Gastbeitrag: Rheinischer Karneval – organisiert unorganisiert (ein Erfahrungsbericht)

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IMG_2503Zum besseren Verständnis ein kleines Vorwort: Der Autor dieses Reiseberichts ist in Oberschwaben geboren und in Ostwestfalen groß geworden –  somit sehr karnevalsfrei sozialisiert. Die wenigen Berührungspunkte bestanden in Karnevalsfeiern während der Grundschulzeit und den Fernsehübertragungen der Sitzungen und Umzüge in Köln, Düsseldorf und Mainz. Erst mit dem Umzug nach Bonn wurde er von diesem Fieber infiziert, aber – und nun folgt das große Aber – nur mit dem Straßenkarneval in der Bonner Altstadt und dem Kneipenkarneval in Bonn und Köln. Der sogenannte organisierte Karneval war ihm suspekt oder mental weit weg.

Ein schöner Zufall brachte mir diesen organisierten Karneval im Rheinland näher. Dieser Zufall ist aber nicht das Thema. Der Zufall mit Namen C ist aber wichtig, weil organisiert, und zwar bei den Bad Godesberger „Fidelen Burggrafen“, einem Traditionscorps. Und so geriet ich nun mitten hinein in diese für mich fremde Welt. Normalerweise sieht man als unorganisierter Karnevalist die Organisierten nur auf der Straße (marschierend oder schwankend je nach Uhrzeit), aber der Zufall führte mich tief hinein.

Am letzten Samstag erhielt ich die Anfrage, ob ich nicht nach dem letzten Auftritt der Burggrafen noch dazu kommen wolle, um in deren Stammquartier (so heißt die Stammkneipe einer Karnevalsgarde) noch etwas mitzufeiern. Meine Neugier war geweckt – auf nach Bad Godesberg zu diesem Stammquartier. Dort sollte oder wollte ich auf die Ankunft des Busses warten, um danach dem letzten Auftritt beizuwohnen. Doch es entwickelte sich alles anders!

Eher preußisch-pünktlich sozialisiert, konnte ich feststellen, dass der rheinische Karneval auch in der sogenannten organisierten Form eher unorganisiert ist. Die Ankunft des Buses verspätete sich um eine halbe Stunde, denn der vorhergehende Auftritt war etwas komplizierter – die Kneipe war zu voll und zu klein für diesen großen Trupp, und schon eine kleine Schar jecker Soldaten ist ja kaum beieinander zu halten. Das Einsammeln all dieser fröhliche Offiziere und Marketenderinnen scheint nicht eingeübt zu sein. Es fehlt offenbar Disziplin in der Truppe.

Aber dann kamen sie und ich wurde gleich mit in den Saal gezogen, bekam ein Kölsch und durfte ausschweifende Reden und Ordensüberreichungen genießen, dazu Musik, Tanzcorps und Prinz und Godesia (das ist die Bonna für Bad Godesberg). Danach sollte es in die Kneipe gehen – dachte ich. Aber falsch gedacht, denn ein wenig Chaos und Fehlinformation im Karneval muss sein. Organisiert heißt nicht orientiert, auch für Offiziere gilt das, denn der Herr C ist dort Hauptmann, und zwar der mit dem größten Federbusch (eitel ist man im organisierten Karneval natürlich auch). Schnell kann man daher übersehen, dass der Abend noch nicht ausklingen sollte, sondern noch ein Auftritt folgte – in der Eifel! Also wurde ich in den Bus verfrachtet. Mitten im Hühnerhaufen aus Hauptmann, Marketenderinnen, Gardemariechen und weiteren für mich nicht zu entwirrende Teilgardenmitgliedern saß ich nun in einem Bus nach Oberdürenbach und wurde bestens umsorgt von außergewöhnlich netten Menschen – Kölsch, Käsehappen, Wurst und Likör entspannten mich.

Nach einer kleinen Irrfahrt (siehe oben zur Orientierung als integrativen Bestandteil des organisierten rheinischen Karnevals) kam der Bus vor einem picke-packe-vollen Dorfgemeinschaftshaus im Nichts zu stehen und schon stürzten die ersten Offiziere aus dem Bus und stürmten die erste Schanze der zu bestürmenden Karnevalsfestung: die Frittenbude auf dem Vorplatz. Ein Kommandeur erkämpfte sich mutig eine Currywurst.

Nach einem kurzen Scharmützel in Form von Kölsch, Fritten und Zigaretten wurde nach einer halben Stunde (man war ja nur eine halbe Stunde zu spät) zur Stürmung der für diesen Trupp eher zierlichen Bühne aufgefordert. Und los ging es mit Marschmusik, lokalem Liedgut und fliegenden Mariechen rauf auf die Bühne. Dort warteten das lokale Dreigestirn und der Elferrat; die Autokorrektur will daraus immer eine Elfenrat machen. Passt aber auch, dieser Rat bestand aus drei Möhnen, denn wir waren bei den Königssee-Möhnen. Vorne tanzten das Tanzcorps und hinten standen die Offiziere und Marketenderinnen. Besagter Hauptmann war offenbar noch etwas desorientiert (Karneval muss das so sein) und bestellte an der vermeidlichen Theke Getränke. Aber für einen norddeutsch sozialisierten Menschen wie mich gab es überraschenderweise keinen Saalverweis durch die Sitzungsleitung respektive Möhren respektive Elfenrat respektive Bardamen, sondern – was wundert – ein Kölsch. So lässt es sich doch leben und feiern!

Natürlich wurden auch Reden geschwungen und Orden verteilt, aber es gab für mich als Laien zwei absolute Höhepunkte: Klüngel und Stippeföttche.

Zum Klüngel: Auf Grund geschäftlicher Verbindungen kam es zu diesem Auftritt. Und da das ganze auch nicht gerade billig ist, finde ich das Sponsern auch nicht schlimm. Allein so eine Uniform ist unglaublich teuer. Aber je nach handelnden Personen kann der Klüngel auf der Bühne auch ausarten. So eine Bühnen ist ja prädestiniert für eine kleine Werbeveranstaltung. Zum Glück gings nicht um Heizdecken, sonst hätte ich sicherlich eine gekauft. Mehr muss man dazu nicht berichten.

Zum Stippeföttche: Wikipedia erklärt es so: Stippeföttche ist die Bezeichnung für ein Ritual, welches im Karneval bei den Garden im Rheinland gebräuchlich ist. Dabei stehen jeweils zwei Gardisten Rücken an Rücken und reiben beim sogenannten „Wibbeln“ die Hintern aneinander. Der Name kommt vom hervorstehenden (hervorstippen) Hintern (Föttche). Wie so vieles im rheinischen Karneval, der sich oft mit dem ungeliebten (preußischen) Militär auseinandersetzte, ist das Stippeföttche eine Persiflage auf das Soldatentum und den Militarismus generell; im 19. Jahrhundert dann speziell der preußischen ‚Fremdherrschaft‘ in der Rheinprovinz. Der dazu gespielte Marsch der Roten Funken von 1823 lautet Ritsch, ratsch – de Botz kapott („Ritsch, ratsch – die Hose kaputt“). Und ich kann es gar nicht in Worte fassen, absurd-faszinierend passt vielleicht am besten.

Natürlich wurde auch getanzt und gesungen und was so ein Gardetanzpaar so auf der Bühne stemmt und fliegen lässt, das macht schwindelig.

 

So gegen Mitternacht hieß es, Abschied zu nehmen und in den Bus einzusteigen – sicherheitshalber hatte ich ein halbes Brötchen in der Tasche. Wie schnell kann es passieren, dass man sich in der Eifel verirrt oder im Karnevalsrausch verläuft. Aber das konnte mir nicht passieren, meine Dameneskorte hatte immer ein wachsames Auge auf mich.

So wurde ich wieder in den Bus eskortiert – lecker Mädche an meiner Seite und staatse Kerle vorweg. Im Bus schwankte dann nach Mitternacht die Stimmung zwischen Schläfrigkeit und Schwatzhaftigkeit – diese Stimmungsschwankungen lagen wohl an der dünnen Luft der Vulkaneifel und der Angst, ob man wieder zurück findet.

Nachdem ich heil angekommen war und mich besinnen konnte, kann ich nur offen und ehrlich sagen: dieser Abend war eine wunderbare Erfahrung und ich wurde selten so offen und herzlich aufgenommen. Der organisierte Karneval hat viele Gesichter: sicherlich auch spießig oder elitär, aber hier habe ich das nicht erlebt. Ich war selten so überrascht und so begeistert. Bis ich so eine stattliche Uniform anziehen werde, wird es sicherlich noch dauern, aber ein Schiffchen hatte ich schon auf.

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Daher rufe ich schon mal:

Alaaf! Und ein Zitat: „Herrlich, Herrlich, Herrlich!

Un en janz, janz hätzlich

DANKESCHÖN!”

Wenn ihr mal die Gelegenheit haben solltet und in eine ähnliche Situation geratet, dann nutzt sie!

 

(Text, Bilder und Film: Stefan Kubicki)

6 Kommentare

    • Aber gern doch! Hatte als oberschwäbisch-westfälischer Rheinländer erschreckend viel Spaß. Habe ich gar nicht erwartet. Und auch nicht erwartet, dass ich den Dialekt dort oben schon nicht mehr verstehe (vergessen zu berichten).

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