Bonn im Jahr 2030: Szenario einer vernetzten Stadt

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Häuser, Autos, Energienetz – alles ist miteinander vernetzt. Und die Bürger mittendrin. Das ist die Vision einer „Smart City“. Welche Konsequenzen hat das für unseren Alltag? Und leben wir dann in einer besseren Welt – oder in einer sanften, zuckrigen Diktatur?

Michael Lobeck ist Geograph und Experte für digitale Stadtentwicklung. Für die Uni Bonn hat er unter anderem ein Pilotprojekt zur Smart City in Friedrichshafen begleitet. Auf dem BarCamp Bonn hält er eine Session zu „Smart City“. Benjamin O’Daniel hat vorab mit ihm gesprochen und ein Positiv-Szenario für unsere Stadt entwickelt.

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Glücklich vernetzt – und endlich sinnvolle Dinge tun. / Shutterstock

Eine Bonner Familie steht 2030 morgens auf. Wie beginnt der Tag?

Michael Lobeck: In ihrem komplett vernetzten Haus hat der Lichtwecker die Familie sanft geweckt. Der Wecker muss nicht mehr gestellt werden, weil er auf alle Kalender Zugriff hat und weiß, ob es ein Arbeitstag ist und um wie viel Uhr welche Termine anstehen.

Nach dem Frühstück geht es für die Eltern zur Arbeit.

Lobeck: Ja, und zwar mit dem Elektromobil, das über Nacht geladen wurde. Natürlich exakt dann, wenn der Strom am günstigsten ist. Die Stadtwerke Bonn haben einen flexiblen Speicher und einen eigenen Tarif entwickelt, der ihnen ermöglicht Strom zu verkaufen, wenn sie ihn selbst vorrätig haben und er damit am günstigsten ist. Über ein intelligentes Energienetz wird der Energiebedarf der ganzen Stadt ausgesteuert. Das spart Geld und ist umweltfreundlicher.

Aber in unserer Beispiel-Familie erfahren Vater und Mutter vorab, ob es sich überhaupt lohnt, mit dem Elektromobil zu fahren. Ein Programm hat Zugriff auf die aktuellen Verkehrsdaten des Öffentlichen Nahverkehrs. So kann sekundenschnell berechnet werden, wie sie am schnellsten und angenehmsten zur Arbeit kommen.

Selbst wenn es schnell geht: Autofahren nervt. Müssen wir in Zukunft wirklich selbst fahren?

Lobeck: Vielleicht ist es auch ein selbstfahrendes Elektromobil, das uns gar nicht gehört. Es kommt automatisch und pünktlich vor die Tür gefahren, weil es weiß, wann es da sein soll.

Über eine Plattform kann ich mich vielleicht auch in ein E-Mobil einbuchen, so dass ich mit einer Person fahre, die auf der gleichen Strecke fährt. Das ist dann günstiger.

Hey Google-Auto! Hier bin ich, hol mich ab. Foto: Shutterstock
Hey Auto! Hier bin ich, hol mich ab. / Shutterstock

Lobeck: Ja, und deswegen gibt es auch keinen Stau mehr – und die Kennedybrücke kann endlich noch mehr Platz für Fußgänger, Fahrradfahrer und die Bahn haben. Es sind viel weniger Autos auf der Straße, weil nicht mehr jeder Pendler einzeln fährt. Sie können aber natürlich auch spontan fünf Minuten vorher entscheiden, alleine zu fahren, wenn Sie schlechte Laune haben und ihre Ruhe haben wollen.

Angekommen im Büro. Wie sieht mein Arbeitsalltag aus?

Lobeck: Da wird es schon schwieriger. Weil auch die Arbeit von sehr gut ausgebildeten Menschen von intelligenten Maschinen übernommen wird. Ärzte, Juristen, Ingenieure – es betrifft fast alle Berufsgruppen. Es gibt in der Zukunft vielleicht nicht mehr viel zu tun. Aber das ist Neuland.

Wie angenehm. Sagen wir: Alle können nach vier Stunden wieder nach Hause gehen.

Lobeck: Unsere Freizeit widmen wir aber nicht nur dem Hedonismus, sondern tun sinnvolle Dinge. Zum Beispiel helfen wir allen Menschen, die auf der anderen Seite der digitalen Kluft stehen und mit Technologie noch nicht so souverän umgehen können.

Das tun wir mit Hilfe von freien Bildungsmöglichkeiten.

Lobeck: Und es gibt auch die passenden Orte dafür. Die Bibliotheken brauchen zwar nicht mehr so viel Platz für Bücher, weil fast alle Informationen digitalisiert und frei verfügbar sind. Stattdessen sind die Bibliotheken gesellschaftliche Knotenpunkte, an denen sich die Zivilgesellschaft trifft und sinnvolle Projekte entwickelt, die das Leben vor Ort besser und einfacher machen.

Auch die Kriminalität ist extrem gesunken. Weil die Polizei Bonn über einen Algorithmus erfährt, an welchen Orten es wahrscheinlich zu Verbrechen kommen wird und schon vorab vor Ort ist. Für die anständigen Bürger ist „Predictive Policing“ sehr angenehm.

Lobeck: Ok, hier steige ich aus. Man sollte doch eher die Ursachen von Kriminalität bekämpfen. Ich denke, wir kommen hier mit einem politischen Ansatz besser weiter. Wenn die Verdienstmöglichkeiten ohne Kriminalität höher sind als mit, wird die Kriminalität sinken.

Einverstanden. Technologie ist also kein Selbstzweck, sondern steht immer in einem politischen Kontext.

Lobeck: Ja, und genau deswegen steht vor diesem ganzen Szenario eine politische Frage. Wie wollen wir mit den technologischen Möglichkeiten umgehen? Im Augenblick werden massiv Daten aggregiert und ausgewertet. Wenn das Internet in jedem Kühlschrank und jedem Auto steckt, ist eine komplette Überwachung eines jeden Menschen möglich.

„Die Impulse für eine smarte Stadt können auch aus der Bürgerschaft kommen“

Lassen Sie uns weiter „positiv spinnen“. Alle Datenschutzfragen sind geklärt. Es gibt einen „Red Button“, den ich jederzeit drücken kann – und schon wird nichts mehr aufgezeichnet. Ich surfe anonym durch mein Leben.

Lobeck: So eine Art „Red Button“ gibt es sogar schon in Ansätzen. Im neuen Personalausweis gibt es die Möglichkeit, eine anonyme ID zu generieren, also ein Pseudonym zu nutzen. Mit einer Nummer kann ich dann zum Beispiel Verträge abschließen. Die Unternehmen haben zwar Zugriff auf die ID, aber nicht auf alle anderen Daten. In unserem Positiv-Szenario gibt es natürlich auch eine einfache Form der Verschlüsselung von Kommunikation. Ein Klick und ich werde nicht mehr ausgewertet. Niemand möchte in einer Diktatur leben – auch wenn die Diktatur sanft und zuckrig ist.

Eigentlich könnte die Stadt Bonn eine Vorreiterrolle als „Smart City“ spielen. Wir haben schließlich die Telekom, die Post, mehrere Fraunhofer Institute, einen starken ITK-Mittelstand im Rhein-Sieg-Kreis und sogar das BSI und die Bundesnetzagentur vor der Tür.

Lobeck: Dafür müssten Politik und Verwaltung das Thema aber erkennen und vorantreiben. Immerhin geht Bonn bei Open Data gut voran.

In der Smart City steckt ein weltweiter Markt, der laut Forbes etwa 1.500 Milliarden US-Dollar schwer ist. Das könnte doch ein ganz nettes Argument sein. Als Vorreiter ist man ein attraktiver Ort für Startups, Fachkräfte und Technik-Touristen.

Michael Lobeck / Foto: M. Lobeck.
Michael Lobeck arbeitet an der Smart City. / Foto: M. Lobeck.

Lobeck: Aber trotzdem muss man sich die Frage stellen: Wieso sollten die Unternehmen und Organisationen miteinander arbeiten? Sie brauchen einen konkreten Nutzen. Telekom und Post sind zum Beispiel internationale Konzerne. Sie könnten solche Projekte auch genauso gut in Berlin, London oder Tokio umsetzen.

Wie kann die Stadt denn loslegen, wenn sie zur Smart City werden will?

Lobeck: Die Impulse können auch aus der Bürgerschaft kommen. Es gibt ja bereits eine Handvoll Leute, die sich dafür interessiert und von denen auch einige auf dem BarCamp Bonn sind. Deswegen möchte ich eine solche Session zur Smart City auch halten. Noch ist es ein zartes Pflänzchen. Aber wenn es irgendwann ein paar Prozent der Bonner Bürger begeistert sind, dann sind wir schon ein Stück weiter.

Und wie kommt man gegen die vielen Skeptiker an?

Lobeck: Die Skeptiker haben viele gute Argumente. Begeisterung entsteht durch das praktische Anwenden und Üben von smarter Technologie. Und wir müssen weiter über alle Folgen sprechen und an politischen Lösungen arbeiten. In einer smarten Stadt stecken große Chancen – wenn wir die Risiken einhegen.

Vielen Dank!

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