Man habe ja eigentlich nichts gegen das Internet, tönt es bei vielen Einzelhändlern und Gewerbevereinen in den Städten. Der Online-Handel sei eine Ergänzung für die “Fachgeschäfte”. Aber dieser elende Beratungslau der Kunden könne nicht länger hingenommen werden. Da kommen doch glatt Leute in das Geschäft rein, probieren Pullover, fotografieren die ersehnten Stücke, fragen direkt über eine App nach dem günstigsten Anbieter und verschwinden wieder ohne Kauf aus dem Geschäft.
Für viele Gewerbetreibende gehe es inzwischen um die blanke Existenz. Deshalb sollen Kampagnen mit schwarz verhüllten Schaufenstern darauf hinweisen, wie das Szenario von leeren Innenstädten in Zukunft aussehen könnte und welche Konsequenzen aus Fußgängerzonen ohne Ladenlokale drohen. Es gehe ja nicht nur um die einzelnen Läden: Man könne in den Fußgängerzonen flanieren, klönen und sich mit Freunden treffen.
Zudem sorgen die Händler für festliche Beleuchtungen und verschönern die Einkaufspassagen mit „Blumenkübeln“. Wie die Fachberatung und das Blumenkübel-Flair in Fußgängerzonen ausschauen, kann ich jeden Tag in Bonn-Duisdorf bewundern.
Dort werde ich kompetent bedient von mindestens fünf Friseuren, vier Bäckereien mit Tiefkühlware, sechs Optikern, vier Döner-Grillmeister und der üblichen Zahl an Telefon-Inkompetenz-Hier-können-Sie-nicht-kündigen-Zentren. Nicht zu vergessen die unverzichtbaren Sonnenstudios mit ihren ganzjährig gut durchbräunten Beraterinnen, den obligatorischen Nagel-Fußpflege-Haarverlängerungs-Tempeln und Massage-Salons mit den Verkaufsschildern “Ohne Erotik”. Der einzig verbliebene TV-Händler verströmt in seinem Sortiment die Aura eines verstaubten Kassettenrekorders und leidet unter Vereinsamung. Tierfutter konnte ich in einem Kram-Laden mit der originellen Namensgebung “Schnauze” einkaufen. Leider hat dieser Anbieter die erste Jahressteuer-Erklärung nicht mehr erlebt. Urbanität sieht anders aus.
Die Plätze und Boulevards in den Städten sind schon lange verschwunden und wurden ersetzt durch auswechselbare Blumenkübel-Urinal-Ödnis.
Wo sind sie hin, die urigen Kneipen, Kaffeehäuser und Manufakturen mit handgefertigten Erzeugnissen? Was für eine Fachberatung bietet denn das Verkaufspersonal in den Fußgängerzonen-Läden? Wirkliche Profiberatung finde ich eher in Foren, Youtube-Filmen und bei den Kundenbewertungen im Netz. Preisvergleiche über spezielle Apps sollten für Verkäufer eher ein Ansporn sein für besseren Service und nicht mit Smartphone-Verboten beantwortet werden.
Deshalb ist auch die Anbieter-Diktatur von Markenartiklern und Fachhändlern ein hoffnungsloses Unterfangen, die wegen der “Beratungsintensität” ihrer Produkte den Onlinehandel unterbinden wollen.
Beratung bekomme ich über virtuelle persönliche Assistenten, die meine Einkäufe optimieren, Produkte und Dienstleistungen bewerten und über die Expertisen anderer Kunden informieren. Unternehmen, die mit ihren vernetzt organisierten Kunden nicht mithalten können, verschwinden vom Markt.
Die ehrbaren Blumenkübel-Kaufleute unterschätzen immer noch die Sprengkraft des Online-Handels. „Bisher wurde E-Commerce weitestgehend als eine weitere Art des Einkaufens betrachtet – in etwa so wie TV Shopping oder der Kataloghandel. E-Commerce wird zum Kanal ‚degradiert’ und strategisch von den meisten Unternehmen auch so behandelt, dabei ist es viel essentieller. E-Commerce ist die aktuell effizienteste Art Handel zu betreiben und steht damit in der Nachfolge von kleinen Kaufmannsläden über größere lokale Märkte bis hin zum Cash & Carry System“, schreibt der Berater Alexander Graf in seinem Blog „Kassenzone“. Eine Dämonisierung von Amazon, Schwarze Fenster und Blumenkübel können den Niedergang des stationären Einzelhandels nicht aufhalten – auch nicht in Bonn-Duisdorf.