„Bonn ist die Normalität“

Interview mit Claudia Lücking-Michel

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Bei ihrem Besuch im Coworking Bonn hat die Bonner CDU-Bundestagsabgeordnete Claudia Lücking-Michel sich die Zeit genommen, uns einige Fragen zu beantworten. Im Interview verrät die Politikerin, welche Rolle Bonn noch in Berlin spielt, wie die Politik ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit unterstützen kann, was Bonn Gründern bieten sollte und warum sie selbst vielleicht doch bald Twitter verwenden möchte.

Bundesstadt.com: Frau Lücking-Michel, wofür steht eigentlich die Stadt Bonn, von Beethoven und Regierung mal abgesehen?

Lücking-Michel: Das ist ja schon mal etwas. Aber ich würde sagen, Bonn steht vor allen Dingen für eine super Mischung aus Internationalem, Wissenschaftlichem und dann speziell für Themen wie Entwicklung und Nachhaltigkeit. Das ist entstanden aus dem Regierungssitz und dem Verbleib der entsprechenden Ministerien mit ihrer ersten Dienststelle. Dazu kam die Uni als sehr großer Arbeitgeber in der Stadt Bonn. Und daraus ist in diesen Bereichen ein richtiges Kompetenzcluster entstanden, weil wir nicht nur Ministerien haben, sondern auch die UN, viele Durchführungsorganisationen und internationale NGOs, die dafür nach Bonn gekommen sind. Wenn man einmal schaut, wie viele Arbeitsplätze wir in dem Bereich haben, wie viele Leute hier zusammen sind, ist das einfach toll. Dazu kommt, dass man in manchen Bereichen alle relevanten Kollegen und Ansprechpartner mit dem Fahrrad erreichen kann.

Findet Bonn in Berlin eigentlich noch statt?

Ja, Bonn findet in Berlin noch statt! Das „noch“ zeigt aber schon, in welche Richtung Sie denken. Bonn und die Zukunft der Bundesstadt Bonn sind dort ein Dauerthema. Aber ich erlebe als Bundestagsabgeordnete, dass es eine gut funktionierende Arbeitsteilung gibt. Die Hausleitungen der Ministerien, auch der Ministerien mit erstem Dienstsitz in Bonn, sind in Berlin und kommen nur ausnahmsweise nach Bonn. Aber viele große und relevante Arbeitsbereiche sitzen hier und bestätigen mir, dass sie wunderbar arbeiten können, weil wichtige Partner vor Ort sind, aber auch, weil sie nicht den Berliner Politikbetrieb brauchen. Stattdessen müssen sie Platz im geistigen und im räumlichen Sinne für ihre Aufgaben haben und das geht hier hervorragend. Insofern sollten wir nicht immer „noch“ sagen, sondern unsere Kompetenzcluster und die Möglichkeiten, die wir hier in Bonn haben, sichtbar machen und herausstellen.

Klingt da vielleicht auch ein wenig Resignation durch, weil immer mehr Ministerien ihre Plätze von Bonn nach Berlin verlagern?

Das ist einerseits ein realistischer Blick auf das, was tatsächlich passiert ist. Andererseits aber auch der Wunsch und die Hoffnung, dass wir Bonner realistisch vorzeigen, was hier entstanden ist. Wir müssen natürlich darauf bestehen, dass ein geltendes Gesetz eingehalten wird. Aber anstatt immer mit Trauermiene in Berlin rumzulaufen und zu sagen „Oh Gott, oh Gott, alle missachten das Berlin-Bonn-Gesetz! Wie schrecklich, wir armen Würstchen!“, müssen wir sagen: „In Bonn spielt die Musik und ihr seid hier gut aufgehoben.“ Wir können doch wirklich einiges vorweisen.

Wie viele Tage sind Sie eigentlich pro Jahr in Bonn?

Das habe ich jetzt nicht durchgezählt. Ich kann aber umgekehrt antworten, dass wir 22 bis 23 Sitzungswochen in Berlin haben. Im normalen Betrieb heißt das, eine Woche Berlin, eine Woche Bonn. Dazu kommen noch Sommer-, Weihnachts- und andere Ferien, in denen man dann ganz in Bonn ist. Meine Familie lebt hier und mein Wahlkreisbüro liegt hier. Ich würde die Frage also eher umgekehrt stellen: „Wie viele Tage sind Sie in Berlin?“ Das ist immer noch die Ausnahme und Bonn ist die Normalität, die Heimat.

„Anerkennung für die ehrenamtliche Arbeit ist das Minimum“

Normalität ist auch für Flüchtlinge in Bonn ein Thema. Es gibt hier viele ehrenamtliche Initiativen und Personen, die sich darum kümmern, dass Flüchtlinge hier gut ankommen und dass sie sich integrieren können. Wie kann denn die Politik diese Ehrenamtlichen unterstützen?

Das ist eine zentrale Frage. Das Lob, der Dank und die Anerkennung für die ehrenamtliche Arbeit ist das Minimum. Das passiert an vielen Stellen, aber davon können die sich auch nichts kaufen. Wenn man erstmal als Politikerin erkannt hat, wie wichtig die Ehrenamtlichen sind, sich bei denen bedankt und das wertschätzt, ist das nächste und das Entscheidende, ihnen die Arbeit nicht noch schwerer zu machen. Ich habe durch die Flüchtlingsfragen an so vielen Stellen erlebt, was wir für einen Wust an Verwaltungsvorschriften und Auflagen, teils auch schlechtes Management – um nicht zu sagen Chaos – haben. Darunter leiden auch die Ehrenamtlichen.

Die Ermekeilkaserne ist ein schlimmes Beispiel dafür. Kaum war alles schön eingerichtet – man zeigte mir voller Stolz die Kinder- und Frauenräume, bunt bemalte Wände, schön eingerichtete Zimmer – da heißt es „Kommando zurück, jetzt kommt das BAMF“. Damit macht man das Ehrenamt mürbe. Es ihnen nicht nur nicht noch schwerer zu machen, sondern ihnen an vielen Stellen auch die Arbeit zu erleichtern, das ist der kurzfristige Job der Politik. Da ist jetzt einiges in Bewegung gekommen, z.B. unterstützt der Bund Ehrenamtliche durch Fortbildungen. Und der langfristige ist, dass wir uns selbst als öffentliche Hand, als Verwaltung, so aufstellen, dass nicht zwingend die Ehrenamtlichen einspringen müssen, sondern dass sie dazu kommen können, aber nicht den Laden schmeißen müssen. Auch hier ist in den vergangenen Monaten viel passiert.

Das passt eigentlich ganz gut zum nächsten Thema, nämlich das Thema Gründer und Startups in Bonn. Gerade im Bereich Social Entrepreneurship gibt es in Bonn durch die NGOs, Bürgerinitiativen und Ehrenamtliche viele Chancen. Was kann aus Ihrer Sicht für Gründer in Bonn getan werden?

Alle vier sitzen an einem TIsch, links Frau Lücking-Michel, rechts die drei anderen. Frau Lücking-Michel redet.
Das Interview mit Frau Lücking-Michel führten Sascha Foerster, Johannes Mirus und Robin von Rüden (von links).

Die größte Herausforderung ist, Bürofläche zu bekommen, wenn man sich als Gründer oder Gründerin etablieren will. Was hier in den letzten Jahren an Büroraum entstanden ist, ist Wahnsinn, aber wie schnell das weg ist, ist auch Wahnsinn. Es ist ein wirklicher Anbietermarkt, die können fast verlangen, was sie wollen. Dann ist Coworking vielleicht eine gute Idee, aber auch nicht für alle Arbeitsformen als Modell passend. Die Stadt muss dafür sorgen, dass wir mehr Bürofläche haben. Und jetzt kommt die große Kunst: Das darf nicht auf Kosten des Wohnraums gehen, denn der ist ja mindestens ebenso beengt. Es gibt wichtige Auflagen, dass man nicht Wohnraum umwidmen darf, das ist auch entscheidend.

Abgesehen davon müssen sich Gründer vernetzen, um stärker in der Stadt anzukommen. Was sich im Internet abspielt, das haben Sie im Blick, was im Real Life nötig ist, da sollte die Stadt Bonn drüber nachdenken. Also Wirtschaftsfrühstücke, Treffen der IHK-Ausbilder, Börsen, Lehrlingsmessen und was es alles gibt. In die Richtung können wir noch viel mehr entwickeln, um Leute, die Unternehmen gründen wollen oder gerade gründen, dann auch wirklich hier in Bonn zusammenzubringen.

„Mir fällt es schwer, auf den Punkt genau zu formulieren“

Beim Thema Social Media haben Sie mal dem General-Anzeiger gesagt, dass sie selber nicht twittern möchten, da Ihnen das zu holzschnittartig sei, sich in 140 Zeichen auszudrücken.

Mir fällt es jedenfalls sehr schwer und ich finde es auch oft problematisch, komplexe Sachverhältnisse auf 140 Zeichen zu verkürzen. Ich stehe jetzt aber jede Woche, seitdem ich das mit größter Überzeugung im General-Anzeiger gesagt habe, vor der Frage, ob ich damit nicht auch anfangen muss.

Können Politiker es heutzutage überhaupt noch verantworten, Social Media nicht zu nutzen?

Ich nutze es ja. Mein erster Schritt in die weite Welt der Social Media war vor einigen Jahren Facebook. Da war ich genauso lange dagegen und habe es meinen Kindern verboten, bis ich nach Hause kam und gesagt habe, dass ich jetzt selbst einen Facebook-Account hätte. Und ich bemerke natürlich auch die Chancen, die darin liegen. Die Vernetzung findet nicht nur in die eine Richtung statt, um meine Anliegen unter die Leute zu bringen, sondern umgekehrt auch, um zu wissen was passiert. Außerdem: Noch nie habe ich so genau gewusst, was meine CDU-Kollegen am Wochenende alle machen, seitdem ich regelmäßig auf Facebook bin. Was ich bemerke, ist, dass Twitter viel stärker von den Medien wahrgenommen wird. Was ich auf Facebook sage, verhallt oft im Medienraum. Das schauen viele Leute an, aber nicht die Presse oder die Medien. Dafür müsste ich twittern. Vielleicht schaffe ich das ja jetzt auch mit Blick auf den nächsten Wahlkampf.

Sind soziale Medien denn nur für den Wahlkampf interessant?

Natürlich nicht. Ich habe ja schon bewiesen, dass ich das nicht nur im Wahlkampf gemacht habe. Facebook, Homepage pflegen, auf Mails antworten, Abgeordnetenwatch ernstnehmen und einen eigenen Newsletter versenden – all diese Dinge mache ich seit Jahren und wir konnten das Niveau stetig steigern.

Der nächste logische Schritt wären dann weitere Medien, zum Beispiel Twitter oder Instagram. Wenn ich es im Wahlkampf einübe, dann werde ich auch dranbleiben. Die Frage ist eher, was ich persönlich dann auch wortgewaltig und schlagfertig umgesetzt bekomme. Twitter muss man unbedingt selber machen, da kann man nicht einem Mitarbeiter sagen: „Twitter mal für mich!“ Ich habe an vielen Stellen eine klare Meinung, und könnte mich dazu äußern, wenn ich gefragt werde, aber ich bin noch nicht soweit, dass ich sage: „Das musst du jetzt auch mal twittern.“

Ist Donald Trump ein Vorbild?

Nein, nein, der ist überhaupt kein Vorbild. Sicher nicht, auch nicht in seiner Twitter-Arbeit. Das ist die Katastrophe, wenn ein Präsident der USA Politik über Twitter macht. Er muss erst Politik machen und dann seine Politik erklären. Wenn die Außenpolitik der USA darin besteht, dass Trump zum Frühstück twittert, dann läuft was falsch.

„Wichtig ist, mit den Kindern im Gespräch zu bleiben“

Digitale Bildung ist nicht nur eine Frage für Kinder, sondern auch für die Jüngsten. Viele Eltern haben Sorgen, wie sie Social Media nutzen und was sie dort machen. Wie gehen Sie damit um?

Ich habe selbst drei Kinder, die sind im Alter zehn Jahre auseinander. Man ahnt, dass da auch digitale Welten zwischen dem liegen, was wir mit dem Ältesten mitgemacht haben und was jetzt für die Jüngste ansteht, die 14 Jahre alt ist. Bei den Größeren hatten wir noch den Computer auf dem Flur stehen. Einen für alle drei Kinder, damit die Zeiten dann eine natürliche Grenze haben und damit jeder, der durch den Flur läuft, mal schnell gucken kann, was die denn gerade auf dem Bildschirm machen. Die Jüngste hat jetzt ihr Handy und ist ständig unterwegs im Netz.

Die Hauptbotschaft muss sein: „Schau hin, was dein Kind macht!“ Also mit den Kindern im Gespräch bleiben. Nicht im Sinne, dass man alles und ständig kontrolliert. Sondern, dass man insgesamt einen guten Draht hat und voneinander weiß: Was machen die eigentlich da, mit wem sind sie im Kontakt, was beschäftigt sie? Und dann auch über Erfahrung spricht. Da gibt es dann Phasen, in denen es schwieriger wird, weil Kinder natürlich auch kritischer den Eltern gegenüber werden. Pubertät ist ganz schwierig, aber umso wichtiger ist es, dann dranzubleiben.

Treten Sie im Wahlkampf auch für die heute besprochenen Themen an? Was sind Ihre Hauptthemen?

Mein Ziel ist es, dass wir nach der Wahl im September keine rot-rot-grüne Koalition bekommen und keine starke AfD, sondern am allerbesten eine Regierung unter Angela Merkel. Deutschland geht es so gut wie lange nicht mehr. Das wird komischerweise oft unterschlagen oder in manchen Diskussionen gar nicht erwähnt. Von dem vielem, was gut gelaufen ist, bin ich auch bei denjenigen, die unbedingt die Flüchtlingspolitik von Merkel unterstützen und ich bin auf der Seite derjenigen, die sagen: „Das fand ich stark“. Unter anderem wegen ihrer Flüchtlingspolitik will ich sie weiter unterstützen.

Dazu gehört dann ganz naheliegend ein starkes Europa. Die wichtigste Botschaft für mich ist, dass die Zukunft für uns alle nicht in starken Nationalstaaten liegt, sondern in starken internationalen Verbindungen. Da ist Europa die erste Ebene, die stärker ausgebaut werden und nicht stärker abgebaut werden muss. Wir müssen auf internationaler Ebene vernetzt sein und zusammenarbeiten.

Sowohl in Bonn, als auch in Berlin beschäftige ich mich außerdem mit der Bildungs- und Entwicklungspolitik. Mein Anliegen wäre, deutlich zu machen, dass das nicht Sachen sind, die man macht, wenn man noch Zeit hat, nach dem Motto „nice to have“, sondern für uns alle und auch gerade für Bonn existenziell für die Fragen unserer eigenen Entwicklung sind.

Wir danken Ihnen für das Gespräch!

2 Kommentare

  1. Wie rückwärtsgewandt und ewig gestrig muss man sein, um gegen die Gleichberechtigung zu stimmen. Aber bei Norbert Röttgen war ich auch überrascht. Wann wacht die CDU endlich auf?

  2. War wohl nix mit dem AfD Vorsatz. Die meisten Wähler sind eben keine Flüchtlinge, sondern Menschen, die zeitweise auch Bedenken haben, was die Flüchtlingspolitik von Merkel und Ihrem größten Fan Frau LM anbelangt.

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