Totgeglaubte leben länger.. Nicht nur die Bundeskunsthalle widmete sich jüngst mit Die Oper ist tot – Es lebe die Oper in einer Ausstellung eingehend dem Facettenreichtum dieser musikdramatischen Gattung der klassischen Musik. Seit einem beantworteten Fragebogen vom BMC ist es nun also kein Geheimnis mehr, dass ich gerne Zeit in der Oper verbringe. Einige in letzten Rückblicken unberücksichtigte Glanzstücke, wie Christopher Aldens Inszenierung von Alberto Franchettis Asrael, laufen mittlerweile nicht mehr. Auch am Bonner Schauspiel sind in der Zwischenzeit neue Produktionen, wie Eve Leighs Wildfire Road bereits ausgelaufen. Es wird somit wieder Zeit Theatereindrücke Revue passieren zu lassen. Lest hier, welche Bühnenmomente aktuell zum Staunen einladen:

Agrippina von Georg Friedrich Händel am Theater Bonn, nächste Vorführungen am 10., 12. und 26. Februar im Bonner Opernhaus

Iulia Agrippina gilt als vermutlich mächtigste Frau im Römischen Reich. Sie bestimmte etwa zwanzig Jahre die Geschicke am römischen Kaiserhof. Denn sie war die Schwester des römischen Kaisers Caligula, die Gattin von Kaiser Claudius und die Mutter von Nero, der mit ihrer Hilfe den Kaiserthron bestieg. Händels Oper Agrippina (1709) widmet sich in einer Satire dieser schillernden Gestalt. Der Barock-Komponist zeichnet in seinem Frühwerk Agrippina als herrschsüchtige Intrigantin, die mächtige Männer mit Hilfe ihres Charmes manipuliert. Bald werden ihre kompromisslosen Pläne jedoch durch die Geschicke einer attraktiven Gegenspielerin durchkreuzt: der jungen Poppea.

Anfangs wird die Nachricht vom Tod des Kaisers Claudius, Agrippinas Ehemann, während eines Seeunglücks ausgerufen. Agrippina setzt nun alles daran, die einflussreichen Höflinge Pallas und Narcissus als Befürworter ihres Sohnes für die Nachfolge auf dem Kaiserthron zu gewinnen. Da ereilt den Kaiserhof die Nachricht, dass Claudius aus den Wogen der See gerettet wurde. Seinen Retter, den edlen Feldherren Ottone, möchte Claudius nun zu seinem Nachfolger ernennen.

Leo Muscato überzeichnet die Figuren an der Oper Bonn liebevoll. Die Charaktere agieren auf der variabel ausgestatteten Drehbühne größtenteils kunstvoll verfremdet in Fatsuits. Die Britin Louise Kemény mimt die Titelfigur kokett fordernd und pointiert, mit beweglichem Sopran, der in den Spitzen dramatisch leuchtet. Als Claudius ist der Russe Pavel Kudinov wie ein Wiedergänger Donald Trumps gezeichnet, mit klaren und tiefen Bass und überheblichen raumgreifende Gesten. Gesanglich sticht außerdem Countertenor Benno Schaechtner als Ottone mit weicher, abgerundet fließender Stimmführung hervor. Die Tschechin Lada Bočková bewegt sich als übergewichtiger Nero tumb, ihr Soprangesang ist hell, innig und markant. Neros ständiges Zündeln mit Streichhölzern erinnert daran, dass er später berüchtigt dafür werden soll, 64 die kaiserliche Hauptstadt in Brand gesetzt zu haben.

Es gibt fliegende Ortswechsel ohne größere Umbaupausen. Bühnenbildnerin Federica Parolini installierte für das Forum-Schlussbild große weiße Säulen im Bühnenzentrum. Die köstliche Komödie um Neros Aufstieg wird durch prachtvolles Dekor, ironische Slapstick-Einlagen und musikalisch harmonisches Spiel des Beethoven Orchesters unter der Leitung von Rubén Dubrovsky aufgewertet. Trotz der guten Personenregie und sichtlichen Spielfreude geraten die Figuren jedoch zu wenig subtil und ein bisschen klischeehaft. Die Bonner Produktion verzichtet auf den Auftritt Junos gegen Ende und die bei Händel vorgesehene, Segen gebende Arie der Göttin.

Ein Maskenball von Giuseppe Verdi, nächste Vorführungen am 25. Februar, 4. und 26. März im Bonner Opernhaus

Verdis Oper Un ballo in maschera (1859) ist angelehnt an das Schicksal des schwedischen Königs Gustav III., der während eines Maskenballs im Stockholmer Theater ermordet wurde. Aufgrund der Zensur wurde der Plot nun ins ferne Amerika verlegt. Sir David Pountney Inszenierung ist eine Koproduktion mit der Welsh National Opera in Cardiff.

Auf dem titelgebenden Maskenball tragen alle Gäste als Kostüme Skelettgerippe. Der Held der Geschichte, Graf Riccardo, erfährt kurz zuvor von der Wahrsagerin Ulrica, dass er Opfer eines Mordanschlags wird. Der Opernchor und die Solisten sind während opulent choreographierter Szenerien dem Publikum meist zugewandt. Verschiebbare Bühnenelemente wie Hochsitze und bühnenhohe Wände werden mehrfach neu positioniert.

Arthur Espiritu glänzt in der Rolle des Ricardo mit mal kernig-kraftvollen, mal samten leuchtenden Tenor. Yannik-Muriel Noah singt die weibliche Hauptfigur Amelia, die gleich von zwei Männern begehrt wird, mit strahlendem Verve. Bemerkenswert ist auch die Georgierin Nana Dzidziguri als Wahrsagerin Ulrica mit verblüffenden Klangfarben im flexiblen Mezzosopran und szenisch intensivem Spiel. Zentrale Motive variieren spannungsvoll durch melodische Steigerungen, auch die anspruchsvolle Arien und Ensembles bleiben in Erinnerung.

Der Haken von Lutz Hübner und Sarah Nemitz am Theater Bonn, nächste Vorführungen am 15. Februar, 2. und 16. März im Schauspielhaus

Bezahlbare Mietwohnungen in Großstädten sind rar. Die Not um erschwingliche Mieten veranlasst Bewerber mitunter zu kreativen Ideen, Taktiken und Einflussnahmen. Denn Anforderungen an Interessenten werden mitunter absurd. Der Wohnungsmarkt bietet so allerlei dramatisches Konfliktpotenzial. Das Autorenduo Sarah Nemitz & Lutz Hübner nimmt sich mit seinem am Theater Bonn uraufgeführten Text Der Haken der Thematik voller Situationskomik und mit liebenswerten Typen an. Zur Besprechung

Premierenapplaus für ‚Recht auf Jugend‘ am Theater Bonn | Foto (c) as

Recht auf Jugend von Arnolt Bronnen und Lothar Kittstein mit Klimaaktivisti der Letzten Generation am am Theater Bonn, nächste Vorführungen am 14. Februar und 11. März im Schauspielhaus

Gestalten in uniform weißen Schutzanzügen und Turnschuhen robben, winden und schlängeln sich am Boden. Das kubusartige requisitenleere Bühnenbild wirkt kalt und steril. Bald zeichnen sich dunkle Farbschattierungen an den hellen Wänden ab. Im Stückverlauf tropft dunkle Farbe von der Decke, und die Bühne läuft mehr und mehr mit Farbe voll (Bühne: Valentin Baumeister). Sieben Figurenen skandieren. Volker Löschs Inszenierung schafft eine eindrückliche und unterhaltsame Verbindung aus Emotion und Information. Ein anregender und aufgrund der faktenreichen Textflut auch etwas ermüdender Theaterabend. Zur Besprechung

Der Sturm von William Shakespeare am Theater Bonn, nächste Vorführungen am 18. Februar und 18. März im Schauspielhaus

Wer Fesseln löst, setzt oftmals gute Geister frei. William Shakespeares The Tempest begeistert mit magischen Elementen, überraschenden Zufällen, einer ausgeklügelten Rachegeschichte und einer zentralen Romanze bis heute. Shakespeares romantische Komödie wird dynamisch-pointiert choreographiert. Jan Neumann inszeniert das Familienstück mit liebevoll überzeichneten Figuren und detailreich-ausgefallenen Bildern. Zur Besprechung

Die Glasmenagerie von Tennessee Williams am Theater Bonn, nächste Vorführungen am 18. und 26. Februar und 18. März in der Werkstatt

Wie ein Symbol für eine Abgrenzungsmöglichkeit wirkt ein breites, flaches, dunkel gehaltenes Wasserbecken, das die Bühne zum Zuschauerraum trennt. In Matthias Köhlers Produktion sind die Tiere der Glasmenagerie unscheinbare Lichtreflexe auf dem Wasser. Glas erscheint als Stoff für Träume sehr zerbrechlich. Ein gelungenes Bild: Ebenso schimmernd wie Glas spiegelt das Wasser ein klares Abbild der Bühne oder schimmernde Verzerrungen. Bereichert wird die sehenswerte und sorgfältig komponierte Inszenierung durch eine nuancierte Lichtregie und selten zu aufdringliche Ton- und Musik-Einspieler u. a. von verträumten Popsongs von CocoRosie oder Lana Del Rey. Zur Besprechung

Premierenapplaus für Sarah Kanes ‚Zerbombt‘ auf der Werkstatt-Bühne am Theater Bonn | Foto (c) as

Zerbombt von Sarah Kane am Theater Bonn, nächste Vorführungen am 13. und 24. Februar, 4., 9. und 23. März in der Werkstatt

Die Szenerie ist ein Hotelzimmer. Hinter einer milchigen Lamellenwand verbirgt sich links ein Doppelbett. Einige Szenen und explizite Handlungen der Stückvorlage werden so für Zuschauer nur angedeutet. Die dunkle Bühnentapete rechts zeigt melonenartige Früchte, von denen eine im Zentrum mehrfach aufgeplatzt ist und helle Flüssigkeitsblasen preisgibt. Dieses wiederholt angeleuchtete Bild schafft bald Assoziationen zu Bomben und Explosionen. Ganz rechts ist auf der Bühne eine Badewanne mit goldfarbenen Wasserhahn platziert. Hier können sich die Figuren reinigen oder vor anderen die Blöße geben. Zur Besprechung

Pussy Riot – Anleitung für eine Revolution von Nadja Tolokonnikowa am Theater Bonn, nächste Vorführungen am 9. Februar und 8. März in der Werkstatt

Die Aufführung beruht auf dem Manifest von Nadja Tolokonnikowa. Das Pussy Riot-Mitglied wurde zu zwei Jahren Haft im mordwinischen Straflager verurteilt. Die Figur der Tolokonnikowa (Linda Belinda Podszus) versucht die harten Haftbedingungen mit Humor zu nehmen, denn jede Haft hört einmal auf. Sie geht in Hungerstreik für faire Arbeitsbedingungen während der Zwangsarbeit. Eine Wärterin (Birte Schrein) erklärt ihr hinter vorgehaltener Hand, dass sie insgeheim auch auf die große Revolution und den großen Ansturm gegen das russische Regime warte. Leider verharmlost die Vorführung etwas die Gefahr, die von Russland ausgeht. Zur Besprechung

Mnemon von Simon Solberg und Ensemble am Theater Bonn, nächste Vorführungen am 10. und 23. Februar in der Werkstatt

Mnemon wirft viele Fragen auf. Das Stück handelt vom Erinnern, Vergessen, vom Gehirn, seinen Windungen und Funktionen. Der sperrige Stücktitel erinnert an die Mnemones im antiken Griechenland. Das Darstellertrio, das sich gegenseitig mit den realen Vornamen anspricht, fördert alsbald so manche Sollbruchstelle zutage, wird wissenschaftlich, philosophisch, gymnastisch, immer wieder auch albern. Leider sind insbesondere die vorgetragenen Witze etwas abgedroschen. Zur Besprechung

High­lights des in­ter­na­tio­na­len Tan­zes an der Oper Bonn. Nächs­te Vor­stel­lung von Vertikal von der französischen Kompanie Käfig aus Créteil, am 15. und 16. März im Bon­ner Opernhaus.

Zuletzt gesehen habe ich das Alonzo King LINES Ballet mit Deep River, das Tschechische Nationalballett mit Franz Kafkas Der Prozess und das NorthWest Dance Project mit We’re Back an der Oper Bonn.

Zudem tanzte das Staats­bal­lett Stara Za­go­ra wieder vor Weih­nach­ten in aus­ver­kauf­ten Vor­stel­lun­gen das klas­si­sche Hand­lungs­bal­let­t Schwa­nen­see von Pjotr Tschai­kow­sky. Die Ballett-Compagnie der Staats­oper aus Stara Sa­go­ra in Bul­ga­ri­en zog bei dem Klas­si­ker mit auf­wen­di­gen Kos­tü­men, schnel­len Schritt­fol­gen und kunst­vol­le Pi­rou­et­ten Jung und Alt in den Bann.

Die Schwä­ne im Schwa­nen­see har­mo­nier­ten im durch­ge­tak­te­ten Corps de Bal­let in schlich­ten wei­ßen Tu­tus syn­chron schwe­bend. Die Aus­drucks­kraft be­weg­ter Kör­per der jun­gen, in­ter­na­tio­nal be­setz­ten Trup­pe er­zähl­te oft von Emo­tio­nen in­ne­rer Be­we­gung. Ei­ne va­ri­an­ten­rei­che Kör­per­spra­che, schwung­vol­le Dre­hun­gen und auf­ge­la­de­ne Ges­ten sorg­ten für so­li­de Spannung.

Auch tän­ze­risch ge­schmei­di­ge So­lis­ten­du­os über­zeu­gen mit ein­fühl­sa­men Dar­stel­lun­gen, vir­tuo­sen Sprün­gen und prä­zi­sen He­be­fi­gu­ren.

Weiterhin im Programm:

Un­se­re Welt neu den­ken nach Ma­ja Gö­pel im Schau­spiel­haus, nächs­te Vor­stel­lun­g am 11. Februar und 4. März im Schauspielhaus

Ver­zicht fällt den Men­schen schwer. Je­de Par­tei ver­liert so­fort Wäh­ler­stim­men, wenn sie Ver­zicht pre­digt. Ein be­kann­tes Werk, das zu ei­ner neu­en Kon­sum­hal­tung an­regt, ist Ma­ja Gö­pels Sachbuch-Bestseller Un­se­re Welt neu den­ken (2020). Die Nach­hal­tig­keits­for­sche­rin schrieb ein Plä­doy­er für ei­ne Neu­ori­en­tie­rung auch öko­no­mi­scher Wer­te an­ge­sichts der Kri­se des Öko­sys­tems und der Ge­sell­schaf­ten. Si­mon Sol­berg, Haus­re­gis­seur am Thea­ter Bonn, in­sze­niert nun In­hal­te des er­zäh­len­den Sach­buchs als un­ter­halt­sa­me Büh­nen­show mit ei­ner Band-Begleitung, Live-Gesang und Tanz. Zur Be­spre­chung

Anna Karenina nach Lew Tolstoi, nächste Vorstellungen am 1. und 24. März im Schauspielhaus

Regisseurin Luise Voigt adaptierte den 454seitigen Klassiker von 1878 am Schauspielhaus mit Live-Großaufnahmen neu. Die Handlung dreht sich um Treue, familiäre Pflichten, Zweckehen und Liebessehnsüchte. Über das aktuelle Geschehen hinausweisende Live-Kameraeinblendungen korrespondieren oft gut mit Toneinspielern. So werden neben der Dialogebene mitunter zeitgleich Gedanken der Figuren aus dem Off wiedergegeben. Zur Besprechung

Is­tan­bul – Ein Se­zen Ak­su Lie­der­abend im Schau­spiel­haus, nächs­te Vor­stel­lun­gen in Bad Go­des­berg am 10. und 26. März.

Istanbul behandelt die Nostalgie und den Schmerz des Schicksals des Wander­ar­bei­ters, der sei­ne Hei­mat ver­las­sen hat; nur dass die „Gastarbeiter-Situation“ um­ge­dreht wur­de. Es er­zählt vom fik­ti­ven Schick­sal deut­scher Ar­bei­ter in der be­völ­ke­rungs­reichs­ten Stadt der Tür­kei. Die Me­lan­cho­lie und Stim­mung fängt Ro­land Rie­be­l­ings In­sze­nie­rung auf fa­bel­haf­te Wei­se ein. Melancholisch-bilderreiche Lie­der der tür­ki­schen Sän­ge­rin Se­zen Ak­su wer­den da­bei tem­po­reich von fünf wech­seln­den Ak­teu­ren vor­ge­tra­gen. Ein Abend auf ho­hem, künst­le­ri­schem Ni­veau. Zur Be­spre­chung

The Bro­ken Cir­cle von Jo­han Hel­den­bergh und Mie­ke Dob­bels in der Werk­statt, nächs­te Vor­füh­run­gen am 22. Februar, 3. und 17. März.

The Bro­ken Cir­cle der Bel­gi­er Jo­han Hel­den­bergh und Mie­ke Dob­bels war 2012 ein Überraschungs-Kinoerfolg, der so­gar für ei­nen Os­car no­mi­niert wur­de. Das Dra­ma er­zählt die lei­den­schaft­li­che Lie­bes­ge­schich­te der Tä­to­wie­re­rin Eli­se und des Bluegrass-Musikers Di­dier. Das ins­ge­samt be­rüh­ren­de Stück ver­han­delt ein­drück­lich exis­ten­ti­el­le Fra­gen, wie den Ver­lust ei­nes Kin­des und das Ge­fühl der Aus­weg­lo­sig­keit, der Sehn­sucht und der Ver­geb­lich­keit. Zur Be­spre­chung.

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