Im Rahmen einer Buchvorstellung in der Friedrich-Ebert Stiftung in Bonn informierten Autoren und Experten über das neue Werk „Wut, Verachtung, Abwertung – Rechtspopulismus in Deutschland“.

Der Abend begann schleppend. Ein Unfall auf der B9 verursachte eine Verzögerung, die Experten-Runde, die an diesem Donnerstagabend einen Sammelband zum Rechtspopulismus in Deutschland vorstellen sollte, steckte kollektiv im Stau fest.
Glücklicherweise lagen Exemplare des Buchs jedoch bereits zum Lesen bereit, sodass jeder wartende Besucher bereits einen schnellen Einblick in das Buch gewinnen konnte.

Schnell füllte sich dann auch der Saal und fast alle Plätze im großen Konferenzsaal I der Friedrich-Ebert Stiftung in Bonn waren belegt, als auch die Experten eintrafen.

Die Runde setzte sich aus Experten (und Autoren des Buchs) aus verschiedenen Disziplinen zusammen, so war Ralf Melzer als Leiter des Arbeitsbereichs „Gegen Rechtsextremismus“ der Friedrich-Ebert Stiftung als einer der Herausgeber anwesend. Zudem erläuterte Prof. Dr. Beate Küpper als Professorin für Soziale Arbeit in Gruppen und Konfliktsituationen an der Hochschule Niederrhein ihre Perspektive als Autorin des Buchs und Expertin für Einstellungsforschung.
Als dritter Experte in der Runde war Prof. Dr. Frank Decker vom Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Wissenschaftlicher Leiter der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik hinzugekommen.
Moderiert wurde die Diskussion von der freien Journalistin Anna Neifer.

Dem Rechtspopulismus analytisch nähern

Das Ziel des Buches war Gegenstand der ersten Erörterungen der Experten. Autorin und Herausgeber des Buches gaben an, dass der Sammelband eine analytische Näherung des Rechtspopulismus erlauben sollte, wobei der Begriff des Rechtspopulismus rein wissenschaftlich verwendet wurde.

Rechtspopulistische Szene radikalisiert sich

Der Anlass, zu diesem Zeitpunkt ein solches Buch zu veröffentlichen, entstand als Reaktion auf die erneut aufkommenden PEGIDA-Proteste zu Beginn des Jahres. Bereits vor der zunehmenden Aktualität der Flüchtlingsdebatte in Deutschland nahmen die Autoren eine Radikalisierung der rechtspopulistischen Szene wahr, welche sich insbesondere in verbalen Eskalationen durch Redner von rechtspopulistischen Vereinigungen und Parteien und der vermehrten Gewalt gegen Journalisten bemerkbar macht. Auch der Angriff auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker im unmittelbaren Vorfeld der Kölner OB-Wahlen gilt, laut den Experten, als klares Zeichen für eine zunehmende Radikalisierung der Szene.

Besonders auch die Fähigkeit des Rechtspopulismus, aktuelle gesellschaftspolitische Themen aufzugreifen und zu verarbeiten, zeichnen die Experten als ursächlich für den spürbaren Wandel des Rechtspopulismus in den letzten Jahren.

Neuer Rechtspopulimus findet Fuß im Partei-System

Mit der AfD hat der Rechtspopulismus, laut Prof. Dr. Decker, einen Schritt gemacht der eine eigentliche Schwäche überwinden soll: Die mangelnde Fähigkeit, von den Köpfen der Menschen und losen Vereinigungen einen Schritt in das politische System zu machen und sich als Partei zu etablieren. Den Erfolg der AfD schreibt er teilweise auch einer Liberalisierung der CDU zu, womit konservative Positionen im Partei-System frei werden und von der AfD eingenommen werden können.

Entgegen dem ursprünglich charakteristischen Wähler-Bild, welches viele von der AfD hatten, (ältere, wohlsituierte Konservative Männer) befinden sich unter den Wählerinnen und Wählern der AfD auch viele junge Wähler mit geringerer Bildung und wirtschaftlich schwacher Situation.

Rechtspopulismus als wissenschaftlicher Begriff

Anders als häufig in Medien oder Publikationen gelesen, ist der Rechtspopulismus nicht nur ein frei gewählter Begriff um eine bestimmte Wählergruppe zu beschreiben, sondern lässt sich mit empirisch gesicherten Erkenntnissen fundiert definieren.

Prof. Dr. Küpper definiert den Rechtspopulismus dabei nach zwei Dimensionen von Rhetorik und persönlicher Einstellung:

Vertikal – „Die da oben“ und „Wir hier unten“ als Betrachtung des politischen und gesellschaftlichen Systems

Horizontal – „Wir“ (unklar und dadurch für viele greifbar) im Gegensatz zu „den anderen“

Zudem bezeichnen die Experten es als charakteristisch für den Rechtspopulismus, dass Vertreter für sich beanspruchen, für „Das ganze Volk“ zu sprechen, wie sich beispielsweise auch im entliehenen Leitspruch „Wir sind das Volk“ zu erkennen ist, welcher häufig auf PEGIDA-Spaziergängen zu hören ist. Es spielt bei diesem Anspruch keine Rolle, dass tatsächlich nur geringe Anteile der Bevölkerung die selbe Position vertreten und besonders bei PEGIDA-Veranstaltungen häufig ein stark überwiegender Anteil von Gegendemonstranten anwesend ist, der mit diesem Anspruch allein durch reine Anwesenheit in Widerspruch steht.

Zudem ist die kategorische Ablehnung von Informationen aus etablierten Medien und von Behörden und staatlichen Einrichtung charakteristisch für rechtspopulistische Einstellungen. So wurde der Begriff „Lügenpresse“ geprägt, mittels welchem man den grundsätzlichen Zweifel an der Unabhängigkeit und Ehrlichkeit der Medien ausdrücken möchte.

Rechtspopulismus als Kanalisierung von Rechtsextremismus

Die Gefahr durch den Rechtspopulismus sehen die Experten insbesondere darin, dass er den Rechtsextremismus zum einen kanalisieren und zum anderen auch verstärken könnte. Beides hätte möglicherweise zur Folge, dass der etablierte Umgang miteinander verändert werden könnte und Ablehnung und Verachtung gegenüber anderen Menschen Einzug in die Politik halten könnte.

Einzelne Gäste im Publikum zeigen Wut, Verachtung und Abwertung

Die Einladung zur Veranstaltung der Friedrich-Ebert Stiftung schloss „Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören oder der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind“ bereits im Vorfeld von der Veranstaltung aus.
Mehrere Gäste fühlten sich dadurch scheinbar nicht angesprochen und äußerten in der anschließenden Diskussion ihre Wut gegenüber dem Experten-Trio (und der eigentlich unbeteiligten Moderatorin) und zweifelten ihre Unabhängigkeit an.

Im Publikum tuschelte jemand „Die kennen wir hier schon“ und nach einem minutenlangen Monolog eines bekennenden PEGIDA und AfD-Anhängers aus der ersten Reihe wurden laute Einwürfe aus dem restlichen Publikum geäußert.
Eine Dame, die neben dem „fragenden“ Herrn saß ergriff kurz darauf das Wort und kritisierte immer wieder in wirren Zwischenrufen, dass „niemand über die Linksextremisten redet“.
Beide konnten keine Gefährdung durch den Rechtspopulismus erkennen und warfen den Experten vor, arrogant zu argumentieren und Menschen oberflächlich vorzuverurteilen.

Mit den Worten „Ich bin von der wahren Presse, wir sind ehrlich, nicht so wie die Lügenpresse“ wurde die Dame schließlich von Mitarbeitern der Stiftung des Saales verwiesen.

Unfreiwillig lieferten diese Gäste mit ihrer Anwesenheit, ihren Zwischenrufen und ihren wirren Gegenfragen ein hervorragendes Beispiel für den Rechtspopulismus in Deutschland, da sie sich akkurat so verhielten, wie vorher von den Experten auf dem Podium charakterisiert wurde. Mit Wut, Verachtung und Abwertung, mangelnder Akzeptanz von Regeln und gesellschaftlichen Normen und dem kategorischen Ablehnen von Aussagen von „den anderen“ und „denen da oben“ haben sie dem Rechtspopulismus in Bonn ein Gesicht gegeben.

Das Buch

Der Sammelband mit 218 Seiten wird am Montag den 07.12.2015 im Dietz Verlag erscheinen und 16,90€ kosten. ISBN: 978-3-8012-0478-5

Wut, Verachtung, Abwertung

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