Bonner Stadtteilbibliotheken im digitalen Zeitalter: Infrastruktur für engagierte Bürger

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Gerüstabbau beim Haus der Bildung

Ich finde es schade, wenn Menschen, die sich im Internet zu Hause fühlen, nicht verstehen, warum Bibliotheken auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Das gilt besonders für die Stadtteilbibliotheken Bonns, die von Schließungen akut bedroht sind.

Der Bonner Sparhaushalt ist beschlossen, da gibt es nicht mehr viel dran zu ändern. Das bestimmt ganz wunderbare und hoffentlich bald geöffnete Haus der Bildung, welches teurer als erwartet wurde, zieht das komplett zur Verfügung stehende Personal aus den Stadtteilbibliotheken ab. Angeblich ist das alternativlos. Genaueres weiß man leider nicht, für neue Mitarbeiter sei nicht mehr Geld da und dafür müssen die Stadtteilbibliotheken und ihr gesamter Kosmos aus Haupt- und Ehrenamtlichen, sowie aus Besuchern aller Altersklassen nun ebenfalls in die Zentrale „umziehen“ oder eben nicht. Klartext: Bis zu 5 Stadtteilbibliotheken droht die Schließung, bzw. sie ist quasi beschlossene Sache. Die Besucher der Stadtteile können nun schauen wo sie bleiben. Und im Internet interessiert es keinen?

Bücher suchen ein Zuhause
Bücher suchen ein Zuhause

Bibliotheken sind keine Relikte aus dem letzten Jahrhundert. Bibliotheken sind auch nicht nur Orte, wo man Bücher ausleihen kann. Sie sind und waren immer schon ein „dritter Ort“, Treffpunkte der Gemeinschaft, außerhalb von Arbeit und zu Hause. Dort entstehen Gemeinschaften des Wissens, egal ob dieses nun analog in Form eines Buchs, einer Zeitschrift, eines Gesprächs weitergegeben wird, ganz gleich ob dort an Computern, eBooks, iPads oder anderen Rechengeräten gearbeitet, recherchiert und gelernt wird. Lesen lernt man nicht nur online. Medienkompetenz braucht Medienvielfalt. Und dafür sind Bibliotheken ideale Plätze. Gut, könnte man jetzt sagen, dass passiert ja alles auch im Haus der Bildung, sogar noch viel mehr! Ich bleibe skeptisch, ob es dazu reicht eine einzelne zentrale Bibliothek zu haben und ob es für die Zentrale hilfreich ist, die Außenstellen vor Ort zu schließen.

Nach dem ersten Schreck über die Nachricht wurde mir erzählt, wie groß der Kosmos der Ehrenamtlichen in den Stadtteilbibliotheken ist. Am Beispiel Dottendorf sieht man genau, welch bedeutende Rolle diese Ehrenamtlichen bei außerschulischer Bildung und Integration in den Stadtteilen spielen. Ohne dieses Engagement der ehrenamtlichen Mitarbeiter im Ort würde diese enorm wichtige Arbeit nicht stattfinden. Aber um ein paar tausend Euro zu sparen, die im Schwankungsbereich von Bauprojekten nicht genauer angeschaut werden, weil es da um Millionen geht, soll nun eine Bonner Variante des sogenannten „Bielefelder Modell“ durchgesetzt werden: Ehrenamtliche ohne hauptamtliche bezahlte Mitarbeiter der Stadt sollen die Bibliothek alleine managen, was natürlich nicht möglich ist. Ansonsten werden fünf Stadtteilbibliotheken geschlossen, wenn sich keine Ehrenamtlichen zur Erhaltung des Betriebs finden. Man könnte meinen „Bielefeld“ ist die Chiffre für Stadtteilbibliotheken, die ganz bewusst bald nicht mehr existieren sollen.1

Friss nichts oder stirb lauten die scheinbaren Optionen, denn völlig ohne hauptamtliche Mitarbeiter haben Stadtteilbibliotheken keine reelle Chance zu überleben. Das war auch nicht im Sinne des Bielefelder Modells, das auf dezentrale Organisation angelegt ist und durch Hauptamtliche getragen wird. Warum nicht Ehrenamtliche die Zentrale verstärken können (wo ja das Personal scheinbar fehlt), wurde mir bisher nirgendwo schlüssig erklärt. (Jede/r Leser/in darf das als Einladung zum Kommentieren verstehen).

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Menschen, die Strom mögen, kauften Bücher.

Ich sehe aber noch andere Chancen in der Weiterentwicklung der Stadtteilbibliotheken: Viele digitale „Wissensarbeiter“ nutzen ihr Homeoffice oder mieten Büros an. Wieso werden Stadtteilbibliotheken nicht zu „Public Coworking Spaces“, also kostenlose Plätze zum Arbeiten, verteilt über die Stadt? Die Idee ist nichts Neues mehr, aber vielleicht muss man manchen Coworking noch mal erklären.

Coworking heißt einfach, dass Schreibtische und Materialien zum Arbeiten zur Verfügung stehen, am besten mit einer guten Internetanbindung. Und wenn es zusätzlich Kaffee gibt, wäre es schon perfekt. „Public“ soll heißen, dass sich jedermann sie leisten kann, dass sie also kostenlos oder für einen sehr geringen Unkostenbeitrag zur Verfügung gestellt werden. Es gibt in Bonn ein paar kleinere kommerzielle „Coworking Spaces“, die vielleicht besseren Kaffee und schnelleres Internet anbieten, aber es braucht auch eine öffentliche, günstige Version davon, die sich nur wirtschaftlich rechnet, wenn man an eine Stadtgesellschaft denkt, die Innovation und Wissensaustausch fördern möchte. In der Unibibliothek hat man die Entwicklung schon beobachten können, dass Bibliotheken immer mehr Arbeitsplätze, Gruppenräume und immer weniger Stellplatz für Bücher benötigen. Menschen möchten dort gemeinsam oder in Ruhe arbeiten, lernen, lesen.

„Lernende suchen demnach einerseits die konzentrierte Atmosphäre, andererseits schätzen sie es, in einer Umgebung mit anderen Lernenden zu sitzen, sie treffen hier Gleichgesinnte oder verabreden sich zur Gruppenarbeit.“
http://www.helmholtz.de/artikel/wir-ruecken-zusammen-3482/

Stadthaus als Hackerspace? Meh.
Stadthaus als Hackerspace? Meh.

Und wieso nicht noch weiterdenken? Viele Initiativen und Meetups in Bonn suchen einen Raum für abends nach der Arbeit, um sich dort auszutauschen, neue Ideen zu präsentieren oder gemeinsam zu hacken: Code for Bonn ist nur ein Beispiel von vielen. Das zeigt, dass auch mit und trotz der Digitalisierung das Bedürfnis nach persönlichen Begegnungen weiter wachsen wird. Kneipen sind dafür nicht angemessen, unter anderem weil es dort leider zu selten WLAN und fast nie Flipcharts oder Leinwände für die Präsentation zur Verfügung stehen. Bibliotheken in den Stadtteilen könnten für TweetUps, BookUps und viele weitere Formate ein idealer Ort sein, um Wissen zu verbreiten, egal in welcher Form, ob analog oder digital, am besten in Kombination.

Wie das funktionieren kann? Bei der re:publica 2015 traf ich einen Wolfsburger, der mir vom Schiller40 erzählte: http://www.wolfsburg.de/kultur/kulturwerk/schiller40-coworking-space

Als Hotspot für Digitale Kultur ist das Schiller40 ein Botschafter für neue Kulturformate und Veranstaltungen.
Das Coworking Space bietet 20 Arbeitsplätze zum Arbeiten, ein Fab-Lab mit 3D Druckern und Scanner sowie einer Werkbank nebst Ausstattung. Ein Seminarraum mit Präsentations- und Workshoptechnik sowie weitere technische Materialen runden das Angebot ab.
Digitale Kultur und deren Vermittlung ist das Hauptaugenmerk des Schiller40. Eine zunehmende digitalisierte Gesellschaft benötigt hierfür Angebote und einen Wissenstransfer. Von Kindern und Jugendlichen bis zu Senioren sind diverse Veranstaltungsformate individuell auf die Zielgruppen zugeschnitten und im Portfolio.

Bonn hat großen Bedarf nach diesen Gemeinschaftsorten, nach Coworking-MeetUp-Hacker-Spaces, gerade auch in den Stadtteilen. Andere Städte wie Wolfsburg und Köln haben vorgemacht, dass man nicht nur sparen darf, sondern auch in wirklich gute Ideen investieren sollte. Denn diese Ideen zahlen sich kurz-, mittel- und langfristig aus; Startups werden gegründet, Innovationen werden in Angriff genommen, um die eigene Stadt zu einem attraktiven Standort für alle Menschen zu machen, die mit Wissen und Technologie arbeiten, aber auch die neu in einer Stadt sind, sich integrieren möchten und Lust zum Lernen haben. Mit wenig Geld lässt sich ein großer Effekt erzielen.

Ein Anfang wäre es die Stadtteilbibliotheken und ihren Kosmos aus Ehrenamtlichen nicht aus fehlgeleitetem Sparwillen abzuwickeln. Vielleicht besteht noch eine kleine Chance, die Stadtteilbibliotheken weiterzuentwickeln und mit diesem lohnenden Konzept beizubehalten? Denn eigentlich hatte die Ratsmehrheit die Erhaltung der Stadtteilbibliotheken ja ausdrücklich befürwortet. Ob die Bonner Politiker auch das Kleingedruckte in den Nach- und Nebenanträgen gelesen haben und die Konsequenzen so klar sehen?

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Angry Bird and Angry Cat united!

Was denkt Ihr? Gibt es noch andere gute Gründe für Bibliotheken in den Stadtteilen oder habt Ihr einen anderen Standpunkt? Wenn ja, habt ihr Ideen, was man tun kann? Wenn nein, wo lernen Eure Kinder mit verschiedenen Medien umzugehen?

Wer mehr zum Thema wissen will: Im Blog „Bibliothekarisch“ gibt es eine Linkliste zur Schließung der Bonner Stadtteilbibliotheken: http://blog.bibliothekarisch.de/blog/2015/04/30/linkliste-zur-schliessung-bonner-stadtteilbibliotheken-bibliothekenretten-bonn/. Viele weitere Hintergrundinformationen zur Arbeit der Ehrenamtlichen in der Stadtteilbibliothek Dottendorf und den politischen Hintergründen gibt es bei Kultimo: http://www.kultimo.de.

  1. Einen genaueren Vergleich zwischen Bonn und Bielefeld findet man bei Kultimo: http://www.kultimo.de/event/erhaltung-ratssitzung-1505#aktuell

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