Um Punkt 9 Uhr mor­gens er­tönt plötz­lich ein Si­gnal… der Au­tor ist leicht ver­wirrt, be­kommt aber gleich au­gen­zwin­kernd von ei­nem der Mit­ar­bei­ter die Er­klä­rung ge­lie­fert: „9 Uhr, 15 Mi­nu­ten Früh­stücks­pau­se für al­le.“ Hm, ei­ne ge­mein­sa­me Früh­stücks­pau­se zu ei­ner fest­ge­leg­ten Zeit. So­was gibt es al­so heu­te noch? Mit ei­ner Mi­schung aus Er­stau­nen und Neu­gier ge­he ich nun die nächs­ten 15 Mi­nu­ten durch lee­re Werk­stät­ten, auch mal nett. Aber zu­rück zum An­fang. Wo bin ich und was ma­che ich hier eigentlich?

Seit 2011 woh­ne ich nun hier in der Bon­ner Alt­stadt ge­nau ge­gen­über von die­sem alt­ein­ge­ses­se­nen Bon­ner Un­ter­neh­men, dem Or­gel­bau Klais. 1882 von Jo­han­nes Klais ge­grün­det wor­den im Her­zen von Bonn und kei­ne 50 Me­ter ent­fernt von mei­nem Kü­chen­fens­ter noch im­mer rich­tig gro­ße Or­geln für vor­nehm­lich Kir­chen und Kon­zert­sä­le ge­baut und, wie ich jetzt auch weiß, wirk­lich in die gan­zen Welt ex­por­tiert. Nun bin ich we­der Or­gel­fach­mann noch Wirt­schafts­jour­na­list, son­dern schlicht und ein­fach neu­gie­rig und im­mer in­ter­es­siert an der Ar­beit an­de­rer Men­schen, ganz be­son­ders im hand­werk­li­chen Be­reich. Al­so ha­be ich ir­gend­wann mal per Email an­ge­fragt, ob ich dort ei­ne Do­ku­men­ta­ti­on fo­to­gra­fie­ren dür­fe, rein pri­vat und als Nach­bar so­zu­sa­gen. Da ich je­den Sams­tag die Be­su­cher­grup­pen da­vor ste­hen se­he und auch weiß, dass be­reits Sen­der wie AR­TE über den Or­gel­bau Klais ei­ne Do­ku ge­macht ha­ben, rech­ne ich mir ei­gent­lich nicht vie­le Chan­cen aus, dass sich die Fir­ma dar­auf ein­lässt. Ich ver­mu­te mal, die gan­zen An­fra­gen ner­ven dort lang­sam und schließ­lich muss man bei al­ler Tra­di­ti­on und of­fen­sicht­lich Lie­be zur Sa­che auch Geld ver­die­nen. Aber Phil­lip Klais, der jet­zi­ge Fir­men­chef und Ur­en­kel des Grün­ders, hat nichts da­ge­gen und lädt mich ein, hier ab und zu mal vor­bei­zu­schau­en und mei­ne Fo­tos zu ma­chen. Und da­bei kann ich mich auch noch völ­lig frei be­we­gen und den gan­zen Tag dort rum­lau­fen, wenn ich möchte.

Hier bin ich nun al­so, be­reits zu zwei­ten Mal in die­ser Welt, die so nicht mei­ne ist, aber mich schon des­we­gen wahr­schein­lich der­art fas­zi­niert. Zwar hat­te ich schon im­mer ei­ne ge­wis­se Af­fi­ni­tät für das Hand­werk, ha­be selbst aber ei­nen Weg ge­wählt, der mich zu­min­dest heu­te fast aus­schließ­lich in Bü­ros, Kon­fe­renz­räu­men und vor dem Bild­schirm sit­zen lässt. Und wo ich sel­ten wirk­lich se­he, was da­bei her­aus­kommt – an­fas­sen kann ich das da­bei noch viel sel­te­ner. Das ge­naue Ge­gen­teil er­le­be ich nun in die­ser Werk­statt. Hier geht es in fast al­len Be­rei­chen um Hand­werk in Rein­kul­tur. Ich be­kom­me ei­nen gu­ten Ein­druck da­von, wie sehr es auch im Jahr 2016 dar­auf an­kommt, „sein Hand­werk zu ver­ste­hen“ und mit tie­fer Kennt­nis von Werk­zeu­gen und Ar­beits­schrit­ten im We­sent­li­chen aus Holz und Me­tall am En­de ei­ne im­po­san­te Or­gel, wie sie spä­ter in der Elb­phil­har­mo­nie in Ham­burg oder in ei­ner gro­ßen Ka­the­dra­le ir­gend­wo auf der Welt ste­hen wird, zu bau­en. „Wenn Du nicht nach der Leh­re noch min­des­tens fünf Jah­re prak­tisch ge­ar­bei­tet hast, dann hast Du kei­ne Ah­nung vom Or­gel­bau“ er­klärt mir ei­ner der Mit­ar­bei­ter in ei­ner ru­hi­gen Mi­nu­te. Und spä­tes­tens nach dem ers­ten Tag vor Ort be­gin­ne ich dies auch zu glau­ben. Zu un­ter­schied­lich und an­spruchs­voll sind schon die ein­zel­nen Fer­ti­gungs­schrit­te, zu ver­schie­den die Ma­te­ria­li­en und Ar­bei­ten – von der Holz­aus­wahl und -ver­ar­bei­tung über das ei­ge­ne Gie­ßen der Le­gie­run­gen für Me­tall­pfei­fen bis hin zur In­to­na­ti­on – al­les wird dort selbst ge­macht. Und zum Schluß muss al­les auch noch zu­sam­men­pas­sen, die rich­ti­gen Tö­ne er­zeu­gen, äs­the­tisch gut an­zu­se­hen sein und ir­gend­wo auf der Welt in ein Ge­bäu­de ein­ge­baut wer­den. Da kommt schon was zu­sam­men an Herausforderungen…

Na­tür­lich gibt es längst auch Com­pu­ter, na­tür­lich wer­den tech­ni­sche Zeich­nun­gen auch im CAD (oder et­was ähn­li­chem) ent­wor­fen, na­tür­lich gibt es mo­der­ne Werk­zeu­ge und es wer­den heu­te auch elek­tro­ni­sche Bau­tei­le in den Or­geln ver­baut. Die Welt steht ja auch hier nicht still. Aber das We­sent­li­che scheint doch so zu funk­tio­nie­ren wie 1882. Und ge­nau dar­in scheint die­ser Ge­gen­ent­wurf zum Di­gi­ta­len zu be­stehen. Ei­ne – zu­min­dest für mich per­sön­lich – wohl­tu­en­de Ru­he und Ent­schleu­ni­gung geht von die­sem Ort aus und es wä­re wün­schens­wert, da­von et­was auch in die an­de­re, oft viel zu schnel­le Welt, hin­über­zu­ret­ten. Oh­ne ei­ner im­mensen Er­fah­rung und ei­ner fast über­all sicht­ba­ren Lie­be zur hand­werk­li­chen Ar­beit so­wie ei­ner im­po­nie­ren­den De­tail­ver­ses­sen­heit wür­de si­cher heu­te dort kein Or­gel­bau mehr exis­tie­ren, son­dern viel­leicht ein hip­pes Re­stau­rant oder Ca­fé in den ehe­ma­li­gen Räu­men ei­ner städ­ti­schen In­dus­trie. Nichts ge­gen sol­che hip­pen Or­te in der Stadt, aber es ist auch gut, wenn die Ori­gi­na­le er­hal­ten bleiben…

Ein paar Ein­drü­cke, wie es dort so aus­sieht, könnt ihr hier sehen:

Do­ku­men­ta­ti­on zum Or­gel­bau Klais

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