Sein oder Nichtsein – R. W. Fassbinders "Welt am Draht" am Theater Bonn

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Das Regieduo Biel/ Zboralski verbindet in seiner Inszenierung von Rainer Werner Fassbinders „Welt am Draht“ in der Halle Beuel existentielle Fragen nach den Grenzen der eigenen Realität mit absurd-komischen Momenten in einer künstlichen Atmosphäre.

In kalten Bildern beschreibt Rainer Werner Fassbinders Film „Welt am Draht“ aus dem Jahre 1973 eine dystopische Zukunftsvision. Bereits der Werktitel erinnert aus heutiger Sicht an Begründer des Science-Fiction-Romans, wie etwa den Franzosen Jules Verne. Die Bonner Inszenierung vom Regieduo Mirja Biel und Joerg Zboralski ist dynamischer als der Film und verbreitet durch altmodischen Style der Figuren (Kostüme: Petra Winterer), Discomusik u.a. von Sister Sledge und Bühnenaccessoires, wie etwa einer überholten Telefonzelle eine 70er-Jahre Atmosphäre. Die Frage, ob dies nun echt oder retro sein soll, führt den Betrachter direkt zur zentralen Thematik des Theaterstücks. Denn mit existentiellen Fragen nach der Wirklichkeit der Selbst- und Fremdwahrnehmung Daniel Breitfelder und Laura Sundermann in "Welt am Draht" © Thilo Beuwird die zentrale Figur, Dr. Fred Stiller (Daniel Breitfelder) konfrontiert. Stiller übernimmt die Stelle des Instituts für Kybernetik und Zukunftsforschung (IKZ) von seinem verstorbenen Vorgänger Professor Henri Vollmer (Wolfgang Rüter). Am Institut simuliert das von der Regierung finanzierte Computerexperiment „Simulacron“ eine Stadt mit annähernd 10.000 darin lebenden Personen. Diese glauben nur, sie seien Menschen. Tatsächlich sind sie nur virtuelle Funktionseinheiten, die zur Prognose künftiger Entwicklungen im IKZ erzeugt und beobachtet werden.

Big brother is watching you – Beunruhigung der Existenz

Mareike Hein und Andrej Kaminsky in "Welt am Draht" © Thilo Beu

Die Grenzen der Wirklichkeit verschwimmen und immer mehr stellt sich heraus, dass auch das IKZ nur virtuell „existiert“ und von der Wirklichkeit darüber beobachtet wird. Und wer weiß, wer dann diese wirkliche Welt beobachtet? Der Protagonist Stiller ist sich irgendwann nichts mehr sicher, beunruhigt sich und gerät immer mehr außer sich. Mit oft verzerrten Videoeinspielungen (Video: Krzysztof Honowski), die teilweise live gefilmt sind und mit einer Zerrspiegelwand gelingt es der Inszenierung, dieses Verschwimmen der Wirklichkeiten auch atmosphärisch zu erzeugen. Neben dem Zweifel am Sein und der Sorge vor dem Nichtsein treten komödiantische Momente, in denen die Figuren sich durch wiederholende, scheinbar sinnentleerte Bewegungsabläufe und sich endlos repetierende, stumpfsinnige Pseudo-Kommunikation als mögliche Roboter entlarven.

Bedrohliche Fremdheit der Welt

Es wird mit BildernRobert Höller, Andrej Kaminsky und Daniel Breifelder in "Welt am Draht" © Thilo Beu der 70er Jahre ein über 40 Jahre alter Stoff auf die Bühne gebracht, der schon relativ früh etwas aufgriff, das heute Thema unzähliger Bücher und Filme ist: Ist die Wirklichkeit echt? Was unterscheidet uns in Zukunft noch von Computern, wenn diese weiterhin so rasant fortentwickelt werden? Am gleichen Spielort führte das Theater Bonn bereits Anfang 2014 einen, nochmals ein halbes Jahrhundert vor Rainer Werner Fassbinder liegenden Science-Fiction-Film auf: „Metropolis“. In „Metropolis“ forcierte Andrej Kaminsky als „der Schmale“ noch die eintönige Arbeit an gigantischen Maschinen – in der Fassbinder-Inszenierung in der Bonner Halle Beuel stellt er als Herbert Siskins herrisch und ungebremst Forderungen an Stiller und kontrolliert unreflektiert dessen Tun. Ähnlich verführerisch, wie in ihrer Rollen des Maschinenmenschen in der Bonner „Metropolis“-Inszenierung mimt Mareike Hein auch in „Welt am Draht“ als Gloria Fromm elegant eine programmierte Männerphantasie. Auch Julia Keiling fasziniert in ihrer Rolle der artifiziellen Uschi. Sie umkreist rollschuhfahrend die Bühne in beeindruckend fliegendem Tempo und performt mit verzerrter Stimme, perfektionierten Tanzbewegungen im futuristisch-knappen Kostüm Disco-Klassiker, wie „I feel love“ von Donna Summer oder „Lost in Music“ von Sister Sledge. Daniel Breitfelder geht schlussendlich, bis auf das letzte Hemd entblößt, im, in die Bühne eingelassenen Swimmingpool baden. Er verkörpert seine Figur ungläubig getrieben und verzweifelt verzweifelnd, wenn er etwa Samuel Braun und Julia Keiling in "Welt am Draht" © Thilo Beumit Kreide „COGITO ERGO SUM“ auf den Bühnenboden schreibt und doch merkt, dass er so seine Existenz nicht begründen kann. Die Darsteller lockern durch grotesk-komisches, mimisches oder gestisches Spiel die komplexe und angespannte Atmosphäre gekonnt auf. Vielleicht überzeugt Welt am Draht gerade deshalb als bewegendes und zutiefst beunruhigendes Drama über die technologische Durchdringung und totale Überwachung in einer künstlichen Gesellschaft.

Alle Fotos: Thilo Beu

Diese Premierenbesprechung erschien erstmals am 22.03. auf Kultura Extra.

„Welt am Draht“ (Theater Bonn, Premiere war am 13. März 2014)

nach dem gleichnamigen Film von Rainer Werner Fassbinder, beruhend auf dem Roman „Simulacron 3“ von Daniel F. Galouye

Weitere Aufführungstermine in der Halle Beuel, Siegburger Straße 42:

27., 29. März / 3., 6., 8., 11., 6., 27. April / 4. Mai 2014

Mehr Infos auf der Homepage des Theater Bonn.

1 Kommentar

  1. Interessant, mehr als interessant.
    Das uns riesig erscheinende UNIVERSUM ist ja in einem Raum und wo soll dieser Raum beinhaltet sein? Es gibt keinen Behälter mit physikalisch- chemischen Eigenschaften.

    Räumliche Elemente (Haus, Mensch, Berge…) kann es somit auch nicht wirklich geben, wenn es keinen übergeordneten Raum geben kann.

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