Jan Philipp Eißfeldt ist Jan Delay. Geboren 1976 in Hamburg. Er macht Hip-Hop, Reggae, Soul, Rock und Funk. Und manchmal macht er alles zusammen.

Bisher hätte ich nicht geglaubt, dass jemand in dieser Kunstfigur, in dieser Rolle mit tief sitzendem Hut, dunkler Sonnenbrille und blauem Anzug ehrlich und persönlich ergreifend sein kann. Bisher hätte ich nicht geglaubt, dass es in Deutschland im Jahre 2021 noch wilde Audience Participation mit Händen in der Luft, Mitsingspielen, „jetzt nur die Mädels“, wilde Begeisterung in Verbindung mit tollen Songs, Geschichten, phantastischem Groove und Authentizität gibt. Schon gar nicht so kurz nach (?) Corona.

Ohne Vorlauf nimmt das Konzert Fahrt auf

In comes Jan Delay, 20:15 Uhr. Obwohl es eine große Bühne ist, stehen eigentlich alle Musiker im Vordergrund. Das ist schön. Der Chor mit den drei „Ladies“ rechts und die Bläsersektion mit Sax, Trompete und Posaune links bilden den Rahmen für die im Zentrum stehende Rhythmusgruppe. Jost Nickel alias „J-Fresh“ hat einen Beat, an dem man sich festhalten kann. Einen Beat, der einem Leben Sinn geben kann. Der einen überallhin mitnimmt ins Groove-Universum. Wer bisher nicht selber Musik macht, möchte nach diesem Konzert damit anfangen.

Die Band benötigt keinen Vorlauf, kein Intro, keine längeren Ansagen, um in Fahrt zu kommen. Das Publikum auch nicht. Vom ersten Takt an: Bewegung, Mitschwingen, Begeisterung. Alle, Publikum und Musiker scheinen ausgehungert. Sie wollen feiern. Feiern das Leben. Feiern die Musik, diesen Tag, die wieder gewonnene Freiheit und hoffen auf das Ende der Pandemie.

Zu Anfang hüpft das Publikum noch auf den ihm zugewiesenen Stuhlreihen. Nach ein paar Stücken sind aber alle aufgesprungen, tanzen, kommen zur Bühne, zum Leben, zum Licht, zum Siedepunkt, zum Altar. „Alles wird gut“, ist die Message der Songs und auch des aktuellen Albums: „Earth, Wind and Feiern“, das hier präsentiert wird.

Gleich wird klar: Live ist alles noch schöner, noch lebendiger, noch souveräner. „Wir machen das klar.“ Stimmt. Glückwunsch dazu, schon mal!

Das Ganze wird zu einer Party der Wiedergeborenen. Derjenigen, die überlebt haben. Derjenigen, die ihre Erinnerungen an die alte Vor-Corona Zeit (wie man feiert) bis zum 25. August 2021 aufbewahrt und zurückgesteckt hatten. Vieles muss jetzt raus. Vieles darf jetzt wieder raus. Jetzt bin ich überzeugt, dass es die schönste „Good-bye Covid“-Party werden wird. Alle haben noch irgendwie ein schlechtes Gewissen, können es noch gar nicht fassen, so nahe zusammen, so laut miteinander. Erlauben sich noch nicht zu nicht darauf zu vertrauen, dass dieser mikro- und makrobiologische Albtraum inzwischen mehr und mehr erschöpft ist und Vergangenheit statt Zukunft wird. Wir haben gewonnen! Come together anstatt social distancing. Hoffentlich geht das gut.

„Ich wollte nicht jammern und meckern und schimpfen, sondern eine positive Platte machen – zum Tanzen, zum Feiern, zum Gutfühlen, um daraus Energie und Kraft ziehen“. Die meisten Songs sind vor Corona entstanden. Passen aber auch oder gerade jetzt. Mission accomplished.

Jan Delay hat jetzt keine Zeit, keine Lust auf Balladen, auf ruhige Nummern im Programm. Er schwitzt, kämpft, lässt alles mitbeben und treibt das Publikum an. Ausruhen können wir später. Lange nicht mehr, dass ein Konzert, das so „auf die Fresse“ gemacht ist, einem nicht auf die Nerven geht. Ja – wir sind ein Volk, ein Fleisch, ein Schicksal. Und obwohl wir gerne oft unsere ureigenen persönlichen Süppchen und Geschichten kochen, feiern wir heute das gemeinsame Menschsein.

Der Name „Disko No. 1“ klingt oberflächlich. Disko No. 1 hat aber so viel zu sagen, so viel zu geben, soviel Substanz, dass sie sich keine Pausen gönnen wollen. „Wir haben das Liedgut, um den Pegel zu halten“. Wie er das sagt, klingt es zunächst überheblich, zumindest sehr selbstbewusst. Stimmt aber.

30 Jahre bis zum großen Entertainment

Diese Energie, diese Sicherheit, diese Überzeugungskraft fällt nicht vom Himmel. 30 Jahre rackert sich Jan in verschiedenen Kombinationen am deutschen Hip-Hop und Reggae ab. 30 Jahre Songwriting, Arrangieren, Gesang bis der Arzt kommt (Stimmbandoperationen nach Überbelastung in der Vergangenheit usw.). Jetzt herangereift zu einem der größten Sänger, Songwriter und Entertainer in dieser, unserer Zeit. „Wir machen das klar.“ Auch und gerade jetzt zusammen als Band. 

Das neue Album: „Earth, Wind und Feiern“ ist Weltklasse. Die Songs sind musikalisch und textlich treffend, eine einmalige individuelle Rekombination der Einflüsse von denen heute unter anderen unverkennbar zu hören sind: Udo Lindenberg, Peter Fox, Daft Punk. Deutscher Hip-Hop funktioniert wieder, bleibt trotz allem sexy. Der Ausdruck „Pop“ wird bei allen Beschreibungen der Musik von Jan Delay vermieden, aber es ist sicher auch Pop drin. Dies ist keine Nischenmusik, sondern „common sense“. Hier wird eigentlich jeder abgeholt. Hier kann jeder anknüpfen.

Jan Delay liefert. Kennt seine guten Texte. Trifft die Töne. Tanzt. Rockt. Macht an. Ist selbstsicher bis zur Grenze des in diesem Beruf vielleicht notwendigen Narzissmus. Hat Spaß. Und verbreitet Spaß.

Das neue Album klingt toll, in der Produktion fokussiert auf Jans Gesang. Beschreibt sein Leben zwischen den erlebten Welten: Hippie und Kommerz, Alternativ und cool. Jan kennt sie beide, er weiß, worüber er schreibt. Aufgewachsen mit zwei Künstlereltern „ohne Einbauküche“, aber: „Vater hatte ein Saxophon“. Jan kann und will sich inzwischen beides leisten: Die Einbauküche und das Saxophon.

Bei einigen der tollsten Songs nimmt er die lustfeindliche überalternative Verzichtskultur auf die Schippe: „Alles ist vergiftet“ und „Sie hatten alle niemals Spaß“. Das ist die Botschaft: Nachhaltig und „gut“ Leben – aber bitte mit viel Bewegung, Lust und hoffentlich auch Genuss.

Tanzen bis zur Erschöpfung

Das Tanzpensum ist beachtlich. Inzwischen ist das Jackett weg. Die Ohren sind so nass geworden, dass das In-ear-Monitoring herausfällt und getrocknet werden muss. Kurze Zwangspause für Jan Philipp, in der die Musiker einen kurzen Überbrückungs-Dub anstimmen müssen. Was sie spontan, gerne und ungeprobt machen. Überhaupt, hier fällt nichts auseinander. Die Musiker sind so ineinander verzahnt. Jeder kennt und liebt die Funktion des anderen. Hier gibt es keine Einzelkämpfer, keine Soloorgien. Der Erfolg ist hier eindeutig eine Gemeinschaftsleistung. Jeder einzelne ist gut. Weltklasse wird es erst durch das perfekte Zusammenspiel. Jeder wird gehört. Jeder ist wichtig. Der Sound ist dadurch überragend, transparent, so wie eine Band nur klingen kann. Besser als auf jeder Studioaufnahme.

Überhaupt bin ich glücklich, dass die neuen Songs doch sehr anders als auf der CD gespielt werden. Eine Message an die Streamer und die Hörer an den digitalen Wiedergabegeräten: Diesen heutigen Sound könnt ihr niemals zuhause hören. Gitarre, Bass, Bläser, Keys und vor allem der überragende Jost Nickel am Schlagzeug holen aus den Songs alles heraus, was man nur herausholen kann. Sie haben die Songs von der CD (auf der sie teilweise nicht mitgespielt haben) zu ihren eigenen Songs gemacht. Geben ihre Seele, ihren Groove, ihre Erfahrung und Genialität hinzu.

Ich bin froh, das Jan Delay hier nicht alleine mit einem Keyboarder und Laptop steht, so wie ich es leider z.B. bei dem sonst auch genialen Cro gesehen habe. Das wäre nicht mal die halbe Party gewesen. Hier ist alles „large“. Er macht glücklich. These guys (im Englischen: generischer Maskulin für Frauen und Männer) know how to party!

Jan sagt: „Wir sind nicht wegen der Geschichten hier, sondern wegen der Action.“ Aber er hat beides zu bieten. Feiern, Entertainment und Inhalte, Erzählungen und belastbare Lyrics. Fast muss er sich ein bisschen entschuldigen, wenn er zwischendurch mal einen Reggae spielt, zum Luft holen. Eigentlich ist das Motto: „Pegel gehalten und Pegel gesteigert.“ Mein aktueller Lieblingssong vom Album ist:

„Alexa: Lass mich nicht im Stich, denn ich hab‘ dir alles gegeben. Mein Zuhause, mein Leben. Oh, Alexa. Bist für mich da und vor allem hörst du mir zu. Keiner kennt mich wie du.“


Alles ist connected. Apropros „connected“: Laut GEMA ist „Alexa“ nicht eigentlich aus der Feder von Jan Philipp Eißfeldt, sondern von Ali Busse und von dem – ja, noch mal und schon wieder – überragenden Jost Nickel (Schlagzeuger, Songwriter). An dieser Stelle bitte spätestens alle an die Streaminggeräte gehen und das neue Album hören, während ihr das lest. Wunderbar unmittelbare und unvorhersagbare harmonische Verschiebung drei Halbtöne rauf in der Strophe. Es klingt, als würde man mit dem Aufzug zwischen zwei verschiedenen emotionalen Ebenen innerhalb der Strophe hin- und her fahren. Diese Stelle in „Alexa“ erinnert mich auch an den Song „Photophobia“ von „Voyager IV“ von 2017 bei dem in der Strophe die exakt gleiche Technik, die identische Rückung verwendet wurde.

Zurück zum Konzert: Das Publikum ist im Schnitt so zwischen 40 und 60. Aber fit. Und ausgehungert. Feurig. Bereit, alles mitzumachen und alles mit zu erleben. Jan Philipp, 45 Jahre, mit Kind jetzt wieder in sein geliebtes Hamburg gezogen – eigentlich alterslos. Früher habe ich gedacht, der ist ein „one trick pony“. Aber jetzt bin ich sicher, dass ich mich getäuscht hatte. Ab heute habe ich einen Mordsrespekt, Bro. Ab heute bin ich sicher, dass Jan sich seinen festen Platz in der Kultur und im Gedächtnis dieses Landes erarbeitet hat. Nicht mit Blendwerk, sondern mit harter Arbeit. Tollen Songs, toller Performance. Und einer Figur/Rolle, die auch über die nächsten Jahrzehnte belastbar sein wird. Ab heute glaube ich, er fängt jetzt gerade erst an. Ich sehe ihn in 20 Jahren (mit gleicher Optik) alte und dann neue Songs performen. So wie sein Freund und Vorbild Udo Lindenberg. Zeit- und alterslos. Das ist wohl das, was wir eigentlich alle gerne wären: Unabhängig von Zeit und Raum: „Darum lieben wir die Disco…“

Obwohl das Album in weiten Teilen die Leistung eines Einzelnen ist, weiß Jan, was er an seinen Mitmusikern hat. Respektvoll werden alle Musiker mehrfach namentlich vorgestellt. Er ist froh, Teil dieses Ganzen zu sein, dieser herrlichen Kreatur, die er zum Leben erweckt hat. Jan hat den Funk und den Reggae nicht neu erfunden. Aber er hat ihn sich zu eigen gemacht. Zeigt und deutet die Welt neu und auf seine Weise. Man muss seine Stimme nicht mögen. Sie ist nicht im eigentlichen Sinne schön. Aber das Gesamtergebnis ist so stimmig, so überzeugend, dass man nach einiger Zeit eigentlich gar nichts ändern möchte. Nicht die Stimme, schon gar nicht die Songs. Eigentlich gar nichts von diesem zauberhaften Abend.

Immer wenn der Mond scheint: 
Eine Nacht zwischen Wahrheit und Lügen
Eine Nacht zwischen Wohl oder Übel
Nachts gehen die Käfige auf
In der Ruhe liegt die Kraft
Und der allerbeste Treibstoff
Ist die Energie der Nacht

1000 Dank dafür, Jan Philipp,
von 
Johannes

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