Die Bösen sind immer die anderen

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Es herrscht Krieg. Jedenfalls wenn man in diesen Tagen der Berichterstattung der führenden örtlichen Tageszeitung und den zugehörigen Leserbriefen Glauben schenkt. Als unversöhnliche Konfliktparteien stehen sich gegenüber: Fußgänger und Radfahrer. Vor allem in der Innenstadt und am Rheinufer, wobei laut Kriegsberichterstattung die Fußgänger die Guten und die Radfahrer die Bösen sind. Rücksichtslos mähen sie ohne Vorwarnung und Ansehen von Person, Rang und Namen jeden nieder, der ihnen vor den Reifen läuft; im günstigsten Fall kommt der Flaneur mit einer wüsten Beschimpfung davon.

In einem Leserbrief beklagte sich beispielsweise eine Dame aus Bad Godesberg, an einem heißen Sommertag sei es ihr nur mit Mühe und unter Lebensgefahr gelungen, durch den nicht endenden Strom von Radrasern ihren Hund an den Rhein zu führen, auf dass er sich an den kühlen Fluten labe. Hundehalter sind ja auch so eine Zunft, welcher es mühelos gelingt, alle anderen gegen sich aufzubringen, allein schon durch ihre Auffassung, Hundeleinen seien eine Zumutung für ihre kleinen Kacker.

Ich bin auch Radfahrer, also potentiell böse. Zugegeben, meine velicopedischen Aktivitäten beschränken sich auf Phasen günstiger Witterungsverhältnisse, also kein Regen, noch Sturm oder Hagel, zudem nur bei Temperaturen oberhalb zwanzig Grad. Also eine überschaubare Anzahl von Tagen im Jahr. Aber dann fahre ich gerne, auch am Rheinufer, nicht so gerne hingegen in der Innenstadt.

Und ich bin Fußgänger, ständig, mit großer Begeisterung, auch bei Regen und unter zwanzig Grad. Somit bin ich auch einer von den Guten. Ungefähr einmal in der Woche gehe ich zu Fuß ins Büro, entlang des berüchtigten Rheinufers. Zweimal in der Woche laufe ich zudem, ebenfalls bevorzugt am Rheinufer.

Zurück zu den kriegerischen Auseinandersetzungen. Einige der geschilderten Beobachtungen kann ich bestätigen. Die Schlimmsten sind auch nach meiner Beobachtung die mit den bunten Kampfanzügen – zumeist Männer mittleren Alters. Sie rasen, als hätten sie einen wütenden Wespenschwarm hinter sich, überholen an den engsten Stellen, auch bei Gegenverkehr, und machen dabei ein Gesicht, als zwänge sie eine unsichtbare Macht oder vorgenannter Wespenschwarm, bei vierzig Grad den Gipfel des Mont Ventoux in einer neuen Rekordzeit zu bezwingen.

Zwei Begegnungen mit den rasenden Wahnsinnigen sind mir in Erinnerung geblieben. Einmal als Fußgänger: Da der Radweg am Rheinufer wegen Baumschnitts gesperrt war, mussten sich beide Parteien den relativ schmalen verbleibenden Streifen teilen. Das war für einen entgegenkommenden Radler indes kein Argument, sein Tempo zu drosseln, und wäre ich nicht in letzter Sekunde beiseite gesprungen, könnte ich diese Zeilen heute wohl nicht mehr niederschreiben. Leider war ich in dem Moment viel zu verdutzt, um ihn anzurempeln oder ihm wenigstens eine angemessene Beschimpfung hinterherzurufen.

Das andere Mal, in diesem Fall gehörte ich zu den Bösen, wäre ich fast mit einem von diesen pinkfarbenen Essensausfahrern mit den irrsinnig großen Tornistern kollidiert, der mit nahezu Lichtgeschwindigkeit rechts vorbeizog, während ich gerade im Begriff war, rechts abzubiegen. Meinen Ausruf „Trottel!“ wird er nicht gehört haben, da er dem Schall voranfuhr.

Nun zu den Guten. Aus gutem Grund sind dort, wo es der Platz erlaubt, auch am Rheinufer, Rad- und Fußweg für jedermann erkennbar getrennt. Das hindert viele Fußgänger und Läufer nicht daran, mit eigentümlicher Selbstverständlichkeit ihren Pfad zu verlassen und alleine, zu mehreren oder mit dem dreirädrigen Hochgeschwindigkeitskinderwagen die den Radlern vorbehaltene Spur für sich in Anspruch zu nehmen. Oder sie kommen unvermittelt seitlich aus dem Gebüsch und empören sich über das warnende Klingeln. In solchen Momenten wünsche ich mir die Laufklingel aus Kindheitstagen zurück: Man zieht an einem Hebelchen, und das Geläut ähnlich einer Straßenbahn oder einem Eiswagen, der die Kinder der Siedlung anzulocken sucht, hebt an. Aus mir unerfindlichen Gründen sind Laufklingeln schon lange verboten. Eiswagen kommen auch nicht mehr in die Siedlung, vielleicht bringen das Eis jetzt auch die pinken Überschallboten.

Und nun? Der Krieg wird weiter toben, weil Vorgenannte unversöhnlich gegenüber stehen. Die Bösen sind immer die anderen. Dabei ist es eigentlich nicht so schwierig: blieben Radfahrer auf Rad- und Fußgänger auf Fußwegen, wären wir dem Weltfrieden ein Stück näher. Und wo das nicht möglich ist, würde ein wenig gegenseitige Rücksichtnahme helfen. Aber dann erfindet bestimmt wieder einer so etwas wie Pokemon Go.

(Auch erschienen hier.)

2 Kommentare

  1. Danke für den Text! Carsten, ab dem zweiten Absatz war mir klar, dass du der Verfasser sein musstest – hatte es bis dahin nicht gesehen. Spricht für deine Schreibe!

    „Da er dem Schall voranfuhr.“ – ich habe sehr gelacht!

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