Der 37-jährige Chris­toph Jan­sen ist seit 2019 Be­zirks­bür­ger­meis­ter von Bad Go­des­berg und stell­ver­tre­ten­der Vor­sit­zen­der der Bon­ner CDU. Er kan­di­diert für den kom­men­den Bun­des­tag, für den er als Di­rekt­kan­di­dat ein­zie­hen möch­te. Ans­gar Sko­da und Jo­han­nes Mi­rus ha­ben ihn di­gi­tal ge­trof­fen und über die Flut­ka­ta­stro­phe im Ahrtal, Kli­ma und Trans­pa­renz ge­spro­chen und na­tür­lich auch über Bonn.

Bundesstadt.com: Hat die Flut­ka­ta­stro­phe Mit­te Ju­li Ih­ren Blick auf die Kli­ma­kri­se geändert?

Chris­toph Jan­sen: Die Ka­ta­stro­phe hat in­so­fern mei­nen Blick auf die Kri­se nicht ver­än­dert, als dass es ei­gent­lich für nie­man­den ei­ne Über­ra­schung sein konn­te, dass Ex­trem­wet­ter­er­eig­nis­se durch den Kli­ma­wan­del zu­neh­men. Und dass die­se auch frü­her oder spä­ter mehr oder we­ni­ger hef­tig un­se­re Brei­ten­gra­de tref­fen wür­den. Aber ich glau­be, dass das jetzt hier vor un­se­rer Haus­tür pas­siert ist, hat bei vie­len Leu­ten da­zu ge­führt, dass die abs­trakt wahr­ge­nom­me­ne Ge­fahr des Kli­ma­wan­dels auf er­schre­cken­de Wei­se sehr viel kon­kre­ter ge­wor­den ist. Ob uns das ge­fällt oder nicht: Wir wer­den uns dar­auf auch in Zu­kunft ein­stel­len müssen.

Wie kön­nen wir uns auf sol­che Er­eig­nis­se bes­ser vorbereiten?

Ein klei­nes Po­si­tiv­bei­spiel ha­be ich in Bad Go­des­berg er­lebt. Dort gibt es am Meh­le­mer Bach seit kur­zer Zeit ei­nen Ent­las­tungs­ka­nal. Der ist für viel Geld nach Über­schwem­mun­gen im Jahr 2010, 2013 und 2016 ge­baut wor­den. Der hat jetzt funk­tio­niert, und hat da­zu ge­führt, dass bei den schreck­li­chen Er­eig­nis­sen vor kur­zer Zeit in Meh­lem kei­ne mas­si­ven Über­schwem­mun­gen auf­tra­ten. Das ist ein Mini-Beispiel da­für, wie man sich auch vor­be­rei­ten und schüt­zen muss. Man sieht aber auch, wie viel Geld da­für nö­tig ist. Für ei­nen Ent­las­tungs­ka­nal für ei­nen klei­nen Bach wur­den 12 Mil­lio­nen Eu­ro in­ves­tiert. Trotz­dem müs­sen wir auf die Fra­ge der Prä­ven­ti­on in nächs­ter Zeit ei­nen star­ken Fo­kus legen.

Wir ha­ben zum Ahrtal nach Schät­zun­gen ein Hoch­was­ser von über 7 Me­tern ge­habt, bis­her war der Höchst­stand et­wa 3,70 Me­ter. Da hilft ja auch kein Aus­gleichs­ka­nal mehr. Was kann man ma­chen, dass beim nächs­ten Stark­re­gen nicht wie­der al­les untergeht?

Aus­drück­lich oh­ne die Er­eig­nis­se zu re­la­ti­vie­ren, sind nach mei­nem Ver­ständ­nis dort un­glück­li­cher­wei­se vie­le Din­ge zu­sam­men­ge­kom­men: ein wirk­lich ex­tre­mes Ex­trem­wet­ter­er­eig­nis, das gleich­zei­tig über ei­nen re­la­tiv lan­gen Zeit­raum an ei­nem Ort stand – und zwar über ei­nem Tal. Die Wahr­schein­lich­keit ei­ner solch ex­tre­men Ka­ta­stro­phe an die­sem Ort war nicht sehr hoch. Nichts­des­to­trotz muss man sich na­tür­lich dar­auf vor­be­rei­ten. Und klar, da hät­te auch ein gu­ter Ent­las­tungs­ka­nal ver­mut­lich nicht geholfen.

Wir müs­sen mehr Be­wusst­sein da­für schaf­fen, dass sol­che Ka­ta­stro­phen wie im Ahrtal pas­sie­ren können“

Im kon­kre­ten Fall muss man auch über die Warn­maß­nah­men sprechen.

Un­be­dingt. Und das hat aus mei­ner Sicht zwei Kom­po­nen­ten. Das ei­ne ist ei­ne tech­ni­sche Fra­ge auf Sei­ten der Be­hör­den. Wir dis­ku­tie­ren jetzt dar­über, ob wir wie­der ver­stärkt die ver­meint­lich alt­mo­di­schen Warn­si­re­nen brau­chen – die aber viel­leicht gar nicht so alt­mo­disch sind, je­den­falls hät­ten sie ei­ne wei­te­re Kom­po­nen­te an Si­cher­heit ge­bracht. Wir müs­sen auch re­den über Warn­sys­te­me per SMS und an­de­re di­gi­ta­le Möglichkeiten.

Und die an­de­re Sei­te der Me­dail­le ist, dass wir ein Be­wusst­sein schaf­fen müs­sen für die Tat­sa­che, dass sol­che Ka­ta­stro­phen in un­se­ren Brei­ten­gra­den mög­lich sind. Das heißt, da muss man Awareness-Raising in der Be­völ­ke­rung ma­chen. So kann man schnel­ler reagieren.

Awareness-Raising ist ein gu­tes Stich­wort. Die War­nung vor der Ka­ta­stro­phe hat nicht gut funk­tio­niert. Es wur­de zu we­nig oder zu we­nig dring­lich vor den be­vor­ste­hen­den Flu­ten ge­warnt. Wie kann man da Ver­bes­se­rung schaffen?

In ei­ni­gen Ort­schaf­ten sind am Tag vor­her auch Feu­er­wehr­fahr­zeu­ge mit lau­ten Warn­mel­dun­gen durch die Stra­ßen ge­fah­ren. Auch das ist si­cher ein In­stru­ment, das man flä­chen­de­cken­der ein­set­zen muss. Was aber durch ein an­de­res Be­wusst­sein pas­sie­ren kann, ist schlicht und ein­fach, dass Men­schen schnel­ler re­agie­ren und da­durch wahr­schein­lich Le­ben ge­ret­tet wer­den. Es ist to­tal nach­voll­zieh­bar, dass ein ers­ter Re­flex bei ei­nem Stark­re­gen­er­eig­nis ist, in den Kel­ler zu ge­hen und zu schau­en, was man noch ret­ten kann. Un­se­re Er­fah­rung hier in die­sem Brei­ten­grad ist nicht, dass ein Kel­ler oder ein hal­bes Haus in­ner­halb we­ni­ger Mi­nu­ten voll­läuft. Es muss klar sein, dass das pas­sie­ren kann, dass ich dann nicht mehr in den Kel­ler ge­he, son­dern mei­ne Liebs­ten pa­cke und die Ge­fah­ren­stel­le verlasse.

War­um gibt es in Deutsch­land kein Cell-Broadcasting, das Ka­ta­stro­phen­war­nun­gen an al­le Han­dys schickt, egal, ob sie ei­ne Warn-App in­stal­liert ha­ben oder nicht? Und war­um gibt es über­haupt ver­schie­de­ne Warn-Apps?

Ganz ge­nau, das ver­wirrt. Ich ha­be auch mit vie­len Leu­ten ge­spro­chen, die ge­sagt ha­ben, dass sie zum Bei­spiel bei der NINA-Warn-App so vie­le Push-Nachrichten und an­de­re Mit­tei­lun­gen be­kom­men ha­ben, dass sie die War­nun­gen gar nicht mehr be­ach­ten. Das ist ja auch nicht Sinn ei­ner Warn-App. Es gibt aus mei­ner Sicht kei­nen Grund, war­um Deutsch­land hin­ter an­de­ren Län­dern her­hinkt. In an­de­ren Län­dern funk­tio­niert das gut. Cell-Broadcasting ist ei­ne Tech­no­lo­gie, in die wir jetzt un­be­dingt in­ves­tie­ren müssen.

Wir ha­ben ein rie­si­ges Po­ten­zi­al im Be­reich Solarenergie“

Wind­ener­gie ist ak­tu­ell die wich­tigs­te er­neu­er­ba­re En­er­gie­quel­le. Auf dem Land wird oft be­klagt, dass der Wind­kraft­aus­bau das Pan­ora­ma ver­schan­delt und der Land­tou­ris­mus rück­läu­fig ist. Wä­ren Klein­wind­kraft­an­la­gen mit ver­ti­ka­ler Wind­tur­bi­ne ei­ne Alternative?

Ich glau­be, dass das zwar ei­ne wich­ti­ge Kom­po­nen­te ist, aber dass wir den Fo­kus in Deutsch­land ein biss­chen in ei­ne an­de­re Rich­tung len­ken müs­sen. Ers­tens Rich­tung mehr Offshore-Windenergie, weil dar­in rie­si­ge Po­ten­zia­le ste­cken und die eben nicht das Pro­blem ha­ben, dass man sich da mit lan­gen Ge­neh­mi­gungs­ver­fah­ren vor Ort und mit den kom­mu­na­len Ak­teu­ren aus­ein­an­der­set­zen und sich auf Kom­pro­mis­se ei­ni­gen muss. Vor­aus­set­zung da­für ist na­tür­lich, dass wir die Netz- und Spei­cher­ka­pa­zi­tä­ten wei­ter erhöhen.

Und zwei­tens ha­ben wir ein rie­si­ges Po­ten­zi­al im Be­reich So­lar­ener­gie. Wenn man sich für Bonn mal das So­lar­dach­ka­tas­ter an­schaut, das an­gibt, wo po­ten­zi­ell So­lar­an­la­gen in­stal­liert wer­den könn­ten, se­he ich die Stadt ei­gent­lich in ei­ner Vor­rei­ter­rol­le. Da soll­ten wir erst ein­mal be­spre­chen, wo städ­ti­sche Ge­bäu­de das vor­ma­chen kön­nen. Dann ist das ein Be­reich, wo wir un­pro­ble­ma­ti­scher mehr er­neu­er­ba­re En­er­gie ge­win­nen kön­nen, als über Onshore-Windkraftanlagen, weil da eben ganz vie­le Pro­ble­me mit ver­bun­den sind.

Aber Wind­kraft ist ja schon die ef­fi­zi­en­tes­te er­neu­er­ba­re Energiegewinnung.

Ab­so­lut. Das heißt auch nicht, dass ich kom­plett ge­gen Wind­kraft auf dem Land bin. Man muss für al­le po­li­ti­schen Ent­schei­dun­gen aber auch im­mer den Fak­tor mit be­den­ken, wie stark es ge­lingt, Men­schen zu über­zeu­gen, sol­che Maß­nah­men auch mit­zu­tra­gen. Da­mit die nicht plötz­lich ge­gen ei­ne En­er­gie­wen­de sind, nur weil sie kein Wind­rad im Gar­ten ste­hen ha­ben wol­len, über­spitzt formuliert.

Und des­we­gen ist die En­er­gie­ef­fi­zi­enz ein wich­ti­ges Kri­te­ri­um. Aber an­de­re spie­len auch ei­ne Rol­le. Ich glau­be üb­ri­gens, dass wir auch tech­no­lo­gisch noch nicht das En­de der Fah­nen­stan­ge er­reicht ha­ben. Es gibt fas­zi­nie­ren­de Tech­no­lo­gien, die noch in der Ent­wick­lung sind oder wel­che, die wir noch gar nicht ken­nen. Das ist ei­ne wich­ti­ge Auf­ga­be für den Bund. Ent­spre­chend wer­den wir in den nächs­ten Jah­ren Fi­nanz­mit­tel in gro­ßer Hö­he zu Ver­fü­gung stel­len für ei­ne tech­no­lo­gie­of­fe­ne For­schung und Ent­wick­lung im Be­reich der Klimatechnologie.

Wenn wir ein­mal be­wie­sen ha­ben, dass man aus Atom­kraft und fos­si­len En­er­gien aus­stei­gen kann, gleich­zei­tig er­folg­reich In­dus­trie­na­ti­on blei­ben kann, dann hat das hof­fent­lich Vorbildcharakter.

Wenn man an Bonn denkt, muss ei­nem Beet­ho­ven einfallen“

Sie kan­di­die­ren ja für Bonn. Was wol­len Sie für Bonn in Ber­lin bewirken?

Ein ganz wich­ti­ges Ziel ist, dass wir in Bonn noch mehr in­ter­na­tio­na­le Or­ga­ni­sa­tio­nen an­sie­deln. Wir ha­ben hier ein in­ter­na­tio­na­les Nach­hal­tig­keits­clus­ter, das auch her­vor­ra­gend zu Bonn passt. Das ist ein Pro­fil, das wir aus­bau­en müs­sen. Das pas­siert, in­dem man in Ber­lin und in Eu­ro­pa die Klin­ken für Bonn putzt. Da­zu ge­hört, für die Ein­hal­tung des Bonn-Berlin-Gesetzes zu kämp­fen und dar­auf zu po­chen, dass es nicht im­mer wei­ter un­ter­lau­fen wird.

Ein wei­te­res wich­ti­ges Ziel ist, Bonn als Beethoven- und Kul­tur­stadt wei­ter be­kannt zu ma­chen. Wenn man an Bay­reuth denkt, fällt ei­nem so­fort Wag­ner ein. Das muss mit Bonn und Beet­ho­ven auch pas­sie­ren. Beet­ho­ven ist welt­weit der po­pu­lärs­te Kom­po­nist. Das sind Po­ten­zia­le, die ge­nutzt wer­den müssen.

Chris­toph Jan­sen (un­ten) im In­ter­view mit Jo­han­nes Mi­rus (links oben) und Ans­gar Sko­da (rechts oben)

Wie ste­hen Sie zur Nach­ver­dich­tung in Bonn? Wie wich­tig sind Ih­nen Grün­flä­chen und Bäu­me? Wir ha­ben ja ge­ra­de erst im Mar­ga­ri­ne­vier­tel ge­se­hen, dass die letz­ten al­ten Bäu­me ge­fällt wer­den, um Wohn­raum zu schaffen.

Kon­kret im Mar­ga­ri­ne­vier­tel wünsch­te ich mir, wir hät­ten ei­ne po­li­ti­sche Hand­ha­be, Bäu­me zu ret­ten und die Be­bau­ung an­ders zu re­geln. Die ha­ben wir aber lei­der nicht. Die Ver­wal­tung hät­te da, wenn über­haupt, ei­nen He­bel. Aber es gibt dort nun ein­mal das Recht zur Nachverdichtung.

Grund­sätz­lich müs­sen wir beim The­ma Wohn­raum im­mer ge­nau ab­wä­gen, was Sinn macht und was nicht. Klar ist, dass wir in ei­ner Stadt wie Bonn gro­ßen Be­darf an Flä­chen ha­ben. Üb­ri­gens nicht nur für Wohn­raum, son­dern auch für Bü­ros und Ge­wer­be. Das ist auch ein Aus­druck der At­trak­ti­vi­tät der Stadt. Ge­ra­de des­we­gen brau­chen wir auch ei­ne Be­trach­tung der Wohn­qua­li­tät. Es macht kei­nen Sinn, wenn wir at­trak­ti­ve Wohn­vier­tel durch Wohn­kom­ple­xe zu­bal­lern und ver­sie­geln. Ich fin­de An­sät­ze, in die Hö­he zu bau­en, be­trach­tens­wert. Oder auch be­reits ver­sie­gel­te Flä­chen zu nut­zen, in­dem bei­spiels­wei­se auf Dis­coun­ter drauf ge­baut wird.

Was hal­ten Sie da­von, dass die Stadt Bonn Grund­stü­cke nicht mehr ver­kauft, son­dern nur noch in Erb­pacht­recht vergibt?

Von die­ser rei­nen Leh­re, in der das jetzt prak­ti­ziert wer­den soll, hal­te ich nichts. Das führt da­zu, dass sol­che Mo­del­le un­at­trak­ti­ver für Bau­en­de sind, weil sie die­se Wer­te nicht ins Grund­buch ein­tra­gen kön­nen. Wenn das da­zu führt, dass dann we­ni­ger ge­baut wird, ist das nicht sinn­voll. Ich hal­te es aber auch in Tei­len für Scheindis­kus­sio­nen, denn ent­schei­den­der sind die Fra­gen, die wir schon be­spro­chen ha­ben. Man nimmt sich aber mit so ei­ner ab­so­lu­ten Re­ge­lung ei­ne Fle­xi­bi­li­tät, die viel­leicht für Kom­pro­mis­se nö­tig wäre.

So viel und so schnell wie mög­lich bauen!“

Wir re­den in Bonn viel über hoch­wer­ti­gen Wohn­raum, Ge­wer­be­flä­chen. Wie aber schafft man auch be­zahl­ba­ren Wohnraum?

Erst ein­mal: So viel wie mög­lich bau­en! Da hängt auch ei­ne so­wohl kom­mu­na­le, als auch bun­des­po­li­ti­sche Fra­ge dran: Wie ge­lingt es, Planungs- und Ge­neh­mi­gungs­ver­fah­ren zu be­schleu­ni­gen? Das gilt so­wohl für die Ver­wal­tung, als auch – durch­aus selbst­kri­tisch – für die Po­li­tik, in der vie­le Vor­ha­ben zu lan­ge dis­ku­tiert werden.

Das an­de­re ist das Bau­land­mo­dell, das wir in der letz­ten Rats­pe­ri­ode be­schlos­sen ha­ben. Das sieht vor, dass ab ei­ner ge­wis­sen Grö­ße von Bau­vor­ha­ben 40 Pro­zent ge­för­der­ter, al­so güns­ti­ger Wohn­raum mit ein­ge­plant wer­den muss.

Au­ßer­dem müs­sen wir ver­stärkt in ei­nen Ko­ope­ra­ti­ons­mo­dus mit dem Rhein-Sieg-Kreis kom­men. Dar­über wur­de in der Ver­gan­gen­heit viel ge­re­det, viel be­wegt hat sich al­ler­dings nicht. Klei­ne Schrit­te ja, aber nicht so viel, wie wir bräuch­ten. Im Rhein-Sieg-Kreis gibt es vie­le freie Flä­chen. Das setzt aber auch vor­aus, dass man den ÖPNV at­trak­ti­ver macht.

Soll­ten Bonn und der Rhein-Sieg-Kreis fusionieren?

Als Bad Go­des­ber­ger Be­zirks­bür­ger­meis­ter weiß ich, wie emo­tio­nal ver­bun­den und mit wie vie­len Nach­we­hen sol­che Fu­sio­nen sind, auch wenn sie in der Sa­che viel­leicht gar nicht dumm sind. Sie hät­te vie­le Vor­tei­le. Und ei­gent­lich müss­ten wir uns, um in­ter­na­tio­nal wett­be­werbs­fä­hig zu sein, noch viel mehr als Re­gi­on Köln-Bonn-Aachen wahrnehmen.

Or­te wie bei­spiels­wei­se Tan­nen­busch wa­ren Trei­ber in der Pan­de­mie. Wie möch­ten Sie Men­schen in so­zia­len Brenn­punk­ten, in be­eng­ten Wohn­ver­hält­nis­sen nicht nur in Kri­sen­zei­ten bes­ser in den Blick neh­men und unterstützen?

Zu­erst ein­mal soll­te man Zah­len, die man hat, auch frü­her ver­öf­fent­li­chen. Die Stadt­ver­wal­tung hat sehr lan­ge ge­zö­gert, dar­zu­stel­len, in wel­chen Stadt­tei­len die Co­ro­na­zah­len sehr hoch sind und in wel­chen nicht. Das wur­de ge­macht, um ei­ner ver­meint­li­chen Stig­ma­ti­sie­rung vor­zu­beu­gen. Ich glau­be nicht, dass das rich­tig war. Es gibt ja auch Grün­de wie die ge­nann­ten be­eng­ten Wohn­ver­hält­nis­se, an­de­re kul­tu­rel­le Hin­ter­grün­de, aber auch Sprach­bar­rie­ren. Hät­ten wir schon frü­her ge­wusst, wo die Hot­spots sind, hät­ten wir schon eher re­agie­ren kön­nen, zum Bei­spiel mit mo­bi­len Impfteams.

Zwei­tens soll­te man in Hin­blick auf Wohn­bau da­für sor­gen, dass es ge­misch­te Wohn­ver­hält­nis­se gibt, da­mit sich in ei­ner Stadt nicht be­stimm­te Wohn­clus­ter bil­den. Ver­ges­sen soll­te man au­ßer­dem nicht Quar­tiers­ma­nage­ment, um Men­schen kon­kret und vor Ort im All­tag zu helfen.

Po­li­tik muss Din­ge bes­ser kommunizieren“

Zu et­was ganz an­de­rem. Es wird viel Geld für die Auf­rüs­tung aus­ge­ge­ben. Braucht es Pro­jek­te wie KI-gesteuerte Kampf­jets oder Drohnen?

Ich fin­de es nicht ver­ant­wort­lich, deut­sche Sol­da­tin­nen und Sol­da­ten in Kampf­ein­sät­ze zu schi­cken, oh­ne sie durch Droh­nen zu schüt­zen. Wer für un­se­re Wer­te und un­se­re freie Ge­sell­schaft das Le­ben ris­kiert, muss un­ter al­len Um­stän­den ge­schützt wer­den. Für Rüs­tungs­aus­ga­ben hat Deutsch­land zu­ge­sagt, zwei Pro­zent des Brut­to­in­lands­pro­dukts (BIP) aus­zu­ge­ben. Das fin­de ich rich­tig, um vor al­lem die Sol­da­tin­nen und Sol­da­ten im Ein­satz mit ad­äqua­tem Ma­te­ri­al aus­zu­stat­ten. Aber auch, weil Deutsch­land ei­ne in­ter­na­tio­na­le Ver­pflich­tung da­zu hat. Das gilt üb­ri­gens auch für die Ent­wick­lungs­zu­sam­men­ar­beit, de­ren An­teil am BIP ger­ne noch stei­gen darf. Bei­des ge­hört für mich zusammen.

Wie viel Pro­zent des BIP soll­te denn für Bil­dung aus­ge­ge­ben werden?

Ich wer­de hier kei­ne kon­kre­ten Zah­len nen­nen, aber klar ist, dass den vie­len Wor­ten auch end­lich mal Ta­ten fol­gen müs­sen. Ich ha­be mich un­längst mit Schul­lei­tern in Bonn aus­ge­tauscht. Es ist er­schre­ckend, wie hoch der Sa­nie­rungs­stau ist. Der muss drin­gend ab­ge­ar­bei­tet wer­den. Und da ha­ben wir noch gar nicht über Be­treu­ungs­schlüs­sel und Di­gi­ta­li­sie­rung ge­re­det. Wir se­hen hier in Bonn auch, was es be­deu­tet, wenn die Uni­ver­si­tät meh­re­re Ex­zel­lenz­clus­ter hat und da­durch mit Geld­mit­teln aus­ge­stat­tet wird.

Kön­nen Sie ver­ste­hen, dass sich Men­schen in Deutsch­land von der Po­li­tik ent­fer­nen, wenn sie se­hen, dass Geld für ei­nen Krieg in Af­gha­ni­stan aus­ge­ge­ben wird, den sie nicht ver­ste­hen, oder für Corona-Hilfe an Groß­kon­zer­ne, die dann auch noch Di­vi­den­den an die Ak­tio­nä­re aus­schüt­ten, wäh­rend die Schul­ge­bäu­de ver­fal­len und Kul­tur­schaf­fen­de plei­te gehen?

Ich kann das nach­voll­zie­hen. Ein gro­ßer Teil von Po­li­tik ist Kom­mu­ni­ka­ti­on, und die hat in den ver­gan­ge­nen Jah­ren nicht im­mer gut ge­klappt. Wir le­ben in ei­ner Welt, in der die Din­ge im­mer kom­ple­xer wer­den. Trotz­dem wol­len die Men­schen ein­fa­che Er­klä­run­gen ha­ben. Die­ses Phä­no­men wird durch die so­ge­nann­ten so­zia­len Me­di­en ver­stärkt, bei de­nen sich Men­schen in ih­ren ei­ge­nen Bla­sen be­we­gen und das Ver­ständ­nis da­für ver­lie­ren, dass es an­de­re be­rech­tig­te Mei­nun­gen gibt, auch wenn man sie viel­leicht nicht gutheißt.

Ich se­he da auch per­sön­lich ei­ne Auf­ga­be, soll­te ich das Di­rekt­man­dat für Bonn er­hal­ten, nicht in der Ber­li­ner Bla­se zu ver­schwin­den, son­dern im­mer wie­der in Bonn zu sein und mich mit den Bür­ge­rin­nen und Bür­gern vor Ort auszutauschen.

Po­li­tik soll­te mög­lichst trans­pa­rent sein“

Wie se­hen Sie das The­ma Lob­by­is­mus, das ja im bun­des­deut­schen und auch eu­ro­päi­schen Raum im­mer wie­der dis­ku­tiert wird?

Ich bin da­für, dass der Be­reich des Lob­by­is­mus trans­pa­rent ge­stal­tet wird. Trans­pa­ren­ter, als das jetzt zur­zeit ist, weil dann hof­fent­lich auch ein Ver­ständ­nis da­für ent­steht, dass Lob­by­is­mus an sich ja nicht falsch ist. Es gibt nicht nur Wirt­schafts­un­ter­neh­men, son­dern auch Um­welt­ver­bän­de und an­de­re In­sti­tu­tio­nen, die ih­re In­ter­es­sen und Zie­le ver­tre­ten und mit po­li­ti­schen Ent­schei­dern be­spre­chen. Es ist für Po­li­ti­ker auch ei­ne wich­ti­ge Mög­lich­keit, sich zu in­for­mie­ren. Man kann nicht in al­len Be­rei­chen Fach­ex­per­te sein. Das Ent­schei­den­de ist dann na­tür­lich, dass der Po­li­ti­ker sei­ne Ent­schei­dung un­ab­hän­gig trifft und dass die­ser Aus­tausch mög­lichst trans­pa­rent ist.

Viel Po­li­tik­ver­dros­sen­heit ist in letz­ter Zeit auch durch Men­schen Ih­rer Par­tei ent­stan­den, die eben nicht trans­pa­rent ge­ar­bei­tet ha­ben, son­dern Ih­re Po­si­ti­on zur Selbst­be­rei­che­rung ge­nutzt haben.

Die so­ge­nann­te Mas­ken­af­fä­re, auf die Sie an­spie­len, traf nicht nur in der Be­völ­ke­rung auf Un­ver­ständ­nis, son­dern auch bei 99 Pro­zent der Men­schen in der Par­tei. Da brau­chen wir nicht drü­ber re­den, das ist nicht zu ent­schul­di­gen und nicht zu er­klä­ren. Die zwei, die das be­trifft, sind sehr schnell aus der Frak­ti­on und aus der Par­tei aus­ge­schlos­sen wor­den. Sel­ten hat ei­ne Par­tei so schnell re­agiert und das war richtig.

Die Fra­ge ist ja auch, ob das nicht sys­tem­im­ma­nent ist. Ge­ra­de in der Uni­on gibt es sehr vie­le Ab­ge­ord­ne­te, die ho­he Ne­ben­ein­künf­te ha­ben. Soll­te man da nicht eher mal dran ge­hen und die Ab­ge­ord­ne­ten­tä­tig­keit wie­der in den Vor­der­grund rü­cken, da­mit die Volks­ver­tre­ter das Volk vertreten?

Man muss da schon un­ter­schei­den, was das für Ne­ben­tä­tig­kei­ten sind: Ir­gend­wel­che Be­ra­ter­man­da­te oder was die zwei da ge­macht ha­ben, aus der Ei­gen­schaft als Ab­ge­ord­ne­te ein Ge­schäfts­mo­dell zu ma­chen. Es gibt vie­le Ab­ge­ord­ne­te, die zum Bei­spiel Land­wir­te sind oder ei­ne An­walts­kanz­lei ha­ben. Die Be­trie­be sol­len ja wei­ter­lau­fen. Es ist ei­ne gu­te Sa­che, wenn ich un­ab­hän­gig bin, weil ich noch ein zwei­tes Stand­bein ha­be. So ein Man­dat wird ja nur auf Zeit ver­ge­ben. Hier wür­de aber auch mehr Trans­pa­renz helfen.

Soll­te es nicht auch ei­ne Ober­gren­ze für Ne­ben­ein­künf­te geben?

Ich fän­de es schwie­rig, da al­le über ei­nen Kamm zu sche­ren. Man soll­te es schon von dem Be­trieb ab­hän­gig machen.

Zum Schluss noch zwei Fra­gen. Was hal­ten Sie von der Ren­te ab 68?

Da­von hal­te ich nichts. Die Ren­te mit 67 soll­ten wir nicht an­tas­ten. Wir soll­ten uns aber mal dar­über un­ter­hal­ten, ob man das Ren­ten­ein­tritts­al­ter auf frei­wil­li­ger Ba­sis nicht fle­xi­bi­li­sie­ren könn­te. Es gibt ge­nug Leu­te, die län­ger ar­bei­ten wol­len und da­mit auch län­ger in die Ren­ten­kas­se ein­zah­len können.

Ich bin froh, dass das Lie­fer­ket­ten­ge­setz zu­stan­de ge­kom­men ist“

Und die letz­te Fra­ge: Soll­ten im Sin­ne des Um­welt­schut­zes und der Ar­beits­be­din­gun­gen in är­me­ren Län­dern glo­ba­le Lie­fer­ket­ten über­dacht werden?

Ich ge­hö­re zu de­nen in der CDU, die froh sind, dass das Lie­fer­ket­ten­ge­setz noch vor der Wahl zu­stan­de ge­kom­men ist. Ich fin­de es gut, aber es ist na­tür­lich nur ein ers­ter An­satz. Wir müs­sen dar­über re­den, wie wir die Wir­kung des Ge­set­zes eva­lu­ie­ren und wo wir dann even­tu­ell nach­steu­ern oder er­wei­tern müs­sen. Grund­sätz­lich fin­de ich den An­satz aber rich­tig, die Lie­fer­ket­te mög­lichst weit run­ter­zu­lau­fen und zu gu­cken, wie dort die Stan­dards sind und ob sie un­se­ren Wer­ten und Stan­dards ent­spre­chen. Es kann nicht sein, dass wir auf Kos­ten an­de­rer un­se­ren Wohl­stand pfle­gen und aus­bau­en. Über sol­che The­men soll­ten wir aber na­tür­lich auch in­ter­na­tio­nal sprechen.

Vie­len Dank für das Ge­spräch und al­les Gu­te für die Wahl!

Das In­ter­view führ­ten Ans­gar Sko­da und Jo­han­nes Mi­rus am 27. Ju­li 2021 per Videokonferenz.

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