schaft­ler, der Ta­xi fährt. Es wer­den Ge­gen­sät­ze auf­ge­macht, wo kei­ne hin­ge­hö­ren. Die wich­ti­gen Kämp­fe ge­hen um hö­he­re Löh­ne – wir wol­len hier 13 Eu­ro Min­dest­lohn – oder um Ver­kür­zung der Ar­beits­zeit – wir wol­len ei­ne neue Re­gel­ar­beits­zeit von 30 Stunden.

Ist das ein ty­pisch lin­kes Pro­blem? Das kennt man ja noch aus SPD-Zeiten, dass man sich eher mit sich selbst be­schäf­tigt, als mit dem po­li­ti­schen Programm?

Ja, tat­säch­lich ist das ein Phä­no­men, das die Lin­ke seit Ge­ne­ra­tio­nen be­glei­tet. Schon An­fang des 20. Jahr­hun­derts gab es die Spal­tung in MSPD und USPD. Das ist al­les nicht neu. Es war da­mals schon un­nö­tig, es ist heu­te noch un­nö­ti­ger. Vor al­lem, wenn man sieht, wie viel Hand­lungs­be­darf ei­gent­lich be­steht. Es kann nicht sein, dass im­mer we­ni­ger völ­lig sinn­los im­mer rei­cher wer­den. Die Dis­kus­si­on muss sein, wie schaf­fen wir es, dass die­ser ab­sur­de Reich­tum, der sich in den Hän­den we­ni­ger kon­zen­triert, so ver­teilt wird, dass die ge­sam­te Ge­sell­schaft von öko­no­mi­schen Wachs­tum pro­fi­tiert. Vie­le Men­schen sind öko­no­misch ab­ge­hängt worden.

Das Da­mo­kles­schwert der Sank­ti­on hängt über je­dem, der Hartz IV be­zieht. Das drückt die Löhne“

Was ist das Re­zept der Lin­ken, um die­sen Miss­stand zu be­he­ben?

Die Ein­füh­rung der Agen­da 2010 – „Hartz IV“ – hat da­zu ge­führt, dass es ei­nen wahn­sin­nig gro­ßen Nied­rig­lohn­sek­tor gibt. Das muss rück­gän­gig ge­macht wer­den. Wir brau­chen ei­ne sank­ti­ons­freie Min­dest­si­che­rung von 1.200 Eu­ro, da­mit kein Mensch in Deutsch­land, der be­dürf­tig ist, un­ter ein be­stimm­tes Mi­ni­mum fällt. Es muss sank­ti­ons­frei sein. Das Da­mo­kles­schwert der Sank­ti­on hängt der­zeit über je­der Be­zie­he­rin und je­dem Be­zie­her. Es sorgt mit da­für, dass je­der scheiß Job an­ge­nom­men wer­den muss. Je­der Mensch kann zu je­der Ar­beit ge­zwun­gen wer­den, un­ab­hän­gig da­von ob sie ihm passt oder nicht. Die­ses Pro­blem drückt die Löhne.

War­um schickt die Lin­ke ei­nen Bon­ner Kan­di­da­ten ins Ren­nen? Sie ha­ben sich nicht um ei­nen Lan­des­lis­ten­platz bei den Lin­ken in NRW für die kom­men­de Bun­des­tags­wahl beworben.

Tat­säch­lich ge­he ich in je­des Ge­spräch mit der Aus­sa­ge, das ich höchst­wahr­schein­lich nicht nach Ber­lin ge­hen wer­de und um die Zweit­stim­me kämp­fe. Mir geht es dar­um, dass die Lin­ke im Bund und un­se­re Frak­ti­on mög­lichst stark wer­den. Denn um­so stär­ker ei­ne Lin­ke ist, des­to so­zia­ler wird auch die SPD und des­to grü­ner wer­den die Grü­nen sein. Das ist das Konzept.

Ist dann ei­ne Ko­ali­ti­on mit SPD und Grü­nen ein Ziel?

Das Ziel sind ein Po­li­tik­wech­sel an sich und ei­ne Re­gie­rung, die ei­ne Po­li­tik ein­lei­tet, die sich ge­gen die Herr­schen­den und die Macht der Ban­ken und Kon­zer­ne durch­zu­set­zen weiß. Ziel ist, dass die­se Po­li­tik weiß, dass man öf­fent­lich in­ves­tie­ren muss. Ziel ist ei­ne Po­li­tik, die die öko­no­mi­sche und so­zia­le Spal­tung der Ge­sell­schaft über­win­det. Mir sind Far­ben­spie­le in der Hin­sicht egal.

Das Di­rekt­man­dat muss Aus­glei­che im Sin­ne des Bonn-Berlin-Gesetzes erwirken“

Was ist für Bonn drin, wenn wir Sie wählen?

Mein Platz bleibt hier vor Ort in der Lo­kal­po­li­tik in Bonn. Es gibt hier in den kom­men­den Jah­ren viel zu tun. Wer uns in Ber­lin ver­tritt muss sich auch kon­kret um das Bonn-Berlin-Gesetz küm­mern. Das steht an und kann nur in Ber­lin be­spro­chen wer­den. Seit 2003 und 2004 wer­den für das Bonn-Berlin-Gesetz Fak­ten ge­schaf­fen: Stel­len wer­den nach Ber­lin um­ge­zo­gen oder hier in Bonn nicht neu be­setzt. Das wi­der­spricht dem Bonn-Berlin-Vertrag. Er be­inhal­tet ei­ni­ge Kom­pen­sa­ti­ons­mög­lich­kei­ten, et­wa für Kul­tur und Wis­sen­schaft. Aber da­mals war das The­ma Woh­nen noch nicht auf der Agen­da. Ich wür­de mir wün­schen, dass die Per­son, die uns in Ber­lin ver­tritt, ei­nen Ne­ben­ver­trag für ent­ste­hen­de fak­ti­sche Ab­zü­ge schließt. Sie soll­te ei­nen Aus­gleich für den Woh­nungs­markt er­wir­ken, das Bonn aus Ber­lin für ver­lo­re­ne Ar­beits­plät­ze in den Re­gie­rungs­an­stal­ten Geld für den Woh­nungs­markt erhält.

In Bonn wa­ren so­zia­le Brenn­punk­te wie Tan­nen­busch Corona-Infektionsherde. Soll­ten oft be­eng­ter le­ben­de Men­schen mit an­de­ren kul­tu­rel­len Hin­ter­grün­den nicht nur in Kri­sen­zei­ten mehr in den Blick ge­nom­men und un­ter­stützt werden?

Selbst­ver­ständ­lich, da ren­nen Sie bei uns of­fe­ne Tü­ren ein. Ein Teil der Corona-Maßnahmen wa­ren Schul­schlie­ßun­gen und Di­stanz­un­ter­richt. Vie­le Kin­der in be­eng­ten Woh­nungs­ver­hält­nis­sen ha­ben kei­nen Zu­gang zu Lap­tops oder Dru­ckern. Wir for­dern klar, dass die­se Mehr­be­dar­fe von den Äm­tern an­er­kannt wer­den. Ei­ne For­de­rung ist, dass je­de Schü­le­rin und je­der Schü­ler ei­ne ent­spre­chen­de In­fra­struk­tur zur Ver­fü­gung ge­stellt be­kommt, et­wa Leih­lap­tops und das Lehr­per­so­nal ent­spre­chend aus­ge­bil­det wird. Di­gi­ta­le For­ma­te soll­ten ih­ren Un­ter­richt un­ter­stüt­zen und nicht er­set­zen. Es braucht ei­ne Kin­der­grund­si­che­rung, die al­le Kin­der er­reicht mit ei­nem deut­lich hö­he­ren Kin­der­geld, das nicht als Ein­kom­men an­ge­rech­net wird. Ge­ra­de Men­schen in pre­kä­ren Le­bens­si­tua­tio­nen pro­fi­tie­ren stark von ei­nem Min­dest­lohn von 13 Eu­ro oder von ei­ner sank­ti­ons­frei­en Grundsicherung.

In die­ser schö­nen Welt, die Sie hier be­schrei­ben, ha­ben wir wei­ter­hin das Pro­blem des Woh­nungs­baus. Un­ab­hän­gig vom Bonn-Berlin-Vertrag müss­ten wir mehr Wohn­raum schaf­fen. Wie ge­lingt uns das?

Wir wol­len mas­siv in­ves­tie­ren – vor al­lem in so­zia­len Woh­nungs­bau. In Bonn ha­ben wir das Bauland-Modell, das bei ei­ner be­stimm­ten Woh­nungs­an­zahl ge­för­der­te So­zi­al­woh­nun­gen vor­sieht. Das wol­len wir auch auf Bun­des­ebe­ne. Was wir auch wol­len, ist das Prin­zip „ein­mal ge­för­dert, im­mer ge­bun­den“. Es ist ein Pro­blem, das im­mer mehr Woh­nun­gen aus der so­zia­len Bin­dung raus­fal­len. Das darf so nicht bleiben.

Der Woh­nungs­markt muss wie­der zu­rück in kom­mu­na­le Hand“

Wird der Woh­nungs­bau dann nicht un­at­trak­ti­ver für Investoren?

Wenn es un­in­ter­es­sant für In­ves­to­ren wird, ist das gar nicht so schlimm. Der Woh­nungs­markt, et­wa auch in Ber­lin, ist durch die In­ves­to­ren über­hitzt wor­den. Nach 2009 – al­so der Fi­nanz­kri­se – hat das Ka­pi­tal An­la­ge­mög­lich­kei­ten ge­sucht und die­se et­wa im Ber­li­ner Woh­nungs­markt ge­fun­den. Wir wol­len das Woh­nen ei­ne Fra­ge der öf­fent­li­chen Da­seins­vor­sor­ge wird und nicht der In­ves­ti­tio­nen. Wir wol­len den Woh­nungs­bau wie­der zu­rück in kom­mu­na­le Hand ge­ben und da­für ei­nen Re­kom­mu­na­li­sie­rungs­fonds auf­set­zen, mit dem Kom­mu­nen bun­des­weit in die La­ge ver­setzt wer­den, Ei­gen­tum und Grund­stü­cke zurückzunehmen.

Die kom­mu­na­le Ver­wal­tung ist ja nicht im­mer der bes­te Bau­herr, wie man an so man­chen öf­fent­li­chen Pro­jek­ten in Bonn sieht. Wie soll hier noch ef­fi­zi­ent ge­baut wer­den, wenn ei­ne Kom­mu­ne das in die Hand nimmt?

Die öf­fent­li­che Hand hat ver­lernt zu in­ves­tie­ren oder zu bau­en, weil das jah­re­lan­ge Cre­do der Neo­li­be­ra­len ist, dass der Staat sich zu­rück­zie­hen soll aus vie­len In­ves­ti­ti­ons­be­rei­chen. Wenn das den pri­va­ten In­ves­to­ren über­las­sen wird, ist auch das Per­so­nal nicht mehr da, weil es in der Wirt­schaft bes­ser ver­dient. Der Staat muss das wie­der ler­nen. Das muss als po­li­ti­scher Wil­len for­ciert werden.

Gibt es Ih­rer Mei­nung nach is­la­mi­sche Par­al­lel­ge­sell­schaf­ten in Bonn und Deutsch­land? Se­hen Sie hier ei­ne Ge­fahr oder neh­men Sie hier eher po­si­ti­ve Mul­ti­kul­tu­ra­li­tät wahr?

Es wur­den in der Ver­gan­gen­heit gro­ße Feh­ler bei der Fra­ge der In­te­gra­ti­on ge­macht. Jun­ge Men­schen, de­ren El­tern oder Groß­el­tern als Gast­ar­bei­ter nach Deutsch­land ka­men und die heu­te in der zwei­ten oder drit­ten Ge­ne­ra­ti­on hier le­ben wer­den im­mer noch als Aus­län­der be­zeich­net und be­han­delt. Ich wur­de in Russ­land ge­bo­ren und ha­be so­fort die Deut­sche Staats­bür­ger­schaft be­kom­men, als ich mit fünf Jah­ren nach Deutsch­land ge­kom­men bin. Dem­entspre­chend brau­chen wir er­leich­ter­ten Zu­gang zur deut­schen Staats­bür­ger­schaft und ei­nen Ab­bau von Ras­sis­mus. Der Nach­na­me ent­schei­det im­mer noch dar­über, ob man zu ei­nen Be­wer­bungs­ge­spräch oder ei­ner Woh­nungs­be­sich­ti­gung ein­ge­la­den wird. Hier müs­sen wir an­ti­ras­sis­ti­sche Ar­beit leis­ten und öko­no­mi­sche Be­din­gun­gen ver­än­dern. Ein Mensch lässt sich auch nicht nur auf ein At­tri­but wie sei­ne Re­li­gi­on re­du­zie­ren. In mei­ner Par­tei sind ganz vie­le Mus­li­me, die auch So­zia­lis­ten sind und wir kämp­fen ge­mein­sam für hö­he­re Löh­ne und ge­gen Ausgrenzung.

Hat die kürz­li­che Flut­ka­ta­stro­phe Ih­ren Blick auf die Kli­ma­kri­se geändert? 

Il­ja Ber­gen (un­ten) im In­ter­view mit Jo­han­nes Mi­rus (links oben) und Ans­gar Sko­da (rechts oben)

Nein, es ist ei­ne zen­tra­le Pro­gno­se der Kli­ma­for­schung der letz­ten zehn Jah­re, das Ex­trem­wet­ter­er­eig­nis­se häu­fi­ger wer­den und in ih­rer Stär­ke zu­neh­men. Wir ha­ben die letz­ten Jah­re Dür­re­som­mer ge­habt und jetzt se­hen wir uns ei­ner Starkregen- und Flut­ka­ta­stro­phe ge­gen­über­ge­stellt, die Men­schen­le­ben ge­kos­tet hat. Je­de Hit­ze­wel­le kos­tet Men­schen­le­ben, aber bei ei­ner Flut­ka­ta­stro­phe sind die Op­fer der Zer­stö­rung noch un­mit­tel­ba­rer zu se­hen. Mei­ne Mei­nung, dass wir so schnell wie mög­lich aus der Koh­le raus­müs­sen, hat sich über­haupt nicht ge­än­dert. Da wol­len wir 2030 al­ler­spä­tes­tens raus. Das Stein­kohl­kraft­werk Dat­teln 4 wol­len wir so­fort vom Netz neh­men. Wir wol­len die Ta­ge­baue wie­der nutz­bar ma­chen. Wir wol­len 40 Mil­li­ar­den Eu­ro in den Struk­tur­wan­del der Re­gi­on in­ves­tie­ren. Die Men­schen vor Ort sol­len selbst in so­ge­nann­ten Trans­for­ma­ti­ons­rä­ten ent­schei­den, wie sich ih­re Re­gi­on wei­ter­ent­wi­ckeln soll.

Wenn Sie mög­lichst schnell Koh­le­kraft­wer­ke ab­schal­ten wol­len, muss ja die En­er­gie wo­an­ders her­kom­men. Wel­che Kon­zep­te ha­ben Sie dafür?

Mas­siv in er­neu­er­ba­re En­er­gie in­ves­tie­ren – in Solar- und Wind­parks. Auch in re­gio­na­le Struk­tu­ren muss in­ves­tiert wer­den, so­dass die Men­schen vor Ort ei­nen Nut­zen von der En­er­gie­wen­de ha­ben. Da ha­ben wir kon­kre­te Ziel­vor­ga­ben im Pro­gramm, bis wie vie­le Ki­lo­watt­stun­den wir Er­neu­er­ba­re er­zeu­gen wol­len. Bis 2025 wol­len wir 10 Gi­ga­watt Pho­to­vol­ta­ik in­stal­lie­ren, so­wie sie­ben Gi­ga­watt Wind­ener­gie an Land und zwei Gi­ga­watt auf See. Wir möch­ten die En­er­gie­wen­de re­gio­nal in den Kom­mu­nen vor­an­trei­ben, da­mit wir nicht den ge­wal­ti­gen Lei­tungs­aus­bau brau­chen, wie im Mo­ment von der Ost- und Nord­see hin­un­ter nach Bayern.

Wenn es um re­gio­na­le Pro­jek­te, hört man auf „not in my ba­ck­yard“: Men­schen fin­den er­neu­er­ba­re En­er­gien toll, bis sie auf das Wind­rad bli­cken müssen.

Wir wol­len den Ängs­ten der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger ent­ge­gen­wir­ken, in­dem et­wa Wind­an­la­gen den Men­schen vor Ort ge­hö­ren sol­len und nicht ir­gend­wel­chen Kon­zer­nen. So ha­ben die Men­schen ei­nen Vor­teil. Bei Aus­schrei­bungs­sys­te­men für Bür­ger­en­er­gie­pro­jek­te in ge­nos­sen­schaft­li­cher oder kom­mu­na­ler Hand oder über ei­nen Bür­ger­ver­ein wol­len wir bis 18 Gi­ga­watt Er­leich­te­rung beim Aus­schrei­bungs­ver­fah­ren. Bürger*innen ha­ben es so leich­ter Wind- oder So­lar­parks zu bau­en und vor Ort von den Ein­nah­men zu profitieren.

Frie­den ist ein we­sent­li­cher Be­stand­teil ei­ner nach­hal­ti­gen Ent­wick­lung und Ökologie“

Mal ab­seits von den er­neu­er­ba­ren En­er­gien: Was hal­ten Sie von Nord Stream 2, der um­strit­te­nen Gas-Pipeline von Russ­land nach Mecklenburg-Vorpommern?

Das stra­te­gi­sche En­er­gie­pro­jekt zwi­schen Deutsch­land und Russ­land ist öko­lo­gisch ei­ne Un­sin­nig­keit son­der­glei­chen, aus geo­po­li­ti­scher Sicht je­doch sinn­voll. Frie­den ist ein we­sent­li­cher Be­stand­teil ei­ner nach­hal­ti­gen Ent­wick­lung und Öko­lo­gie. Al­les, das da­zu bei­trägt, dass sich die Be­zie­hun­gen zwi­schen Deutsch­land und Russ­land nor­ma­li­sie­ren, ist erst­mal zu be­für­wor­ten. Dar­um kann ich Nord Stream 2 für den Mo­ment hinnehmen.

Ist es denn wirk­lich frie­dens­för­dernd, wenn man Russ­land un­ter­stützt, die Ukrai­ne zu umgehen?

Es wur­den Lö­sun­gen ge­fun­den, die Aus­glei­che für die Ukrai­ne brin­gen. 2013 hat au­ßer­dem die Ukrai­ne die Gas­lei­tun­gen nach Eu­ro­pa ge­schlos­sen und ver­sucht es Russ­land in die Schu­he zu schieben.

Kön­nen Sie denn ver­ste­hen, dass sich die Ukrai­ne nicht nur über­gan­gen fühlt, son­dern auch Angst da­vor hat, weil Ver­ein­ba­run­gen ge­bro­chen wer­den kön­nen, wäh­rend ei­ne Pipe­line existiert?

Wenn wir über die Ukrai­ne spre­chen, müs­sen wir auch dar­über spre­chen, dass sich die EU und die NA­TO über Jahr­zehn­te – seit dem Zer­fall der UdSSR – ge­gen die In­ter­es­sen Russ­lands im­mer wei­ter in den Os­ten aus­ge­brei­tet hat. Letzt­end­lich ist der Kon­flikt in der Ukrai­ne es­ka­liert. Auf Druck der EU muss­te die Ukrai­ne das Ra­ti­fi­zie­rungs­ab­kom­men un­ter­schrei­ben. Pu­tin hat als Re­ak­ti­on dar­auf die Krim an­nek­tiert. All das war un­nö­tig und hät­te ver­hin­dert wer­den können.

Fra­gen des Ka­ta­stro­phen­schut­zes und Warn­tech­ni­ken wie Cell Broad­cas­ting müs­sen erns­ter ge­nom­men werden“

Am Bei­spiel der Hoch­was­ser­ka­ta­stro­phe und der Co­ro­na­kri­se ha­ben wir ge­merkt, dass die Di­gi­ta­li­sie­rung auch Men­schen­le­ben kos­ten kann, weil Warn-Apps zu spät fer­tig wer­den, zu we­nig Funk­tio­nen ha­ben, zu sel­ten oder zu häu­fig aus­lö­sen. Wo ist das Pro­blem bei der Di­gi­ta­li­sie­rung des Bevölkerungsschutzes?

Über die Warn­tech­nik Cell Broad­cas­ting könn­ten Men­schen in ei­nem be­stimm­ten Be­reich di­rekt per SMS ge­warnt wer­den. Hier­für müs­sen kei­ne per­so­nen­be­zo­ge­nen Da­ten er­ho­ben wer­den. Fra­gen des Ka­ta­stro­phen­schut­zes wur­den hier­zu­lan­de bis­her nicht wirk­lich ernst ge­nom­men, ob­wohl die Pro­gno­sen der Wis­sen­schaft deut­lich sind. Bei je­der Ka­ta­stro­phe muss die Bun­des­wehr an­rü­cken. War­um sind nicht Feu­er­wehr, das THW oder die Ver­wal­tun­gen ent­spre­chend aus­ge­rüs­tet und ver­fü­gen über das Know-how, um auf Ka­ta­stro­phen­fäl­le re­agie­ren zu können?

In der kon­kre­ten Ka­ta­stro­phe ist die Hilfs­be­reit­schaft der Zi­vil­be­völ­ke­rung sehr groß. Es muss mög­lich sein, Eh­ren­amt­li­che bes­ser über Haupt­amt­li­che in der Ver­wal­tung ko­or­di­nie­ren zu kön­nen. Wir dür­fen Fra­gen der öf­fent­li­chen Ver­wal­tung nicht auf dem Rü­cken eh­ren­amt­li­cher Bür­ger ab­la­den. Der Ka­ta­stro­phen­schutz muss in Deutsch­land struk­tu­rell ge­stärkt wer­den, in­dem ent­spre­chen­de Mel­de­ket­ten ernst ge­nom­men wer­den und Si­re­nen wie­der ak­ti­viert werden.

Wenn Sie Gel­der für die Di­gi­ta­li­sie­rung in die Hand neh­men, set­zen Sie dann auf Pro­duk­te von Microsoft?

Nein, wir set­zen ganz klar auf Open Source. Wir möch­ten ge­setz­lich ver­pflich­ten, dass öf­fent­li­che Stel­len auf Open-Source-Programme wech­seln müs­sen. Wir möch­ten, dass es bei kom­mer­zi­el­len An­bie­tern so et­was wie ei­ne Ga­ran­tie für Soft­ware gibt. So wie es im Han­del die ge­setz­li­che Ge­währ­leis­tung – Ga­ran­tie – von zwei Jah­ren gibt, müs­sen An­bie­ter von Soft­ware ver­pflich­tet wer­den ein Pro­gramm über ei­ne be­stimm­te Zeit mit Si­cher­heits­up­dates zu un­ter­stüt­zen. Wenn ein Sys­tem äl­te­re Pro­gram­me nicht mehr un­ter­stützt, tau­chen nicht be­heb­ba­re Si­cher­heits­lü­cken auf. Dann muss man das Pro­gramm durch ein Neue­res er­set­zen. Hier wol­len wir die Vor­ga­ben än­dern. Wenn kei­ne Up­dates mehr kom­men, soll­te der Quell­code ver­öf­fent­licht wer­den müssen.

Wir möch­ten IT-Anbieter zu Up­dates für ih­re Pro­gram­me verpflichten“

Soll­ten im Sin­ne des Um­welt­schut­zes und der Ar­beits­be­din­gun­gen in är­me­ren Län­dern glo­ba­le Lie­fer­ket­ten über­dacht wer­den? Ist das neue Lie­fer­ket­ten­ge­setz et­wa der Weg für mehr Um­welt­schutz hin zu ei­ner re­gio­na­len Landwirtschaft?

Das Lie­fer­ket­ten­ge­setz, so wie es jetzt be­schlos­sen wur­de, ist das Pa­pier nicht wert, auf dem es ge­schrie­ben steht. Es gilt nur für sehr gro­ße Be­trie­be und hat au­ßer dem ei­ge­nen Be­trieb nur ein wei­te­res Glied – näm­lich den di­rek­ten Zu­lie­fe­rer. Es gibt nicht die Mög­lich­keit der zi­vil­recht­li­chen Kla­ge bei Ver­stö­ßen. Wir brau­chen ein Lie­fer­ket­ten­ge­setz, das auch für mitt­le­re Un­ter­neh­men ab 250 Mit­ar­bei­ten­den gilt, das die zi­vil­recht­li­che Kla­ge er­mög­licht und auch die ge­sam­te Lie­fer­ket­te einschließt.

Was ant­wor­ten Sie Un­ter­neh­mern, die sich dann dar­über be­schwe­ren, dass das Ge­setz ei­nen zu­sätz­li­chen bü­ro­kra­ti­schen Auf­wand mit sich bringt? Es gibt ja auch Un­ter­neh­mer, die tra­di­tio­nell bei Lie­fer­ket­ten auf Ver­trau­ens­ba­sis ar­bei­ten und jetzt zu­sätz­li­che Ar­beits­kräf­te für den Pa­pier­kram ein­stel­len müssen.

Es war ja nicht zu viel Auf­wand, die Lie­fer­ket­te her­zu­stel­len und der Un­ter­neh­mer kennt sei­ne Lie­fe­ran­ten ja. Das wä­re nicht wirk­lich ein si­gni­fi­kan­ter Mehr­auf­wand und ich er­ach­te das als über­schau­bar. Ei­ne re­gel­mä­ßi­ge Be­richts­pflicht gibt es ja teil­wei­se schon.

Von den Corona-Hilfen pro­fi­tier­ten ins­be­son­de­re Groß­un­ter­neh­men, die so­gar Di­vi­den­den aus­schüt­ten konn­ten. Wie möch­ten Sie klei­ne und mitt­le­re Un­ter­neh­men (KMUs) und Selbst­stän­di­ge nach der Wirt­schafts­kri­se unterstützen?

Wenn man sich an­guckt, dass et­wa die Luft­han­sa mit neun Mil­li­ar­den Eu­ro ge­ret­tet wur­de, oh­ne dass dies mit Auf­la­gen hin­sicht­lich von Ar­beits­plät­zen ver­bun­den wur­de, ist das ein ziem­li­cher Skan­dal. Wir wol­len KMUs und klei­ne­re Un­ter­neh­men lang­fris­tig un­ter­stüt­zen, in­dem wir die Ge­wer­be­steu­er neu or­ga­ni­sie­ren und den Frei­be­trag dort mas­siv er­hö­hen. Das soll ge­gen­fi­nan­ziert wer­den. Wir möch­ten ei­ne ein­ma­li­ge Ver­mö­gens­ab­ga­be, um die Corona-Kosten zu be­zah­len. Sie soll grei­fen ab zwei Mil­lio­nen Eu­ro für Pri­vat­per­so­nen und fünf Mil­lio­nen für Be­triebs­ver­mö­gen und über 20 Jah­re ab­zahl­bar sein. Dar­über wür­den mehr als 300 Mil­li­ar­den Eu­ro in die Kas­se kom­men, um die Fol­gen der Co­ro­na­kri­se zu be­glei­chen. Wenn die zu­künf­ti­ge Bun­des­re­gie­rung nicht von Lin­ken ge­führt wird, wird sie wie­der an die mitt­le­ren Ein­kom­men und Un­ter­neh­men ge­hen, wie schon in der Ver­gan­gen­heit. Sie wird ver­su­chen, bei den Ar­men wegzusparen.

Es braucht ei­ne Ver­mö­gens­steu­er, da­mit nicht wie­der der Mit­tel­stand be­las­tet wird“

Die Um­ver­tei­lung kann nur über Be­steue­rung funk­tio­nie­ren. Was sind hier die Plä­ne der Linken?

Lang­fris­tig brau­chen wir ei­ne Ver­mö­gens­steu­er in Hö­he von ei­nem Pro­zent, die ab ei­ne Mil­lio­nen Eu­ro und bei Be­triebs­ver­mö­gen ab fünf Mil­lio­nen Eu­ro greift. Die­se bringt je­des Jahr et­wa 90 Mil­li­ar­den Eu­ro in die Kas­se und be­trifft nur et­wa ein Pro­zent der Be­völ­ke­rung. Dar­über möch­ten wir Steu­er­erleich­te­run­gen fi­nan­zie­ren. Je­mand, der un­ter 6.500 Eu­ro im Mo­nat brut­to be­kommt, pro­fi­tiert von un­se­rem Steu­er­kon­zept. Wer dar­über ver­dient wird stär­ker belastet.

Wie pro­fi­tie­ren Ar­me, die kei­ne Steu­er bezahlen?

Be­dürf­ti­ge oh­ne Ein­kom­men pro­fi­tie­ren von ei­ner sank­ti­ons­frei­en mo­nat­li­chen Grund­si­che­rung von 1.200 Eu­ro. Das ist un­ser Mit­tel, um Ar­mut in Deutsch­land zu über­win­den. Wer die­sen Be­trag er­hält, gilt laut Me­di­en nicht mehr als armutsgefährdet.

Das wä­re kein be­din­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men, son­dern ei­ne neue Art der Sozialhilfe?

Rich­tig, es er­setzt das ak­tu­el­le Hartz-IV-Regime.

Öko­no­mi­sches Aus­ein­an­der­drif­ten der Ge­sell­schaft wirkt auch so­zi­al und politisch“

Was hal­ten Sie denn von Mo­dell­pro­jek­ten zum be­din­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­men? Ist un­se­re Ge­sell­schaft da­für zu erwerbszentriert?

Das be­din­gungs­lo­se Grund­ein­kom­men ist fi­nan­zi­ell si­cher­lich mög­lich. Es gibt hier­zu al­ler­dings ei­ni­ge of­fe­ne Fra­gen, die auch bei Lin­ken dis­ku­tiert wer­den: Ist das be­din­gungs­lo­se Grund­ein­kom­men exis­tenz­si­chernd oder nicht? Ist es so hoch, dass ich da­von an­stän­dig le­ben und Teil­ha­be an der Ge­sell­schaft ha­ben kann oder reicht es nicht? Wenn wir uns ein Mo­dell vor­stel­len, dass nicht zum Über­le­ben reicht und man wei­ter­hin Er­werbs­ar­beit wahr­neh­men muss, ist die Ge­fahr groß, dass die Löh­ne mas­siv fal­len, oh­ne dass man am En­de mehr in der Ta­sche hat. War­um soll­te das Un­ter­neh­men noch die Löh­ne zah­len wie vor­her? Neo­li­be­ra­le wür­den nun auch die So­zi­al­sys­te­me, wie Renten- und Ver­si­che­rungs­sys­te­me ab­schaf­fen. Das darf auch auf gar kei­nen Fall pas­sie­ren. Da wä­ren wir und si­cher­lich ich nicht mit da­bei. Es gibt ein Mo­dell des be­din­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­mens von links, das Eman­zi­pa­to­ri­sche Grund­ein­kom­men. Das wird bei uns ge­ra­de dis­ku­tiert. Dort blei­ben die­se Sys­te­me al­le in Kraft.Es muss ei­nen Un­ter­schied ge­ben von je­man­den, der jah­re­lang vom Grund­ein­kom­men ge­lebt hat, was völ­lig ok ist, und ei­ner Per­son, die jah­re­lang in die Ar­beits­lo­sen­ver­si­che­rung ein­ge­zahlt hat. Letz­te­rer hat sich viel­leicht ei­nen an­de­ren Le­bens­stan­dard auf­ge­baut. Ein Grund­ein­kom­men deckt auch nicht al­le Be­dürf­nis­se ab; et­wa Mehr­be­dar­fe für Men­schen mit Be­hin­de­rung. Es gibt al­so noch zahl­rei­che Fra­gen, was das BGE an­geht. Au­ßer Fra­ge steht für mich aber, dass nie­mand un­ter 1.200 Eu­ro im Mo­nat fal­len darf. Dar­um for­dern wir ei­ne sank­ti­ons­freie Grundsicherung.

Vie­len Dank für das Ge­spräch und al­les Gu­te für die Wahl!

Das In­ter­view führ­ten Jo­han­nes Mi­rus und Ans­gar Sko­da am 2. Au­gust 2021 per Vi­deo­kon­fe­renz.

2 Kommentare

  1. Soll die pri­va­te Kran­ken­ver­si­che­rung ab­ge­schafft wer­den, Herr Ber­gen. Und was ge­nau sind Ih­re Plä­ne zur Bür­ger­ver­si­che­rung? Lei­der geht das aus Ih­ren Ant­wor­ten nicht klar hervor!

    • Gu­ten Tag,

      Vie­len Dank für Ih­re Rückfrage.
      Ja, un­ser Kon­zept für die Ge­sund­heits­ver­si­che­rung kann ich ger­ne im De­tail ausführen.

      Wir wol­len ei­ne so­li­da­ri­sche Ge­sund­heits­voll­ver­si­che­rung. Das heißt kon­kret das al­le aus AL­LEN Ein­kom­men ein­zah­len. Da­mit sind nicht nur Be­am­te, Selbst­stän­di­ge und Po­li­ti­ker ge­meint, son­dern auch Ein­künf­te aus Ka­pi­tal­ge­win­nen. Da­zu wol­len wir die Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze ab­schaf­fen. Durch die­se Maß­nah­men re­du­ziert sich der Bei­trags­satz von et­wa 15 % auf ca. 12%. Für Men­schen mit ei­nem Mo­nats­ein­kom­men bis 6.200 Eu­ro sin­ken da­durch die Bei­trä­ge für die Kran­ken­ver­si­che­rung. Vor al­lem Rent­ner und Selb­stän­di­ge mit klei­nen Ein­kom­men wer­den deut­lich entlastet.
      Die Bei­trä­ge könn­ten so­gar wei­ter fal­len, al­ler­dings wol­len wie auch die Leis­tun­gen aus­bau­en. Al­le me­di­zi­nisch not­wen­di­gen Leis­tun­gen, Me­di­k­ente, Bril­len, Zahn­ersatz und Phy­sio­the­ra­pie kom­men wie­der in den Leistungskatalog.

      Da­mit er­le­digt sich das Ge­schäfts­mo­dell der pri­va­ten Kran­ken­ver­si­che­run­gen im Grun­de und das wä­re auch gut so. Wir wol­len die Zwei­klas­sen­me­di­zin über­win­den, weil sie mehr Nach­tei­le als Vor­tei­le hat. Die pri­va­ten KVen sor­gen sich vor al­lem um ih­ren Pro­fit und we­nig um die Ge­sund­heit der Be­völ­ke­rung. So lan­ge man jung, ge­sung und kin­der­los ist mö­gen die Bei­trä­ge at­trak­tiv sein. So­bald man sich je­doch die Bei­trä­ge nicht mehr leis­ten kann, weil man z.B. äl­ter wird (soll es ja ge­ben), ver­liert man den Ver­si­che­rungs­schutz und ge­rät schnell in ei­ne bü­ro­kra­ti­sche Müh­le. et­was 100.000 Men­schen in Deutsch­land ha­ben kei­nen Ver­si­che­rungs­schutz. Das wol­len wir ändern!

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