Die Schumpeter-Session: Spurensuche in Bonn #bcbn15

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Mehr als die Schumpeter-Allee und den Schumpeter-Saal im Uni-Club hat Bonn nicht zu bieten - das muss sich ändern!
Mehr als die Schumpeter-Allee und den Schumpeter-Saal im Uni-Club hat Bonn nicht zu bieten – das muss sich ändern!

Für all jene, die meine Schumpeter-Session beim ersten Bonner Barcamp nicht wahrnehmen konnten, habe ich einen Podcast produziert:

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Und hier folgen meine Notizen:

Als Schumpeter Deutschland im Sommer 1932 verließ, um dem Ruf an die Harvard-University zu folgen, hat er 28 Koffer im Jülicher Elternhaus seiner Lebenspartnerin Mia Stöckel deponiert. Mit ihnen „ … ließ (er) auch die meisten seiner auf Deutsch geschriebenen Arbeiten zurück“. Wenn diese Koffer zwar nicht der Bombardierung Jülichs, sondern überwiegend kriegsbedingten Plünderungen zum Opfer gefallen sind, so hat die Werkforschung angesichts dieses Verlustes wohl zu fragen, ob wir uns Schumpeters Wirken in den Bonner Jahren von 1925 bis 1932 schon hinreichend erschlossen haben.

Die Schumpeter-Vorlesungen in Bonn
Die Schumpeter-Vorlesungen in Bonn

Ulrich Hedtke hat hierzu in den Jahren 1996 und 1997 recherchiert und damals zunächst mit Interesse festgestellt, dass Schumpeter in seiner Bonner Zeit auch eine beachtliche soziologische Lehr- und Vortragstätigkeit entfaltet hat. Das bestätigt auch der WDR-Moderator David Eisermann, Sohn des Soziologen Gottfried Eisermann:

Eisermann

Die Soziologie taucht nicht zufällig so häufig in den Vorlesungen von Schumpeter auf. Als er 1927 seinen ersten Aufenthalt als Gastprofessor an der Harvard Universität antrat, hatten sich die dortigen Soziologen noch nicht vom wirtschaftswissenschaftlichen Institut abgespalten, um eine selbständige „Gruppe für Sozialbeziehungen“ zu bilden. Das erwies sich für Schumpeter als glücklicher Umstand, denn seine eigene Betrachtungsweise der Nationalökonomie orientierte sich immer stärker an der Soziologie. In Harvard hatte er die Möglichkeit, sich mit den besten Köpfen auf diesem Gebiet auszutauschen und diese Erkenntnisse mit seinen eigenen wirtschaftswissenschaftlichen Arbeiten zu kombinieren. Die Ökonomie blieb der Mittelpunkt seines Denkens – aber auch Geschichte, Soziologie und die Psychologie kamen hinzu. Schumpeter vermied die enge Spezialisierung und stellte sich damit gegen den akademischen Trend seiner Zeit. Er war bestrebt, unangemessene Vereinfachungen zu vermeiden. Seine Hinwendung zu einer interdisziplinären Sichtweise des ökonomischen Geschehens brachte er bereits 1926 in einem Aufsatz unter dem Titel „Gustav von Schmoller und die Probleme von heute“ zum Ausdruck. Darin würdigt er Schmoller dafür, das Feld der Nationalökonomie über die Grenzen der reinen Theorie ausgeweitet zu haben. Schmoller habe gemeinsam mit Max Weber einer neuen Art von historisch fundierter Wirtschaftssoziologie oder Sozialökonomie den Weg gewiesen. Das war seinen eigenen Forschungen geschuldet und seinen Erfahrungen in Politik sowie Geschäftsleben.

Das belegt auch die Abhandlung von 1928 „Die Tendenzen unserer sozialen Struktur“. Hier untersucht Schumpeter die Diskrepanz zwischen der Wirtschaftsordnung Deutschlands und der Sozialstruktur. Die Wirtschaftsorganisation war kapitalistisch, die deutsche Gesellschaft war aber in ihren Gebräuchen und Gewohnheiten nach wie vor in ländlichen, ja sogar feudalen Denkweisen gefangen – heute industriekapitalistisch. Zur Reichsgründung 1871 haben nahezu zwei Drittel der Bevölkerung auf Gütern oder Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern gelebt, noch nicht einmal 5 Prozent in Großstädten von mehr als 100.000 Einwohnern. Bis 1925 hatte sich der Anteil der Stadtbewohner verfünffacht, während der Anteil der Landbevölkerung um die Hälfte zurückgegangen ist. Ursache war vor allem ein sprunghafter Anstieg der Agrarproduktivität. Während 1882 in Deutschland nur 4 Prozent der kleinen Landwirtschaftsbetriebe Maschinen einsetzten, waren es 1925 schon über 66 Prozent. Die Mechanisierung löste eine Landflucht aus und trieb die Landarbeiter in die Städte.

1927 erschien „Die sozialen Klassen im ethnisch homogenen Milieu“ (Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik) – wegweisender Beitrag zur noch jungen Disziplin der Soziologie. Schumpeter selbst zählte den Aufsatz zu den wichtigsten Werken, was aus Notizen hervorgeht, die er gegen Ende seiner Forschungstätigkeiten schrieb. Grundthese: Der Klassenstatus ist das Ergebnis vorhergegangener Ereignisse und daher anachronistisch. Er weist daraufhin, das die meisten reichen Familien, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts an der Spitze der Gesellschaft gestanden haben, drei Generationen später dort nicht mehr zu finden waren. Unaufhörliche Dynamik konkurrierender Neuerungen. Man könnte annehmen, vernünftige Sparsamkeit, eine bescheidene Lebensweise und der Erhalt einer soliden Grundlage seien für Unternehmen ausreichend, um an der Spitze zu bleiben (protestantische Ethik, Max Weber). Schumpeter vertritt die These, jede Firma, die sich auf eine derartige Routine beschränkt, werde schon bald von offensiver agierenden, risikofreudigeren, wettbewerbsorientierten Unternehmen verdrängt werden.

„Die Einführung neuer Produktionsmethoden, die Erschließung neuer Märkte, überhaupt die erfolgreiche Durchsetzung neuer geschäftlicher Kombinationen hat Fehlerquellen, Risiken und begegnet Widerständen, die in der Bahn der Routine fehlen.“

Ist der schöpferische oder kreative Zerstörer ein Innovator?

In seinem Werk „Theorie wirtschaftlichen Entwicklung“ schreibt er: Erfolge habe nicht in erster Linie der Innovator, der Erfinder und schöpferische Zerstörer, sondern jener, der das Neue am besten organisiert. Die Deutschen verstanden es im 19. Jahrhundert besser als die Briten, die Textilindustrie zu organisieren, selbst wenn sie wenig zu deren maschineller Technologie beitrugen.

Ein Innovator zeichnet sich vor allen Dingen durch die Kunst der Kombinatorik aus. Innovationen entstehen eben nicht nur durch Erfindungen:

„Nur dann erfüllt er (der Unternehmer) die wesentliche Funktion eines solchen, wenn er neue Kombinationen realisiert, also vor allem, wenn er die Unternehmung gründet, aber auch, wenn er ihren Produktionsprozess ändert, ihr neue Märkte erschließt, in einen direkten Kampf mit Konkurrenten eintritt.“

Innovatives Unternehmertum unterscheidet sich dabei deutlich vom Routineunternehmer, der auf überkommenen Grundlagen arbeitet und nie Neues schafft. Aus altbekannten Techniken wie W-LAN, MP3 und Bewegungssensoren schuf Apple neue Geräte mit Kultfaktor. Und auch das benutzerfreundliche Design ist keine Kreation aus Cupertino. Der Steve Jobs-Konzern folgt konsequent dem Less-and-More-Diktum des genialen Industriedesigners Dieter Ram, der in den 1960er und 1970er Jahre bahnbrechende Produkte für die Braun AG schuf. Und was noch wichtiger für die Erfolgsstory von Apple ist: Jobs erzeugte neue Märkte. Der dynamische Unternehmer orientiert sich nicht primär an gegebener oder unmittelbarer Nachfrage des Konsumenten, sondern „er nötigt seine Produkte dem Markte auf“, so Schumpeter. Das ist Steve Jobs bekanntlich mit Produkten und Diensten für das mobile Internet und für den Tablet-Markt gelungen.

Generelle Vorgehensweise, die sich vor allem in seiner Bonner Zeit ausprägte: Historisches Material in analytischer Weise zu nutzen. Genau dieses Verfahren setzte er in den dreißiger Jahren ein bei der Abfassung seiner Theorie über die Konjunkturzyklen. Leitgedanke der sozialen Klassen war prägend für sein Hauptwerk „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“,

Der Antipode von Keynes

Wer die ökonomische Welt nur in Aggregatzuständen betrachtet, verliert die wesentlichen Quellen wirtschaftlicher Kreativität und technologischer Entwicklungssprünge aus dem Auge. Das ist das Manko von Planungsfetischisten und Makroökonomen. Sie unterschätzen die tiefgreifende wirtschaftliche und gesellschaftliche Rolle von unvorhersehbaren Innovationen, die alles durcheinander würfeln und Technologien sowie Geschäftsmethoden revolutionieren. “Mehr investieren, weniger sparen” ist so eine der üblichen Forderungen aus der Trickkiste jener Denker, die gerne den Wald betrachten, sich aber wenig um die Bäume scheren.

Wie Finanzindikatoren sowie das ganze Börsen- und Schulden-Spektakel auf die Realwirtschaft durchschlagen, ist ungewiss. Darauf machte Schumpeter bereits in den 1920er aufmerksam. Makroökonomen würden sich nur mit Aggregaten beschäftigen, also mit der Gesamtsumme der Mittel, die Volkswirtschaften für den Konsum und für Investitionen aufwenden. Einzelne Unternehmer, Firmen, Branchen, Konsumenten, die Rolle von staatlichen Institutionen und die Wirkung von Gesetzen verschwinden aus dem Blickfeld. Vor allem die Rolle von Innovationen werde heruntergespielt. Er wendet ein, dass Keynes dadurch „das herausragende Merkmal des Kapitalismus“ abtue, durch das sowohl Technologie als auch Geschäftsmethoden „unaufhörlich revolutioniert werden“.

Eine in Schieflage geratene Volkswirtschaft sei nicht allein durch währungs- oder fiskalpolitische Maßnahmen zu sanieren. Die direkte Beseitigung der wirtschaftlichen Störungen sei zielführender. Die währungspolitische Sanierung solle den Abschluss, nicht den Anfang der wirtschaftlichen Sanierung einer Volkswirtschaft bilden.

Wäre vielleicht eine Empfehlung für den griechischen Finanzminister Yannis Varoufakis.

Was bleibt: Seine Erkenntnis, dass eine exakte Ökonomie nicht möglich ist. Aufgrund der unendlich vielen Kombinationen von möglichen Einflüssen auf das menschliche Verhalten sind reale ökonomische Situationen niemals gleich. Es gibt zu viele Variablen, weil immer auch unvorhersagbares menschliches Verhalten eine Rolle spielt. Oder wie es Douglas North, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, ausdrückte: „Der Preis der Präzision (von theoretischen Modellen, gs) ist die Unfähigkeit, Fragen des realen Lebens zu behandeln.“

Schumpeter pochte auf die Neutralität des Wissenschaftlers und lehnte politisches Engagement ab, Keynes hingegen war ein Meister der Vereinfachungen und der politischen Agitation, wie man im Vorwort der deutschen Ausgabe von “Allgemeine Theorie der Beschäftigung” nachlesen kann. Keynes schrieb diese Zeilen am 7. September 1936 (!):

“Kann ich deutsche Ökonomen überzeugen, dass Methoden formeller Analyse einen wichtigen Beitrag zur Auslegung zeitgenössischer Ereignisse und zur Formung einer zeitgenössischen Politik bilden? Es lohnt sich sicherlich für mich, den Versuch zu machen”, schreibt der britische Wirtschaftswissenschaftler.

Er räumt ein, dass vieles in seinem Opus auf die Verhältnisse in angelsächsischen Ländern erläutert und dargelegt worden ist.

“Trotzdem kann die Theorie der Produktion als Ganzes, die den Zweck des folgenden Buches bildet, viel leichter den Verhältnissen eines totalen Staates angepasst werden als die Theorie der Erzeugung und Verteilung einer gegebenen, unter den Bedingungen des freien Wettbewerbes und eines großen Maßes von laissez-faire erstellten Produktion.”

Schumpeter hat mehr zu bieten. Das sollte man vor allem in Bonn erkennen. Die Schumpeter-Forschung findet leider woanders statt:

1986 gründete sich eine internationale Schumpeter-Gesellschaft in Augsburg. Ihr gehören rund 400 Mitglieder aus über 30 Ländern und mindestens einem halben Dutzend wissenschaftlicher Disziplinen an. Tagt alle zwei Jahre und veröffentlicht die Sitzungsberichte in Buchform. Vergibt den Preis für die beste Publikation in der Tradition Schumpeters.

Nach Schumpeters Tod richtete die wirtschaftswissenschaftliche Fakultät von Harvard mit Mitteln, die von Elisabeth Schumpeter und Freunden ihres Mannes gestiftet wurde, einen Preis ein, der jährlich zu Schumpeters Gedenken an einen herausragenden Studierenden verliehen wird. Seit Mitte der 90er Jahre finden an der Uni Graz einmal im Jahr die „Schumpeter-Lectures“ statt – eine Vorlesungsreihe, die jeweils von einem international renommierten Wirtschaftswissenschaftler gehalten wird.

15 Kommentare

  1. Sehr klasse Gunnar, dass Du Dir noch die Mühe mit dem Podcast gemacht hast. Den werde ich mir heute Abend in Ruhe anhören – dickes Like!

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