Seit dem letzten Theaterrückblick stiegen die Corona-Inzidenzwerte leider um ein Vielfaches. Die jüngste Uraufführung Angst (siehe weiter unten) befragt unter anderem Ängste der Bürger*innen im Zuge der Gesundheitskrise. Im Theater Bonn läuft das Hygienekonzept gemäß 3G-Regel routiniert. Nicht mehr laufende Produktionen wie der Sezen Aksu-Liederabend Istanbul waren regelmäßig ausverkauft. Bisher werden keine Einschränkungen der Kultur oder Ausgangsbeschränkungen geplant, wie im vergangenen Jahr. Das lässt hoffen, denn es gibt an den drei Spielorten des Bonner Theaters neue berührende und unterhaltsame Produktionen zu bestaunen:
La Cenerentola von Gioachino Rossini an der Oper Bonn, nächste Vorstellungen am 18. und 27. November sowie 5., 10., 29. und 31. Dezember im Opernhaus
Der italienische Regisseur Leo Muscato zeigt Rossinis Märchenoper La Cenerentola (Ital.: ‚das Aschenputtel‘) in einer opulenten, ausgezeichnet besetzten Inszenierung. Die Drehbühne gestaltet Andrea Belli mit einer imposanten und raumfüllenden Treppe. Bei Ortswechseln wird sie mitsamt der schmuckvollen Brüstung heruntergefahren. Margherita Baldoni besorgt aufwendige Kostüme. Die adligen, heiratsfähigen Töchter tragen ausladende Reifröcke; der vielköpfige, in Reiterposen auftretende Herrenchor wechselnde detailreiche Uniformen und Perücken.
Die Schwedin Luciana Mancini mimt die Titelheldin Angelina eindrücklich als selbstloses, mitfühlendes und anmutiges Mauerblümchen mit nuancenreichen, fein ausbalancierten Mezzosopran. Marie Heeschen und Charlotte Quadt glänzen mit komödiantischem Drive als ihre eitlen, selbstsüchtigen und zickigen Stiefschwestern Clorinda und Tisbe. Sie behandeln Angelina herablassend und stichelwütig wie eine Dienstbotin. Dabei hat doch eigentlich der (Stief-)Vater, der trunksüchtige Baron Don Magnifico (Martin Tzonev), die Familie um ihre Mittel gebracht. Beim sogenannten Katzenduett miauen Tisbe und Clorinda herzzerreißend um die Wette.
Argentinier Francisco Brito gestaltet den empfindsam schmachtenden Fürsten mit einfühlsamem und beweglichem Tenor. Carl Rumstadt zeichnet seinen temperamentvollen Kammerdiener Dandini, der bei der Brautwerbung in der Rolle seines Dienstherrn vorfühlt. Der erst 28jährige Bariton bietet schauspielerisch nicht nur Angelinas Stiefschwestern sichtlich vergnügt Paroli, sondern überzeugt auch mit präsentem, ausdrucksvoll moduliertem Gesang. Das eher klein besetzte Beethoven Orchester Bonn spielt Rossinis kunstvolle Partitur harmonisch leicht, klar und impulsiv. Ein wahrlich farbenfroher und gelungener Opernabend für Groß und Klein.
Angst von Volker Lösch, Lothar Kittstein und Ulf Schmidt, nächste Vorstellung am 23. November im Schauspielhaus
Für seine Inszenierung befragte Volker Lösch im Vorfeld unter anderem Bonner Bürger zu eigenen Ängsten, die teils textlich vorgetragen werden. Gegenwärtige Anschuldigungen wechseln mit Erzählungen von der Hexenverfolgung in Bonn und Rheinbach Anfang des 17. Jahrhunderts. Behände im Stückverlauf agierende Darsteller scheinen auf der geneigten Bühnenplatte alsbald auf Sicherungen angewiesen. Zur Besprechung
Bin nebenan – Monologe für zuhause von Ingrid Lausund, nächste Vorstellungen am 10. und 29. Dezember in der Werkstatt
Lydia Stäubli gestaltet liebevoll nacheinander intime Monologe exaltierter Frauenfiguren. Der kurzweilige Theaterabend zeigt drei unterschiedlich pointierte Soloszenen aus Ingrids Lausunds gleichnamigen, zwölfepisodischen Band von 2008. Es werden allerlei Neurosen, bröckelnde Fassaden und menschliche Abgründe vorgeführt. Zur Besprechung
Anna Karenina nach Lew Tolstoi, nächste Vorstellungen am 24. Und 26. November im Schauspielhaus
Regisseurin Luise Voigt adaptierte den 454seitigen Klassiker von 1878 am Schauspielhaus mit Live-Großaufnahmen neu. Die Handlung dreht sich um Treue, familiären Pflichten, Zweckehen und Liebessehnsüchte. Über das aktuelle Geschehen hinausweisenden Live-Kameraeinblendungen korrespondieren oft gut mit Toneinspielern. So werden neben der Dialogebene mitunter zeitgleich Gedanken der Figuren aus dem Off wiedergegeben. Zur Besprechung
Highlights des internationalen Tanzes an der Oper Bonn. Nächste Vorstellung von der National Dance Company Wales mit Ludo/ Afterimage/ Why are people clapping am 15. Dezember im Bonner Opernhaus.
Der schwedische Choreograf Pontus Lidberg, künstlerischer Leiter des Dansk Danseteater, sorgt in Siren (das jüngste Tanzgastspiel in Bonn am 30.10.) für stimmungsvolle und sinnliche Bilder. Der Choreographie-Titel spielt an auf die betörenden Stimmen, die Odysseus in Homers antiken Epos Odyssee in Versuchung führten. Die Choreographie ist jedoch nicht als Nacherzählung des Mythos deutbar. Sie erzählt vielmehr frei über inspirierende Kreativität, pochenden Orientierungsverlust und pulsierendes Verlangen.
Alle Fotos vom jeweiligen Abschlussapplaus (c) Ansgar Skoda