2020 hat schon einen ganz besonderen Klang. Das dritte Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts beginnt mit einer augenfällig besonderen Numerologie, die zweimalige 20 wird in einigen Medien als „magisch“ oder „mystisch“ hervorgehoben. Auch auf der Bühne des Bonner Theaters gibt es mitunter Bestaunenswertes, einige Glanzpunkte und Publikumserfolge. Seit meinem letzten Theaterrückblick hat sich einiges getan. Anbei hier eine Zusammenschau der letzten besuchten Vorstellungen am Theater Bonn:
Cavalleria Rusticana von Pietro Mascagni und Pagliacci von Ruggero Leoncavallo an der Oper Bonn. Nächste Vorstellung am 13. Februar im Bonner Opernhaus.
Masken hängen von der Bühnendecke – etwa fünf Meter hohe fiktive Totenmasken der beiden italienischen Komponisten: Mascagni links, Leoncavallo rechts. Sie neigen sich oder werden mit Scheinwerfern beleuchtet. Die beiden vorgeführten Einakter Cavalleria Rusticana und Pagliacci ebendieser Komponisten lassen sich der Strömung des Verismo im 19. Jahrhundert zuordnen: es geht um alltägliche Geschehnisse im bäuerlichen Milieu einfacher Leute. Die beiden Eifersuchtsdramen handeln von einem fremdgehenden Ehemann beziehungsweise von einem heimlichen Liebespaar inmitten einer Gauklertruppe. Einige große Chorszenen und Solopartien, eine ausgefeilte Lichtregie und eine packende Personenführung entschädigen für die sich eher langsam entspinnenden dramatischem Handlungen der Kurzopern.
Highlights des internationalen Tanzes an der Oper Bonn. Nächste Vorstellung von der Groupe Émile Dubois/ Compagnie Jean-Claude Gallotta mit My Ladies Rock am 1. März im Bonner Opernhaus.
Das französische Malandain Ballet Biarritz zeigte im Jubiläumsjahr Beethovens Thierry Malandains Choreographie La Pastorale zur 6. Sinfonie (Pastorale) Ludwig van Beethovens. In fließend synchronen Figuren, abstrakten Formen und tänzerischen Reigen widmen sich 22 Tänzerinnen und Tänzer den sinnlichen Klängen von Beethovens sechster Sinfonie.
Auch in Stijn Celis Ballett Prometheus werden der Musik Ludwig van Beethovens kraftvoll-dynamische Ensembleszenen und Körperbilder nachempfunden, hier zu seiner Ballettmusik Die Geschöpfe des Prometheus aus dem Jahr 1801. Die Tänzerinnen und Tänzer des Saarländischen Staatsballetts bewegen sich präzise in stimmungsvollen Figuren und assoziativen Bildern, die an den griechischen Heldenmythos um Prometheus erinnern.
Zuletzt wurden auch Where there are tongues, Takadame, The Hunt und Breaking Point mit der Nachwuchscompagnie des New Yorker Alvin Ailey American Dance Theatre Ailey II, Peter Tschaikowskys Schwanensee und Der Nussknacker mit dem Tatarischen Staatsballett und Les Ballets Jazz de Montréal mit Dance me gezeigt.
Fidelio von Ludwig van Beethoven an der Oper Bonn. Nächste Vorführungen am 2. und 9. Februar im Bonner Opernhaus.
Ludwig van Beethoven (1770-1827) vertrat freiheitliche und demokratische Werte. Seine einzige Oper Fidelio (1805) ist so ein Plädoyer für Meinungsfreiheit und gegen Unterdrückung und Staatswillkür. Regisseur Volker Lösch nutzt die offene Struktur der Freiheitsoper, um das vieldiskutiertes Thema der politischen Verfolgung in der Türkei zu problematisieren. Es geht um die Menschenrechtsverletzungen durch Präsident Erdoğan und das Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland seit dem Völkermord an den Armeniern. Ein mutiges und gelungenes theatrales Experiment. Zur Besprechung.
Molières Der eingebildete Kranke am Theater Bonn. Nächste Vorstellungen am 7. und 21. Februar im Schauspielhaus Bad Godesberg.
Es ist herrlich, wie Daniel Stock in der Titelrolle des Argan an seinen Zweifeln, seinen Unsicherheiten und seiner Einbildung schier bis ins Unermessliche leidet. Der zeitlose Stoff lädt pointiert mit vielen Gags zum Schmunzeln ein. Liebevoll überzeichnete Figuren agieren mit großen Gesten und übersteigerten Rollenticks. Neben karikierenden Kostümen bedient sich Simone Blattners Inszenierung zuweilen auch eines überspitzten medizinischen Fachjargons, wenn beispielsweise durch Toinette die „anale Phase“ nach Freud aufgeworfen wird. Bisweilen eröffnet so eine recht flache und augenscheinliche Figurenkonstellation einen theatralen Spannungsraum mit ganz neuen Fallhöhen. Zur Besprechung
Gotthold Ephraim Lessings Minna von Barnhelm am Theater Bonn. Nächste Vorstellung am 19. Februar im Schauspielhaus Bad Godesberg.
Annika Schilling verkörpert ausdrucksstark eine eigenwillige, selbstbewusste und spielfreudige Minna, die gerne die Fäden zieht und offensichtlich behütet vom Eindruck des Krieges verschont blieb. Die stark gekürzte Textfassung wird in Lessings Sprache beibehalten, was wohltuend ein wenig mit der poppig-bunten Inszenierung kontrastiert. Leider hat die etwa dreistündige Vorführung zähe Längen. Die Welt der Ehre Tellheims als auch die Welt der Liebe Minnas werden in ihrer exzessiven Intensität und Ausschließlichkeit recht infantil dargestellt. So gewinnt der Zuschauer wenig Verständnis für den Konflikt der Figuren, der ja realhistorisch und politisch durchaus Relevanz hatte. Zur Besprechung
Heinrich von Kleists Die Marquise von O. am Theater Bonn. Nächste Vorstellungen am 27. Januar und 13. Februar am Schauspielhaus Bad Godesberg.
Leider ist Martin Nimz‘ Inszenierung des Klassikers schwer erträglich, da er den Figuren der Vorlage keine Stimme verleiht. Mehrere Darsteller agieren auf der Bühne stumm in verschiedenen Konstellationen. An der rechten und linken Seite vorne platzierte Sprecher tragen dazu abwechselnd Textpassagen der Vorlage vor. Prosagewalten ergießen sich über den Zuschauer, kombiniert mit einer kaum zuordbaren Bilderwut. Denn über den beiden Sprechern hängen Monitore, die minutenlang Bilder einblenden, die oft Detaileindrücke von Bühnenrequisiten zeigen. Doch die Wandlungen in den Intentionen der Figuren werden kaum deutlich. Da sie stumm agieren, haben die Darsteller nur eingeschränkte Chancen, ihre Charaktere zu entwickeln. Konflikte werden oftmals pantomimisch nur angedeutet. Zur Besprechung
Rui Zinks Die Installation der Angst am Theater Bonn. Nächste Vorstellung am 13. Februar in der Werkstatt.
Clara Weyde inszenierte diese bissige und groteske Satire Die Installation der Angst nach dem gleichnamigen Roman des portugiesischen Autors Rui Zink (2012/ 2016 in deutscher Übersetzung) über politisch prekäre Entwicklungen als Kammerspiel mit drei Darstellern. Die Ausgangssituation ist interessant: Zwei staatliche Beamte wollen zügig und korrekt Angst bei einer alleinstehenden Frau installieren. Wie bei einer Alarmanlage erklären sie der Frau die Angst und wovor sie welche haben sollte. Zur Besprechung
Gerhart Hauptmanns und Ewald Palmetshofers Vor Sonnenaufgang am Theater Bonn. Nächste Vorstellung am 5. Februar im Schauspielhaus Bad Godesberg.
Ein Außenstehender besucht einen Freund aus Studientagen im Kreise von dessen Angehörigen, der Familie Krause. Allmählich eröffnet sich die groteske Dimension der Konflikte einer tief zerrütteten Familie. Vor Sonnenaufgang eröffnet trotz einiger Längen eindrücklich, wie verführbar verzweifelte Menschen für populistische Welterklärungen sein können, obwohl sie es eigentlich besser wissen müssten. Hier wagt das Stück eine höchst finstere Prognose. Leider wird jedoch vieles zu drastisch überzeichnet. Mehr Feingefühl und Empathie für die Figuren hätte Sascha Hawemanns Inszenierung gutgetan. Zur Besprechung
Leonard Bernsteins West Side Story an der Oper Bonn. Nächste Vorstellung am 26. März im Bonner Opernhaus.
Dirk Hofackers Bühnenbild zeigt eine U-Bahn-Station, in der ein ständiges Kommen und Gehen herrscht. Die Darsteller spielen hier auf drei Ebenen. Ein packender Musical-Sound, eine behutsam Inszenierung und insbesondere die kraftvollen Choreographien mit einer tänzerischen Spitzentruppe lassen Bernsteins Broadway Meisterwerk weitestgehend originaltreu wieder aufleben. Zur Besprechung
Björn SC Deigners In Stanniolpapier am Theater Bonn. Nächste Vorstellung am 5. Februar in der Werkstatt.
Björn SC Deigner verarbeitet in einer halbdokumentarischen Collage Erzählungen aus dem Leben einer Prostituierten, die bereits als Kind den Missbrauch durch einen Freund des Hauses erleidet. In Matthias Köhlers etwa 90-minütiger Inszenierung wird das Geschehen um jene Prostituierte Maria chorisch von drei Figuren erzählt. Sie verkörpern alle die Ich-Ebene der Maria, kommentieren jedoch zugleich auch das Vorgeführte. Die offizielle Uraufführung in Bonn ist bewegend und bietet allerlei Schauwerte; manchmal ist sie jedoch auch ein bisschen brav und vorhersehbar. Notlagen wie Drogensucht und Armut, die viele Menschen zur Prostitution verleiten, werden nicht thematisiert. Zur Besprechung
Richard Strauss‚ Der Rosenkavalier an der Oper Bonn. Nächste Vorstellungen am Bonner Opernhaus am 31. Januar und 16. Februar.
Deftig und turbulent geht es in der Gesellschaftskomödie Der Rosenkavalier zu. Erotische Eskapaden und Anspielungen auf den Dünkel und die Eitelkeit der Adligen treten neben melancholische Gedanken über die Vergänglichkeit. Die temporeiche Koproduktion mit der Wiener Volksoper punktet nicht nur musikalisch, sondern auch durch eine liebevolle Typisierung und Überzeichnung der Figuren. Manches erscheint dann aber doch etwas altbacken, angestaubt und verkitscht, etwa wenn Octavian und Louise sich gegen Ende endlich küssen dürfen und prompt Kunstschnee vom Bühnenhimmel fällt. Zur Besprechung
Alle Fotos vom jeweiligen Abschlussapplaus (c) Ansgar Skoda